Wertpapierleihe

Stand: 2. Mai 2024

Inhaltsverzeichnis

1 Allgemeines
2 Erscheinungsform und Steuermotiv
3 Zivilrechtliche und einkommensteuerliche Grundlagen
4 Wertpapierleihe im zivilrechtlichen Sinn
4.1 Definition
4.2 Wirtschaftliches Eigentum
4.2.1 Wirtschaftliches Eigentum nach der Rechtsprechung des BFH (I R 88/13)
4.2.2 Reaktion der Finanzverwaltung auf die Rechtsprechung des BFH
4.3 Wertpapierleihe im Betriebsvermögen – Ansatz und Bewertung
4.4 Entgelte und Bezüge
4.5 Kompensationszahlungen – Auswirkungen von 8b Abs. 10 KStG
5 Literaturhinweise
6 Verwandte Lexikonartikel

1. Allgemeines

Die Wertpapierleihe ist zivilrechtlich ein Sachdarlehensverhältnis, bei welchem Wertpapiere mit der Verpflichtung übertragen werden, dass der Entleiher nach Ablauf der vereinbarten Zeit Wertpapiere gleicher Art, Güte und Menge an den Verleiher rückübereignet. Für den Zeitraum der Leihe wird zwischen den Parteien ein Entgelt vereinbart. Für steuerliche Zwecke beinhaltet § 8b Abs. 10 Satz 1 KStG nunmehr eine Definition der strukturierten Wertpapierleihe im steuerlichen Sinne, die als entgeltliche »Überlassung« auch andere zivilrechtliche Rechtsgründe neben dem Sachdarlehen erfassen kann (etwa Pacht, Verwahrung, Nießbrauch). § 8b Abs. 10 Satz 2 KStG erstreckt diese steuerliche Sonderregel auf den Fall, dass anstatt Ausgleichszahlungen andere Wirtschaftsgüter geleistet werden.

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2. Erscheinungsform und Steuermotiv

Die Wertpapierleihe wurde vielfach genutzt, um steuerliche Vorteile aus der unterschiedlichen steuerlichen Behandlung von Erträgen und Veräußerungsgewinnen aus Beteiligungen (Steuerfreiheit nach § 8b Abs. 1 und 2 KStG – Steuerpflicht nach § 8b Abs. 7 und 8 KStG oder nach ausländischen Besteuerungsregelungen) zu erzielen. Durch die Einführung von § 8b Abs. 10 KStG mit der Unternehmenssteuerreform 2008 rückwirkend ab dem VZ 2007 (der in seinem Anwendungsbereich § 42 AO verdrängt) sowie die nachfolgenden Verschärfungen dieser Vorschrift sind entsprechende Gestaltungen weitgehend unattraktiv geworden.

Folgendes Beispiel aus der Regierungsbegründung (BT-Drs. 16/4841, 74) zum Verständnis:

Beispiel:

Eine Bank verleiht Aktien, die sich bei ihr im Handelsbestand befinden, an eine GmbH (Sachdarlehen). Die GmbH vereinnahmt später die Dividende. Die GmbH zahlt an die Bank eine Leihgebühr und eine Ausgleichszahlung für die erhaltene Dividende.

Lösung:

Der steuerliche Vorteil liegt bei der GmbH als Entleiher: Die → Dividende ist bei ihr, soweit nicht § 8b Abs. 4 KStG Anwendung findet, steuerbefreit nach § 8b Abs. 1 KStG. 5 % der Dividende gelten nach § 8b Abs. 5 KStG als nichtabziehbare Betriebsausgaben. Die Leihgebühr und die Ausgleichszahlung können uneingeschränkt als → Betriebsausgaben abgezogen werden. insgesamt konnte sich für die GmbH ein steuerlicher Verlust aus dem Leihgeschäft ergeben, obwohl dieser wirtschaftlich nicht vorlag.

Für die Bank als Verleiher ist der Vorgang abgesehen von der Leihgebühr steuerlich neutral. Bei ihr wäre die Dividende nach § 8b Abs. 7 KStG steuerpflichtig gewesen, an deren Stelle die Ausgleichszahlung als steuerpflichtige Betriebseinnahme tritt. Findet bei der GmbH hingegen § 8b Abs. 4 Anwendung, ist die Dividende auf der Ebene der GmbH stpfl. und Leihgebühr, Ausgleichszahlung und sonstige Betriebsausgaben sind voll abzugsfähig.

3. Zivilrechtliche und einkommensteuerliche Grundlagen

Dem Verleiher wird bei der Wertpapierleihe eine Grundgebühr gezahlt.

