Vertragsrecht und Steuern, Begriffsbestimmungen im BGB

Stand: 28. März 2024

Inhaltsverzeichnis

1 Verhältnis Zivilrecht und Steuerrecht im Allgemeinen
2 Verhältnis Zivilrecht und die AO
2.1 Allgemeines
2.2 Vertragsbegriffe
2.3 Wohnsitz
2.3.1 Allgemeines
2.3.2 BGB
2.3.3 AO
2.4 Die steuerliche (eigenständige) wirtschaftliche Betrachtungsweise (§ 39 AO)
2.4.1 Zurechnung von Wirtschaftsgütern (WG)
2.4.1.1 Allgemeines
2.4.1.2 Einzelfälle-ABC
2.5 Gesetz- oder sittenwidriges Verhalten (§ 40 AO)
2.6 Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO)
2.6.1 Allgemeines
2.6.2 Rechtsprechung
3 Verhältnis Zivilrecht und die einzelnen Steuerrechtsgebiete
3.1 Rechtsfähigkeit
3.2 Einkommensteuer
3.3 Körperschaft-/Umwandlungsteuer
3.4 Erbschaft-/Schenkungsteuer
3.5 Grunderwerbsteuer
3.6 Umsatzsteuer
3.6.1 Allgemeines
3.6.2 Lieferung
3.6.3 Vertretung (Agentur)
4 Literaturhinweise
5 Verwandte Lexikonartikel

1. Verhältnis Zivilrecht und Steuerrecht im Allgemeinen

Das Verhältnis zwischen Steuerrecht und Zivilrecht wird allgemein dadurch charakterisiert, dass das Zivilrecht gegenüber dem Steuerrecht nicht vorrangig ist, sondern vielmehr durch den Grundsatz der Präzedenz des Zivilrechts geprägt wird. Dies ist in dem (selbstverständlichen) Sinne gemeint, dass die Lebenssachverhalte, die der steuerlichen Beurteilung unterliegen, durch zivilrechtliche Gestaltungen vorgeprägt sind. Fast jeder steuerliche Sachverhalt ist mehr oder weniger mit dem Zivilrecht verbunden.

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Eine steuerliche Prüfung von Sachverhalten ist ohne Zugrundelegung des Zivilrechtes (z.B. Gesellschaftsverträge, Kaufverträge; Erbrecht) nicht möglich. Zivilrechtliche Vertragsgestaltungen werden aber auch oft unter der Prämisse der steuerlichen Gesichtspunkte und Auswirkungen vorgenommen.

Zudem wird in zahlreichen steuerlichen Vorschriften direkt auf das Zivilrecht verwiesen, so z.B.:

  • in § 79 Abs. 1 Nr. 1 AO (mit Verweis auf die Geschäftsfähigkeit nach BGB),

  • in § 3 Abs. 3 UStG (Kommission mit Verweis auf § 383 HGB),

  • in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 ErbStG (Erbanfall mit Verweis auf § 1922 BGB),

  • in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 ErbStG (mit Verweis auf §§ 2147 ff. BGB),

  • in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 3 ErbStG (mit Verweis auf §§ 2303 ff. BGB).

Andererseits geht das Steuerrecht auch eigene Wege, so z.B. beim wirtschaftlichen Eigentum i.S.v. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO (vgl. 2.4).

2. Verhältnis Zivilrecht und die AO

2.1. Allgemeines

Das BGB gibt eine Fülle von Begriffsbestimmungen, die grundsätzlich für alle Rechtsverhältnisse gelten. Der Abgabenordnung im Steuerrecht kommt eine ähnliche Funktion zu. So könnte die Abgabenordnung auch in jedem Einzelsteuergesetz vorab abgedruckt werden, da sie eine umfassende Wirkung für alle Steuern hat. Die allgemeinen Regeln der Abgabenordnung, die sich vielfach auch auf das BGB beziehen, gelten stets dann, wenn es für den Einzelfall keine spezielle Regelung gibt. Die allgemeinen Regelungen werden verdrängt, wenn entweder im BGB selbst oder in einem anderen Spezialgesetz eine besondere Vorschrift (lex specialis) enthalten ist. Ferner gelten die allgemeinen Regeln nicht, wenn die Parteien eine andere Regelung wirksam vereinbart haben. Dabei ist in einem derartigen Fall insbes. zu prüfen, ob von der konkreten Vorschrift des Zivilrechts abgewichen werden darf, weil dispositives Recht vorliegt oder es sich bei der Vorschrift des Zivilrechts um zwingendes Recht handelt, von dem nicht abgewichen werden darf.

