Selbstanzeige

Stand: 28. März 2024

Das Wichtigste in Kürze

  • Als Selbstanzeige wird eine nachträgliche Erklärung über verschwiegene oder unrichtige Angaben gegenüber dem Finanzamt verstanden.
  • Unter bestimmten Voraussetzungenkönnen Sie mit einer Selbstanzeige Straffreiheit für eine begangene Steuerhinterziehung erhalten.
  • Unser Tipp: Achten Sie darauf, alle Voraussetzungen der Selbstanzeige einzuhalten und lassen Sie sich im Zweifel beraten. Die Voraussetzungen finden Sie hier.
  • Die Selbstanzeige ist bei der Finanzbehörde einzureichen.

Inhaltsverzeichnis

1 § 371 AO – Sinn und Zweck der Regelung
2 Voraussetzungen der strafbefreienden Selbstanzeige ab 1.1.2015
3 Anforderungen an die Vollständigkeit der Selbstanzeige gem. § 371 Abs. 1 AO
4 Sperrgründe gem. § 371 Abs. 2 AO
4.1 Bekanntgabe der Prüfungsanordnung – § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO
4.2 Bekanntgabe der Einleitung eines Straf-/Bußgeldverfahrens – § 371 Abs. 2 Nr. 1b AO
4.3 Erscheinen eines Amtsträgers – § 371 Abs. 2 Nr. 1c und d AO
4.4 Umsatzsteuer-/Lohsteuernachschau – § 371 Abs. 2 Nr. 1e AO
4.5 Entdeckte Steuerstraftat – § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO
4.6 Steuerverkürzung von mehr als 25 000 € je Tat – § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO
4.6.1 Straffreiheit durch Selbstanzeigezuschlag – § 398a Abs. 1 AO
4.6.2 Berechnung des Selbstanzeigezuschlages – § 398a Abs. 1 und 2 AO
4.7 Schwere Fälle der Steuerhinterziehung – § 371 Abs. 2 Nr. 4 AO
4.8 Selbstanzeige bei Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen – § 371 Abs. 2a AO
5 Straffreiheit bei Zahlung – § 371 Abs. 3 AO
6 Form der Selbstanzeige
7 Behandlung der Selbstanzeigen durch die Buß- und Strafsachenstellen
8 Anlaufhemmung bei nicht erklärten ausländischen Kapitaleinkünften – § 170 Abs. 6 AO
9 Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 9 AO
10 Abgrenzung zur Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO
11 Literaturhinweise
12 Verwandte Lexikonartikel

1. § 371 AO – Sinn und Zweck der Regelung

Das Rechtsinstitut der strafbefreienden Selbstanzeige soll den an einer Steuerhinterziehung Beteiligten einen attraktiven Anreiz zur Berichtigung vormals unzutreffender oder unvollständiger Angaben geben, um eine bislang verborgene und ohne die Berichtigung möglicherweise auch künftig verborgen bleibende Steuerquelle im Interesse des Fiskus und damit im Interesse der Öffentlichkeit zu erschließen.

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Mit dem Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung vom 22.12.2014 (BGBl I 2014, 2415; nachfolgend »AO-Änderungsgesetz«) wurden die Voraussetzungen für die Abgabe einer strafbefreienden Selbstanzeige deutlich verschärft. Dies zeigt sich insbes. in der Verlängerung des Nacherklärungszeitraums auf zehn Jahre gem. § 376 Abs. 1 AO, der deutlichen Erhöhung des Selbstanzeigezuschlags gem. § 398a AO sowie der Erweiterung der Sperrgründe in § 371 Abs. 2 AO.

Das Bundeszentralamt für Steuern hat mit Dienstanweisung vom 29.7.2015 (BStBl I 2015, 584) für die Familienkassen Anweisungen zur Auslegung der Neuregelung der Selbstanzeige gem. §§ 371, 378 Abs. 3 und 398a AO gegeben.

Die Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren vom 14.3.2022 (AStBV St 2022 – BStBl I 2022, 251; mit Wirkung vom 1.5.2022)– sollen der einheitlichen Handhabung des Gesetzes dienen und die reibungslose Zusammenarbeit der zur Verfolgung von Steuerstraftaten und → Steuerordnungswidrigkeiten berufenen Stellen der Finanzbehörden untereinander, mit anderen Stellen der Finanzbehörden sowie mit den Gerichten und Staatsanwaltschaften gewährleisten. Die Anweisungen enthalten eine Zusammenfassung von hierfür maßgeblichen Grundsätzen sowie Hinweise für deren praktische Anwendung und sind in allen Straf- und Bußgeldverfahren anzuwenden, in denen die Finanzbehörde ermittelt oder zur Mitwirkung berufen ist.

Nachfolgend werden die Grundsätze der Selbstanzeige ab 1.1.2015 nach dem AO-Änderungsgesetz dargestellt. Dabei wird auch auf Änderungen der bisherigen Rechtslage hingewiesen.

2. Voraussetzungen der strafbefreienden Selbstanzeige ab 1.1.2015

Nach § 371 AO erlangt ein Tatbeteiligter für sich Straffreiheit, wenn

  • er zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang Angaben berichtigt, ergänzt oder nachholt (§ 371 Abs. 1 AO),

  • eine Sperrwirkung nicht eingetreten ist (§ 371 Abs. 2 AO) und

  • er die hinterzogenen Steuern, die Hinterziehungszinsen nach § 235 AO und die Zinsen nach § 233a AO, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen nach § 235 Abs. 4 AO angerechnet werden, innerhalb der ihm bestimmten angemessenen Frist entrichtet (§ 371 Abs. 3 AO).