Der Entleiher wird als steuerliches Zurechnungssubjekt für die Dividenden behandelt.

Die Wertpapierleihe wird von der Verwaltung als Sachdarlehen (§ 607 BGB) angesehen (BMF vom 28.4.2003, BStBl I 2003, 292). Anstelle der verliehenen Wertpapiere wird in der Bilanz des Verleihers eine (Sach-)Forderung (auf vertretbare Wertpapiere) aktiviert.

4. Wertpapierleihe im zivilrechtlichen Sinn

4.1. Definition

Wertpapierleihgeschäfte stellen zivilrechtlich Sachdarlehen (§§ 607 ff. BGB) dar. Bei dem Darlehensgeber tritt an die Stelle der Wertpapiere eine Forderung auf Wertpapiere gleicher Art, Güte und Menge. Die Sachforderung ist das Surrogat für die Sache selbst. Eine Gewinnrealisierung tritt durch diesen Aktivtausch nicht ein.

Die Wertpapierleihe ist von einem echten Wertpapierpensionsgeschäft (§ 340b HGB) zu unterscheiden. Bei einem Wertpapierpensionsgeschäft werden Wertpapiere entgeltlich mit der Verpflichtung übertragen, dass der Erwerber (Pensionsgeber) die Wertpapiere zu einem noch zu bestimmenden Zeitpunkt auf ihn zurücküberträgt. In diesem Fall sind die übertragenen Wertpapiere ununterbrochen in der Bilanz des Pensionsgebers auszuweisen.

4.2. Wirtschaftliches Eigentum

Nach dem Urteil des BFH in der Rechtssache I R 88/13 vom 18.8.2015 (DStR 2016, 168) und dem hierauf ergangenen BMF-Schreiben vom 11.11.2016, BStBl I 2016, 1324) ist es einzelfallabhängig, ob und unter welchen Umständen es bei Wertpapierleihgeschäften überhaupt zum Übergang des wirtschaftlichen Eigentums auf den Entleiher kommt.

4.2.1. Wirtschaftliches Eigentum nach der Rechtsprechung des BFH (I R 88/13)

Folgende Aspekte sind nach dem BFH-Urteil entscheidend, wobei es auf die Gesamtwürdigung der Umstände des Einzelfalles ankommt:

  • Einzelfallentscheidung

    Der BFH führt aus, dass im Regelfall im Rahmen der Wertpapierleihe der Entleiher sowohl zivilrechtlicher als auch wirtschaftlicher Eigentümer wird und das wirtschaftliche Eigentum nur ausnahmsweise beim Verleiher bleibt.

  • Wirtschaftliche Bedeutung der Wertpapierleihe

    Entscheidungserheblich war nach Auffassung des BFH im entschiedenen Sonderfall, dass es an einer sonstigen wirtschaftlich sinnhaften Nutzung der Aktien fehlte.

  • Wahrnehmung von Gesellschafterrechten

    Der BFH stellte u.a. auch darauf ab, dass aufgrund des kurzfristigen Umschlags nicht möglich war, Stimmrechte auszuüben.

  • Zuordnung der mit den Aktien verbundenen Chancen und Risiken

    Der BFH hielt es für entscheidungserheblich, dass ein endgültiger Übergang der Chancen und Risiken, die mit dem Eigentum an den Wertpapieren üblicherweise verbunden sind, nicht erfolgte. Denn der Verleiher war berechtigt, die Darlehen jederzeit mit einer Kündigungsfrist von drei Bankarbeitstagen zu kündigen. Wertsteigerungschancen und Wertminderungsrisiken hätten sich nicht ergeben.

  • Dividendenbezugsrechte

    Weiter waren die streitgegenständlichen Geschäfte in dem entschiedenen Fall nicht darauf angelegt, dem Entleiher wirtschaftliche Erträge zukommen zu lassen, denn der Verleiher habe sich diese Erträge durch eine Dividendenkompensationszahlung vorbehalten. Liquiditätsvorteile durch zeitversetzte Einnahmen und Ausgaben habe es nicht gegeben.