2.2. Vertragsbegriffe

Soweit die AO Vertragsbegriffe (z.B. Haftung, Gesamtschuld, Erlöschen von Schuldverhältnissen, (Steuer-)Gläubiger und Schuldner, Verjährung) verwendet, werden sie ebenfalls i.S.d. Zivilrechts ausgelegt.

Die überlagernde (oder besondere) Bedeutung des Steuerrechts kommt jedoch an anderer Stelle zum Tragen:

  • So kommen zu den zivilrechtlich vorgeprägten Begriffen wie etwa der Gesamtschuld (§ 421 BGB) noch weitere Aspekte hinzu, die der Einordnung des Steuerrechts in das öffentliche Recht Rechnung tragen. Nachdem es sich bei der Auswahl unter einem von mehreren Gesamtschuldnern um eine Ermessensentscheidung handelt, wird die zunächst »einfach geprägte« Bestimmung des § 45 AO von dieser Aussage überlagert.

  • Bei der Verjährung schließlich sind die tatbestandlichen Voraussetzungen identisch, in den Rechtsfolgen unterscheiden sich die in beiden Rechtsdisziplinen verorteten Begriffe gravierend: Im Zivilrecht ist die Verjährung bekanntlich eine Einrede, die von der jeweiligen Partei erhoben werden muss, während sie im Steuerrecht automatisch (von Amts wegen) zum Erlöschen führt.

2.3. Wohnsitz

2.3.1. Allgemeines

Zwischen den Regelungen des BGB und der AO bestehen u.a. hinsichtlich der Auslegung des Begriffs des Wohnsitzes Unterschiede.

2.3.2. BGB

Der Wohnsitz i.S.d. BGB wird dort begründet, wo sich der räumliche Schwerpunkt (Mittelpunkt) der gesamten Lebensverhältnisse einer Person befindet. Dies geschieht durch ein tatsächliches Niederlassen an einem bestimmten Ort. § 7 BGB definiert als Wohnsitz die kleinste politische Einheit, d.h. die Gemeinde, in der die Wohnung liegt. Somit nimmt das BGB Bezug auf den Ort der Wohnung und nicht auf die Wohnung selbst.

2.3.3. AO

Eine natürliche Person hat einen Wohnsitz dort, wo sie eine Wohnung unter Umständen innehat, die darauf schließen lassen, dass sie die Wohnung beibehalten und benutzen wird (§ 8 AO). Ob im Einzelfall eine solche Benutzung vorliegt, ist unter Würdigung der Gesamtumstände nach den Verhältnissen des jeweiligen Veranlagungszeitraums oder Anspruchszeitraums zu beurteilen.

Die tatsächliche Entwicklung der Verhältnisse in den Folgejahren ist nur zu berücksichtigen, soweit ihr Indizwirkung für die Feststellung der tatsächlichen Verhältnisse im zurückliegenden Zeitraum zukommt. Dies stellte der BFH mit Urteil vom 23.6.2015 (III R 38/14, BStBl II 2016, 102) fest.

Hinweis:

Der Wohnungsbegriff des Grundgesetzes wird dagegen allgemeiner definiert. Eine Wohnung i.S.v. Art. 13 Abs. 1 GG ist jeder Raum, den der Einzelne der allgemeinen Zugänglichkeit entzieht und zum Ort seines Lebens und Wirkens bestimmt.

2.4. Die steuerliche (eigenständige) wirtschaftliche Betrachtungsweise (§ 39 AO)

Abweichend von der rein rechtlichen Zuordnung von Steuertatbeständen hat sich im Steuerrecht eine eigenständige Beurteilung etabliert, die sog. »Wirtschaftliche Betrachtungsweise«. Diese trägt dem Umstand Rechnung, dass das Steuerrecht nicht in jedem Fall dem Zivilrecht folgen kann, da beiden Rechtsordnungen ein unterschiedliches Vorverständnis zugrunde liegt.