3. Anforderungen an die Vollständigkeit der Selbstanzeige gem. § 371 Abs. 1 AO

§ 371 Abs. 1 Satz 2 AO enthält eine Kombination aus strafrechtlicher Verfolgungsfrist und einer festen Frist von zehn Jahren. Für eine wirksame Selbstanzeige ist es hiernach erforderlich, dass vollständige Angaben

  • zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart (Strafrecht),

  • mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre erfolgen.

Mit der Regelung ab 1.1.2015 steigt das Risiko einer unwirksamen Selbstanzeige, da die Vollständigkeit nunmehr für eine Mindestfrist von zehn Kalenderjahren gegeben sein muss. Werden innerhalb dieser Frist nur für einen Besteuerungszeitraum unvollständige Angaben gemacht, ist die Selbstanzeige insgesamt unwirksam und führt nicht zur Straffreiheit. Nach dem BGH-Beschluss vom 25.7.2011 (1 StR 631/10, BGHSt 56, 298-320) gilt dies bei einer zu niedrigen Steuerfestsetzung von mehr als 5 %.

Beispiel 1:

A hat in den Jahren 2003 bis 2013 steuerpflichtige Zinseinkünfte i.H.v. 1800 € jährlich in seinen Einkommensteuererklärungen nicht angegeben. Die Steuerbescheide ergingen erklärungsgemäß jeweils im Folgejahr. A macht für die Jahre 2008 bis 2013 im Dezember 2014 eine Selbstanzeige mit vollständigen Angaben.

Lösung 1:

Bei Selbstanzeigen bis zum 31.12.2014 greifen die Regelungen des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes. Bei dem hier vorliegenden Fall der einfachen Steuerhinterziehung gilt die strafrechtliche Verjährungsfrist von fünf Jahren. Die Selbstanzeige des A wirkt strafbefreiend, da für alle unverjährten Steuerstraftaten vollständige Angaben gemacht wurden.

Beispiel 2:

Wie Beispiel 1. A macht für die Jahre 2008 bis 2013 im Januar 2015 eine Selbstanzeige mit vollständigen Angaben.

Lösung 2:

Bei Selbstanzeigen ab 1.1.2015 greifen die Regelungen des AO-Änderungsgesetzes. Danach gilt ein zehnjähriger Nacherklärungszeitraum. Die Selbstanzeige des A wirkt daher nicht strafbefreiend, da er die Einkünfte der Jahre 2003 bis 2007 nicht nacherklärt und damit gegen das Vollständigkeitsgebot verstoßen hat.

4. Sperrgründe gem. § 371 Abs. 2 AO

Die Selbstanzeige hat keine strafbefreiende Wirkung, wenn sog. Sperrgründe vorliegen.

4.1. Bekanntgabe der Prüfungsanordnung – § 371 Abs. 2 Nr. 1a AO

Straffreiheit tritt nicht ein, wenn bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung dem an der Tat Beteiligten, seinem Vertreter, dem Begünstigten i.S.d. § 370 Abs. 1 AO oder dessen Vertreter eine Prüfungsanordnung nach § 196 AO bekannt gegeben worden ist.

Der Gesetzgeber erreicht durch diese Regelung, dass die Bekanntgabe der Prüfungsanordnung an einen der Genannten einen Sperrgrund auch für die übrigen Täter und Teilnehmer darstellt. Damit steigt das Risiko erheblich, eine gesperrte und damit unwirksame Selbstanzeige abzugeben.

Gleichzeitig ist mit der Regelung in der Nr. 1a am Ende die Möglichkeit einer partiellen Selbstanzeige geschaffen worden. Danach kann für Steuerarten und Steuerjahre, die nicht Gegenstand der Prüfungsanordnung sind, eine wirksame Selbstanzeige abgegeben werden.

Beispiel 3:

Der Buchhalter B hat beim Unternehmer U gefälschte Belege erstellt und damit an der Steuerverkürzung des U mitgewirkt. B geht im Dezember 2018 in Rente. Anfang 2019 erhält U vom FA eine Prüfungsanordnung gem. § 196 AO für die Jahre 2015 bis 2017. Dies teilt U dem B vorsorglich mit. Um Straffreiheit zu erlangen, macht B eine Selbstanzeige beim FA.

Lösung 3:

Durch die Neuregelung der Nr. 1a erstreckt sich die Sperrwirkung auch auf Anstifter und Gehilfen. B kann durch seine Selbstanzeige damit keine Strafbefreiung erlangen.

4.2. Bekanntgabe der Einleitung eines Straf-/Bußgeldverfahrens – § 371 Abs. 2 Nr. 1b AO

Straffreiheit tritt nicht ein, wenn bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung dem an der Tat Beteiligten oder seinem Vertreter die Einleitung des Straf- oder Bußgeldverfahrens bekannt gegeben worden ist.

Durch die Nr. 1b wird sowohl der Täter als auch der Gehilfe oder Anstifter von einer wirksamen Selbstanzeige ausgeschlossen.

Beispiel 4:

Der Buchhalter B hat beim Unternehmer U gefälschte Belege erstellt und damit an der Steuerverkürzung des U mitgewirkt. B geht im Dezember 2018 in Rente. Anfang 2019 wird gegen U vom FA ein Strafverfahren gem. § 397 Abs. 1 AO eröffnet. Dies teilt U dem B vorsorglich mit. Um Straffreiheit zu erlangen, macht B eine Selbstanzeige beim FA.

