1 Definition und Erscheinungsform
2 Mögliche Reaktionen der Finanzverwaltung
2.1 Maßnahmen im Festsetzungs- und Erhebungsverfahren
2.2 Vollstreckungsmaßnahmen
2.3 Haftungsfragen
2.3.1 Haftung des ehemaligen Geschäftsführers
2.3.2 Haftung der ehemaligen Gesellschafter
2.4 Maßnahmen auf dem Gebiet des Umsatzsteuerrechts
2.4.1 Allgemeine Maßnahmen
2.4.2 Der Zuständigkeitswechsel
2.5 Strafrechtliche Bedeutung
3 Maßnahmen gegen Firmenbestattungen nach MoMiG
3.1 Meldepflichten der Unternehmen
3.2 Ausschluss von Straftätern von der Geschäftsführertätigkeit
3.3 Verschärfte Geschäftsführerhaftung
4 Literaturhinweise
5 Verwandte Lexikonartikel
In mehreren OFD-Verfügungen hat sich die Finanzverwaltung seit 2004 des sog. »Firmenbestatters« (auch Firmenaufkäufer genannt) angenommen (OFD Hannover vom 23.12.2008, S 0127 – 36 – StO 142; OFD München vom 18.5.2015, S 0127.1.1 – 11/5 St42). Firmenbestatter kaufen insolvente oder von der Insolvenz bedrohte Unternehmen (meist GmbHs) auf und sichern gegen eine Übernahmegebühr die volle Schuldenübernahme sowie die Entlastung der Geschäftsführer zu. Dabei wird in den meisten Fällen dem insolventen Unternehmen eine dritte Person (Strohmann) vermittelt, an den die Geschäftsanteile veräußert werden. Im Regelfall handelt es sich bei dem Aufkäufer um eine vermögenslose Person ohne regelmäßiges Einkommen, die formal in die Position eines neuen Gesellschafters eintritt. Kurz nach Übernahme der Anteile wird die Gesellschaft umfirmiert, der Sitz (meist ins Ausland) verlegt, um ein Insolvenzverfahren in die Zuständigkeit eines anderen Insolvenzgerichtes zu verlegen. Die Motivation der Firmenbestatter besteht hierbei in der Spekulation auf eine langwierige Aktenübergabe und die daraus resultierende Verfristung diverser Termine und Fristen. Hinzu kommen die Entlassung von Arbeitnehmern und die Liquidation der Gesellschaft.
Ziele dieser privaten »Sanierung« sind vor allem:
das Beiseiteschaffen vorhandener Vermögenswerte,
der Einzug ausstehender Forderungen aus Lieferung und Leistung,
das Vernichten von Beweismaterial (z.B. Buchführungsunterlagen, Aktenvermerke, interne Gutachten und Analysen),
die Rettung der Ex-Geschäftsführer vor einer möglichen Haftungsinanspruchnahme,
Benachteiligung von Gläubigern,
Verschleierung tatsächlicher Verantwortungsverhältnisse,
die Behinderung der ordnungsgemäßen Abwicklung des Insolvenzverfahrens.
Nach jüngsten Erkenntnissen der Finanzverwaltung betätigen sich diese privat-sanierten Unternehmen häufig im Rahmen von sog. »Umsatzsteuerkarussellen« als »Missing Trader«.
Der Finanzverwaltung sind einige in die Geschäfte involvierte Personen bekannt; der Zugriff auf den im Intranet veröffentlichten Personenkreis ist – aufgrund § 30 AO – nur den Geschäftsstellenleitern der Finanzämter mittels eines Passwortes möglich.
Durch die Notwendigkeit der notariellen Beurkundung bestimmter Übertragungsvorgänge und gesellschaftsrechtliche Änderungen nach dem GmbHG sowie der Anmeldung im Handelsregister kann die Finanzverwaltung rechtzeitig Kenntnis von solchen Vorfällen des Firmenaufkaufs erlangen (vgl. § 54 Abs. 1 EStDV).