2.4.1. Zurechnung von Wirtschaftsgütern (WG)

2.4.1.1. Allgemeines

Die Zurechnung von WG ist in § 39 AO geregelt. Die Vorschrift knüpft an das sog. Leasing-Urteil des BFH aus dem Jahr 1970 an (BFH vom 26.1.1970, IV R 144/66, BStBl II 1970, 264). In diesem konstatierte der BFH, dass für die steuerliche Beurteilung von beweglichen Wirtschaftsgütern, die wirtschaftliche Betrachtungsweise maßgeblich ist. Ob Wirtschaftsgüter, die Gegenstand eines Leasing-Vertrages sind, steuerlich dem Leasing-Geber oder dem Leasing-Nehmer zuzurechnen sind, beurteilt sich demzufolge nach den Umständen des Einzelfalles.

Probleme bei der Zurechnung von WG entstehen, wenn der zivilrechtliche Eigentümer nicht gleichzeitig auch der wirtschaftlich Berechtigte ist. Ein Wirtschaftsgut ist steuerrechtlich demjenigen zuzuordnen, der die tatsächliche Herrschaft über das Wirtschaftsgut ausübt. Ein vom zivilrechtlichen Eigentum abweichendes wirtschaftliches Eigentum liegt dann vor, wenn ein anderer als der zivilrechtliche Eigentümer die tatsächliche Herrschaft ausübt und den nach bürgerlichem Recht Berechtigten für die gewöhnliche Nutzungsdauer wirtschaftlich von der Einwirkung ausschließen kann (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO). § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO definiert den Begriff des wirtschaftlichen Eigentums. Fallen wirtschaftliches und zivilrechtliches Eigentum auseinander, ist das Wirtschaftsgut dem wirtschaftlichen Eigentümer zuzurechnen. Auch für die Zurechnung von WG gilt damit der Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtungsweise.

2.4.1.2. Einzelfälle-ABC

Eigenbesitz

Beim Eigenbesitz i.S.d. § 872 BGB ist das Wirtschaftsgut dem Eigenbesitzer zuzurechnen. Eigenbesitzer ist, wer ein Wirtschaftsgut als ihm gehörig besitzt und den Willen hat, den Berechtigten von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut auszuschließen (sog. Herrschaftswille). So werden z.B. unter Eigentumsvorbehalt gekaufte Waren dem Käufer zugerechnet oder mit einem Erbbaurecht belastete Grundstücke dem Erbbauberechtigten. Pächter und Mieter sind dagegen nicht Eigenbesitzer, sondern Fremdbesitzer (vgl. AEAO zu § 39 Nr. 1; der Fremdbesitzer besitzt in Anerkennung des fremden Eigentums), wenn nicht im Miet- oder Pachtvertrag dem Mieter oder Pächter bereits eine umfassende Rechtsstellung eingeräumt wird.

Cum/Ex-Geschäfte

Im Urteil vom 2.2.2022 (I R 22/20, BStBl II 2022, 324) befasste sich der BFH mit dem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums bei Cum/Ex-Geschäften.

Leitsätze

  1. Einen Anspruch auf Erstattung von Abzugsteuer (Kapitalertragsteuer/Solidaritätszuschlag) gem. § 50d Abs. 1 Satz 2 EStG hat ein US-amerikanischer Pensionsfonds i.S.d. Art. 10 Abs. 3 Buchst. b DBA-USA 1998/2008 nur dann, wenn er nach Maßgabe nationalen Steuerrechts Gläubiger der Kapitalerträge ist und die Abzugsteuer »einbehalten und abgeführt« worden ist. Gläubiger der Kapitalerträge ist die Person, die die Einkünfte aus Kapitalvermögen (als Dividenden i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG oder als Dividendenkompensationszahlungen i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG) erzielt (§ 20 Abs. 5 EStG). Dies ist die Person, der die Anteile an dem Kapitalvermögen im Zeitpunkt des Gewinnverteilungsbeschlusses (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG) oder des Zuflusses der Dividendenkompensationszahlung (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 4 EStG) nach § 39 Abs. 1 AO zivilrechtlich oder – wenn ein anderer als der Eigentümer die tatsächliche Herrschaft über die Anteile hat – nach § 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO wirtschaftlich zuzurechnen sind.

