Verluste

Stand: 28. März 2024

Das Wichtigste in Kürze

  • Sind Ihre Ausgaben höher als Ihre Einnahmen und können nicht in dem Jahr verrechnet werden, in dem sie entstanden sind, können Sie Ihre Verluste mit einem Verlustvortrag oder einem Verlustrücktrag steuerlich geltend machen.
  • Verluste als Arbeitnehmer, aus Vermietung und Verpachtung, Gewerbetrieb, selbstständiger Arbeit, Land- und Forstwirtschaft können miteinander verrechnet werden. Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften können Sie aber nur mit Gewinnen aus privaten Veräußerungsgeschäften verrechnen.

Inhaltsverzeichnis

1 Bedeutung der steuerlichen Verluste und die unterschiedliche Steuertechnik
1.1 Die Gesetzgebung der letzten Jahre
1.2 Die Verlustverrechnungsbeschränkungen (Übersicht)
1.3 Charakterisierung der Verlustverrechnungsbeschränkungen
2 Die Verlustterminologie in der Einkommensteuer
3 Der Verlustausgleich
3.1 Der horizontale Verlustausgleich
3.2 Der vertikale Verlustausgleich (ab VZ 2004)
4 Der Verlustabzug gemäß § 10d EStG – Neufassung
4.1 Der Verlustrücktrag
4.2 Der Verlustvortrag
4.3 Zusammentreffen des § 10d EStG mit Verlustverrechnungskreisen
4.4 § 10d EStG und die Rechtsprechung (Vererblichkeit des Verlustabzugs)
4.4.1 Entwicklung der Urteilspraxis (BFH)
4.4.2 Änderung der Rechtsprechung
4.4.3 Aktuelle Entwicklungen
5 Vorläufiger Verlustrücktrag für 2020
6 Grenzüberschreitende Verluste
7 Verfahrensrecht
8 Literaturhinweise
9 Verwandte Lexikonartikel

1. Bedeutung der steuerlichen Verluste und die unterschiedliche Steuertechnik

1.1. Die Gesetzgebung der letzten Jahre

Anders als in der sonstigen Rechtsordnung sind Verluste im Steuerrecht kein »Negativposten« in der Rechnung der Steuerbürger, sondern eine erstrebenswerte Größe. Die psychologisch nachvollziehbare Interpretation der Verluste als Abzugsposten bei der Steuererklärung zur Minimierung (Nullsetzung) der individuellen Steuerlast führt zu einer Gestaltungsphantasie, die es in dem Ausmaß wohl nur in dieser Disziplin der gesamten Rechtsordnung gibt. Im Unternehmensbereich ist bei Sanierungen – allgemein bei Umstrukturierungsmaßnahmen – der Erhalt der »Alt«-Verluste für die neuen Rechtssubjekte eine der beiden Zielgrößen schlechthin.

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Demgegenüber steht das Interesse des Staates an einer rechtzeitigen Besteuerung der individuellen Leistungsfähigkeit des Bürgers bzw. des Unternehmenssubjektes als Marktteilnehmer. Für die ESt hatte das StEntlG 1999/2000/2002 eine gravierende – und hochtechnisierte – Neuerung für die Verlustverrechnung gebracht, die mit dem Stichwort der Mindestbesteuerung umschrieben war. Sie wurde ersatzlos mit Wirkung ab 1.1.2004 gestrichen (zur Wirkung: § 52 Abs. 2a und Abs. 25 Satz 2 EStG); s.a. → Verlustabzug nach § 10d EStG und → Gesamtbetrag der Einkünfte.

An ihre Stelle tritt – weitgehend – die bis 1998 geltende Verlustregelung, die u.a. den uneingeschränkten horizontalen und vertikalen Verlustausgleich vorsah (und jetzt wieder vorsieht). Die Behandlung der Verluste von 1999 bis 2003 ist unter dem Stichwort → Verlustabzug nach § 10d EStG und unter → Gesamtbetrag der Einkünfte nachzulesen.

In dieser Darstellung geht es nur um steuerlich zu berücksichtigende Verluste, so dass steuerirrelevante Negativergebnisse, z.B. aus Liebhaberei, im Vorfeld ausscheiden.

Der Verlustausgleich ist zwingend vorzunehmen und kann nicht auf Antrag beschränkt werden. Sowohl beim sog. horizontalen als auch beim sog. vertikalen Verlustausgleich können Verlustausgleichsbeschränkungen zu berücksichtigen sein.

Aufgrund des zweiten Corona-Steuerhilfegesetzes werden die Höchstbetragsgrenzen beim Verlustrücktrag gem. § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG für Verluste des Veranlagungszeitraums 2020 und 2021 von 1 Mio. € auf 5 Mio. € bei Einzelveranlagung und von 2 Mio. € auf 10 Mio. € bei Zusammenveranlagung angehoben. Dies gilt nur für Verluste der VZ 2020 und 2021; danach gelten wieder die alten Werte.

In einem Vierten Corona-Steuerhilfegesetz ist die Verläungerung der erweiterten Verlustverrechnung bis Ende 2023 vorgesehen: Für 2022 und 2023 wird der Höchstbetrag beim Verlustrücktrag auf 10 Mio. € bzw. auf 20 Mio. € bei Zusammenveranlagung angehoben. Der Verlustrücktrag wird darüber hinaus ab 2022 dauerhaft auf zwei Jahre ausgeweitet und erfolgt in die unmittelbar vorangegangenen beiden Jahre.

1.2. Die Verlustverrechnungsbeschränkungen (Übersicht)

Die besonderen Verlustverrechnungsbeschränkungen im ESt-Recht, bei denen die Verluste – als Ausnahme von der generellen Verrechenbarkeit mit anderen Einkünften – in der jeweiligen Einkunftsart »eingesperrt« bleiben, gelten in veränderter Fassung fort. Hierzu zählen Bestimmungen wie §§ 2a, 2b n.F., 15a und 15b n.F. EStG.

