Die Europäische Erbrechtsverordnung (VO EU 650/2012)

Stand: 28. März 2024

Inhaltsverzeichnis

1 Allgemeines
1.1 Zielsetzung
1.2 Maßgeblichkeit des gewöhnlichen Aufenthalts
1.3 Geltung ab 17.8.2015
1.4 Regelungsinhalte
2 Die Zuständigkeit bei Anwendung der EU-ErbVO
2.1 Allgemeines
2.2 KG Berlin vom 26.4.2016
3 Der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers
3.1 Definition
3.2 Zeitpunkt der Feststellung
3.3 Auslegungsbedürftige Spezialfälle
4 Wahl des anzuwendenden Erbrechts
5 Testament oder Erbvertrag bei Ehegatten?
6 Das europäische Nachlasszeugnis
7 Tabellarischer Vergleich der Höhe europäischer Erbschaftsteuer deutscher Nachbarländer
8 Gesellschaftsrecht im Rahmen der Europäischen Erbrechtsverordnung
9 Erbschaftsteuerliche Aspekte
10 Literaturhinweise
11 Verwandte Lexikonartikel

1. Allgemeines

1.1. Zielsetzung

Die Europäische Union hat sich zum Ziel gesetzt, einen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem der freie Personenverkehr gewährleistet ist, zu erhalten und weiterzuentwickeln. Zum schrittweisen Aufbau eines solchen Raums hat die Union im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen, die einen grenzüberschreitenden Bezug aufweisen, Maßnahmen zu erlassen, insbesondere wenn dies für das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich ist.

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Diesem Ziel folgend wurde die »Verordnung (EU) Nr. 650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates« vom 4.7.2012 (Amtsblatt der Europäischen Union vom 27.7.2012, L 201/107) über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses erlassen (EU-ErbVO). Sie soll die Hindernisse für den freien Verkehr von Personen, denen die Durchsetzung ihrer Rechte im Zusammenhang mit einem Erbfall mit grenzüberschreitendem Bezug noch Schwierigkeiten bereitet, ausräumen.

Im europäischen Binnenmarkt soll der Bürger im Voraus die Verteilung seines Nachlasses rechtssicher regeln können. Dabei müssen auch die Rechte der Erben und der Nachlassgläubiger effektiv gewahrt werden.

Der Anwendungsbereich der Verordnung erstreckt sich auf alle zivilrechtlichen Aspekte der Rechtsnachfolge von Todes wegen i.S.d. § 1922 BGB, insbes. auf jede Form des Übergangs von Vermögenswerten sowie auf alle entstehenden Rechte und Pflichten. Dabei es ist es unerheblich, welche Art der Erbfolge – gewillkürte oder gesetzliche – vorliegt.

1.2. Maßgeblichkeit des gewöhnlichen Aufenthalts

Die EU-ErbVO führt zu durchgreifenden Veränderungen. Wurde ein deutscher Staatsangehöriger bisher grundsätzlich nach deutschem Sachrecht beerbt, auch wenn er im Ausland verstarb (Staatsangehörigkeitsprinzip), kommt künftig grds. das Erbrecht des Staates zur Anwendung, in dem der Verstorbene seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Deshalb sollte jeder deutsche Staatsangehörige, der entweder im EU-Ausland lebt oder über Vermögen, insbes. Immobilien, im EU-Ausland verfügt, mit den Grundzügen der EU-ErbVO vertraut sein.

1.3. Geltung ab 17.8.2015

Ab dem 17.8.2015 kommt die neue EU-ErbVO zur Anwendung. Sie enthält Bestimmungen zu Erbfällen mit Auslandsberührung. Sie regelt, welches nationale Erbrecht auf einen solchen Erbfall anzuwenden ist und welches Gericht oder welche sonstige Stelle zuständig ist. Zudem führt sie ein europäisches Nachlasszeugnis ein. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) hat zur EU-ErbVO einen Informationsflyer herausgegeben (abrufbar über die Homepage des BMJV).