  2. Wirtschaftliches Eigentum über die Anteile wird bei sog. Cum/Ex-Geschäften nicht erworben, wenn der Erwerb der Aktien Teil eines modellhaft aufgelegten Gesamtvertragskonzepts ist, nach welchem der zivilrechtliche Erwerber die wesentlichen mit einem Aktienerwerb verbundenen Rechte weder ausüben kann noch nach der gestalterischen Konzeption soll, er vielmehr nur die Funktion hat, seine (aufgrund Abkommensrechts gestaltungsermöglichende) Rechtsform in den Geschäftsablauf einzubringen und angesichts der umfassenden Kontrolle jedes Geschäftsdetails durch Dritte lediglich als »passiver Teilnehmer« (»Transaktionsvehikel«) im Geschäftsablauf anzusehen ist. Ob sich die maßgebenden Transaktionen »außerbörslich« (Erwerb von sog. Single Stock Futures mit nachfolgender Abwicklung über die Eurex Clearing AG) oder »börslich« (im Rahmen sog. Schlussauktionen) abgespielt haben, ist insoweit ohne Bedeutung.

Leasing

Praktisch besonders bedeutsam ist die Zurechnung beim → Leasing (englisch, bedeutet mieten, pachten). Regelmäßig ist der Leasingnehmer nicht Eigenbesitzer, sondern Fremdbesitzer, da er sein Besitzrecht in Anerkennung des fremden Eigentums ausübt. Aufgrund der zahlreichen vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten, die im Einzelfall eine Zurechnung des Leasinggutes an den Leasingnehmer rechtfertigen, ist die Frage der Zurechnung beim Leasing in den sog. Leasing-Erlassen ausführlich geregelt (BMF vom 19.4.1971, BStBl I 1971, 264).

Sicherungseigentum

Beim Sicherungseigentum ist das Wirtschaftsgut dem Sicherungsgeber zuzuordnen, da trotz des zivilrechtlichen Eigentumsübergangs der Sicherungsgeber wirtschaftlich Berechtigter bleiben soll (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO).

Treuehandverhältnisse

Bei Treuhandverhältnissen (Beispiel: an einer Publikums-KG wollen sich die Kapitalgeber über einen Dritten beteiligen und bestellen diesen zum treuhänderischen Kommanditisten [BFH vom 12.1.1995, VIII B 43/94, BFH/NV 1995, 759]) sind die WG nicht dem Treuhänder als dem nach außen Berechtigten zuzuordnen, sondern dem Treugeber, in dessen wirtschaftlichem Interesse der Treuhänder seine Rechte ausübt (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 AO). Diese Aussage wird ergänzt durch § 159 AO, wonach i.S. einer Beweislastregel der Scheineigentümer (d.h. der Treuhänder) eine Nachweispflicht über die Zugehörigkeit der WG zum Treugeber hat.

Filmrechte

Mit Urteil vom 14.4.2022 (IV R 32/19, BStBl II 2022, 832) nahm der BFH zum Übergang des wirtschaftlichen Eigentums durch Einräumung von Filmverwertungsrechten Stellung.

Wertpapierdarlehen

Mit dem wirtschaftlichen Eigentum und der Bilanzierung bei Wertpapierdarlehen beschäftigte sich der BFH im Urteil vom 29.9.2021 (I R 40/17, BStBl II 2023, 127).

Wertpapiergeschäfte

Das BMF hat sich ausführlich zur wirtschaftlichen Zurechnung bei Wertpapierleihen, Kassa-Geschäften und anderen Wertpapiergeschäften geäußert (BMF vom 9.7.2021 – IV C 6 – S 2134/19/10003 :007, BStBl I 2021, 1002).

2.5. Gesetz- oder sittenwidriges Verhalten (§ 40 AO)

Für die Besteuerung ist es gem. § 40 AO unerheblich, ob ein Verhalten, das den Tatbestand eines Steuergesetzes erfüllt, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen die guten Sitten verstößt. § 40 AO ist Ausfluss der Wertneutralität des Steuerrechts (vgl. BVerfG vom 12.4.1996, 2 BvL 18/93, NJW 1996, 2086). Die wirtschaftliche Betrachtungsweise sorgt mit der Anknüpfung an das wirtschaftliche Ergebnis dafür, dass der rechtsuntreu Handelnde steuerlich nicht bessergestellt wird als der gesetzestreu Handelnde. § 40 AO dient damit der Steuergerechtigkeit. Führt ein Verstoß gegen das Gesetz oder gegen die guten Sitten zur Nichtigkeit eines Rechtsgeschäftes (§§ 134 und 138 BGB), ergibt sich die Unerheblichkeit der zivilrechtlichen Unwirksamkeit nicht aus § 40 AO, sondern aus § 41 AO.

