Senkung der Mehrwertsteuer in Sicht?

Der Wahlkampf geht auf die Zielgerade – auch was unser hauseigenes Thema Steuern betrifft. Alle Parteien versprechen in ihren Wahlprogrammen, irgendwie viele oder gar alle bei der Steuer zu entlasten, genauer gesagt, bei der Einkommensteuer. An das Thema Mehrwertsteuer wagte sich hingegen fast keine Partei ran. Doch jetzt kommen die Grünen um die Ecke – und wollen die Mehrwertsteuer senken, wenn sie an der Regierung beteiligt sein sollten. Was die Grünen vorhaben, was es bringen könnte und wie realistisch das ist – Sie lesen es wie immer bei uns im Blog.
Mehrwertsteuer: Goldesel und Stiefkind zugleich
Sie ist eine Top-Einnahmequelle für den Staat: Deutlich mehr als 200 Milliarden Euro kassiert der Fiskus jedes Jahr mit der Mehrwertsteuer. Und keiner kann ihr entgehen. Egal, was wir kaufen – fast immer stecken im Kaufpreis 7 oder 19 Prozent Mehrwertsteuer drin, weshalb sie manchmal auch Märchensteuer genannt wird. Und irgendwie ist es von Staatsseite auch verständlich, dass man das nicht gern ändern will. Aber: Senkungen der Einkommensteuer nutzen vielen, die wenig verdienen, überhaupt nichts. Ihnen – und auch anderen – wäre mit einer Senkung der Mehrwertsteuer eher geholfen.
Doch fast alle Parteien ignorierten das im Wahlkampf völlig, Stiefkind Mehrwertsteuer. Nur bei der AfD fand man etwas, laut Programm sollte die Mehrwertsteuer gleich um 7 Prozentpunkte gesenkt werden. Wie die damit verbundenen Einnahmeausfälle von mehr als 70 Milliarden Euro ausgeglichen werden sollten, blieb aber offen. Zudem werden selbst Anhänger der Partei wissen, dass ihre Partei keinen Platz in der Regierungskoalition finden wird.
Und das sieht bei den Grünen schon anders aus. Rot-rot-grün scheint zwar weit weg zu sein, doch immer mehr rückt die Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, FDP und Grünen ins Blickfeld.
Bis weißer Rauch aufsteigt
Der grüne Spitzenkandidat Cem Özdemir ließ nun etwas überraschend in einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ verlauten, dass er eine Mehrwertsteuersenkung will – und spricht dabei von 1 bis 2 Prozentpunkten. Er begründet das wie oben beschrieben, davon würden die Menschen mit mittleren und geringen Einkommen profitieren.
„Ich bin dafür, dass alle Fraktionen nach der Wahl parteiübergreifend in einen Raum gehen, und wir bleiben drin, bis weißer Rauch aufsteigt – wie bei der Papstwahl.“
Das sei alles machbar (1 bis 2 Prozent sind rund 10 bis 20 Milliarden Euro). Zudem sollen aber zahlreiche Ausnahmeregelungen für den ermäßigten Steuersatz von 7 Prozent gestrichen werden.
Wahlkampftheater oder solide Forderung?
Auf den ersten Blick scheint das Ganze stimmig. Eine solche Senkung würde der Staatshaushalt mit seinen Rekordüberschüssen locker verkraften – selbst wenn es bei den angesprochenen Ausnahmeregelungen bleibt.
Doch ist es so, dass die Verbraucher auch wirklich davon profitieren würden? Und da wird es schon schwierig. Nehmen wir das Beispiel der „Mövenpick-Steuer“. Seit 2010 zahlen Hotels statt bisher 19 nur noch 7 Prozent Mehrwertsteuer für die Übernachtungspreise. Wer nun denkt, super, da ist das ja entsprechend günstiger für den Hotelgast geworden, hat sich getäuscht. Denn die 12 Prozentpunkte weniger bei der Steuer wurden bei weitem nicht an die Kunden weitergegeben, sie war eher eine Subvention des Hotelgewerbes. Das belegt zum Beispiel diese Studie.