Die Vielzahl der Vorschriften, die im EStG die Verlustverrechnung einschränken bzw. verbieten, kann man – wie folgt – zusammenfassen (»ideologische« Übersicht):

I.

»Systematisch« bedingte Beschränkungen

II.

Nicht systematisch (steuerpolitisch) bedingte Beschränkungen

1. Einkunftsquellenbezogene Verluste

2. Einkunftsartenbezogene Verluste

3. »Personenbezogene« Verluste

Liebhaberei

§ 2a EStG

§ 15a EStG

§ 8c KStG

§ 3c EStG

.

§ 50 Abs. 2 Satz 1 EStG

§ 12 UmwStG

§ 15b EStG n.F.

§ 15 Abs. 4 EStG

§ 17 Abs. 2 Satz 4 EStG

§ 20 Abs. 6 EStG

§ 22 Nr. 3 EStG

§ 23 Abs. 3 Satz 8 EStG

Selbstständige Verrechnungskreise

Abb.: Die Verlustverrechnungsbeschränkungen im EStG

1.3. Charakterisierung der Verlustverrechnungsbeschränkungen

Die einzelnen Verlustverrechnungsbeschränkungen lassen sich wie folgt charakterisieren:

  • Bei bestimmten ausländischen Einkunftsquellen dürfen Verluste nur mit positiven Einkünften der jeweils selben Art aus demselben Staat verrechnet werden (§ 2a EStG, → Negative Einkünfte mit Auslandsbezug).

  • Bei negativen Einkünften aus der Beteiligung an Verlustzuweisungsgesellschaften nach § 2b a.F. EStG bzw. bei negativen Einkünften aus sog. »Steuerstundungsmodellen« i.S.v. § 15b n.F. EStG. Nach dem BFH-Urteil vom 22.9.2016, IV R 2/13, BStBl II 2017, 165 ist die Verlustausgleichsbeschränkung von negativen Einkünften aus der Beteiligung an einer Gesellschaft gem. § 2b EStG 1999 in den Fällen mit dem Grundgesetz vereinbar, in denen den Anlegern aufgrund einer im Werbe- bzw. Verkaufsprospekt ausgewiesenen fiktiven gesellschafterbezogenen Steuerberechnung in Aussicht gestellt worden ist, dass sie bereits im ersten Jahr der Beteiligung auf Grund einer Verlustzuweisung einen Steuervorteil mindestens in Höhe des eingesetzten Kapitals erhalten.

  • Verluste aus gewerblicher Tierzucht oder gewerblicher Tierhaltung dürfen weder mit anderen Einkunftsarten aus Gewerbebetrieb noch mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden; sie dürfen auch nicht nach § 10d EStG abgezogen werden (§ 15 Abs. 4 EStG). Die Verluste mindern jedoch nach Maßgabe des § 10d EStG die Gewinne, die der Stpfl. in dem unmittelbar vorangegangenen und in den folgenden Wj. aus gewerblicher Tierzucht oder gewerblicher Tierhaltung erzielt hat oder erzielt.

  • Für Termingeschäfte in Form von Sicherungsgeschäften auf Aktien (§ 15 Abs. 4 Satz 3 EStG); gilt nach § 15 Abs. 4 Satz 6 EStG die gleiche Rechtsfolge (Verlustausgleichs- und -abzugsverbot) für Verlustanteile einer KapG, die als stiller Gesellschafter an einer anderen KapG beteiligt ist.

  • Der einem Kommanditisten zuzurechnende Anteil am Verlust der KG darf weder mit anderen Einkünften aus Gewerbebetrieb noch mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden, soweit ein negatives Kapitalkonto des Kommanditisten entsteht oder sich erhöht; er darf insoweit auch nicht nach § 10d EStG abgezogen werden (§ 15a EStG).

  • Verluste aus privaten Veräußerungsgeschäften (→ Private Veräußerungsgeschäfte) dürfen nur bis zur Höhe des Veräußerungsgewinns, den der Stpfl. im gleichen Jahr erzielt hat, ausgeglichen werden; sie dürfen nicht nach § 10d EStG abgezogen werden (§ 23 Abs. 3 Satz 8 EStG); sie mindern jedoch nach Maßgabe des § 10d EStG die Einkünfte, die der Stpfl. in dem unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus privaten Veräußerungsgeschäften erzielt hat. Sich ergebende Verluste sind in entsprechender Anwendung des § 10d EStG ab dem VZ 2007 sowie in den Fällen, bei denen am 1.1.2007 die Feststellungsfrist noch nicht abgelaufen ist, gesondert festzustellen, vgl. § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007 vom 13.12.2006 (BGBl I 2006, 2878). Obgleich der BFH mit Urteil vom 22.9.2005 (IX R 21/04, BStBl II 2007, 158) für Zeiträume vor Geltung dieser Gesetzesänderung entschieden hat, dass über die Verrechenbarkeit von Verlusten i.S.d. § 23 EStG mangels gesetzlich angeordnetem Feststellungsverfahren erst im Jahr der Verrechnung zu entscheiden ist, will die Finanzverwaltung dieses Urteil nicht über den entschiedenen Einzelfall hinaus anwenden (BMF Schreiben vom 14.2.2007, IV C 3 – S 2256 – 12/07, BStBl I 2007, 268).

    Nach dem BFH-Beschluss vom 15.11.2000 (IX B 128/99, BStBl II 2001, 411) ergeben sich insoweit verfassungsrechtliche Bedenken, als § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG a.F. nicht einmal einen überperiodischen Verlustabzug innerhalb derselben Einkunftsart zulässt und die ab dem VZ 1999 erfolgte Neuregelung des Verlustausgleichs bei privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 EStG, die dies vorsieht, ohne sachlichen Grund nicht auch auf die offenen Altfälle erstreckt worden ist.