Beispiel:

Die Amerikanerin A möchte sich von ihrem deutschen Ehemann E scheiden lassen. In Unkenntnis der Gepflogenheiten vereinbart A mit dem Rechtsreferendar R, der sich in Kürze als Rechtsanwalt niederlassen möchte, ein Erfolgshonorar (sog. quota litis) für die Vertretung vor Gericht. Das Scheidungsverfahren wird durchgeführt, ohne dass R die Zulassung als Rechtsanwalt erwirbt. Vom erstrittenen Zugewinnausgleich zahlt A – vereinbarungsgemäß – 30 % an ihren »Anwalt« R. Welche steuerlichen Auswirkungen ergeben sich bei R?

Lösung:

Ohne Zulassung als Rechtsanwalt hätte R die A nicht vor dem Familiengericht vertreten dürfen (§ 78 Abs. 2 ZPO). Zudem verstößt die Vereinbarung eines Erfolgshonorars gegen die anwaltlichen Standesregeln (Ziffer 3.3.1 der Standesregeln der Rechtsanwälte der Europäischen Gemeinschaft). Trotzdem erzielt R mit seiner tatsächlich durchgeführten, wenn auch unzulässigen Vertretung vor Gericht steuerbare und stpfl. Einkünfte. Die Besteuerung ist ohne Rücksicht darauf durchzuführen, ob die Vereinbarung bürgerlich-rechtlich wirksam ist (§§ 40 f. AO, vgl. BFH vom 15.10.1981, IV R 77/76, BStBl II 1982, 340; BVerfG vom 12.4.1996, DStR 1997, 273). Soweit dem R im Zusammenhang mit seiner Tätigkeit Aufwendungen entstanden sind, mindern diese seinen Gewinn.

2.6. Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO)

2.6.1. Allgemeines

Nach § 42 Abs. 1 Satz 1 AO kann durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ist der Tatbestand der Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift (§ 42 Abs. 1 Satz 2 AO). Anderenfalls entsteht der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.

2.6.2. Rechtsprechung

BFH vom 23.4.2021

Im Urteil vom 23.4.2021 (IX R 8/20, BStBl II 2021, 743) nahm der BFH zu einem privaten Veräußerungsgeschäft nach unentgeltlicher Übertragung Stellung.

Leitsätze

  1. § 23 Abs. 1 Satz 3 EStG ist eine Missbrauchsverhinderungsvorschrift i.S.v. § 42 Abs. 1 Satz 2 AO; damit ist die Annahme eines Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten gem. § 42 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AO für den Fall der Veräußerung nach unentgeltlicher Übertragung grds. ausgeschlossen.

  2. Hat der Stpfl. die Veräußerung eines Grundstücks angebahnt, liegt ein Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten grundsätzlich nicht vor, wenn er das Grundstück unentgeltlich auf seine Kinder überträgt und diese das Grundstück an den Erwerber veräußern; der Veräußerungsgewinn ist dann bei den Kindern nach deren steuerlichen Verhältnissen zu erfassen.

BFH vom 23.11.2022

Mit Urteil vom 23.11.2022 (VI R 50/20) befasste sich der BFH mit dem Kauf und Verkauf von Handys an ArbN.

3. Verhältnis Zivilrecht und die einzelnen Steuerrechtsgebiete

3.1. Rechtsfähigkeit

Es ist zwischen der zivil- und der steuerrechtlichen Rechtsfähigkeit einzelner Rechtssubjekte zu unterscheiden. Wesentlicher Unterschied ist dabei, dass im Zivilrecht natürliche und juristische Personen i.d.R. rechtsfähig sind, während sich die Steuerfähigkeit nach dem einzelnen speziellen Steuergesetz entscheidet. So ist z.B. eine natürliche Person im Zivilrecht rechtsfähig. Im Steuerrecht ist sie im Rahmen der Einkommen- und Umsatzsteuer »steuerfähig«, hingegen nicht bei der Körperschaftsteuer. Auch eine KG ist bspw. nach dem Zivilrecht rechtsfähig. Als solche aber nicht »steuerfähig« im Rahmen der Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer; sehr wohl aber bei der Umsatzsteuer (Unternehmer). Vollrechtsfähige KapGes i.S.d. Zivilrechts (z.B. GmbH) unterfallen der KSt, GewSt und der USt, nicht hingegen der ESt.