4.2.2. Reaktion der Finanzverwaltung auf die Rechtsprechung des BFH

Im Ergebnis kam es im durch den BFH entschiedenen Fall (Streitjahr 2007) nicht mehr auf eine Prüfung der Anti-Missbrauchsvorschriften § 8b Abs. 10 KStG und ggf. § 42 AO an. Mit Schreiben vom 11.11.2016 (BStBl I 2016, 1324) hat die Finanzverwaltung die Rechtsprechungskriterien des BFH übernommen, stellt aber klar, dass im Grundsatz dem Darlehensnehmer als zivilrechtlichem Eigentümer die im Rahmen des Darlehens übereigneten Wertpapiere auch wirtschaftlich zuzurechnen sind. Dies gelte dann nicht, wenn die gewählte Gestaltung als missbräuchlich, also im Wesentlichen steuermotiviert, einzuordnen ist. Dies wiederum ist nicht der Fall, wenn der Darlehensnehmer aus dem Wertpapiergeschäft und den damit zusammenhängenden Geschäften vor Steuer einen steuerbaren wirtschaftlichen Vorteil (positive Vorsteuerrendite) erzielt. Diese Grundsätze gelten nach dem BMF-Schreiben entsprechend für Repo-Geschäfte, Wertpapierpensionsgeschäfte i.S.d. § 340b HGB und Kassa-Geschäfte.

4.3. Wertpapierleihe im Betriebsvermögen – Ansatz und Bewertung

Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 KStG i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 EStG sind nicht abnutzbare Wirtschaftsgüter des Betriebsvermögens mit ihren Anschaffungs- oder Herstellungskosten zu bilanzieren. Jedoch kann gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG der Teilwert angesetzt werden, wenn dieser aufgrund einer voraussichtlich dauernden Wertminderung niedriger ist. Sind im Rahmen einer Wertpapierleihe die verliehenen Wertpapiere zivilrechtlich und wirtschaftlich dem Darlehensnehmer zuzurechnen, tritt beim Darlehensgeber an die Stelle der Wertpapiere eine Forderung auf Wertpapiere gleicher Art, Güte und Menge. Die Sachforderung ist Surrogat für die Sache selbst. Dabei ist die Sachforderung mit dem Buchwert der hingegebenen Wertpapiere anzusetzen. Eine Gewinnrealisierung aufgrund der ggf. in den Wertpapieren enthaltenen stillen Reserven tritt durch diesen Aktivtausch nicht ein. Aus der Surrogatstheorie folgt aber auch, dass die Sachdarlehensforderung mit dem Teilwert der verliehenen Wertpapiere zu bewerten ist. Es gelten für die Bewertung und die Voraussetzungen einer Teilwertabschreibung die Grundsätze für die Bewertung der verliehenen Wertpapiere. Dabei kommt es nicht darauf an, wie der Entleiher die Wertpapiere bewertet.

Die Abschreibungen stellen keine Gewinnminderungen dar, die im Zusammenhang mit den in § 8b Abs. 2 KStG genannten Anteilen stehen, denn eine auf Aktien gerichtete Sachdarlehensforderung ist kein Anteil i.S.d. § 8b Abs. 2 KStG. § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG schließt daher den Abzug des Abschreibungsaufwands nicht aus.

4.4. Entgelte und Bezüge

Bei Körperschaften und einkommensteuerpflichtigen Verleihern mit Betriebsvermögen stellen Leihentgelte und erhaltene Kompensationszahlungen voll steuerpflichtige Betriebseinnahmen dar. Das Teileinkünfteverfahren bzw. § 8b Abs. 1 KStG kommt nicht zur Anwendung.

Bei Wertpapieren im Privatvermögen gehören die erhaltenen Leihentgelte und erhaltenen Kompensationszahlungen zu den Einkünften aus sonstigen Leistungen i.S.d. § 22 Nr. 3 EStG.

4.5. Kompensationszahlungen – Auswirkungen von 8b Abs. 10 KStG

Die strukturierte Wertpapierleihe war vor 2007 ein vielfach genutztes Modell, weil für den Entleiher während der Leihdauer erhaltene Dividenden nach § 8b Abs. 1 KStG steuerbefreit waren, während zu leistende Kompensationszahlungen in vollem Umfang als Betriebsausgabe abzugsfähig waren. Dem Modell wurde durch das UntStRefG 2008 rückwirkend ab dem Veranlagungszeitraum 2007 weitgehend die Grundlage entzogen. Überlässt eine Körperschaft, auf die die Steuerbefreiung für Dividenden aufgrund des § 8b Abs. 4 (Schachtelbeteiligungen), Abs. 7 (Kredit-/Finanzdienstleistungsinstitute) oder Abs. 8 (Lebens- und Krankenversicherungsunternehmen) KStG nicht zur Anwendungen kommt, einer anderen Körperschaft im Rahmen einer Wertpapierleihe Anteile oder überträgt sie diese im Rahmen eines Wertpapierpensionsgeschäfts, für die diese andere Körperschaft die Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 1 KStG in Anspruch nehmen kann, so ist die Kompensationszahlung nicht als Betriebsausgabe abzugsfähig, § 8b Abs. 10 Satz 1 und Satz 4 KStG. Das gilt nicht, wenn während der Laufzeit der Wertpapierleihe oder des Wertpapierpensionsgeschäfts keine Einnahmen oder Bezüge erzielt werden, wobei allerdings Entgelte für eine Weiterverleihung als entsprechende Entgelte gelten, § 8b Abs. 10 Satz 5 und Satz 6 KStG. Diese Rechtsfolge lässt sich durch Zwischenschaltung von Personengesellschaften nicht (mehr) vermeiden, § 8b Abs. 10 Satz 7 KStG in der ab dem VZ 2014 geltenden Fassung.