Bis zur Geltung der europäischen Erbrechtsverordnung ab dem 17.8.2015 kann für europäische Erbfälle weiterhin das nationale Kollisionsrecht zur Bestimmung des Erbrechts angewendet werden. Weiterhin gelten die bis zum 16.8.2015 testierten Rechtswahlen auch nach Einführung der EU-ErbVO fort. Mit der am 16.8.2012 eingeführten europäischen Erbrechtsverordnung (VO EU 650/2012 über Erbsachen und europäisches Nachlasszeugnis, abgekürzt EU-ErbVO) wird das bis zum 16.8.2015 geltende nationale Erbkollisionsrecht der einzelnen Mitgliedstaaten ersetzt. Nach Maßgabe der für ab dem 17.8.2015 eintretende Erbfälle anzuwendenden EU-ErbVO ist im Zeitpunkt des Erbanfalls (und nicht zum Zeitpunkt der Testamentserrichtung) gem. Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO das Erbrecht anzuwenden, in dessen Staat der Erblasser seinen letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Die EU-ErbVO gilt in allen Mitgliedstaaten der europäischen Union mit Ausnahme von Dänemark, Großbritannien und Irland; führt die Abstellung des gewöhnlichen Aufenthaltes zur Anwendung des Erbrechtes eines Drittstaates, behindert dies die Anwendung der EU-ErbVO nicht gem. Art. 34 Abs. 1 Buchst. b EU-ErbVO. Nach dem Urteil des OLG Schleswig vom 25.4.2016 (3 Wx 122/15, FamRZ 2016, Heft 18) bestimmt Art. 25 EGBGB n.F: keine Rückwirkung der Anwendung der EU-ErbVO auf Erbfälle vor dem 17.8.2015.

1.4. Regelungsinhalte

Der Regelungsumfang der EU-ErbVO umfasst gem. Art. 3 Abs. 1 Buchst. a EU-ErbVO die gesetzliche und gewillkürte Erbfolge, die Pflichtteils- und Noterbrechte, den Anfall und Übergang des Nachlasses, die Haftung der Erben sowie die Auseinandersetzung des Erbes. Nicht von der EU-ErbVO erfasst sind die Regelung des ehelichen Unterhalts von Todes wegen, Verträge zugunsten Dritter auf den Todesfall des Erblassers und das anzuwendende eheliche Güterrecht. Des Weiteren von der Anwendung der EU-ErbVO explizit ausgeschlossen sind Erbverträge: Für diese gilt das bei Abschluss des Erbvertrags anzuwendende nationale Recht gem. Art. 25 Abs. 1, 2 EU-ErbVO. Der im Folgenden dargestellte gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers besitzt keine Auswirkungen auf die (Nicht-)Anwendbarkeit von Erbverträgen; Gleiches gilt für Erb- und Pflichtteilsverzichte.

2. Die Zuständigkeit bei Anwendung der EU-ErbVO

2.1. Allgemeines

Für Entscheidungen in Erbsachen sind für den gesamten Nachlass die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dessen Hoheitsgebiet der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte (Art. 4 EU-ErbVO). Des Weiteren kann gem. Art. 5 EU-ErbVO explizit eine Gerichtsstandsvereinbarung vereinbart werden. Damit diese Gültigkeit entfalten kann, wird eine ausdrückliche Rechtswahl des Erblassers vorausgesetzt; andernfalls ist Art. 21 EU-ErbVO anzuwenden. Die Vereinbarung muss demnach grds. schriftlich fixiert, datiert und unterzeichnet werden (Art. 4 Abs. 2 Satz 1 EU-ErbVO).

