Bestandskraft

Stand: 28. März 2024

Das Wichtigste in Kürze

  • Bestandskraft ist ein Ausdruck, der sich auf Steuerbescheide bezieht. Es wird zwischen formeller und materieller Bestandskraft unterschieden.
  • Formelle Bestandskraft: 
    • Die formelle Bestandskraft ist gegeben, wenn ein Verwaltungsakt nicht mehr mit einem Einspruch angefochten werden kann. Solange die Einspruchsfrist noch nicht abgelaufen ist, kann der Betroffene durch Einspruch eine umfassende Änderung des Verwaltungsaktes erreichen:
  • Materielle Bestandskraft: 
    • Die materielle Bestandskraft soll zum Ausdruck bringen, dass das Finanzamt an eine einmal getroffene Entscheidung grundsätzlich gebunden ist. Dies gilt auch dann, wenn die Entscheidung rechtswidrig und unabänderbar ist.

Inhaltsverzeichnis

1 Formelle Bestandskraft
2 Materielle Bestandskraft
2.1 Durchbrechung der materiellen Bestandskraft
2.2 Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung
2.3 Zeitliche Grenze
2.4 Kleinbetragsverordnung
3 Verwandte Lexikonartikel

1. Formelle Bestandskraft

Die formelle Bestandskraft ist gegeben, wenn ein Verwaltungsakt nicht mehr mit einem Einspruch angefochten werden kann (→ Einspruchsverfahren). Solange ein Steuerbescheid wirksam bekannt gegeben und die Einspruchsfrist noch nicht abgelaufen ist, kann der Betroffene durch Einspruch eine umfassende Änderung des Verwaltungsaktes erreichen. Daher tritt die Unanfechtbarkeit vor allem durch Fristablauf, z.B. Ablauf der Einspruchsfrist (§ 355 AO), Einspruchsverzicht (§ 354 AO) oder Rücknahme des Einspruchs (§ 362 AO) ein. Unanfechtbarkeit bedeutet nicht Unabänderbarkeit. Dementsprechend können auch Steuerfestsetzungen unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (→ Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung) unanfechtbar werden (BFH Urteil vom 19.12.1985, BStBl II 1986, 420).

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2. Materielle Bestandskraft

Die materielle Bestandskraft ist von der formellen Bestandskraft zu unterscheiden. Die materielle Bestandskraft soll zum Ausdruck bringen, dass das Finanzamt an eine einmal getroffene Entscheidung grundsätzlich gebunden ist. Dies gilt auch dann, wenn die Entscheidung rechtswidrig und unabänderbar ist.

In der Literatur ist umstritten, in welchem Zeitpunkt die materielle Bestandskraft eintritt. Insoweit wird vertreten, dass der Eintritt der materiellen Bestandskraft mit Bekanntgabe des Bescheids, mit Eintritt der Unanfechtbarkeit oder mit Eintritt der → Festsetzungsverjährung erfolgt. Praktische Relevanz kommt diesem Meinungsstreit vor dem Hintergrund der Anwendung der Korrekturvorschriften nicht zu.

2.1. Durchbrechung der materiellen Bestandskraft

Die Vorschriften über die materielle Bestandskraft gelten für Steuerfestsetzungen i.S.d. § 155 AO sowie für alle Festsetzungen, für die die Vorschriften über das Steuerfestsetzungsverfahren anzuwenden sind. Hierunter fallen die den Steuerbescheiden gleichgestellten Bescheide:

  • Gesonderte Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen (→ Gesonderte Feststellung) nach § 181 Abs. 1 AO;

  • Festsetzung von Steuermessbeträgen (→ Steuermessbetrag) nach § 184 Abs. 1 Satz 3 AO;

  • Zinsfestsetzungen (→ Zinsen) nach § 239 Abs. 1 Satz 1 AO.