    § 20 Abs. 6 Satz 1 EStG steht der Verrechnung von Altverlusten i.S.d. § 23 EStG (a.F. bis 31.12.2008) mit positiven Kapitaleinkünften i.S.d. § 20 Abs. 2 EStG bei der Antragsveranlagung gem. § 32d Abs. 4 EStG nicht entgegen, da die depotbezogene unterjährige Verlustverrechnung der auszahlenden Stelle i.S.d. § 43a Abs. 3 EStG zwar zeitlich vorrangig, aber nicht endgültig ist; vgl. BFH vom 3.12.2019, VIII R 8/16.

  • Bei Einkünften, die dem Steuerabzug unterliegen, und bei Einkünften i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 5 und 7 EStG ist für beschränkt Steuerpflichtige ein Ausgleich mit Verlusten aus anderen Einkunftsarten nicht zulässig (§ 50 Abs. 2 EStG).

  • Verluste aus der gelegentlichen Vermietung beweglicher Gegenstände dürfen bei der Ermittlung des Einkommens nicht abgezogen werden (§ 22 Nr. 3 Satz 3 EStG). Die Verluste mindern jedoch nach Maßgabe des § 10d EStG die Einkünfte, die der Stpfl. in dem unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraum oder in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus diesen Leistungen erzielt hat oder erzielt. Sich ergebende Verluste sind in entsprechender Anwendung des § 10d EStG gesondert festzustellen (vgl. § 22 Nr. 3 Satz 4 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2007): Dies entspricht der Änderung des § 23 Abs. 3 Satz 9 EStG.

    Nach dem BFH-Urteil vom 16.6.2015, IX R 26/14, BStBl II 2015, 1019 ist die Verlustausgleichsbeschränkung des § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG verfassungsgemäß.

  • Verluste aus Kapitalvermögen dürfen nicht mit Einkünften aus anderen Einkunftsarten ausgeglichen werden; sie dürfen auch nicht nach § 10d EStG abgezogen werden. Die Verluste mindern jedoch die Einkünfte, die der Stpfl. in den folgenden Veranlagungszeiträumen aus Kapitalvermögen erzielt. § 10d Abs. 4 EStG ist sinngemäß anzuwenden. Verluste aus Kapitalvermögen i.S.d. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1, die aus der Veräußerung von Aktien entstehen, dürfen nur mit Gewinnen aus Kapitalvermögen i.S.d. Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 1, die aus der Veräußerung von Aktien entstehen, ausgeglichen werden; die Satz 2 und 3 gelten sinngemäß. Verluste aus Kapitalvermögen i.S.d. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 dürfen nur i.H.v. 20 000 € mit Gewinnen i.S.d. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und mit Einkünften i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 11 ausgeglichen werden; die Satz 2 und 3 gelten sinngemäß mit der Maßgabe, dass nicht verrechnete Verluste je Folgejahr nur bis zur Höhe von 20 000 € mit Gewinnen i.S.d. Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 und mit Einkünften i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 11 verrechnet werden dürfen. Verluste aus Kapitalvermögen aus der ganzen oder teilweisen Uneinbringlichkeit einer Kapitalforderung, aus der Ausbuchung wertloser Wirtschaftsgüter i.S.d. Abs. 1, aus der Übertragung wertloser Wirtschaftsgüter i.S.d. Abs. 1 auf einen Dritten oder aus einem sonstigen Ausfall von Wirtschaftsgütern im Sinne des Absatzes 1 dürfen nur i.H.v. 20 000 € mit Einkünften aus Kapitalvermögen ausgeglichen werden; die Sätze 2 und 3 gelten sinngemäß mit der Maßgabe, dass nicht verrechnete Verluste je Folgejahr nur bis zur Höhe von 20 000 € mit Einkünften aus Kapitalvermögen verrechnet werden dürfen.

2. Die Verlustterminologie in der Einkommensteuer

Das derzeitige System der Verlustberücksichtigung lässt sich – wie folgt – darstellen (»praktische Übersicht«):

Abb.: Verlustverrechnung bei der ESt

In der Veranlagung eines Jahres wird zunächst innerhalb einer Einkunftsart das positive und negative Ergebnis mehrerer Einkunftsquellen (Zustandstatbestände) saldiert. Dieser Vorgang wird horizontaler Verlustausgleich genannt, da er auf der Ebene einer Einkunftsart erfolgt. So wird etwa der Gewinn des Betriebes A mit dem Verlust des Betriebes B ein und desselben Gewerbetreibenden zu einer Größe (»gewerbliche Einkünfte«) verrechnet. Die Legitimation ergibt sich u.a. aus dem objektiven Nettoprinzip, wonach nur der »Netto-Erwerb« aus einer Einkunftsart (Einnahmen unter Abzug aller Erwerbsaufwendungen dieser Einkunftsart) der Besteuerung unterliegt.

Einen Schritt weiter, aber immer noch innerhalb desselben VZ, kommt es zum sog. vertikalen Verlustausgleich, wenn positive und negative Ergebnisse der sieben Einkunftsarten miteinander saldiert werden. Im ergänzten Kurz-Beispiel wird der Verlust aus V+V in 14 mit dem gewerblichen Gewinn 14 verrechnet. Rein begrifflich lässt sich dies mit der alleinigen Erfassung des kumulierten Nettoerwerbserfolges umschreiben.

Enthält die Summe der Einkünfte allerdings Einkünfte, die nach einem günstigeren Tarif als dem Normaltarif besteuert werden (z.B. § 34 Abs. 3 EStG), erfolgt der Ausgleich nicht zuerst intern, sondern unter Berücksichtigung der anderen Einkunftsarten, soweit wie dies möglich ist. Durch dieses Vorgehen soll die Begünstigung weitgehend erhalten bleiben.

Als Ausfluss der interperiodischen Leistungsfähigkeit, die die ganze Lebensschaffenskraft des Steuerbürgers – und nicht nur den temporären Ausschnitt eines VZ – gleichmäßig erfassen will, schließt sich die periodenübergreifende Verlustverrechnung, der sog. Verlustabzug, an den Verlustausgleich an. Danach können nicht ausgeglichene Verluste eines Jahres in die Vergangenheit transportiert (Verlustrücktrag) oder in der Zukunft (Verlustvortrag) berücksichtigt werden. Der erstmals im Jahre 1929 zugelassene Verlustabzug ist in § 10d EStG beheimatet und im Zuge der Neufassung des § 2 Abs. 3 EStG reformiert worden.