Lösung 4:

Durch die Nr. 1b erstreckt sich die Sperrwirkung auch auf Anstifter und Gehilfen. B kann durch seine Selbstanzeige damit keine Strafbefreiung mehr erlangen, sobald dem Täter die Einleitung des Straf-/Bußgeldverfahrens bekannt gegeben wurde.

4.3. Erscheinen eines Amtsträgers – § 371 Abs. 2 Nr. 1c und d AO

Straffreiheit tritt nicht ein, wenn bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ein Amtsträger zur steuerlichen Prüfung (beschränkt auf den sachlichen und zeitlichen Umfang der Außenprüfung) oder zur Ermittlung einer Steuerstraftat oder einer Steuerordnungswidrigkeit erschienen ist.

4.4. Umsatzsteuer-/Lohsteuernachschau – § 371 Abs. 2 Nr. 1e AO

Straffreiheit tritt nicht ein, wenn bei einer der zur Selbstanzeige gebrachten unverjährten Steuerstraftaten vor der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ein Amtsträger der Finanzbehörde zu einer Umsatzsteuer-Nachschau nach § 27b UStG, einer Lohnsteuer-Nachschau nach § 42g EStG oder einer Nachschau nach anderen steuerrechtlichen Vorschriften erschienen ist und sich ausgewiesen hat. Bei Beendigung der Nachschau (z.B. Verlassen der Geschäftsräume) ohne Ergebnis entfällt der Sperrgrund. Dadurch lebt die Möglichkeit der strafbefreienden Selbstanzeige wieder auf.

4.5. Entdeckte Steuerstraftat – § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO

Straffreiheit tritt nicht ein, wenn eine der Steuerstraftaten im Zeitpunkt der Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung ganz oder zum Teil bereits entdeckt war und der Täter dies wusste oder bei verständiger Würdigung der Sachlage damit rechnen musste. Die Kenntnis der einschlägigen Medienberichterstattung über den Ankauf einer Steuer-CD schließt die strafbefreiende Wirkung der Selbstanzeige jedenfalls dann aus, wenn auf der CD Daten einer vom Stpfl. eingeschalteten Bank vorhanden sind und hierüber in den Medien berichtet worden ist. Bei dieser Sachlage musste der Stpfl. mit der Entdeckung seiner Straftat i.S.d. § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO rechnen (OLG Schleswig-Holstein Beschluss vom 30.10.2015, 2 Ss 63/15, 71/15; wistra 2016, 119).

4.6. Steuerverkürzung von mehr als 25 000 € je Tat – § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO

Straffreiheit tritt nicht ein, wenn die nach § 370 Abs. 1 AO verkürzte Steuer oder der für sich oder einen anderen erlangte nicht gerechtfertigte Steuervorteil unter Beachtung des Kompensationsverbots einen Betrag von 25 000 € je Tat übersteigt. Dieser Sperrgrund kann unter den Voraussetzungen des § 398a AO wieder beseitigt werden.

4.6.1. Straffreiheit durch Selbstanzeigezuschlag – § 398a Abs. 1 AO

In Fällen, in denen Straffreiheit nur wegen § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO nicht eintritt, wird von der Verfolgung einer Steuerstraftat abgesehen, wenn der an der Tat Beteiligte innerhalb einer ihm bestimmten angemessenen Frist die aus der Tat zu seinen Gunsten hinterzogenen Steuern, die Hinterziehungszinsen nach § 235 und die Zinsen nach § 233a, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen nach § 235 Abs. 4 angerechnet werden, entrichtet und einen Geldbetrag in folgender Höhe zugunsten der Staatskasse zahlt:

  • 10 % der hinterzogenen Steuer, wenn der Hinterziehungsbetrag 100 000 € nicht übersteigt,

  • 15 % der hinterzogenen Steuer, wenn der Hinterziehungsbetrag 100 000 € übersteigt und 1 000 000 € nicht übersteigt,

  • 20 % der hinterzogenen Steuer, wenn der Hinterziehungsbetrag 1 000 000 € übersteigt.

Dadurch wird das Ziel verfolgt, den Steuerhinterzieher finanziell erheblich mehr zu belasten als den ehrlichen Steuerzahler.

Durch die Formulierung »der an der Tat Beteiligte« erreicht der Gesetzgeber, dass neben dem Täter auch Gehilfen und Anstifter unter die Zuschlagsregelung fallen können.

Beispiel 5:

Der Unternehmer U gibt in seiner Steuererklärung für 2018 bewusst einen zu niedrigen Gewinn an. Bei der Veranlagung in 2019 wird dadurch die Steuer um 30 000 € zu niedrig festgesetzt. Der Leiter der Steuerabteilung L hat an der Erstellung der unrichtigen Erklärung bewusst mitgewirkt. Anfang 2020 macht U beim FA eine Selbstanzeige und erklärt den Gewinn in richtiger Höhe. Dies teilt U dem L vorsorglich mit. Um Straffreiheit zu erlangen, macht L ebenfalls eine Selbstanzeige beim FA.

Lösung 5:

U kann bei dem hier vorliegenden Hinterziehungsvolumen von mehr als 25 000 € nur dann Straffreiheit gem. § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO i.V.m. § 398a AO erlangen, wenn er neben den verkürzten Steuern und den Hinterziehungszinsen zusätzlich den Strafzuschlag i.H.v. 10 % der verkürzten Steuer zahlt.