In der Rspr. der Zivilgerichte sind die gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen in Zusammenhang mit einem Firmenaufkauf häufig als sittenwidrig i.S.d. § 138 BGB und damit als nichtig beurteilt worden (OLG Karlsruhe Beschluss vom 19.4.2013, 2 (7) s 89/12; OLG Zweibrücken Beschluss vom 3.6.2013, 3 W 87/12). Strafrechtlich kann den Beteiligten in diesen Fällen – neben der Strafbarkeit wegen Betrugs und Insolvenzverschleppung – insbes. eine Strafbarkeit wegen Bankrotts gem. § 283 StGB drohen (BGH Beschluss vom 15.12.2012 – 3 StR 199/12); dazu näher unter Ziff. 2.5.
Durch die rechtzeitige Kenntnisnahme aufgrund der nach § 54 Abs. 1 EStDV erlangten Informationen oder der amtsintern »bekannten« Firmenaufkäufer wird die Finanzverwaltung bemüht sein, Steuerrückstände der betroffenen Gesellschaften zu realisieren.
Dies umfasst:
die vorzeitige Anforderung fehlender Steuererklärungen,
gegebenenfalls die Schätzung der Besteuerungsgrundlagen sowie den Erlass eines Schätzungsbescheides,
die daraufhin vorzunehmende Vollstreckung von Steuerbescheiden.
Die Finanzämter werden bei rechtzeitiger Kenntnis von verdächtigen Firmenaufkäufen von den Möglichkeiten Gebrauch machen, die bei drohender Insolvenz bekannt sind. Hierzu gehört u.a. neben dem Ausschöpfen zeitnaher Vollstreckungsmöglichkeiten bei offenen Steuerschulden vor allem die Prüfung der Anfechtung.
Zu den harten Maßnahmen zählt die Pfändung des GmbH-Geschäftsanteils, wenn der Geschäftsführer gleichzeitig GmbH-Gesellschafter ist und wenn im Übrigen die Voraussetzungen für die Pfändung (u.a. das Vorliegen eines Haftungsbescheides und eines Leistungsgebotes) vorliegen.
Bei noch nicht abgewickelten Privatsanierungen (= Firmenaufkäufen) kommen auch Direkt-Interventionen (Verfügungsverbot für den GmbH-Geschäftsanteil) in Betracht.
Weiteres Informationsmaterial für die Finanzämter liefern etwaige Stundungs- und Aufschubanträge, bei denen der Name des Aufkäufers bereits mitgeteilt wurde oder deren weitere Bearbeitung von der Nennung des »Aufkäufers« abhängt.
Auch ein Insolvenzantrag des Finanzamts beim zuständigen Amtsgericht kann erwogen werden. Die örtliche Zuständigkeit des Insolvenzgerichts richtet sich gem. § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO nach dem Satzungssitz der Gesellschaft und nicht nach § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO, da jedenfalls die im Wege der gewerbsmäßigen Unternehmensbestattung durchgeführte Abwicklungstätigkeit keine »selbstständige wirtschaftliche Tätigkeit« in diesem Sinne ist (OLG Stuttgart vom 8.1.2009, 8 AR 32/08).
Die Übernahme der Gesellschaftsanteile durch den Firmenbestatter sowie die Entlastung des Geschäftsführers ändern nichts an der Haftung des ehemaligen Geschäftsführers für Steuerverbindlichkeiten der Gesellschaft nach § 191 AO i.V.m. §§ 69, 34 AO. Nicht abschließend geklärt sind jedoch die Haftungsvoraussetzungen für solche Steuerverbindlichkeiten, die erst nach Abberufung des Geschäftsführers fällig werden. Nach Auffassung des FG Köln (Urteil vom 17.3.2011, 13 K 4010/06) ist ein Haftungsbescheid gegen einen abberufenen Geschäftsführer, der zum Zeitpunkt der Abgabe der Steuererklärung nicht mehr Geschäftsführer gewesen ist, rechtswidrig. Für den Fall der Veräußerung der Geschäftsanteile an einen Firmenbestatter bejaht das FG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 20.8.2012, 9 V 9222/10, s.a. FG Berlin-Brandenburg Urteil vom 31.5.2005, 9 K 9226/09) hingegen eine haftungsauslösende, grob fahrlässige Pflichtverletzung des Mitgeschäftsführers/Gesellschafters bereits vor Fälligkeit der Steuerschuld, wenn er keine Vorkehrungen für die Tilgung der Gewerbesteuerschuld trifft, z.B. die Bildung einer Gewerbesteuerrückstellung nicht veranlasst wird.