3.2. Einkommensteuer

Die grundsätzliche Vermutung der Vorherigkeit des Zivilrechts gilt gerade im ESt-Recht. So sind viele Begriffe – etwa derjenige der Vermietung und Verpachtung (§ 21 EStG) – nach übereinstimmender Meinung i.S.d. BGB (§ 535 BGB) auszulegen (Fallgruppe der Substanzausbeuteverträge).

Besonders in den Bereichen des Unternehmensteuerrechts knüpft das Steuerrecht an zivilrechtliche Begriffe (Gesellschafter, → Personengesellschaften, Gesamthandsgemeinschaft) an. Wichtig ist dabei aber auch, dass das Steuerrecht nicht bei der zivilistischen Begrifflichkeit stehen bleibt, sondern die vorgefundene Terminologie einer eigenständigen steuerlichen Begrifflichkeit (z.B. → Mitunternehmerschaft) unterzieht.

Nichts charakterisiert besser das Verhältnis zwischen Zivilrecht und Steuerrecht als dieses Begriffspaar.

Lediglich im Bilanzrecht weicht das Steuerrecht an einigen Stellen von der zivilrechtlichen Begrifflichkeit ab und gelangt über die wirtschaftliche Betrachtungsweise zu anderen Wertungen.

3.3. Körperschaft-/Umwandlungsteuer

Unabhängig von der steuerrechtlichen Einordnung des KStG und des UmwStG stehen beide Gesetze unter der Dominanz des Zivilrechts.

Dies zeigt sich beim KStG beim zentralen Begriff der Körperschaften (§ 1 KStG) ebenso wie das UmwStG vom UmwG »lebt«. Die ersten fünf Teile des UmwStG (§§ 1–19 UmwStG) hängen ohne die Bezugnahme zum zivilistischen Umwandlungsrecht »in der Luft«.

3.4. Erbschaft-/Schenkungsteuer

Im ErbStG gilt die Abhängigkeit von zivilrechtlichen Begriffen im besonderen Maße für das Erbschaftsteuerrecht, da dies durch das zivilrechtliche Erbrecht (§§ 1922 ff. BGB) vorgeprägt ist. Damit wird gleichzeitig zum Ausdruck gebracht, dass bei der Verwendung von erbrechtlichen Fachausdrücken im ErbStG eine Orientierung an dem jeweiligen Begriffs- und Institutsverständnis des Erbrechts erfolgt (sog. Maßgeblichkeit des BGB).

Dies ist z.B. deutlich an den Besteuerungstatbeständen des »Erwerbs von Todes wegen« nach § 3 ErbStG zu erkennen, der bspw. in § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 ErbStG auf das BGB verweist. Danach ist für den Erwerb durch Erbanfall dessen Definition in § 1922 BGB maßgebend.

Nur dann, wenn das ErbStG eine eigene Terminologie verwendet, darf von dem zivilrechtlichen Vorverständnis abgewichen werden. So wird z.B. der Begriff der Schenkung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG nicht unter Verweis auf § 516 BGB definiert.

3.5. Grunderwerbsteuer

An drei zentralen Stellen begegnen sich GrEStG und BGB:

  1. beim Rechtsträgerwechsel (§ 1 GrEStG),

  2. beim Grundstücksbegriff (§ 2 GrEStG) und

  3. beim Begriff des Rechtsträgers, insb. beim Begriff der Gesamthand (§§ 5 und & GrEStG).

Das GrEStG knüpft damit in erster Linie an formelle Akte des bürgerlichen Rechtsverkehrs an und orientiert sich an den Vorgaben des Zivilrechts. Im Ergebnis besteuert es den Umsatz an Grundstücken (vgl. BFH Urteil vom 5.2.1969, I R 26/99, BStBl II 1969, 400 m.w.N. und BVerfG Beschluss vom 8.1.1999, 1 BvL 14/98, BStBl II 1999, 152).