2.2. KG Berlin vom 26.4.2016

Das KG Berlin befasste sich in seiner Entscheidung vom 26.4.2016 (1 AR 8/16, NJW 2016, 8) mit der internationalen Zuständigkeit bei Grenzpendlern. Es kam dabei zum Ergebnis, dass sich auch bei Grenzpendlern die Zuständigkeit nach Art. 4 ff. EU-ErbVO bestimmt und damit grundsätzlich nach dem letzten gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers. Letzterer ist unter Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls, insbes. der persönlichen familiären Eingliederung des Erblassers in den (Aufenthalts-)Mitgliedstaat, unter Berücksichtigung der Erwägungsgründe 23 und 24 der EuErbVO zu bestimmen. Dies kann dazu führen, dass der gewöhnliche Aufenthalt eines Grenzpendlers, der im Zweitstaat nicht integriert ist, beim Erststaat verbleibt, obwohl der Pendler keinen Wohnsitz mehr dort hat. Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich dann nach nationalem Recht und knüpft gem. § 343 Abs. 2 FamFG an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt im Inland an.

3. Der gewöhnliche Aufenthalt des Erblassers

3.1. Definition

Welches Erbrecht maßgebend ist, entscheidet sich also grds. danach, wo der Erblasser zum Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Damit wird der zunehmenden Mobilität der EU-Bürger entsprochen.

Die Frage ist also, was versteht man unter dem »gewöhnlichen Aufenthalt«? Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthaltes ist nicht Bestandteil des Definitionskanons des Art. 3 EUErbVO und somit auslegungsbedürftig. Nach Auffassung der Literatur (vgl. Döbereiner, MittBayNot 2013, 358) knüpft der auch als »Domizilprinzip« bezeichnete »gewöhnliche Aufenthalt« an die Gesamtbeurteilung aller Lebensumstände des Erblassers in den Jahren vor bzw. bis zum Erbanfall an. Analog zu § 9 AO kann eine natürliche Person nur über einen einzigen gewöhnlichen Aufenthalt verfügen; für Grenzpendler und Personen mit internationaler Doppelansässigkeit wird auf soziale Bindungen wie Familie, Freunde und Bekannte bzw. bei Parität dieser Kriterien auf die Staatsangehörigkeit oder die Belegenheit des Vermögens abzustellen sein. Aufgrund der fehlenden Legaldefinition des Begriffs »gewöhnlicher Aufenthalt« ist eine testamentarisch geregelte Gerichtsstandvereinbarung anzuraten. Weitere Indizien zur Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts stellen Bleibe- und Integrationswille des Erblassers sowie die Häufigkeit und Dauer der Besuche im Heimatland dar.

Es bleibt abzuwarten, wie die Gerichte entscheiden werden, welche Faktoren wie zu gewichten sind. Die EU-ErbVO lässt insoweit einen großen Auslegungsspielraum und ist daher streitanfäl-lig.

3.2. Zeitpunkt der Feststellung

Für die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts ist der Zeitpunkt des Todes, nicht aber der Zeitpunkt, zu dem das Testament errichtet worden ist, einschlägig. Eine Abweichung zu diesem Prinzip ist gem. Art. 21 Abs. 2 EUErbVO möglich, wenn der Erblasser im Todeszeitpunkt seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Staat B hatte, im Todeszeitpunkt jedoch die Nähe zu Staat A überwog.

Beispiel:

Unternehmer U hatte sein gesamtes Leben lang in Ulm sein Unternehmen bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres als Gesellschafter-Geschäftsführer geführt und mit seiner Frau A in seinem selbst errichteten Mehrgenerationenhaus gelebt. Aufgrund des milderen Klimas entschied sich U nach Ausscheiden aus der GmbH, seinen Lebensabend allein in Marseille zu verbringen, wo er ein Jahr später verstarb. In seinem Testament ist keine Gerichtsstandsvereinbarung vereinbart worden.

Lösung:

Im Zeitpunkt des Erbanfalls hatte U seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Frankreich, sodass gem. Art. 21 Abs. 1 EU-ErbVO der Erbfall des U dem französischen Erbrecht unterliegen würde. Aufgrund der engeren sozialen und beruflichen Bindungen des U zu Deutschland kann hiervon gem. Art. 21 Abs. 2 EU-ErbVO abgewichen werden, sodass deutsches Erbrecht angewendet werden kann.