Gemäß der Revisionsentscheidung des BFH (BFH Beschluss vom 25.4.2013, VII B 245/12, BFH/NV 2013, 1063) kann als Haftungsschuldner gem. § 69 AO ein zwischenzeitlich aus der Gesellschaft ausgeschiedener Geschäftsführer herangezogen werden, wenn dieser während seiner Geschäftsführertätigkeit die Erfüllung steuerlicher Pflichten nicht erfüllt hat und ihm das Verschulden zuzurechnen ist. Werden trotz erkennbar entstehender (Gewerbe-)Steueransprüche keine Rückstellungen im Jahresabschluss gebildet, liegt eine pflichtwidrige Handlung vor. Der BFH geht in seinem Beschluss davon aus, dass eine pflichtwidrige Handlung bereits dann vorliegen soll, wenn ein pflichtgemäßes Handeln i.S.d. Bildung von Rückstellungen bereits vor tatsächlicher Entstehung der Steuerforderung erkennbar gewesen ist.
Ein weiterer Indikator für grobe Fahrlässigkeit sind – beispielhaft – die Veräußerung der Geschäftsanteile des Mitgeschäftsführers an eine Person, die unter Verdacht steht, Firmenbestatter zu sein bzw. ihren erworbenen Geschäftsanteil innerhalb kurzer Zeit an einen solchen zu veräußern.
Grundsätzlich sollte die Gegenstrategie der Beraterseite auf der Überprüfung der jeweiligen Ermessensentscheidung des Finanzamtes (§ 5 AO) nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit, Geeignetheit und Tauglichkeit der Inanspruchnahme aufbauen. Insb. unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit sind Sachverhalte denkbar, bei denen die grundsätzliche Mitwirkungspflicht des Haftungsschuldners ins Leere läuft (z.B. nach tatsächlicher Übergabe der Geschäftsunterlagen an den Firmenaufkäufer).
In den verschiedenen OFD-Verfügungen ist die mögliche Haftung der ehemaligen Gesellschafter der »sanierten« GmbH bislang noch nicht angesprochen worden. Mögliche Haftungsansprüche gegen die Gesellschafter können sich insbesondere bei Vorliegen einer Strafbarkeit aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. dem jeweiligen Straftatbestand oder aus § 826 BGB ergeben. Insoweit, als im Zuge der Firmenbestattung gegen die Kapitalerhaltungsgrundsätze gem. § 30 GmbHG verstoßen wird, kann im Verhältnis zur Gesellschaft auch ein Anspruch aus § 30 GmbHG bestehen, für den gem. §§ 31 Abs. 3, 16 Abs. 2 GmbHG auch der Firmenbestatter als Erwerber sowie gem. § 30 Abs. 6 GmbHG die Geschäftsführer der Gesellschaft haften. Man wird abwarten müssen, wann die Finanzverwaltung bei Vorliegen der entsprechenden Haftungskonstellation von dieser Möglichkeit Gebrauch machen wird.
Insbesondere bei den sich aus den eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen ergebenden Vorsteuererstattungen wird die Finanzverwaltung die Inlandsaktivitäten des Firmenaufkäufers näher untersuchen und diese anhand der Anforderung wertmäßig hoher Eingangsrechnungen überprüfen. Die Strategie der Firmenbestatter wird im Regelfall aber auf die Verlagerung des Geschäftssitzes ins Ausland gerichtet sein.
Grundsätzlich erfolgt nach §§ 26, 21 Abs. 1 Satz 2 AO bei Verlegung des Firmensitzes ins Ausland ein Übergang der örtlichen Zuständigkeit auf das für den jeweiligen Auslandsstaat zuständige Finanzamt. Dies ist für Zwecke der Umsatzsteuer in der Umsatzsteuerzuständigkeitsverordnung (UStZustV) festgelegt.
Durch die Aktenabgabe gewinnen die Aufkäufer Zeit. Dieser Zeitgewinn kann zum Verstreichen von Fristen und Terminen führen und zielt regelmäßig auf den vollständigen Ausfall der Steuerforderungen ab.
Um dieser Gefahr vorzubeugen, gehen die AO-Referatsleiter von Bund und Ländern davon aus, dass in Firmenbestattungsfällen ein Zuständigkeitswechsel unterbleiben soll (vgl. OFD München vom 18.5.2015, S 0127.1.1 – 11/5 St42). Diesbezüglich ist zukünftig zu überprüfen, ob diese pauschale Anordnung vom Wortlaut der UStZustV gedeckt ist.