Die materielle Bestandskraft wird durchbrochen, soweit es das Gesetz zulässt. Diese Zulässigkeit ergibt sich nicht nur aus der AO selbst, sondern auch aus anderen Gesetzen. Änderungsvorschriften nach der AO sind: §§ 129 (→ Berichtigung von Schreib-/Rechenfehlern und ähnlichen offenbaren Unrichtigkeiten gem. § 129 AO und § 173a AO), 132, 164 (→ Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung), 165 (→ Vorläufige Steuerfestsetzung), 172 (→ Schlichte Änderung) bis 175. Änderungsvorschriften nach den Einzelsteuergesetzen sind: § 10d EStG, § 35b GewStG, §§ 24 und 24a BewG, § 20 GrStG, § 32a KStG (→ Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden, → Halbeinkünfteverfahren, → Verdeckte Gewinnausschüttung).

Die Korrekturregelungen gelten als abschließend (BFH vom 6.3.2007, IX R 51/04, BFH/NV 2007, 1456). Das gilt auch bei der Durchsetzung von Ansprüchen, die sich aus dem Unionsrecht ergeben. Damit ist ein Steuerbescheid bei einem erst nachträglich erkannten Verstoß gegen das Unionsrecht nicht unter günstigeren Bedingungen als bei einer Verletzung innerstaatlichen Rechts änderbar. Das Korrektursystem der §§ 172 ff. AO regelt die Durchsetzung der sich aus dem Unionsrecht ergebenden Ansprüche abschließend. Nach den Vorgaben des Unionsrechts muss das steuerrechtliche Verfahrensrecht auch keine weitergehenden Korrekturmöglichkeiten für Steuerbescheide vorsehen (BFH vom 16.9.2010, BStBl II 2011, 151).

Auch bei rückwirkenden Gesetzesänderungen, die nach der Gesetzesbegründung nur für die noch nicht bestandskräftigen Steuerfestsetzungen gelten sollen, wird die Bestandskraft nicht durchbrochen (FG Münster vom 18.1.2012, 11 K 4319/10 E, EFG 2012, 1267). Die Ungleichbehandlung von noch offenen und bereits bestandskräftig entschiedenen Fällen verstoße nicht gegen das GG, insbesondere nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 GG.

Die Vorschriften über die materielle Bestandskraft finden nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. d AO keine Anwendung bei der Rücknahme eines rechtswidrigen und dem Widerruf eines rechtmäßigen begünstigenden oder nicht begünstigenden sonstigen Verwaltungsaktes.

2.2. Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung

Steuerfestsetzungen unter Vorbehalt der Nachprüfung sowie Vorauszahlungsbescheide (§ 164 Abs. 1 Satz 2 AO) und Steueranmeldungen (→ Steueranmeldung; § 150 Abs. 1 Satz 2, § 168 AO), die kraft Gesetzes unter Vorbehalt der Nachprüfung stehen, sind unabhängig von der formellen Bestandskraft nach § 164 Abs. 2 AO dem Umfang nach uneingeschränkt änderbar, solange der Vorbehalt nicht aufgehoben worden oder entfallen ist (Ausnahme hiervon: Fälle des § 176 AO bei Rechtsprechungsänderung zuungunsten des Stpfl.). Wird eine Vorbehaltsfestsetzung unanfechtbar, kann sie mit einem Einspruch nicht mehr angefochten werden, ist aber dennoch außerhalb des Einspruchsverfahrens änderbar. Insoweit hat der Eintritt der formellen Bestandskraft insbesondere Bedeutung hinsichtlich des Wegfalls der Möglichkeit des Antrags auf → Aussetzung der Vollziehung. Die Finanzbehörde soll gem. § 361 Abs. 2 AO nur im Einspruchsverfahren auf Antrag die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte.