Auch L hat für die Strafbefreiung einen Strafzuschlag zu entrichten, der auf der Grundlage der vollen hinterzogenen Steuer berechnet wird.

4.6.2. Berechnung des Selbstanzeigezuschlages – § 398a Abs. 1 und 2 AO

Gem. § 398a Abs. 2 AO ist für die Bestimmung des Prozentsatzes in § 398a Abs. 1 Nr. 2 AO auf den in § 370 Abs. 4 AO geregelten Hinterziehungsbetrag abzustellen. Daher ist auf die einzelne Tat im strafrechtlichen Sinn und nicht auf die hinterzogene Steuer abzustellen, die im strafrechtlich verfolgbaren Zeitraum hinterzogen wurde. Die Voraussetzungen des § 370 Abs. 4 Sätze 1 und 2 AO sind auch dann erfüllt, wenn die Steuer, auf die sich die Tat bezieht, aus anderen Gründen hätte ermäßigt oder der Steuervorteil aus anderen Gründen hätte beansprucht werden können (§ 370 Abs. 4 Satz 3 AO). Dadurch soll z.B. eine Saldierung von Umsatz- und Vorsteuer ausgeschlossen werden (»Kompensationsverbot«). Vgl. hierzu Beyer, Steuerstrafrechtliches Kompensationsverbot – Ausnahmen und Auswirkungen, NWB 11/2016, 773.

Der so ermittelte Prozentsatz ist auf die tatsächlich nachzuzahlende Steuer anzuwenden. Hierbei darf das Kompensationsverbot nicht angewendet werden.

Beispiel 6:

Der Unternehmer U gibt in 2018 absichtlich keine Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Anfang 2019 macht U beim FA eine Selbstanzeige i.R.d. Umsatzsteuerjahreserklärung für 2018. Die Umsatzsteuer beträgt 900 000 €, die abziehbare Vorsteuer 750 000 €.

Lösung 6:

U kann bei dem hier vorliegenden Hinterziehungsvolumen von mehr als 25 000 € nur dann Straffreiheit gem. § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO i.V.m. § 398a AO erlangen, wenn er neben den verkürzten Steuern und den Hinterziehungszinsen zusätzlich den Strafzuschlag zahlt.

Gem. § 398a Abs. 2 i.V.m. § 370 Abs. 4 AO ist für die Berechnung des Prozentsatzes ein Hinterziehungsbetrag von 900 000 € zu Grunde zu legen (»Kompensationsverbot«). Der Zuschlagssatz beträgt demnach 15 % und ist auf die tatsächlich hinterzogene Steuer von 150 000 € anzuwenden. Daraus ergibt sich ein Selbstanzeigezuschlag von 22 500 €.

4.7. Schwere Fälle der Steuerhinterziehung – § 371 Abs. 2 Nr. 4 AO

Straffreiheit tritt nicht ein, wenn ein in § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 5 AO genannter besonders schwerer Fall vorliegt. Dieser Sperrgrund kann unter den Voraussetzungen des § 398a AO wieder beseitigt werden. Die obigen Ausführungen gelten sinngemäß.

Beispiel 7:

Der Unternehmer U gibt absichtlich eine falsche Einkommensteuererklärung für 2018 in 2019 beim Finanzbeamten F ab. Dieser führt die Veranlagung in 2019 wissentlich mit den falschen Werten durch, ohne selbst daraus einen Vorteil erlangt zu haben. Anfang 2020 macht U beim FA eine Selbstanzeige. Dies teilt U dem F vorsorglich mit. Um Straffreiheit zu erlangen, macht F ebenfalls eine Selbstanzeige beim FA.

Lösung 7:

U kann bei dem hier vorliegenden schweren Fall der Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 AO (»… die Mithilfe eines Amtsträgers ausnutzt, der seine Befugnisse oder seine Stellung missbraucht«) nur dann Straffreiheit gem. § 371 Abs. 2 Nr. 4 AO i.V.m. § 398a AO erlangen, wenn er neben den verkürzten Steuern und den Hinterziehungszinsen zusätzlich den Strafzuschlag zahlt.

F kann bei dem hier vorliegenden schweren Fall der Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 AO (»… seine Befugnisse oder seine Stellung als Amtsträger missbraucht«) nur dann Straffreiheit gem. § 371 Abs. 2 Nr. 4 AO i.V.m. § 398a AO erlangen, wenn er den von der Höhe des von U hinterzogenen Betrages abhängigen Strafzuschlag zahlt. Da F keinen Vorteil aus der Steuerhinterziehung des U gezogen hat, muss er keine Steuern oder Hinterziehungszinsen zahlen.

4.8. Selbstanzeige bei Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen – § 371 Abs. 2a AO

Soweit sich die Steuerhinterziehung auf eine Umsatzsteuervoranmeldung oder Lohnsteueranmeldung bezieht, tritt Straffreiheit abweichend von den Abs. 1 und 2 Satz 1 Nr. 3 bei Selbstanzeigen in dem Umfang ein, in dem der Täter gegenüber der zuständigen Finanzbehörde die unrichtigen Angaben berichtigt, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachholt. Mit der Neuregelung gilt das Vollständigkeitsgebot des § 371 Abs. 1 AO nicht mehr für die genannten Anmeldungen und die Rechtslage vor Ergehen des Schwarzgeldbekämpfungsgesetzes wird wieder hergestellt. Dadurch greift in diesen Fällen auch die Zuschlagsregelung des § 398a AO nicht mehr, falls die Grenze des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 AO i.H.v. 25 000 € überschritten sein sollte.