Bei entsprechender Planung liegt der Verdacht nahe, dass mit den soeben geschilderten Maßnahmen der »Privatsanierung« die Tatbestände der Insolvenzverschleppung (§ 15a Abs. 5 InsO), des Bankrotts (§ 283 StGB, s. dazu BGH Beschluss vom 15.11.2012, 3 StR 199/12, GWR 2013, 169), des Betruges (§ 263 StGB), der Urkundenfälschung (§ 267 StGB) und gegebenenfalls der Steuerhinterziehung (§ 370 AO) verwirklicht sein können.
Nach der internen Verwaltungsstruktur wird dies dazu führen, dass diese Fälle zusätzlich von der Bußgeld- und Strafsachenstelle des Finanzamtes (BuStra) oder sogleich von der Staatsanwaltschaft »begleitet« werden.
Eine Weiterleitung des Sachverhalts an die allgemeinen Strafverfolgungsbehörden setzt prinzipiell die Beachtung des Steuergeheimnisses gem. § 30 Abs. 4 und Abs. 5 AO voraus.
Mit dem MoMiG wurden im Jahre 2008 unter anderem auch verschiedene Maßnahmen gegen Firmenbestattungen im GmbH-Recht eingeführt. Sinn und Zweck des MoMiG war nach dem Willen des Gesetzgebers unter anderem, »Missbräuche durch sogenannte Firmenbestatter, die angeschlagenen GmbHs durch Abberufung von Geschäftsführern und durch Aufgabe des Geschäftslokals eine ordnungsgemäße Insolvenz und Liquidation zu entziehen suchen«, zu bekämpfen (BT-Drucks. 16/6140, 26).
Aus diesem Grund wurden z.B. die Meldepflichten von Gesellschaften erweitert. Seitdem muss beim Handelsregister eine inländische Geschäftsanschrift angegeben werden, die Ort, Straße und Hausnummer des Unternehmens beinhalten muss. Das reine Eintragen eines Postfaches reicht somit nicht mehr aus. Dies soll die Gläubiger bei Zustellungen ihrer Forderungsansprüche unterstützen. Diese waren in der Vergangenheit in den Fällen der Firmenbestattungen regelmäßig durchaus schwierig und kostenaufwendig, da der Firmensitz meist schnell ins Ausland verlegt wurde.
Die Vorschriften über die Bestellung und Geeignetheit von GmbH-Geschäftsführern waren schon vor dem MoMiG recht streng. Mit dem MoMiG wurde der Katalog der Ausschlussgründe noch einmal deutlich erweitert, insbes. hinsichtlich der ausschlussbegründenden Straftatbestände. Im Gegenzug wurde der Ausschluss auf die Fälle vorsätzlicher Begehung der jeweiligen Straftatbestände begrenzt.
Nach neuer Rechtslage haften Geschäftsführer gem. § 64 Satz 3 GmbHG nun auch für Zahlungen an Gesellschafter, die zur Insolvenzreife der Gesellschafter führen. Diese Haftung tritt neben die bisher schon bestehende Haftung für Verstöße gegen die Kapitalerhaltungsvorschriften gem. § 31 Abs. 6 GmbHFG. Der Begriff der Zahlung in diesem Sinne ist weit auszulegen und erfasst jegliche Weggabe von Aktivvermögen, die zu einer Minderung des Gesellschaftsvermögens führt und dem Geschäftsführer zuzurechnen ist.
Mackenroth, Die GmbH-Reform: Kampf den Firmenbestattern, NJ 2009, 1; Schwab, Missbrauchsbekämpfung durch die GmbH-Reform: Schutzinstrumente und Schutzlücken, DStR 2010, 333; Wegner, Strafrechtliche Risiken einer Firmenbestattung, GWR 2013, 169; Wessing/Krawczyk, Feststellung einer die Untreuestrafbarkeit begründenden Gefährdung der Existenz einer GmbH, NZG 2014, 59; Henssler/Strom, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl., München 2021.
→ Abwicklung einer Körperschaft
→ Auflösung einer Körperschaft (zivilrechtlich)
→ Ausland
→ Haftung
→ Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S.d. § 42 AO
Redaktioneller Hinweis:
Steuerspar-Tipps, wichtige Fristen und Termine – alles im Blick.
Zum Newsletter anmelden