2.3. Zeitliche Grenze

Mit Ablauf der Festsetzungsfrist (→ Festsetzungsverjährung) werden Steuerbescheide grundsätzlich endgültig materiell bestandskräftig. Eine Aufhebung oder Änderung der Steuerfestsetzung ist gem. § 169 Abs. 1 Satz 1 AO nach Ablauf der Festsetzungsfrist nicht mehr zulässig. Eine Ausnahme dazu stellen die Vorschriften dar, die die Festsetzungsfristen nach Eintritt der Festsetzungsverjährung erneut in Gang setzen (Anlauf- und Ablaufhemmungen). Dies ist zum Beispiel im Fall der widerstreitenden Steuerfestsetzung nach § 174 Abs. 4 Satz 4 AO sowie wegen Eintritts eines rückwirkenden Ereignisses i.S.d. § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO vorgesehen. Auch kann ein Folgebescheid gem. § 175 Abs. 1 Nr. 1 AO i.V.m. § 171 Abs. 10 AO noch innerhalb von zwei Jahren nach Bekanntgabe des Grundlagenbescheides geändert werden, auch wenn für den Folgebescheid bereits die reguläre → Festsetzungsverjährung eingetreten ist (→ Änderung von Steuerbescheiden nach § 175 AO).

2.4. Kleinbetragsverordnung

Bei Änderung oder Berichtigung von Steuerfestsetzungen sind die Vorschriften der → Kleinbetragsverordnung zu beachten.

Das Bundesministerium der Finanzen kann gem. § 156 Abs. 1 AO zur Vereinfachung der Verwaltung durch Rechtsverordnung bestimmen, dass eine Steuer nicht festgesetzt wird, wenn der eigentlich festzusetzende Betrag 25 € nicht übersteigt. Das Gleiche gilt für die Änderung einer Steuerfestsetzung, wenn der Betrag, der sich als Differenz zwischen der geänderten und der bisherigen Steuerfestsetzung ergeben würde, 25 € nicht übersteigt (KBV vom 19.12.2000, BGBl I 2000, 1790, 1805; zuletzt geändert durch Art. 3 des Gesetzes vom 18.7.2016, BGBl. I 2016, 1679).

Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Kleinbetragsverordnung unterbleibt die Steuerfestsetzung, wenn die Abweichung von der bisherigen Festsetzung bei einer Änderung oder Berichtigung zugunsten des Steuerpflichtigen mindestens 10 € oder bei einer Änderung oder Berichtigung zuungunsten des Steuerpflichtigen mindestens 25 € beträgt.

Gem. § 156 Abs. 2 AO kann die Festsetzung einer Steuer und einer steuerlichen Nebenleistung sowie deren Änderung auch über einen Betrag von 25 € hinausgehend unterbleiben, wenn zu erwarten ist, dass

  1. die Erhebung keinen Erfolg haben wird (Prognoseentscheidung) oder

  2. die Kosten der Festsetzung und die Kosten der Erhebung außer Verhältnis zu dem Betrag (Steuernachforderung) stehen werden.

Hierfür können gem. § 156 Abs. 2 Satz 2 AO die obersten Finanzbehörden für bestimmte oder bestimmbare Fallgruppen bundeseinheitliche Weisungen zur Anwendung erteilen. Diese Weisungen dürfen nicht veröffentlicht werden, soweit dies die Gleichmäßigkeit und Gesetzmäßigkeit der Besteuerung gefährden könnte.

3. Verwandte Lexikonartikel

Änderung von Steuerbescheiden nach § 175 AO

Aussetzung der Vollziehung

Allgemeinverfügung, Erledigung von Massenanträgen und -einsprüchen

Aufhebung und Änderung von Steuerbescheiden

Einspruchsverfahren

Festsetzungsverjährung

Gesonderte Feststellung

Kleinbetragsverordnung

Rücknahme und Widerruf von sonstigen Verwaltungsakten gem. §§ 130 und 131 AO

Schlichte Änderung

Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung

Steuermessbetrag

Vorläufige Steuerfestsetzung

Zinsen

 

Redaktioneller Hinweis:© Schäffer-Poeschel Verlag für Wirtschaft, Steuern, Recht, Stuttgart.

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