Auch greift bei den genannten Anmeldungen der Sperrgrund der Tatentdeckung gem. § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO nicht, soweit diese aus der Selbstanzeige für die Anmeldung abgeleitet werden könnte (§ 371 Abs. 2a Satz 2 AO).

Der Sperrgrund des § 371 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AO für besonders schwere Fälle der Steuerhinterziehung und die damit verbundene Zuschlagsregelung des § 398a AO sind bei den genannten Anmeldungen weiterhin anwendbar.

Diese Möglichkeiten der Teilselbstanzeige gelten gem. § 371 Abs. 2a Sätze 3 und 4 AO nicht für Steueranmeldungen, die sich auf das Kalenderjahr beziehen. Hier gilt weiterhin das Vollständigkeitsgebot des § 371 Abs. 1 AO. Für die Vollständigkeit der Selbstanzeige hinsichtlich einer auf das Kalenderjahr bezogenen Steueranmeldung ist die Berichtigung, Ergänzung oder Nachholung der Voranmeldungen, die dem Kalenderjahr nachfolgende Zeiträume betreffen, nicht erforderlich (§ 371 Abs. 2a Satz 4 AO).

Beispiel 8:

Der Unternehmer U gibt für die Monate Januar bis März 2018 bewusst falsche Umsatzsteuervoranmeldungen ab. Im Juni 2018 macht U beim FA eine Selbstanzeige mit korrigierten Voranmeldungen, die aber immer noch Fehler enthalten. Im August 2018 reicht U dann vollständig richtige Anmeldungen ein.

Lösung 8:

Das Vollständigkeitsgebot gem. § 371 Abs. 1 AO greift nicht mehr bei Umsatzsteuervoranmeldungen ab 1.1.2015. Die korrigierten Voranmeldungen vom Juni 2018 gelten als wirksame Teilselbstanzeige. Durch die Abgabe der richtigen Anmeldungen im August 2018 erlangt U vollständige Strafbefreiung.

5. Straffreiheit bei Zahlung – § 371 Abs. 3 AO

Nach § 371 AO erlangt ein Tatbeteiligter für sich Straffreiheit, wenn er zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang Angaben berichtigt, ergänzt oder nachholt (§ 371 Abs. 1 AO), eine Sperrwirkung nicht eingetreten ist (§ 371 Abs. 2 AO) und er die hinterzogenen Steuern, die Hinterziehungszinsen nach § 235 AO und die Zinsen nach § 233a AO, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen nach § 235 Abs. 4 AO angerechnet werden, innerhalb der ihm bestimmten angemessenen Frist entrichtet. Die Nachzahlungspflicht bezieht sich auf die Tat i.S.d. § 370 AO. In zeitlicher Hinsicht beschränkt sie sich daher auf die strafrechtlich verfolgbaren Zeiträume von fünf bzw. zehn Jahren (§ 78 StGB, § 376 AO). Die in § 371 Abs. 1 AO genannte Frist von zehn Jahren spielt hierbei keine Rolle.

Beispiel 9:

A hat in den Jahren 2008 bis 2018 steuerpflichtige Zinseinkünfte i.H.v. 1 800 € jährlich in seinen Einkommensteuererklärungen nicht angegeben. Die Steuerbescheide ergingen erklärungsgemäß jeweils im Folgejahr. A macht für die Jahre 2008 bis 2018 im Januar 2020 eine Selbstanzeige mit vollständigen Angaben. Das FA berechnet neben der nachzuzahlenden Einkommensteuer Zinsen gem. § 233a AO und Hinterziehungszinsen gem. § 235 AO. A zahlt innerhalb der ihm gesetzten Frist die Einkommensteuer 2008 bis 2018 und die damit zusammenhängenden Zinsen nach § 233a AO. Er versäumt es jedoch, die Hinterziehungszinsen rechtzeitig zu zahlen.

Lösung 9:

Ein Einspruch gegen die Hinterziehungszinsen bzw. deren Nichtzahlung hat Auswirkung auf die Wirksamkeit der Selbstanzeige gem. § 371 AO.

A kann keine Straffreiheit erlangen, da er es versäumt hat, die Hinterziehungszinsen innerhalb der bestimmten Frist zu entrichten (§ 371 Abs. 3 AO).

Für Umsatzsteuervoranmeldungen und Lohnsteueranmeldungen gilt gem. § 371 Abs. 3 Satz 2 AO, dass Straffreiheit nicht von der Nachzahlung der Zinsen abhängig ist.

6. Form der Selbstanzeige

Die Selbstanzeige ist an keine bestimmte Form gebunden. Es genügt ein einfacher Brief oder eine persönliche Vorsprache beim FA. Aus Beweisgründen empfiehlt sich aber die schriftliche Abfassung der Selbstanzeige. Es genügt jedoch nicht nur die bloße Anzeige, sondern die AO verlangt, dass unrichtige Angaben berichtigt, unvollständige Angaben ergänzt und unterlassene Angaben nachgeholt werden (§ 371 Abs. 1 AO).

Damit eine Selbstanzeige tatsächlich strafbefreiend wirkt, müssen grundsätzlich folgende Kriterien erfüllt sein:

  • Alle Angaben zur betroffenen Person müssen korrekt sein.