3.3. Auslegungsbedürftige Spezialfälle

Millionen von Deutschen leben einen Großteil des Jahres im Ausland. Viele Arbeitnehmer versuchen mit Auslandsjobs ihre Karrierechancen zu verbessern, viele Rentner verbringen – trotz Corona-Pandemie – ihren Lebensabend in südlichen Gefilden. Bei diesen und anderen folgenden Personengruppen handelt es sich aus erbrechtlicher Sicht um Spezialfälle, bei denen eine Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts nach den o.g. Kriterien vorgenommen werden muss:

  • »Mallorca-Rentner«. Noch nie haben so viele deutsche Rentner ihren Lebensabend im Ausland verbracht. Zu den beliebtesten Auslandsstaaten gehören z.B. Österreich (ca. 30 000 Deutsche erhalten dort mtl. Rentenzahlungen von der deutschen Rentenversicherung; vgl. den »Rentenatlas 2022«), die Schweiz, Spanien, aber auch die USA und Australien.

  • Wanderarbeiter und Grenzpendler, die z.B. in der Schweiz arbeiten, jedoch in Deutschland wohnen,

  • im Ausland gepflegte nahe Angehörige,

  • Auslandsstudenten,

  • Strafgefangene,

  • Berufssportler.

Beispiel:

Ein deutscher »Mallorca-Rentner« verbringt seinen Lebensabend auf Mallorca. Mit ihm zusammen in der Wohnsiedlung wohnen nur Deutsche. Er sieht ausschließlich deutsches Fernsehen, isst zumeist nur deutsches Essen. Ab und zu besucht er seine Kinder und Enkelkinder in Deutschland.

Lösung:

In diesem Fall muss eine Gesamtbeurteilung der Lebensumstände des Erblassers erfolgen, um zu entscheiden, wo der Rentner seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

Fazit

Längere Auslandsaufenthalte können demnach dazu führen, dass ausländisches Erbrecht zur Anwendung kommt. Wer länger im EU-Ausland lebt, sollte daher dringend seine erbrechtliche Situation überprüfen und ggf. nachbessern. Andernfalls besteht die Gefahr, dass ungewollt ausländisches Erbrecht zur Anwendung kommt, was erheblich von dem deutschen abweichen kann. Kommt ausländisches Erbrecht zur Anwendung, drohen ggf. unliebsame Überraschungen.

4. Wahl des anzuwendenden Erbrechts

Art. 22 Abs. 1 EU-ErbVO ermöglicht europäischen Bürgern, die Wahl des Erbrechts analog ihrer Staatsangehörigkeit vorzunehmen. Ist ein längerer Aufenthalt im Ausland geplant oder ein Verzug in einen anderen Staat nicht ausgeschlossen, ist die präventive Wahl des Heimatrechtes innerhalb des Testaments anzuraten, da ansonsten aufgrund der Abstellung auf den gewöhnlichen Aufenthalt das Erbrecht des neuen Wohnsitzstaates angewendet werden würde. Besitzt ein Steuerpflichtiger die Staatsangehörigkeit mehrerer Staaten, kann das Erbrecht jedes einzelnen Staates der Staatsangehörigkeiten gewählt werden (vgl. Art. 22 Abs. 1 Satz 2 EU-ErbVO). Eine besondere Verbindung zu diesem Staat ist – anders als bei der Feststellung des gewöhnlichen Aufenthaltes – nicht vorgeschrieben. Erfolgt innerhalb des Testaments eine Wahl des im Todesfall anzuwendenden Erbrechts, gilt diese Wahl umfassend (ggf. für beide Ehepartner) und für den gesamten Nachlass. Für die materielle Wirksamkeit des Testaments (vgl. Art. 26 EU-ErbVO) lässt sich jedoch eine abweichende Rechtswahl gem. Art. 24 Abs. 2 EU-ErbVO vornehmen.

Zur Dokumentation des gewählten Erbrechts kann die Wahl explizit als Bestandteil in das Testament integriert werden; gleichwohl ist es möglich, dass durch die Verwendung einer europäischen Sprache oder entsprechender Rechtsbegriffe das entsprechende Erbrecht konkludent festgelegt wird.