Die spezialgesetzlichen Verlustverrechnungsbeschränkungen lassen für »ihre« Einkunftsart grundsätzlich nicht den vertikalen Verlustausgleich zu und verbieten gleichzeitig den Verlustabzug.

3. Der Verlustausgleich

3.1. Der horizontale Verlustausgleich

Auf der ersten Stufe erfolgt nach der Neufassung wie nach der Altfassung der horizontale Verlustausgleich.

Beispiel:

Der Steuerbürger G erzielt in 20 einen Veräußerungsgewinn durch Verkauf des Betriebes A i.H.v. 250 000 € und einen laufenden Verlust aus dem Betrieb B i.H.v. 75 000 €. Zusätzlich hat er einen L+F-Gewinn von 30 000 € sowie einen anzuerkennenden Verlust aus der Vermietung einer Kate i.H.v. 230 000 €.

Zu ermitteln ist die Summe der Einkünfte.

Das Beispiel ist nicht nur für die Reihenfolge der Verlustverrechnung bedeutsam, sondern auch für die Zusatzfrage, ob und ggf. wie außerordentliche tarifbegünstigte Einkünfte (hier nach §§ 16, 34 EStG) mit zu berücksichtigen sind.

Lösung 1. Teil:

In Zahlen sehen die Einkünfte des G in 20 folgendermaßen aus:

§ 15 EStG: + 175 T€

(250 T€ gem. § 16 EStG ./. 75 T€ gem. § 15 EStG)

§ 13 EStG: + 30 T€

§ 21 EStG: ./. 230 T€

Als erster Schritt findet der horizontale Ausgleich innerhalb von § 15 EStG statt. Nach R 34.1 Abs. 3 EStR nehmen auch die außerordentlichen Einkünfte des § 16 EStG am horizontalen wie am vertikalen Verlustausgleich teil. Demgegenüber werden sachliche Steuerbefreiungen (etwa die Freibeträge bei den Aufgabe-/Veräußerungsgewinnen nach § 16 Abs. 4 EStG u.a. und die steuerfreien Einnahmen nach § 3 EStG) nicht bei der Verlustverrechnung berücksichtigt. Danach belaufen sich die gewerblichen Einkünfte des G auf + 175 T€ (§ 15 EStG).

3.2. Der vertikale Verlustausgleich (ab VZ 2004)

Im obigen Beispiel werden die positiven und negativen Ergebnisse miteinander saldiert. Dies ergibt die Summe der Einkünfte.

Lösung 2. Teil:

Bei G (Beispiel 1) beträgt die Summe der Einkünfte: ./. 25 000 €.

Ebenso ergibt sich bei der Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) ein Verlustausgleich der (Summe der) Einkünfte beider Ehegatten.

4. Der Verlustabzug gemäß § 10d EStG – Neufassung

Negative Einkünfte, die nicht gem. § 2 Abs. 3 EStG ausgeglichen werden können, sind entweder vom Gesamtbetrag der Einkünfte des Vorjahres (Verlustrücktrag) oder der folgenden VZ (Verlustvortrag) gem. § 10d EStG abzuziehen. Gesetzestechnisch ist der Rücktrag (Abs. 1) vor dem Vortrag (Abs. 2) durchzuführen; diese Auslegung bezieht sich auf die Reihenfolge der Absätze und die Vorgehensweise.

4.1. Der Verlustrücktrag

Auf Antrag kann auf den Rücktrag verzichtet werden (§ 10d Abs. 1 Satz 4/5 EStG); dabei ist die Höhe des Rücktrags anzugeben. Dies ist ratsam zur Ausnutzung des Grundfreibetrags und zum Erhalt der Abzugsmöglichkeiten für Sonderausgaben, außergewöhnliche Belastungen etc. Ein Antrag auf Absehen vom Verlustrücktrag kann bis zum Eintritt der Bestandskraft des Verlustfeststellungsbescheids für das Verlustentstehungsjahr geändert oder widerrufen werden, vgl. BFH Urteil vom 17.9.2008, IX R 72/06, BStBl II 2009, 639.

Der Verlustrücktrag ist ab VZ 2004 wieder einkünfteübergreifend möglich. Verluste können aber nur bis zu 511 500 € (bzw. 1 023 000 € bei zusammenveranlagten Ehegatten) zurückgetragen werden. Der Rücktrag ist nur auf den unmittelbar vorausgehenden VZ möglich.

Ein Kirchensteuer-Erstattungsüberhang ist wie die ursprüngliche gezahlte Kirchensteuer als (negative) Sonderausgabe zu berücksichtigen. Durch die Hinzurechnung kann es daher dazu kommen, dass Einkommensteuer gezahlt werden muss, obwohl der Gesamtbetrag der Einkünfte nach Verlustausgleich 0 € beträgt. Es kommt dann zu einer Besteuerung allein des Vorteils aus der Erstattung von (früheren) Abzugsbeträgen. Dies gilt auch dann, wenn sich die erstatteten Kirchensteuern im Zahlungsjahr letztlich nicht steuermindernd ausgewirkt haben, da der mit § 10 Abs. 4b EStG verfolgte Vereinfachungszweck verfehlt würde, wenn dies in jedem Einzelfall ermittelt werden müsste; vgl. BFH vom 12.3.2019, IX R 34/17. Der BFH hat die Rechtsauffassung des FG Baden-Württemberg (BFH vom 2.2.2017, 3 K 834/15) bestätigt. Das FG Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 2.2.2017 (3 K 834/15) entschieden, dass die Höhe des Gesamtbetrags der Einkünfte durch die Hinzurechnung des Erstattungsüberhangs nicht beeinflusst werde. Dies habe zur Folge, dass die Hinzurechnung erst nach Abzug eines Verlustvortrags berücksichtigt werde und ggf. zu versteuern sei, obwohl noch ein weiterer Verlustvortrag bestehe. Dies entspreche der Handhabung bei vergleichbaren Aufwendungen, die ebenfalls erst nach Berücksichtigung eines Verlustvortrags berücksichtigt werden könnten und sich ggf. steuerlich nicht auswirken. Für die Frage der Hinzurechnung sei es ohne Bedeutung, ob sich die jetzt erstatteten Aufwendungen im Jahr der Zahlung steuerlich ausgewirkt hätten.