  • Die bisher nicht versteuerten Einnahmen müssen vollständig erklärt werden.

  • Die Art der Einnahmen (z.B. »ausländische Kapitaleinkünfte«) muss angegeben werden.

  • Aus der Selbstanzeige muss sich ergeben, wann (nach Jahren gegliedert) die Einkünfte erzielt wurden.

Mit Pressemitteilung vom 25.5.2010 (LEXinform 0435291) weist die OFD Koblenz darauf hin, dass es für eine Strafbefreiung nicht ausreichend ist, dem FA einfach zusammengestellte Belege und Ordner zur Auswertung zu übergeben. Der Straftäter der Steuerhinterziehung sei hier in einer Bringschuld. Die Unterlagen müssten daher so aufbereitet sein, dass dem FA ohne größere eigene Ermittlungen die Veranlagung möglich ist. Mit Sorge betrachteten Steuerfahnder die Entwicklung in den Selbstanzeigefällen, die derzeit aufgrund von angekauften Daten-CDs bei den Finanzämtern eingingen. Gerade bei den Kapitalanlagen würden Berater zunehmend den Aufwand einer ausführlichen Aufarbeitung der Bankbelege scheuen und einfach alle Unterlagen gesammelt einreichen, um die Selbstanzeige ihrer Mandanten zu belegen. Die Selbstanzeige eines Täters müsse zwar nicht unbedingt zusammen mit einem ausgefüllten amtlichen Steuerformular abgegeben werden. Aber sie müsste alle steuererheblichen Daten so detailliert und aufgearbeitet darstellen, dass keine umfangreichen Nacharbeiten notwendig sind. Angesichts der Vielzahl von Verfahren könnten die Steuerfahnder es nicht leisten, dem Steuerhinterzieher die ihm obliegende Ermittlungsarbeit abzunehmen. Aus »Fairnessgründen« würden die betroffenen Stpfl., deren Selbstanzeige nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechen würde, auf die ungenügende Aufarbeitung der Unterlagen hinweisen. Würde dann nicht nachgebessert, müssten die Finanzämter jedoch von einer unwirksamen Selbstanzeige ausgehen. Und dies hätte für die Betroffenen den Wegfall der strafbefreienden Wirkung zur Folge.

Wurden Einkünfte aus Kapitalvermögen hinterzogen und ist das im Ausland angelegte Kapital aus nicht versteuerten Einnahmen (»Schwarzeinnahmen«) finanziert, so muss die Selbstanzeige zusätzlich alle Angaben zu den bisher nicht versteuerten Einkünften aus der Tätigkeit enthalten, der diese nicht versteuerten Einnahmen zugrunde liegen.

7. Behandlung der Selbstanzeigen durch die Buß- und Strafsachenstellen

Die Anweisungen für das Straf- und Bußgeldverfahren (Steuer) vom 14.3.2022 (AStBV St 2022 – BStBl I 2022, 251; mit Wirkung vom 1.5.2022sollen der einheitlichen Handhabung des Gesetzes dienen und die reibungslose Zusammenarbeit der zur Verfolgung von → Steuerstraftaten und Steuerordnungswidrigkeiten berufenen Stellen der Finanzbehörden untereinander, mit anderen Stellen der Finanzbehörden sowie mit den Gerichten und Staatsanwaltschaften gewährleisten. Die Anweisungen enthalten eine Zusammenfassung von hierfür maßgeblichen Grundsätzen sowie Hinweise für deren praktische Anwendung und sind in allen Straf- und Bußgeldverfahren anzuwenden, in denen die Finanzbehörde ermittelt oder zur Mitwirkung berufen ist.

In Teil 2 Nr. 11 der AStBV (St 2022) wird erläutert, wie Selbstanzeigen bei Eingang zu behandeln sind: »Nach dem Legalitätsprinzip ist die BuStra grundsätzlich berechtigt und verpflichtet, nach Eingang einer Selbstanzeige ein Strafverfahren zur Prüfung der Straffreiheit gemäß § 371 Abs. 1 und 3 AO einzuleiten (BFH Urteil vom 29.4.2008, BStBl II 2008, 844). Von der Einleitung eines Strafverfahrens ist nur dann abzusehen, wenn in der Selbstanzeige die Angaben erkennbar richtig und vollständig gemacht wurden, die nachzuzahlenden Steuern sowie die Hinterziehungszinsen nach § 235 AO und die Zinsen nach § 233a AO, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen nach § 235 Abs. 4 AO angerechnet werden, in voller Höhe entrichtet wurden und keine Ausschlussgründe nach § 371 Abs. 2 Satz 1 AO vorliegen. Im Bereich einer vorsätzlichen Steuerhinterziehung ist eine Selbstanzeige vollständig, wenn zu allen unverjährten Steuerstraftaten (§ 369 Abs. 1 Nummer 1 AO) einer Steuerart, mindestens aber zu allen Steuerstraftaten einer Steuerart innerhalb der letzten zehn Kalenderjahre Angaben erfolgen (§ 371 Abs. 1 AO). Die zehn Kalenderjahre sind diejenigen, die dem Jahr des Eingangs der Selbstanzeige vorangehen. Nach dem Vollständigkeitsgebot müssen zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart in vollem Umfang die unrichtigen Angaben berichtigt werden, die unvollständigen Angaben ergänzt oder die unterlassenen Angaben nachgeholt werden, sodass auch die Steuerstraftaten, die im Kalenderjahr der Abgabe der Selbstanzeige begangen wurden, mit erklärt werden müssen, damit von einer wirksamen Selbstanzeige ausgegangen werden kann. Anknüpfungspunkt für den strafrechtlich noch nicht verjährten Zeitraum ist die materielle Tat, die durch Steuerart und Besteuerungszeitraum bestimmt wird. Bei Abgabe einer unrichtigen oder unvollständigen Erklärung ist für die Berechnung des Berichtigungszeitraums auf den Abgabezeitpunkt der Erklärung abzustellen. Bei Unterlassungsdelikten ist auf die Tatvollendung abzustellen.

