1 Definition der Inventur
2 Durchführung der Inventur
3 Zeitnahe Inventur
4 Inventurerleichterungen
4.1 Festwert
4.2 Gruppenbewertung
4.3 Verbrauchsfolgeverfahren
4.4 Permanente Inventuren
4.5 Zeitverschobene Inventuren
4.6 Buchmäßige Bestandsaufnahmen für Anlagevermögen
5 Fehlende Bestandsaufnahme
6 Literaturhinweise
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Inventur bedeutet die mengenmäßige Bestandsaufnahme (→ Bewertung von Wirtschaftsgütern) aller aktiven und aller passiven WG des Betriebsvermögens. Das Ergebnis wird im → Inventar (mengen- und wertmäßiges Bestandsverzeichnis) festgehalten und zu einem Jahresabschluss zusammengefasst.
Bei der Inventur müssen nach § 240 Abs. 1 HGB alle Vermögensgegenstände, die dem Betrieb dienen, genau aufgezeichnet und im Einzelnen bewertet werden. Die Erfassung hat durch körperliche Bestandsaufnahme zu erfolgen, also durch Messen, Zählen, Wiegen. Wo eine körperliche Bestandsaufnahme tatsächlich nicht möglich ist, wie z.B. bei Forderungen oder Schulden, muss die Erfassung auf andere Art und Weise sichergestellt werden. Das geschieht beispielsweise durch Kontoauszüge bei den Bankguthaben.
Nach § 240 Abs. 2, § 242 Abs. 1 und 2 HGB haben Kaufleute für den Schluss eines jeden Geschäftsjahrs ein Inventar, eine Bilanz und eine Gewinn- und Verlustrechnung aufzustellen. Das Inventar, in dem die einzelnen Vermögensgegenstände nach Art, Menge und unter Angabe ihres Werts genau zu verzeichnen sind, ist auf Grund einer körperlichen Bestandsaufnahme (Inventur) zu erstellen (H 5.3 [Inventur] EStH). Das Urteil des KG Berlin vom 20.12.2005 (13 U 26/05, KGR Berlin 2006, 237) enthält hierzu folgende Aussagen: Die Anforderungen, die an einen Jahresabschluss für den Betrieb des Klägers zu stellen sind, ergeben sich aus den Vorschriften über die Führung von Handelsbüchern nach§§ 238 ff. HGB. Gem. § 242 Abs. 3 HGB bilden die Bilanz und die Gewinn- und Verlustrechnung den Jahresabschluss, der nach § 243 Abs. 1 HGB nach den Grundsätzen einer ordnungsgemäßen Buchführung zu erstellen ist. Entsprechend kodifiziert § 140 AO die steuerrechtliche Verpflichtung zur Buchführung und zum Jahresabschluss für den, der dies auf Grund anderer Gesetze zu tun hat. Nach § 5 Abs. 1 EStG ist das in der sog. Handelsbilanz festgestellte Betriebsvermögen auch für die zur Ermittlung des steuerlichen Gewinns zu erstellende Steuerbilanz maßgebend. Gem. § 246 HGB hat der Jahresabschluss grundsätzlich sämtliche Vermögensgegenstände, Schulden, Rechnungsabgrenzungsposten, Aufwendungen und Erträge zu enthalten. In der Bilanz sind u.a. das Anlage- und das Umlaufvermögen auszuweisen, wobei zu Letzterem Vorräte, Forderungen, Wertpapiere, Schecks, Kassenbestand, Guthaben gehören. Zu den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung i.S.d. § 243 Abs. 1 HGB gehört auch die Aufstellung eines Inventars i.S.d. §§ 240, 242 HGB, wobei die Inventur des sog. Umlauf- bzw. Vorratsvermögens – um solches handelt es sich bei den Immobilien des Klägers, denn er handelt damit – im Wege körperlicher Bestandsaufnahme erfolgt. Diese hat entweder nach § 240 HGB zum Bilanzstichtag oder im Rahmen des Inventurvereinfachungsverfahrens nach § 241 Abs. 2 HGB im Verlaufe des Geschäftsjahres zu erfolgen, denn auch bei der sog. permanenten Inventur i.S.d. § 241 Abs. 2 HGB ist eine jährliche und körperliche Aufnahme des Vorratsvermögens erforderlich, jedenfalls unter Anwendung des § 241 Abs. 1 HGB als Stichprobeninventur. Das erforderliche Inventar muss so beschaffen sein, dass die Vermögensgegenstände artikelgenau nach Art, Menge und Wert verzeichnet sind. Zum Vorratsvermögen gehörende Grundstücke sind also konkret zu bezeichnen, dies schon deshalb, weil anderenfalls die nach §§ 252 ff. HGB in der Bilanz vorzunehmende Bewertung gar nicht erfolgen kann.