Ein negativer Gesamtbetrag der Einkünfte ist bei einem Verlustrücktrag in das Vorjahr nicht durch einen rechnerischen Zwischenschritt im Verlustentstehungsjahr zu neutralisieren, sodass im Verlustentstehungsjahr ein Erstattungsüberhang nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG dem negativen Gesamtbetrag der Einkünfte hinzuzurechnen ist; vgl. FG München vom 22.9.2020, 12 K 1937/19.

4.2. Der Verlustvortrag

Die Verrechnung eines Verlustvortrags ist uneingeschränkt bis zu einem Gesamtbetrag der Einkünfte i.H.v. 1 Mio. € (bzw. 2 Mio. € bei Zusammenveranlagung) möglich. Ein über diesen Sockelbetrag hinausgehender Verlustvortrag ist nur bis zu 60 % des übersteigenden Betrages verrechenbar. Insofern kann von einer neuen »Mindestbesteuerung« gesprochen werden. Der BFH hält es für ernstlich zweifelhaft, ob dies verfassungsgemäß ist, wenn eine Verlustverrechnung in späteren Jahren aus rechtlichen Gründen endgültig ausgeschlossen ist. Er hat diese Frage dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt, BFH Urteil vom 26.2.2014, I R 59/12, BStBl II 2014, 1016.

§ 10d Abs. 4 EStG schreibt wieder ein gesondertes Feststellungsverfahren für den verbleibenden Verlustvortrag vor, wobei die gesonderte Feststellung getrennt nach Einkunftsarten und Einkunftsquellen nur insoweit vorzunehmen ist, als negative Einkünfte besonderen Verlustverrechnungsbeschränkungen unterliegen (vgl. R 10d Abs. 8 EStR 2012).

Als Reaktion auf einige jüngere Entscheidungen des BFH (Urteile vom 12.6.2002, XI R 26/01, BStBl II 2002, 681, vom 6.7.2005, XI R 27/04, BFH/NV 2006, 16 und vom 1.3.2006, XI R 33/04, DStR 2006, 751), nach denen § 181 Abs. 5 AO auch auf Verlustfeststellungsbescheide anzuwenden ist, mit der Folge, dass eine Verlustfeststellung zeitlich unbegrenzt nachgeholt werden kann, wurde die Anwendung des § 181 Abs. 5 AO durch das Jahressteuergesetz 2007 im Rahmen des § 10d EStG generell ausgeschlossen. Eine Ausnahme gilt für die pflichtwidrige Unterlassung einer Verlustfeststellung durch die Finanzbehörde. Somit beträgt die Feststellungsfrist für eine nachzuholende Verlustfeststellung unter Berücksichtigung der Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO sieben Jahre. Sie endet künftig nicht, bevor die Festsetzungsfrist für den Veranlagungszeitraum abgelaufen ist, auf dessen Schluss die Verlustfeststellung erfolgt.

Es ist in der Rspr. des BFH geklärt, dass Verluste nach § 10d Abs. 2 Satz 1 EStG auch in solche Veranlagungszeiträume vorzutragen sind, in denen der Stpfl. ein Einkommen unterhalb des Grundfreibetrags nach § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG hat; vgl. BFH Beschluss vom 14.4.2016, IX B 138/15.

4.3. Zusammentreffen des § 10d EStG mit Verlustverrechnungskreisen

Ein besonderes Problem stellt sich beim Zusammentreffen von § 10d EStG mit speziellen Verlustverrechnungskreisen (z.B. aus § 2b a.F., § 15 Abs. 4, § 22 Nr. 3 sowie § 23 EStG; s. im Einzelnen dazu unter B IV.3.). Dazu hat das BMF am 29.11.2004 (IV C 8 – S 2225 – 5/04) entschieden, dass die Abzugsbeschränkung des § 10d Abs. 2 EStG sowohl beim Verlustvortrag als auch innerhalb der besonderen Verrechnungskreise in Ansatz zu bringen ist.

Folgendes Beispiel wurde gebildet:

Einkünfte (§ 21 EStG)

5 000 000 €

Einkünfte (§ 22 Nr. 2, 23 EStG)

2 500 000 €

Verlustvortrag (§ 22 Nr. 2, 23 EStG)

2 000 000 €

Verlustvortrag nach § 10d Abs. 2 EStG

4 000 000 €

Besonderer Verrechnungskreis

Einkünfte (§§ 22 Nr.2, 23 EStG)

2 500 000 €

2 500 000 €

Abziehbarer Betrag (§ 10d Abs. 2 EStG)

Sockelbetrag

1 000 000 €

Zzgl. 60 % des verbleibenden Betrages von 1 500 000 €

900 000 €

Maximal abziehbar

1 900 000 €

Vorhandener Verlustvortrag §§ 22, 23 EStG

2 000 000 €

Abziehbarer Betrag

1 900 000 €

In den Gesamtbetrag der Einkünfte (G.d.E.) eingehender Gewinn

600 000 €

G.d.E.

Einkünfte (§ 21 EStG)

5 000 000 €

Einkünfte (§§ 22, 23 EStG)

600 000 €

G.d.E.

5 600 000 €

Verlustvortrag nach § 10d Abs. 2 EStG

G.d.E.