Das GrEStG besteuert mithin Rechtsvorgänge, mit denen der Übergang von Grundstücken von einem auf einen anderen Rechtsinhaber stattfindet (BFH Urteil vom 1.4.1981, II R 87/78, BStBl II 1981, 488). Das Erfordernis des Rechtsträgerwechsels in Bezug auf das Eigentum am Grundstück ergibt sich bei den Tatbeständen des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 GrEStG und bei den Zwischengeschäften des § 1 Abs. 1 Nr. 5 bis 7 GrEStG bereits aus dem Gesetzeswortlaut selbst (anders wiederum § 1 Abs. 2 GrEStG –wirtschaftliche Verwertungsbefugnis – und § 1 Abs. 2a und Abs. 3 GrEStG – fingierter Rechtsträgerwechsel).

Gegenstand der Grunderwerbsteuer sind dabei die in § 1 GrEStG beschriebenen Rechts- bzw. Erwerbsvorgänge, die sich auf inländische Grundstücke (vgl. § 2 GrEStG) beziehen. Ohne das Vorliegen eines solchen Rechts- bzw. Erwerbsvorgangs wird keine Grunderwerbsteuer erhoben. Entscheidend für die Verwirklichung des Tatbestandes ist allein, ob die steuerbegründenden Merkmale objektiv erfüllt sind.

Rechtsträger i.S.d. GrEStG sind zunächst die natürlichen und juristischen Personen des privaten und öffentlichen Rechts. Darüber hinaus erweitert das GrEStG den Kreis der Rechtsträger um Gesamthandsgemeinschaften.

3.6. Umsatzsteuer

3.6.1. Allgemeines

Die Umsatzsteuer wird wegen ihres Charakters als Verkehrsteuer als streng zivilrechts-akzessorisch bezeichnet. So bestimmt sich z.B. die Umsatzart (Lieferung oder sonstige Leistung) nach dem zugrundeliegenden Verpflichtungsgeschäft (z.B. Kaufvertrag → Lieferung; Mietvertrag → Sonstige Leistung).

Hier gibt es lediglich in Grenzbereichen (z.B. bei der Abgrenzung des echten Schadensersatzes vom unechten Schadensersatz) ein nicht immer deckungsgleiches Begriffsverständnis.

3.6.2. Lieferung

Die Lieferung wird in § 3 Abs. 1 UStG definiert. Danach muss an einem Gegenstand Verfügungsmacht verschafft werden. Gegenstände sind insbes. körperliche Gegenstände, also Sachen i.S.d. nach § 90 BGB und Tiere i.S.d. § 90a BGB. Wie Verfügungsmacht verschafft werden kann, orientiert sich i.d.R. an dem sachenrechtlichen Eigentumsübergang i.S.d. BGB (z.B. durch Einigung und Übergabe nach § 929 Satz 1 BGB).

3.6.3. Vertretung (Agentur)

Im Zivilrecht befinden sich die Vorschriften für Vertretung bzw. Vollmacht in den §§ 164 bis 181 BGB (Buch 1/Allgemeiner Teil). Eine solche Vertretung ist insbes. auch im Umsatzsteuerecht von Relevanz. Fälle der rechtsgeschäftlich vereinbarten Vertretung sind dort insbes. der Handelsvertreter (Agent) und der Kommissionär.

Der Handelsvertreter i.S.d. § 84 HGB ist immer auch Unternehmer i.S.d. § 2 UStG. Er ist als Selbstständiger damit betraut, für einen anderen Unternehmer Geschäfte zu vermitteln oder in dessen Namen abzuschließen.

4. Literaturhinweise

Heuermann, Objektivierung eines subjektiven Tatbestandsmerkmals: Die Einkünftezurechnung bei Vermietung und Verpachtung in der deutschen und österreichischen Rechtsordnung, DStZ 2004, 9; Chibanguza und Schneider, Zivil- und Steuerrecht in der Industrie 4.0, NWB 2017, 2052.

5. Verwandte Lexikonartikel

Vertragsrecht und Steuern, Bedingung und Befristung: steuerliche Folgen

Vertragsrecht, steuerliche Auswirkung zivilrechtlicher Gestaltungen

Einkünfteermittlung bei der Einkommensteuer

Personengesellschaften

 

Redaktioneller Hinweis:© Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft, Steuern, Recht, Stuttgart.

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