Die vorgenannte Rechtsfolge wird in § 8b Abs. 10 KStG ausgedehnt auf andere Entgeltformen gem. Satz 2, auf Wertpapierpensionsgeschäfte gem. Satz 3 und andererseits teilweise eingeschränkt, wenn der Entleiher aus den überlassenen Anteilen keine Einnahmen erzielt (Satz 5 und 6) oder weil für juristische Personen des öffentlichen Rechts und für steuerbefreite Körperschaften der Missbrauch auf anderem Wege verhindert wird, Satz 10. Für die kommunale Wertpapierleihe hatte das UntStRefG 2008 mit §§ 32 Abs. 3, 2 Nr. 2 Halbsatz 2, 5 Abs. 2 Nr. 1 KStG bereits einen definitiven Steuerabzug von 15 % eingeführt und die steuerlichen Vorteile einer Wertpapierleihe bereits auf diesem Wege ausgeschlossen.

Generell ist bei der Auslegung von § 8b Abs. 10 KStG zu beachten: Eine missbräuchliche Gestaltung droht aus Sicht des Steuergesetzgebers nur, wenn beim Verleiher Einnahmen aus den Anteilen steuerpflichtig und beim Entleiher Einnahmen aus den Anteilen steuerfrei sind.

Die Übertragung von Rechten und Pflichten aus einem Wertpapierüberlassungsvertrag auf eine zentrale Gegenpartei oder die »Zwischenschaltung« eines Vermittlers (Agency Lender) sollen nach BMF vom 15.5.2018 (DStR 18, 1176) die ursprünglichen Vertragsparteien als Schuldner und Gläubiger aus dem Wertpapierdarlehen oder einem echten Wertpapierpensionsgeschäft unberührt lassen.

Soweit die Wertpapierleihe eingesetzt wird/wurde, um namentlich bei ausländischen Anteilseignern einen definitiven KapESt-Abzug zu vermeiden (»Cum/Cum«-Gestaltungen), sind § 36a EStG sowie § 50j EStG zu beachten.

§ 8b Abs. 10 Satz 1 KStG wirkt sich auch auf die Gewerbesteuer aus (§ 7 GewStG), führt jedoch andererseits zu einer Kürzung der Hinzurechnung gem. § 8 Nr. 5 GewStG.

Nach § 6 Abs. 2 Satz 1, 2 InvStG unterliegen Investmentfonds mit ihren inländischen Einkünften der Körperschaftsteuer. Um missbräuchliche Wertpapierüberlassungen auszuschließen, zählt § 6 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 InvStG auch Entgelte, Einnahmen und Bezüge nach § 2 Nr. 2 Buchst. a bis c KStG zu den inländischen Beteiligungseinnahmen. § 6 Abs. 3 Satz 2 InvStG ordnet zudem die entsprechende Anwendung zum Steuerabzug von § 32 Abs. 3 KStG an. Mit diesen Bestimmungen verfolgt der Gesetzgeber vergleichbare Ziele wie mit den Vorschriften zur kommunalen Wertpapierleihe. Daraus folgt (ähnlich wie bei der kommunalen Wertpapierleihe) ein Steuerabzug von 15 %.

Für einkommensteuerpflichtige Wertpapierentleiher gilt § 8b Abs. 10 KStG sinngemäß, § 3c Abs. 2 Satz 9 KStG.

5. Literaturhinweise

Brühl/Weiss, Das BMF-Schreiben zu Cum/Cum-Transaktionen – eine einsame Auffassung der Finanzverwaltung?, DStR 2017, 2093; Hahne, Zur Besteuerung inländischer Beteiligungseinnahmen von Investmentfonds nach der Investmentsteuerreform 2018, DStR 2017, 2310; Rau, »Strukturierte Wertpapierleihe« über Aktien und Beschränkungen des Betriebsausgabenabzugs, DStR 2009, 948.

6. Verwandte Lexikonartikel

Aktien im Steuerrecht

Betriebsausgaben

Dividende

Einkünfte aus Kapitalvermögen

 

Redaktioneller Hinweis:© Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft, Steuern, Recht, Stuttgart.

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