5 600 000 €

Abziehbarer Betrag (§ 10 Abs. 2 EStG)/Berechnung

Sockelbetrag

1 000 000 €

Zzgl. 60 % von 4 600 000 € (verbleibender Betrag)

2 760 000 €

Maximal abziehbar

3 760 000 €

Vorhandener Verlustvortrag (§ 10d EStG)

4 000 000 €

Abziehbarer Betrag

3 760 000 €

Ergebnis (G.d.E. nach Verlustabzug)

1 840 000 €

Liegen bei einem Steuerpflichtigen Einkünfte aus mehreren besonderen Verrechnungskreisen vor, findet die Abzugsbeschränkung bei jedem der besonderen Verrechnungskreise gesondert Anwendung. Bei zusammen veranlagten Ehegatten ist die Abzugsbeschränkung von 1 Mio. € zu verdoppeln und ebenso wie die Grenze von 60 % auf die zusammengerechneten Einkünfte der Ehegatten aus dem jeweiligen besonderen Verrechnungskreis anzuwenden. Bei der Behandlung des Höchstbetrags für den Verlustrücktrag nach § 10d Abs. 1 EStG ist entsprechend zu verfahren.

4.4. § 10d EStG und die Rechtsprechung (Vererblichkeit des Verlustabzugs)

4.4.1. Entwicklung der Urteilspraxis (BFH)

Als Ausfluss der individuellen Leistungsfähigkeit sind Verluste nie durch Einzelrechtsnachfolge übertragbar (keine Disposition über Steuergrößen). Neben der Ehegattenverlustverrechnung wird von der Verwaltung als einzige Ausnahme von dem Grundsatz, dass Verlust-Erzieler und -Verrechner identisch sein müssen, die Übertragung nicht ausgenutzter Verluste vom Erblasser auf den Erben zugelassen. Der BFH – und ihm folgend die Verwaltung – hat seit 1962 einen Verlusttransfer vom Erblasser (EL) auf den Erben (E) in dem Maße zugelassen, in dem der EL den Verlust noch hätte geltend machen können. In technischer Hinsicht werden zwei Kategorien von Verlusten unterschieden:

  1. Verluste, die im Todesjahr des EL entstanden sind (1. Gruppe = 2. Beispiel in H 10d EStH 2010), und

  2. Verluste, die vor dem Todesjahr entstanden sind (2. Gruppe = 1. und 3. Beispiel).

In der 1. Gruppe (Todesjahrverluste des EL; im Beispiel Todesjahr = VZ 2002) erfolgt zunächst ein Ausgleich im Todesjahr des EL und sodann bei ihm ein Rücktrag gem. § 10d Abs. 1 EStG nach 01. Der nicht aufgebrauchte Verlust wird sodann in der Veranlagung des E in 02 ausgeglichen; ein etwaiger Überhang folgt nach § 10d EStG (Berücksichtigung zuerst in 01 und dann in 03 ff.) in der Veranlagung des E.

In der 2. Gruppe (Verluste vor dem Todesjahr des EL; im Beispiel: Verluste 01; Todesjahr 02) ergibt sich folgendes Verrechnungsschema:

  1. Reihenfolge für EL:

    • Verlustausgleich bei EL in 01,

    • Verlustrücktrag bei EL in 00,

    • Verlustvortrag bei EL in 02 (Todesjahr).

  2. Behandlung bei E:

    Der (nicht aufgebrauchte) Verlustvortrag des EL wird von E zeitlich und dem Betrag nach unbegrenzt fortgeführt (auch im Todesjahr).

Die Unvereinbarkeit dieser (von der Verwaltung übernommenen) Rspr. mit dem Individualbesteuerungsgrundsatz führte in einer ersten Entscheidung des XI. Senats des BFH (BFH Urteil vom 5.5.1999, BStBl II 1999, 653) zu der Erkenntnis, dass ein Verlustübergang des EL auf E nur dann möglich sei, wenn der Erbe durch die ererbten Verluste auch wirtschaftlich belastet ist, m.a.W. er sie auch tragen muss. Haftet demnach der Erbe nur beschränkt (z.B. bei einem Nachlassinsolvenzverfahren), ist er nicht zur Verrechnung der EL-Verluste in seiner Veranlagung berechtigt.

Noch einen Schritt weiter geht die BFH-Anfrage vom 29.3.2000 (HFR 2000, 796, I. Senat), nach der generell die Verlustübertragung abgelehnt wird. Dies gilt insb. für den Verlustvortrag, der wegen der »Höchstpersönlichkeit« einen Fremdkörper in der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit darstellt. Allenfalls qua Billigkeitsmaßnahmen (§ 163 AO und § 227 AO) könne in Härtefällen abgeholfen werden.

Nach der grundsätzlich zustimmenden Auffassung Kirchhofs sollte dem Erben lediglich ein Anspruch auf zu viel gezahlte Steuern des Erblassers zustehen, da dieser eine Besteuerung entsprechend seinem Lebenseinkommen nicht mehr erreichen kann. M.a.W. wird danach der – wenn überhaupt mögliche – Verlusttransfer auf den Erstattungsanspruch des EL limitiert. Diese wenig originelle Ansicht, die sich ohnehin schon aus § 45 AO ergibt, fußt auf dem Grundsatz der »periodenübergreifenden Leistungsfähigkeit«.

Mit Urteil vom 16.5.2001 (BFH Urteil vom 16.5.2001, BStBl II 2002, 487) und dem BMF vom 26.7.2002, BStBl I 2002, 667 ist die geänderte Rspr. vorläufig amtlich bestätigt: Danach liegt eine – den Verlustübergang ausschließende – wirtschaftliche Belastung dann nicht vor, wenn der Erbe für Nachlassverbindlichkeiten gar nicht oder nur beschränkt haftet. Die weitergehenden Ansätze, die sich aus dem Leistungsfähigkeitsgrundsatz aufgedrängt haben, sind in dieser Entscheidung nicht verfolgt worden. Sie wurden aber neuerdings vom XI. Senat in mehreren Vorlagebeschlüssen (BFH Beschluss vom 10.4.2003, BStBl II 2004, 400; BFH Beschluss vom 22.10.2003, BStBl II 2004, 414 und zuletzt BFH Beschluss vom 28.7.2004, NJW 2005, 704) angemahnt.