5. Testament oder Erbvertrag bei Ehegatten?

Für Ehegatten, sie sich gewöhnlich im Ausland aufhalten, ergeben sich durch die EU-ErbVO neue rechtliche Rahmenbedingungen für letztwillige Verfügungen. Diese müssen beachtet werden, um die Rechtsnachfolge rechtssicher zu gestalten. Einzeltestamente sind unproblematisch. Schwieriger wird es bei einem gemeinschaftlichen Testament, das in Art. 3 Abs. 1 Buchst. c EU-ErbVO definiert wird.

Ein solches gemeinschaftliches Testament wird aus deutscher Sicht auch als sog. Berliner Testament bezeichnet. Das Berliner Testament ist eine spezielle Form des Ehegattentestaments (§ 2269 BGB). Darin setzen sich die Ehegatten gegenseitig als Erben ein. In diesen Fällen ist jedoch Vorsicht geboten, da das Berliner Testament nach dem Erbrecht des Auslands wirkungslos sein könnte. So erkennen z.B. Spanien, Italien oder Frankreich diese Form des Testaments nicht an.

6. Das europäische Nachlasszeugnis

Für Sterbefälle ab dem 17.8.2015 besteht die Möglichkeit der Erteilung des sog. Europäischen Nachlasszeugnisses. Dieses kann neben den nationalen Erbnachweisen beantragt werden. Der Vorteil des europäischen Nachlasszeugnisses besteht gem. Art. 62 Abs. 2 EU-ErbVO in der europaweiten Anerkennung als Erbnachweis, zur Geltendmachung von Vermächtnissen und zur Befugnis als Testamentsvollstrecker oder Nachlassverwalter zu operieren. Das Nachlasszeugnis wird – auf Antrag einer Person des in Art. 63 Abs. 1 EU-ErbVO normierten Personenkreises – gem. Art. 65 Abs. 3 EU-ErbVO ausgestellt, wenn die dort vorgeschriebenen Angaben durch den Antragssteller beigebracht worden sind. Für die Ausstellung des Nachlasszeugnisses ist gem. Art 67 EU-ErbVO das zuständige Gericht am letzten Wohnsitz des Erblassers verantwortlich. Die vom Zeugnis ausgestellten beglaubigten Kopien verfügen über eine Gültigkeit von sechs Monaten ab Zeitpunkt der Ausstellung, die auf Antrag gem. Art. 70 Abs. 3 verlängert werden kann.

Das europäische Nachlasszeugnis enthält insbes. Angaben über das anzuwendende Recht, Art und Weise der Berufung, die Person des Erben/Vermächtnisnehmers und Angaben über die Erbquoten (vgl. Art. 68 EU-ErbVO). Das Zeugnis besitzt eine Beweis- oder Vermutungswirkung, sodass der in dem Zeugnis ausgewiesene Rechtsnachfolger gem. Art 69 Abs. 2 EU-ErbVO zur Rechtsnachfolge berechtigt ist, bis das Gegenteil bewiesen worden ist.

OLG Köln Beschluss vom 6.2.2018

Das OLG Köln hat dem EuGH die Frage vorgelegt, ob für die Beantragung des Europäischen Nachlasszeugnisses zwingend ein in der entsprechenden Durchführungsverordnung vorgesehenes Formblatt benutzt werden muss (OLG Köln, Beschluss vom 6.2.2018, 2 Wx 276/17).