Nach § 240 Abs. 2 HGB besteht die Verpflichtung, für jeden Bilanzstichtag auch ein Verzeichnis der Gegenstände des beweglichen Anlagevermögens aufzustellen (Bestandsverzeichnis, R 5.4 Abs. 1 EStR). In das Bestandsverzeichnis müssen sämtliche beweglichen Gegenstände des Anlagevermögens, auch wenn sie bereits in voller Höhe abgeschrieben sind, aufgenommen werden. Ausnahmen gelten für geringwertige WG (§ 6 Abs. 2 EStG; → Geringwertige Wirtschaftsgüter), für WG, die in einem Sammelposten erfasst werden (§ 6 Abs. 2a EStG) und für die mit einem → Festwert angesetzten WG. Das Bestandsverzeichnis muss
die genaue Bezeichnung des Gegenstandes und
seinen Bilanzwert am Bilanzstichtag
enthalten. Das Bestandsverzeichnis ist auf Grund einer jährlichen körperlichen Bestandsaufnahme aufzustellen.
Bei Gegenständen des beweglichen Anlagevermögens, für die zulässigerweise ein Festwert angesetzt wird, ist im Regelfall an jedem dritten, spätestens aber an jedem fünften Bilanzstichtag eine körperliche Bestandsaufnahme vorzunehmen (R 5.4 Abs. 3 EStR).
Die Inventur hat zeitnah zu erfolgen, am besten am Inventurstichtag (Betriebsbeginn, Bilanzstichtag). Nach R 5.3 Abs. 1 EStR bedeutet zeitnah in der Regel eine Frist von zehn Tagen vor oder nach dem Bilanzstichtag.
Das HGB und die EStR sehen bestimmte Inventurerleichterungen vor.
Vgl. dazu → Festwert.
Handelsrechtlich ist die Gruppenbewertung nach § 256 Satz 2 i.V.m. § 240 Abs. 4 HGB außer beim Vorratsvermögen auch für gleichartige oder annähernd gleichwertige bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens zulässig. Steuerrechtlich ist die Gruppenbewertung neben dem Vorratsvermögen (R 6.8 Abs. 4 EStR) auch auf Wirtschaftsgüter des beweglichen Anlagevermögens anzuwenden (R 5.4 Abs. 2 Satz 3 EStR). Siehe dazu → Bewertung von Wirtschaftsgütern.
Für vertretbare WG des Vorratsvermögens kann die Durchschnittsbewertung angewandt werden, wenn die Anschaffungskosten wegen Schwankungen der Einkaufspreise im Laufe des Wirtschaftsjahres und wegen Vermischung dieser Wirtschaftsgüter bei der Lagerhaltung im Einzelnen nicht mehr einwandfrei festgestellt werden können und deshalb ein Mittelwert errechnet werden muss (R 6.8 Abs. 3 EStR).
Beispiel 1:
Einheiten |
Einzelpreis |
Gesamtpreis |
|
Anfangsbestand |
500 |
20 € |
10 000 € |
Zugang |
100 |
21 € |
2 100 € |
Zugang |
400 |
22 € |
8 800 € |
Zugang |
500 |
23 € |
11 500 € |
Abgang |
900 |
22 € |
|
Endbestand |
600 |
Summe = 32 400 € |
Lösung 1:
Der einfache gewogene Durchschnittspreis beträgt 32 400 € : 1 500 Einheiten = 21,60 €/Einheit. Der Endbestand der 600 Einheiten ist im Inventar mit 12 960 € zu erfassen.