4.4.2. Änderung der Rechtsprechung

In Reaktion auf den vorgenannten Vorlagebeschluss vom 28.7.2004 (NJW 2005, 704) hat der Große Senat des BFH mit Beschluss vom 17.12.2007, GrS 2/04, BFH/NV 2008, 651 in Abkehr von seiner mehr als vier Jahrzehnte währenden Rechtsprechung entschieden, dass der Übergang des vom Erblasser nicht ausgenutzten Verlustvortrags nach § 10d EStG auf den Erben weder auf zivilrechtliche noch auf steuerrechtliche Prinzipien gestützt werden kann. Dies begründet der BFH mit dem Wesen der Einkommensteuer als Personensteuer, dem Grundsatz der Individualbesteuerung und dem Prinzip der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit. Die persönliche Steuerpflicht endet mit dem Tod. Da Erblasser und Erbe verschiedene Einkommensteuerrechtssubjekte sind, können die beim Erblasser bis zu seinem Tod nicht aufgezehrten Verlustvorträge nicht auf den Erben übertragen werden. Allerdings hält es der BFH jedoch für geboten, eine Übergangsregelung zu treffen, wonach seine neue Rechtsprechung zur Nichtvererblichkeit des Verlustabzugs erst mit Wirkung für die Zukunft angewendet wird.

4.4.3. Aktuelle Entwicklungen

Die OFD Hessen nimmt im Schreiben vom 1.3.2017, S 2225 A – 12 – St 213, Stellung zu der Vererbbarkeit von Verlusten: Die einzelne natürliche Person ist das Zurechnungssubjekt der von ihr erzielten Einkünfte (§ 2 Abs. 1 EStG), so dass die persönliche Steuerpflicht auf die Lebenszeit einer Person beschränkt ist und mit dem Tod endet. Ungenutzte vortragsfähige Verluste des Erblassers verfallen grundsätzlich; sie können nicht im Rahmen des Verlustausgleichs und -abzugs bei der Veranlagung des Erben berücksichtigt werden, da Erblasser und Erbe in der Regel zwei verschiedene Einkommensteuerrechtssubjekte sind.

Im Todeszeitpunkt nicht aufgezehrte Verluste des Erblassers können somit im Todesjahr nur in den Verlustausgleich nach § 2 Abs. 3 EStG (Ausgleich mit positiven Einkünften des Erblassers) und unter Beachtung der Mindestbesteuerung nach § 10d EStG bei der Veranlagung des Erblassers einfließen (R 10d Abs. 9 Satz 1 EStR). Eine abweichende Festsetzung aus (sachlichen) Billigkeitsgründen, die von einer Anwendung der Mindestbesteuerung unter Hinweis auf § 163 AO absieht, ist nicht möglich.

Bei Ehegatten können im Todeszeitpunkt noch nicht ausgeglichene Verluste des Erblassers bei der Veranlagung für das Todesjahr im Rahmen der Zusammenveranlagung mit positiven Einkünften des überlebenden Ehegatten unabhängig von dessen Erbquote ausgeglichen werden, vgl. R 10d Abs. 9 Satz 3 EStR.

Für den Verlustabzug nach § 10d EStG gilt gem. R 10d Abs. 9 Sätze 4–8 EStR Folgendes:

Werden die Ehegatten für das Todesjahr nach §§ 26, 26b EStG zusammen veranlagt und erfolgt für das Vorjahr ebenfalls eine Zusammenveranlagung, ist ein Rücktrag des nicht ausgeglichenen Verlusts des Erblassers in das Vorjahr möglich. Werden die Ehegatten für das Todesjahr zusammen veranlagt und erfolgt für das Vorjahr eine getrennte Veranlagung, ist ein Rücktrag des noch nicht ausgeglichenen Verlusts des Erblassers nur bei der getrennten Veranlagung des Erblassers zu berücksichtigen (§ 62d Abs. 1 EStDV).

Werden die Ehegatten für das Todesjahr getrennt veranlagt und erfolgt für das Vorjahr eine Zusammenveranlagung, ist ein Rücktrag des nicht ausgeglichenen Verlusts des Erblassers in das Vorjahr möglich (§ 62d Abs. 2 Satz 1 EStDV). Werden die Ehegatten für das Todesjahr getrennt veranlagt und erfolgt auch für das Vorjahr eine getrennte Veranlagung, ist ein Rücktrag des noch nicht ausgeglichenen Verlusts des Erblassers nur bei der getrennten Veranlagung des Erblassers zu berücksichtigen.

Für den überlebenden Ehegatten sind für die Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den Schluss des Todesjahres des Erblassers und die Anwendung der sog. Mindestbesteuerung nach § 10d Abs. 2 EStG in den Folgejahren allein die auf den überlebenden Ehegatten entfallenden nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte maßgeblich.

Billigkeitsmaßnahmen, die die Berücksichtigung eines gesondert festgestellten Verlustvortrags des Erblassers auf die Erben auch nach Änderung der Rspr. bewirken, sind nur in seltenen und extrem gelagerten Konstellationen denkbar; vgl. BFH vom 17.4.2017, IX R 24/17.

5. Vorläufiger Verlustrücktrag für 2020

Durch das Zweite Corona-Steuerhilfegesetz wird Folgendes beschlossen:

Der erweiterte Rücktrag für Verluste aus dem VZ 2020 soll unmittelbar finanzwirksam schon in der Einkommensteuererklärung 2019 nutzbar gemacht werden. Hierzu soll ein neuer § 111 EStG eingefügt werden. Auf Antrag wird danach ein vorläufiger Verlustrücktrag für 2020 vom Gesamtbetrag der Einkünfte 2019 abgezogen. Dieser beträgt pauschal 30 % des Gesamtbetrags der Einkünfte des VZ 2019. Mehr als 30 % sind möglich, wenn der voraussichtliche Verlustrücktrag anhand detaillierter Unterlagen (z. B. BWA, Auswertungen) nachgewiesen wird.