Sachverhalt:

In dem Fall geht es um den Nachlass einer im Alter von 95 Jahren verstorbenen Kölnerin, die mit notariellem Testament eine kirchliche Einrichtung in Italien als Erbin eingesetzt hatte. Da Teile des Vermögens im Ausland liegen, hat der von der Erblasserin bestimmte Testamentsvollstrecker ein sog. Europäisches Nachlasszeugnis beantragt. Dieses Dokument weist den Status von Erben und Testamentsvollstreckern auch in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union nach und hilft ihnen, ihre Befugnisse im Ausland auszuüben. Nach einer Europäischen Durchführungsverordnung (Nr. 1329/2014) ist für den Antrag auf Ausstellung eines Europäischen Nachlasszeugnisses ein bestimmtes Formblatt zu verwenden. Weil der Testamentsvollstrecker sich weigerte, den Antrag auf diesem Formblatt einzureichen, hat das Amtsgericht Köln den entsprechenden Antrag abgelehnt.

Entscheidungsgründe:

Die Europäische Durchführungsverordnung (Nr. 1329/2014) sieht die Benutzung des Formblatts zwingend vor. Die Verordnung dient aber der Durchführung der EU-Erbrechtsverordnung (Nr. 650/2012). Art. 65 Abs. 2 der EU-ErbrVO regelt, dass das Formblatt verwendet werden »kann«.

7. Tabellarischer Vergleich der Höhe europäischer Erbschaftsteuer deutscher Nachbarländer

Wie sich die Erhebung der Erbschaftsteuer innerhalb der EU – bezogen auf deutsche Nachbarländer – darstellt, zeigt die nachfolgende Tabelle.

Mitgliedstaat

ErbSt

Besteuerung

Ehegatte

Besteuerung

Kinder

Höchste

Steuerklasse

Belgien

Ja

3–30 %

3–30 %

30–80 %

Dänemark

Ja

Nein

15 %

36,25 %

Deutschland

Ja

7–30 %

7–30 %

30–50 %

Frankreich

Ja

Nein

5–40 %

60 %

Italien

Ja

4 %

4 %

8 %

Luxemburg

Ja

Nein

Nein

15–48 %

Niederlande

Ja

10–20 %

10–20 %

30–40 %

Österreich

Nein

Polen

Ja

Nein

Nein

12–20 %

Tschechien

Ja

Nein

Nein

3,5–20 %

Da in vielen europäischen Staaten (u.a. Frankreich) die Rechtsnachfolge von Todes wegen bei unbeweglichen Vermögen (Grund und Boden, Gebäude) dem »lex rei sitae« unterliegt, besteht an dieser Stelle die Möglichkeit, Gestaltungsspielräume auszunutzen. So transformiert die Einbringung eines in Frankreich gelegenen Grundstücks in eine deutsche (französische) GmbH das originär unbewegliche Vermögen in bewegliches Vermögen, auf das die Regelungen der EU-ErbVO angewendet werden können. Zwar wird zum Zeitpunkt des Erbanfalls unbewegliches Vermögen auf den bzw. die Erben übertragen. Da dieses Vermögen jedoch über eine Kapital-/oder Personengesellschaft gehalten wird und entsprechend der Anteil des Erblassers vererbt wird, ist das »lex rei sitae« nicht einschlägig. In Abhängigkeit von der Staatsangehörigkeit des Erblassers bzw. des in einem potenziellen Erbfall anzuwendenden Erbschaftsteuerrechtes erscheint eine – wie an dieser Stelle kurz dargestellte – Gestaltung erfolgsversprechend. Im Einzelfall anzuwendende Regelungen des jeweiligen Umwandlungs(steuer)rechts müssen vor Durchführung solcher Gestaltungen beachtet werden.

8. Gesellschaftsrecht im Rahmen der Europäischen Erbrechtsverordnung

Kommt ein Gesellschafter zu Tode, ist das komplexe Zusammenspiel von Erb- und Gesellschaftsrecht zu beachten. In grenzüberschreitenden Konstellationen erfährt dieses eine weitere Dimension dadurch, dass ggf. unterschiedliche Rechtsordnungen zur Anwendung kommen können, da das auf die Erbfolge anwendbare Recht seit dem 17.8.2015 nicht mehr anhand der Staatsangehörigkeit, sondern nach dem gewöhnlichen Aufenthalt des Erblassers bestimmt wird.