Hängt die Straffreiheit von der Nachentrichtung der Steuer, der Hinterziehungszinsen nach § 235 AO und der Zinsen nach § 233a AO, soweit sie auf die Hinterziehungszinsen nach § 235 Abs. 4 AO angerechnet werden, ab, veranlasst die BuStra, dass dafür eine angemessene Frist gesetzt und dabei auf die Bedeutung der Einhaltung der Frist hingewiesen wird. Hängt die Bußgeldfreiheit von der Nachentrichtung der Steuer ab, so verfährt die BuStra entsprechend. Fristverlängerung, Stundung, Vollstreckungsaufschub sowie Erlass dürfen nur im Benehmen mit der BuStra gewährt werden.

Eine Nachschau hindert die Abgabe einer wirksamen Selbstanzeige gemäß § 371 Abs. 2 Nummer 1e AO beschränkt auf ihren sachlichen und zeitlichen Umfang und unabhängig vom Ort der Nachschau. Inaugenscheinnahmen und Liquiditätsprüfungen sind keine Nachschauen im Sinne der steuerrechtlichen Vorschriften.«

8. Anlaufhemmung bei nicht erklärten ausländischen Kapitaleinkünften – § 170 Abs. 6 AO

Für die Steuer, die auf Kapitalerträge entfällt, die aus Staaten oder Territorien stammen, die nicht Mitglieder der Europäischen Union oder der Europäischen Freihandelsassoziation sind, und nicht nach Verträgen i.S.d. § 2 Abs. 1 AO oder hierauf beruhenden Vereinbarungen automatisch mitgeteilt werden, beginnt die Festsetzungsfrist frühestens mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem diese Kapitalerträge der Finanzbehörde durch Erklärung des Steuerpflichtigen oder in sonstiger Weise bekannt geworden sind, spätestens jedoch zehn Jahre nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Die steuerliche Festsetzungsfrist wird in diesen Fällen auf bis zu 20 Jahre ausgedehnt.

9. Ablaufhemmung gem. § 171 Abs. 9 AO

Erstattet der Stpfl. vor Ablauf der Festsetzungsfrist eine Anzeige nach § 153 AO (→ Anzeige- und Berichtigungspflicht gem. § 153 AO) oder eine Selbstanzeige (§§ 371, 378 Abs. 3 AO), endet die Festsetzungsfrist (→ Festsetzungsverjährung) nicht vor Ablauf eines Jahres nach Eingang der Anzeige (§ 171 Abs. 9 AO). Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO beginnt, wenn die angezeigte Steuerverkürzung dem Grunde nach individualisiert werden kann, der Steuerpflichtige also Steuerart und Veranlagungszeitraum benennt und den Sachverhalt so schildert, dass der Gegenstand der Selbstanzeige erkennbar wird (BFH Urteil vom 21.4.2010, BStBl II 2010, 771). Ergeht der Einkommensteuerbescheid innerhalb der Frist des § 171 Abs. 9 AO, kann das Finanzamt einen Gewerbesteuermessbescheid, soweit § 35 GewStG greift, auch nach Ablauf der Frist des § 171 Abs. 9 AO ändern. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 9 AO schließt den Eintritt der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO nicht generell aus, wenn die Ermittlungen der Steuerfahndung vor dem Ablauf der ungehemmten Festsetzungsfrist beginnen und die Steuerfestsetzung auf den Ermittlungen der Steuerfahndung beruht (vgl. BFH Urteil vom 17.11.2015, VIII R 68/13, BStBl II 2016, 571; bestätigend BFH Urteil vom 3.7.2018, VIII R 9/16, BStBl II 2019, 122).

10. Abgrenzung zur Anzeige- und Berichtigungspflicht nach § 153 AO

Sowohl im Fall einer Anzeige und Berichtigung nach § 153 Abs. 1 AO als auch im Fall einer Selbstanzeige muss die Erklärung im Zeitpunkt ihrer Abgabe objektiv unrichtig gewesen sein. Objektiv unrichtig ist die Erklärung, wenn sie entgegen § 90 Abs. 1 Satz 2, § 150 Abs. 2 Satz 1 AO nicht alle steuerlich erheblichen Tatsachen vollständig und wahrheitsgemäß offenlegt (vgl. AEAO zu § 153 Nr. 2).

Die → Anzeige und Berichtigungspflicht gem. § 153 AO besteht, wenn der Steuerpflichtige ohne Vorsatz und Leichtfertigkeit eine unrichtige Erklärung abgegeben hat. Sie besteht nicht bei einer von vornherein bewusst und gewollt unrichtigen oder unvollständigen Steuererklärung (→ Steuerhinterziehung), da § 153 AO den Stpfl. (→ Steuerpflichtiger) nicht zur Selbstbezichtigung oder Selbstanzeige i.S.d. § 371 AO zwingt.