Der pauschale Verlustrücktrag soll bereits im Vorauszahlungsverfahren berücksichtigt werden und tritt an die Stelle des pauschalierten Verlustrücktrags nach dem BMF-Schreiben vom 24.4.2020, IV C 8 – S 2225/20/10003 :010, das mit Inkrafttreten dieses Gesetzes aufgehoben wird.

Voraussetzung ist die Herabsetzung der Vorauszahlungen 2020 auf 0 €. Die Steuerfestsetzung für 2019 steht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Im Rahmen der Veranlagung 2020 wird der vorläufige Verlustrücktrag für 2020 überprüft.

Der Gesamtbetrag der Einkünfte für 2019 wird hierfür in einem ersten Schritt um den vorläufigen Verlustrücktrag für 2020 erhöht. Sollten sich im zweiten Schritt bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte für 2020 keine rücktragsfähigen negativen Einkünfte ergeben oder verzichtet der Steuerpflichtige ganz oder teilweise auf die Anwendung von § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG, ist der Steuerbescheid für 2019 zu ändern, soweit ein Verlustrücktrag aus 2020 tatsächlich nicht zu gewähren ist. In allen anderen Fällen ist der Steuerbescheid für 2019 aufgrund des Verlustrücktrags nach § 10d Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Satz 3 EStG zu ändern.

Hinweis:

Der pauschale Verlustrücktrag für 2020 gilt nicht für Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit.

6. Grenzüberschreitende Verluste

Für den Bereich der Konzernbesteuerung ist seitens der Literatur schon immer die Berücksichtigung ausländischer Verluste diskutiert worden. Danach sollten – vorbehaltlich einschränkender DBA-Regelungen – im Ausland von Tochtergesellschaften erzielte Verluste mit den Gewinnen der inländischen Muttergesellschaften verrechnet werden können. Die meisten nationalen Steuergesetze verbieten hingegen eine solche grenzüberschreitende Verlustverrechnung.

Mit Urteil vom 13.12.2005 (»Marks & Spencer«/David Halsey) hat der EuGH eine nationale Verlustverrechnungsbeschränkung für gemeinschaftsrechtswidrig erklärt. Die verhinderte Verlustnutzung im Ansässigkeitsstaat verstößt somit gegen die in Art. 43 EGV und Art. 48 EGV dokumentierte Niederlassungsfreiheit. Das Urteil betraf einen Fall der englischen »group relief«-Besteuerung (kein Zwang zum Abschluss eines Ergebnisabführungsvertrages und auch kein Zwang zum Verlusttransfer auf die Muttergesellschaft). Trotz bestehen bleibender Zweifel hinsichtlich der uneingeschränkten Übertragbarkeit des Urteils auf die deutsche Organschaft wird in den Fällen, in welchen ein Verlustvortrag in den Staaten der Tochtergesellschaften nicht möglich ist (z.B. in Estland) oder allgemein die Verlustnutzung erschwert ist (in einigen osteuropäischen Mitgliedstaaten), eine grenzüberschreitende Verlustnutzung nunmehr befürwortet. In diesem Sinne sind auch die Neuregelungen für den Bereich des UmwStG im Rahmen des SEStEG ab 1.1.2007 konzipiert.

7. Verfahrensrecht

Ist der Einkommensteuerbescheid des Verlustentstehungsjahres bestandskräftig und berücksichtigt keinen Verlust, ist der erstmalige Erlass eines Feststellungsbescheids über den verbleibenden Verlustvortrag nach § 10d Abs. 4 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2010 nur zulässig, soweit eine Korrektur dieses Steuerbescheids nach den Vorschriften der AO hinsichtlich der bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichenen negativen Einkünfte möglich ist und diese der Steuerfestsetzung tatsächlich zu Grunde gelegt worden sind (BFH vom 12.07.2016, IX R 31/15). Im Streitfall setzte das Finanzamt die Einkommensteuer in Höhe von 62 964 € fest. Die Kläger legten dagegen Einspruch ein und erklärten erstmals negative Einkünfte. Sie beantragten zudem die Feststellung eines verbleibenden Verlustvortrags zur Einkommensteuer auf den 31.12.2006. Das FA änderte den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr. Wegen der Anfechtungs-/Änderungsbeschränkung (§ 351 AO bzw. § 177 AO) ergab sich eine mindestens festzusetzende Einkommensteuer i.H.v. 62 964 €. Auf Antrag der Kläger trug das FA einen Verlust in den Veranlagungszeitraum 2005 zurück. Die gesonderte Feststellung des verbleibenden Verlustvortrags auf den 31.12.2006 lehnte das FA ab.

Der auf einem Verlustrücktrag nach § 10 d Abs. 1 EStG beruhende Erstattungsanspruch entsteht erst mit Ablauf des Veranlagungszeitraums, in dem der Verlust entstanden ist Die Anwendung des durch das JStG 1997 vom 20.12.1996 eingeführten § 233a Abs. 2a AO auf nach dem 31.12.1995 entstandene Verluste führt im Falle des Verlustrücktrags auf Veranlagungszeiträume vor 1996 nicht zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen Rückwirkung; vgl. BFH vom 6.3.2002, IX R 50/00.

8. Literaturhinweise

Delp, Verlustverrechnungsmöglichkeiten bei den Einkünften aus Kapitalvermögen, Steuk 2012, 407; Kube, Die intertemporale Verlustverrechnung – verfassungsrechtlicher Rahmen und legislativer Gestaltungsraum, DStR 2011, 1781; Kube, Die intertemporale Verlustverrechnung – Zur Einbeziehung von Altverlusten in eine Neuregelung, DStR 2011, 1829; Kußmaul/Niehren, Grenzüberschreitende Verlustverrechnung, im Lichte der jüngeren EuGH-Rechtsprechung, IStR 2008, 81.

9. Verwandte Lexikonartikel

Einkommensteuer

Gesamtbetrag der Einkünfte

Verlustabzug nach § 10d EStG

 

Redaktioneller Hinweis:© Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft, Steuern, Recht, Stuttgart.

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