Lebte also ein Gesellschafter in Deutschland, der die französische Staatsangehörigkeit besaß, so ist grds. das deutsche Erbrecht anzuwenden. Umgekehrt gilt dies allerdings auch: Verlegt also ein Gesellschafter mit deutscher Staatsangehörigkeit seinen Lebensmittelpunkt z.B. nach Frankreich, so kommt i.d.R. das französische Erbrecht zur Anwendung.

Es muss also von den Mitgesellschaftern oder dem Geschäftsführer der Gesellschaft nach den im ausländischen Staat geltenden Regelungen z.B. geklärt werden, wer Erbe geworden ist oder welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, damit diese die Rechte aus dem Nachlass geltend machen können. In englischsprachigen Ländern ist es beispielsweise so, dass der Nachlass nicht auf bestimmte Erben übergeht, sondern auf einen Nachlassverwalter (sog. executor).

Die Anwendung des ausländischen Erbrechts kann vermieden werden, indem der Gesellschafter mit deutscher Staatsangehörigkeit durch testamentarische Rechtswahl die Erbfolge seinem deutschen Heimatrecht unterstellt.

Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Frage, wie der Erbe seine Rechtsstellung nachweisen kann. So muss der Geschäftsführer der Gesellschaft ausländische Erbnachweise akzeptieren.

9. Erbschaftsteuerliche Aspekte

Durch die EU-ErbVO ergeben sich nicht nur erbrechtliche Auswirkungen. Nach dem Erbrecht des Staates des letzten gewöhnlichen Aufenthalts des Erblassers wird sein gesamtes Vermögen vererbt.

Zu beachten ist jetzt in Folge, welche Auswirkungen das ausländische Erbrecht auf die deutsche ErbSt haben könnte. Diese möglichen Auswirkungen werden von der EU-ErbVO nicht erfasst.

10. Literaturhinweise

Burand/Jensen, Die EU-ErbVO – Europäisches Erbrecht im Wandel, NWB 42/2012, 3380; Everts, Neue Perspektiven zur Pflichtteilsdämpfung aufgrund der EUErbVO?, ZEV 2013, 124; Leitzen, Die Rechtswahl nach der EUErbVO, ZEV 2013, 128; Döbereiner, Das internationale Erbrecht nach der EU-Erbrechtverordnung (Teil I), MittBayNot 2013, 358 (437); Schmidt, Der Erwerb der Erbschaft in grenzüberschreitenden Sachverhalten unter besonderer Berücksichtigung der EUErbVO, ZEV 2014, 455; Schwab in Beck’sches Formularhandbuch ErbR, 3. A. 2014, VI. Kurzüberblick, Europäische Erbrechtsverordnung; Ludwig, Die Wahl zwischen zwei Rechtsordnungen durch bedingte Rechtswahl nach Art. 22 der EU-Erbrechtsverordnung, DNotZ 2014, 12; Döbereiner, (Bindende?) Rechtswahlen nach der EU-Erbrechtsverordnung, DNotZ 2014, 323; Heinig, Rechtswahlen im Erbrecht nach nationalem Kollisionsrecht – Der Countdown läuft! RNotZ 2014, 281; Schmidt, Der Erbnachweis in Deutschland ab 2015: Erbschein vs. Europäisches Nachlasszeugnis, ZEV 2014, 389; Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV), Informationsflyer zur Europäischen Erbrechtsverordnung (abrufbar über Homepage); Welker, Erste Erfahrungen mit der neuen Europäischen Erbrechtsverordnung: Erben im internationalen Kontext, NWB-EV 2/2017, 64; Kühne, Lange Auslandsaufenthalte können den letzten Willen gefährden: Ohne passendes Testament wird die Anwendung ausländischen Erbrechts wahrscheinlich, NWB 46/2017, 3516.

11. Verwandte Lexikonartikel

Anrechnung von Erbschaft- und Schenkungsteuer

Erbschaftsteuer: Berücksichtigung früherer Erwerbe

Vor- und Nacherbschaft

 

Redaktioneller Hinweis:© Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft, Steuern, Recht, Stuttgart.

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