Wird die Finanzbehörde pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis gelassen und werden dadurch Steuern verkürzt oder andere nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt, ist die Steuerhinterziehung durch Unterlassung nach § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO erfüllt. Die Anwendung des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO setzt nach der Rspr. des BGH voraus, dass der Stpfl. dem FA steuerlich erhebliche Tatsachen vorenthält (BGH vom 20.5.1981, BGHSt 30, 122, 124).

Hat das FA die erforderlichen Informationen durch die Steuererklärung erhalten und erfasst bei der Durchführung der Veranlagung irrtümlich unzutreffende Einkünfte und setzt dadurch die Steuern zu niedrig fest, scheidet die Annahme einer Steuerhinterziehung durch Unterlassen aus, weil der Stpfl. nicht verpflichtet ist, Fehler des FA richtigzustellen (BFH vom 4.12.2012, VIII R 50/10, BStBl II 2014, 222).

Auch die Übernahme eines durch einen Eingabefehler des Bediensteten des FA unzutreffend festgestellten Verlustvortrages in den folgenden Veranlagungszeiträumen stellt nach Auffassung des BFH keine unrichtige oder unvollständige Angabe i.S.d. § 153 AO (→ Anzeige- und Berichtigungspflicht gem. § 153 AO) dar.

Ein Fehler, der dem Anzeige- und Berichtigungspflichtigen i.S.d. § 153 AO unterlaufen ist, ist straf- bzw. bußgeldrechtlich nur vorwerfbar, wenn er vorsätzlich bzw. leichtfertig begangen wurde (vgl. AEAO zu § 153 Nr. 2.5). Es gelten die allgemeinen Regelungen des Straf- bzw. Ordnungswidrigkeitenrechts (§ 369 Abs. 2, § 377 Abs. 2 AO). Es ist zwischen einem bloßen Fehler und einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit (§§ 370, 378 AO) zu differenzieren. Nicht jede objektive Unrichtigkeit legt den Verdacht einer Steuerstraftat oder Steuerordnungswidrigkeit nahe. Es bedarf einer sorgfältigen Prüfung durch die zuständige Finanzbehörde, ob der Anfangsverdacht einer vorsätzlichen oder leichtfertigen Steuerverkürzung gegeben ist. Insbes. kann nicht automatisch vom Vorliegen eines Anfangsverdachts allein aufgrund der Höhe der steuerlichen Auswirkung der Unrichtigkeit der abgegebenen Erklärung oder aufgrund der Anzahl der abgegebenen Berichtigungen ausgegangen werden.

Ein straf- oder bußgeldrechtlich vorwerfbares Verhalten kann auch dann vorliegen, wenn die Unrichtigkeit oder Unvollständigkeit der abgegebenen Erklärung erkannt, aber keine (ggf. auch erneute) Berichtigung entsprechend der Verpflichtung aus § 153 AO vorgenommen wurde. In diesem Fall liegt eine Unterlassungstat vor. Wird die in § 153 AO vorgesehene Anzeige rechtzeitig und ordnungsgemäß (freiwillig) erstattet, so wird ein Dritter, der die in § 153 AO bezeichneten Erklärungen abzugeben unterlassen oder unrichtig oder unvollständig abgegeben hat, strafrechtlich nicht verfolgt, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter vorher die Einleitung eines Straf- oder Bußgeldverfahrens wegen der Tat bekannt gegeben worden ist (§ 371 Abs. 4 AO).

Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 153 AO muss der Stpfl. dem FA unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern i.S.d. § 121 BGB, die Berichtigungspflicht anzeigen (vgl. AEAO zu § 153 Nr. 5). Hierbei gilt i.d.R. eine zweiwöchige Frist. Zusätzlich muss der Stpfl. die Berichtigung vornehmen. Hierfür sieht das Gesetz keine Frist vor.

11. Literaturhinweise

Bangert und Schwarz, Die Anzeige- und Berichtigungserklärung nach § 153 AO, NWB 42/2015, 3088; Beyer, Erste bundesweite Verwaltungsanweisung zur Neuregelung der Selbstanzeige zum 1.1.2015, NWB 41/2015, 3007; Haase, Selbstanzeigen im Zusammenhang mit Unternehmenssachverhalten, NWB 41/15, 2015, Götzenberger, Auslandsvermögen legalisieren, 2. Auflage, Herne 2015; Bilsdorfer, Fallstudie zur strafbefreienden Selbstanzeige nach § 371 AO, Steuer und Studium 2/2015, 105; Seer, Das Delikt der Steuerhinterziehung im Kernbereich des Steuerstrafrechts, Steuer und Studium 1/2016, 35; Beyer, Steuerstrafrechtliches Kompensationsverbot – Ausnahmen und Auswirkungen, NWB 11/2016, 773; Beyer, Strafrechtliche Risiken durch falsch geschätzte USt-Voranmeldungen, NWB 2018, 585; Beyer, Macht ein Einspruch gegen Hinterziehungszinsen bei einer Nacherklärung Sinn?, NWB 21/2019, 1532.

12. Verwandte Lexikonartikel

Anzeige- und Berichtigungspflicht gem. § 153 AO

Festsetzungsverjährung

Schwarzarbeit

Steuererklärung

Steuerfahndung

Steuerhinterziehung

Steuerordnungswidrigkeiten

Steuerpflichtiger

Steuerschuldverhältnis

Steuerstraftaten

 

Redaktioneller Hinweis:© Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft, Steuern, Recht, Stuttgart.

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