Und es kommt noch schlimmer: Wir sind es gewohnt, dass viele Preise auf ,99 Euro enden. Preispsychologie heißt das. (Kleiner Schwenker: In den USA zum Beispiel stehen immer nur die Nettopreise an den Waren – die Steuer gibt es erst an der Kasse auf einen Rutsch obendrauf.)
Nun, was heißt das konkret mit der Psychologie: Ein Produkt kostet 3,99 Euro. Das sind 3,35 Euro netto plus 0,64 Euro Mehrwertsteuer. Würde die Mehrwertsteuer um 2 Prozentpunkte gesenkt, wären es nur noch 0,57 Euro Mehrwertsteuer, das Produkt müsste 3,92 Euro kosten. Glauben Sie, dass der Händler es für diesen Preis anbietet? Eher nicht. Wenn es gut läuft, macht er 3,95 Euro draus, vermutlich wird er gar bei 3,99 Euro bleiben. Die Mehrwertsteuersenkung würde in diesen Fällen zum Teil oder gar komplett verpuffen. Der Händler würde hingegen mehr Gewinn machen.
Immerhin: Auf der anderen Seite steht der Wettbewerb: So kann ja der Konkurrent auf 3,89 Euro runter gehen – und so mehr Käufer anziehen.
Und noch ein letzter Punkt: Gerade Bezieher geringer Einkommen gehen eher nicht ins Restaurant zum Essen (19 Prozent), sondern kaufen ihre Lebensmittel im Supermarkt (oft nur 7 Prozent). Sie würden also nicht in dem Maße profitieren wie erwünscht.
Zusammenfassung: Eine Senkung der Mehrwertsteuer würde nicht dazu führen, dass die Bürger 1:1 beim Einkauf entlastet werden. Einen Versuch wäre es dennoch wert – und es wäre auch eine Senkung mit hoher Symbolkraft – da sie wirklich alle betrifft.
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Bisherige Kommentare (Selber ein Kommentar hinterlassen)
Ich bin keinesfalls für eine MWSt. Senkung. Denn wie hier schon beschrieben, würde das nichts bringen, zumal es um 1 oder 2 Punkte geht.
Mein Vorschlag gerade für die Grünen wäre:
Den Solidaritätsbeitrag anderweitig verwenden.
Kostenfrei Nutzung aller öffentlichen Verkehrsmittel in Ballungsräumen.
Ggfs. müssen die entstehenden Kosten dann noch aus anderen Steuertöpfen beglichen werden. Die Kosten für die Einnahmenkontrolle wie auch die Wartungskosten für die Automaten würden wegfallen.
Vorteil:
Entlastung gerade für Geringverdiener und Familien. Anreiz für alle, die heute noch mit dem eigenen PKW in die Stadt fahren und lieber hohe Parkhausgebühren bezahlen.
Schlussendlich Entlastung der Umwelt.
Das wäre doch mal ein sehr fortschrittliches Konzept für die Verwendung einer Steuer, an die sich eh schon jeder gewöhnt hat. Das Ergebnis hingegen würde allen helfen.
Wie Sie, Herr Waide, schon richtig schreiben, würde die Senkung vermutlich nicht 1:1 an den Verbraucher weitergegeben werden. Man denke nur zurück an 2009/2010 mit den Hotelübernachtungen. Hat die Übernachtung bisher 119 € gekostet, wurde sie ab Januar nicht für 107 € angeboten.
Die Differenz war schöner Ertrag für den Hotelier.
Und umgekehrt wurde die Erhöhung 2006 von 16 auf 19 % auch nicht unbedingt den Verbrauchern weitergegeben. So haben viele (gerade Getränke) nach wie vor z.B. 0,99 € gekostet usw.
Wenn man wirklich entlastet werden will, sollte die Entlastung bei den Sozialabgaben stattfinden. Dann sind auch Geringverdiener entlastet, die keine bis wenig Einkommensteuer zahlen, aber trotzdem, je nach Krankenkasse, gesamt 21-22% vom Brutto abdrücken.
Hallo Herr Björn Waide. Sehr interessanter Beitrag! Ich selbst bin auch Steuerberater und setzte mich mit diesen Themen und was möglich wäre, auch auseinander. Deshalb ein großes Kompliment an deinen Blog und diesen Beitrag! Alles Gute und viele Grüße, Michael Keulemann ASK Steuerberatung