Für gleichartige Vermögensgegenstände des Vorratsvermögens können gem. § 256 HGB → Anschaffungskosten oder → Herstellungskosten nach Maßgabe einer unterstellten Verbrauchs- oder Veräußerungsfolge ermittelt werden, sofern dies den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entspricht. Nach § 256 Satz 1 HGB sind nur das Fifo- (»first in – first out«) und das Lifo-Verfahren (»last in – first out«) zulässig. Bei dem Fifo-Verfahren wird davon ausgegangen, dass die jeweils ältesten Bestände zuerst verbraucht bzw. veräußert werden. Der Jahresendbestand umfasst folglich die zeitlich letzten Zugänge und wird dementsprechend mit aktuellen Preisen angesetzt. Bei dem Lifo-Verfahren wird davon ausgegangen, dass die jeweils zuletzt erfolgten Zugänge zuerst wieder verbraucht bzw. veräußert werden. Der Jahresendbestand umfasst bei dieser Methode die zeitlich gesehen ältesten Preise und führt bei steigenden Preisen zu stille Reserven.
Steuerlich ist neben der Durchschnittsbewertung gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2a EStG weiterhin nur das Lifo-Verfahren zulässig (R 6.9 EStR). Das Lifo-Verfahren ist nur möglich, wenn es nicht völlig unvereinbar mit den betrieblichen Geschehensabläufen ist (vgl. R 6.9 Abs. 2 EStR). Es ist nicht anwendbar bei leicht verderblichen Waren, Saisonbetrieben ohne Vorräte aus dem Vorjahr und bei Vorräten mit hohen AK (z.B. Pkw eines Kfz-Händlers), die ohne weiteres identifizierbar und zuordenbar sind (vgl. H 6.9 [Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung] EStH. Näheres zur Lifo-Methode s. BMF-Schreiben vom 12.5.2015 (BStBl I 2015, 462).
Beispiel 2:
Ein Baustoffhändler hat im Laufe des Wirtschaftsjahres gleichartige Massengüter (z.B. Kies, Sand, Steine) erworben. Er kann nicht feststellen, aus welcher Lieferung die zum Bilanzstichtag noch vorhandenen Mengen stammen.
Anfangsbestand 1.1.01 |
100 t; AK = 800 €/t |
80 000 € |
Zugang 1.2.01 |
100 t; AK = 700 €/t |
70 000 € |
Zugang 1.7.01 |
200 t; AK = 850 €/t |
170 000 € |
Zugang 1.12.01 |
100 t; AK = 900 €/t |
90 000 € |
Summe |
500 t |
410 000 € |
Endbestand |
150 t |
Lösung 2:
Bei Massengütern ist eine Einzelbewertung sehr oft wegen Vermischung nicht möglich. Daher erfolgt eine Durchschnittsbewertung. Handelsrechtlich ist dies nach § 240 Abs. 4 HGB als Inventurerleichterung und nach § 256 Satz 2 HGB für den Jahresabschluss möglich.
Der Endbestand kann im Rahmen der Gruppenbewertung mit dem gewogenen Durchschnittswert angesetzt werden.
Ermittlung des gewogenen Periodendurchschnittswerts:
410 000 €/500 t = 820 €/t × 150 t = 123 000 €
Die Ermittlung des Endbestands kann aber auch nach dem Lifo-Verfahren (steuerrechtlich zulässig nach § 6 Abs. 1 Nr. 2a EStG) erfolgen:
Der Endbestand besteht aus den zuerst eingegangenen Zugängen.
Anfangsbestand 1.1.01 |
100 t; AK = 800 €/t |
80 000 € |
Zugang 1.2.01 |
50 t; AK = 700 €/t |
35 000 € |
Endbestand |
150 t |
115 000 € |
Bei steigenden Einkaufspreisen (Inflation) ist die Lifo-Methode der Durchschnittsbewertung vorzuziehen, wenn ein möglichst niedriger Gewinn gewünscht wird. Die Bewertung des Endbestands ist dann zulässigerweise niedriger. Bei fallenden Einkaufspreisen führt eine Bewertung nach der Lifo-Methode zu einem zu hohen Ausweis; ggf. ist eine TW-Abschreibung vorzunehmen.
Das Fifo-Verfahren (nur handelsrechtlich zulässig) führt zu folgendem Ergebnis:
Der Endbestand besteht aus den zuletzt eingegangenen Zugängen.
Zugang 1.12.01 |
100 t; AK = 900 €/t |
90 000 € |
Zugang 1.7.01 |
50 t; AK = 850 €/t |
42 500 € |
Endbestand |
150 t |
132 500 € |
Ausnahmsweise kann das FiFo-Verfahren auch steuerrechtlich anwendbar sein, wenn es den tatsächlichen betrieblichen Geschehensabläufen entspricht (z.B. Silos, die von oben befüllt und nach unten entleert werden). Für einen Kaufmann ist das Fifo-Verfahren bei steigenden Preisen interessant, wenn er handelsrechtlich höhere Bilanzwerte/-gewinne ausweisen möchte. Bei Anwendung des Fifo-Verfahrens in der HB ist in der StB entweder mit dem gewogenen Durchschnittswert oder nach der Lifo-Methode (sofern sie nicht den tatsächlichen Betriebsabläufen widerspricht) zu bewerten.
Sind jederzeit die Art und Menge der Bestände aus der Buchführung ersichtlich, ist nach § 241 Abs. 2 HGB eine körperliche Bestandsaufnahme zum Bilanzstichtag entbehrlich. Sie wird durch eine buchmäßige Bestandsaufnahme ersetzt. Allerdings kann auf die körperliche Bestandsaufnahme nicht völlig verzichtet werden. Sie ist im folgenden Geschäftsjahr nachzuholen (H 5.3 [Permanente Inventur] EStH).
Nach § 241 Abs. 3 HGB kann der Kaufmann einen Stichtag wählen, der um bis zu drei Monate vor oder bis zu zwei Monate nach dem Bilanzstichtag liegt. Der Wert kann allerdings nicht in die Bilanz aufgenommen werden. Nach R 5.3 Abs. 2 EStR ist der Bestand vielmehr wertmäßig fortzuschreiben bzw. zurückzurechnen, um auf den richtigen Bilanzansatz zu kommen. Eine permanente oder eine zeitverschobene Inventur ist nicht zulässig
für Bestände, bei denen durch Schwund, Verdunsten, Verderb, leichte Zerbrechlichkeit oder ähnliche Vorgänge ins Gewicht fallende unkontrollierbare Abgänge eintreten, es sei denn, dass diese Abgänge auf Grund von Erfahrungssätzen schätzungsweise annähernd zutreffend berücksichtigt werden können;
für WG, die – abgestellt auf die Verhältnisse des jeweiligen Betriebs – besonders wertvoll sind (R 5.3 Abs. 3 EStR).
Voraussetzung für die buchmäßige Bestandsaufnahme für Anlagevermögen ist, dass ein laufend geführtes Anlageverzeichnis vorhanden ist (vgl. R 5.4 Abs. 5 EStR).
Ein materieller Mangel der Buchführung kann vorliegen, wenn die körperliche Bestandsaufnahme nach R 5.4 Abs. 1 EStR fehlt oder unvollständig ist, es sei denn, dass eine körperliche Bestandsaufnahme nach R 5.4 Abs. 5 EStR nicht erforderlich ist (H 5.4 [Fehlende Bestandsaufnahme] EStH). Enthält die Buchführung materielle Mängel, wird ihre Ordnungsmäßigkeit dadurch nicht berührt, wenn es sich dabei um unwesentliche Mängel handelt, z.B. wenn nur unbedeutende Vorgänge nicht oder falsch dargestellt sind. Die Fehler sind dann zu berichtigen, oder das Buchführungsergebnis ist durch eine Zuschätzung richtigzustellen. Bei schwerwiegenden materiellen Mängeln gilt R 4.1 Abs. 2 Satz 3 EStR. Werden für einen gewerblichen Betrieb, für den Buchführungspflicht besteht, keine Bücher geführt, oder ist die Buchführung nicht ordnungsmäßig, ist der Gewinn nach § 5 EStG unter Berücksichtigung der Verhältnisse des Einzelfalles, unter Umständen unter Anwendung von Richtsätzen, zu schätzen (§ 162 AO).
Zimmermann/Wrede, Bilanzierung und Bewertung von Vorratsvermögen, NWB 52/2020, 3895.
→ Bewertung von Wirtschaftsgütern
→ Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG)
→ Festwert
→ Inventar
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