1 Die örtlichen Zuständigkeiten nach der AO im Überblick
2 Geschäftsleitung
2.1 Begriff der Geschäftsleitung
2.2 Bedeutung des Merkmals der Geschäftsleitung
2.3 Begriff der Geschäftsleitung nach Doppelbesteuerungsabkommen
3 Zuständigkeit für die gesonderte Feststellung gem. § 18 AO
4 Zuständigkeit für die Einkommensteuer gem. § 19 AO
4.1 Zuständigkeit für Arbeitnehmer ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland
4.2 Zuständigkeit für die Einkommensteuer sog. Auslandsrentner
5 Zuständigkeit für die Körperschaftsteuer gem. § 20 AO
6 Zuständigkeit bei Bauleistungen gem. § 20a AO
7 Zuständigkeit für die Umsatzsteuer gem. § 21 AO
8 Zuständigkeiten nach der Umsatzsteuerzuständigkeitsverordnung
9 Zuständigkeit für die Gewerbesteuer und die Grundsteuer gem. § 22 AO
10 Zuständigkeit für Abrechnungsbescheide nach § 218 AO
11 Zuständigkeit bei Stundung gem. § 222 AO und Erlass gem. § 227 AO
12 Mehrfache örtliche Zuständigkeit gem. § 25 AO
13 Zuständigkeitswechsel gem. § 26 AO
14 Zuständigkeitsvereinbarung gem. § 27 AO
15 Zuständigkeiten nach dem BewG
16 Rechtsfolgen bei Unzuständigkeit
16.1 Verstöße gegen die sachliche Zuständigkeit
16.2 Verstöße gegen die örtliche Zuständigkeit
16.2.1 Gesetzesgebundener Verwaltungsakte
16.2.2 Ermessensentscheidungen
17 Verwandte Lexikonartikel
Die örtliche Zuständigkeit der Finanzbehörden regeln die §§ 17 bis 29 AO.
Lage-FA |
Betriebs-FA |
Tätigkeits-FA |
Verwaltungs-FA |
Wohnsitz-FA |
Geschäftsleitungs-FA |
Unternehmenssitz-FA |
Betriebsstätten-FA |
Einheitswertfeststellungen bei:
(§ 18 Abs. 1 Nr. 1 AO für die Grundsteuermessbeträge (§ 22 AO). |
Für die gesonderte bzw. gesonderte und einheitliche Feststellung des Gewinns bei gewerblichen Betrieben; für die Festsetzung und Zerlegung der Steuermessbeträge bei der GewSt (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 AO). |
Für die gesonderte bzw. gesonderte und einheitliche Feststellung des Gewinns bei Einkünften aus § 18 EStG (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 AO). |
Für die gesonderte und einheitliche Feststellung an anderen Einkünften als Gewinn-Einkünfte (§ 18 Abs. 1 Nr. 4 AO). |
für die ESt (§ 19 AO) |
für die KSt (§ 20 AO) |
für die USt (§ 21 AO) |
für die Anmeldung und Abführung der LSt (§ 41a EStG) |
Abb.: Örtliche Zuständigkeit
Nach § 10 AO ist die Geschäftsleitung der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung.
Die Geschäftsleitung ist dort, wo der für die Geschäftsführung maßgebliche Wille gebildet wird (s. z.B. BFH Urteil vom 16.12.1998, I R 138/97, BStBl II 1999, 437). An diesem Ort müssen alle für die Geschäftsführung nötigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit mit einer gewissen Regelmäßigkeit angeordnet werden. Wesentlich ist, wo die tatsächlichen, organisatorischen und rechtsgeschäftlichen Handlungen getätigt werden, die der gewöhnliche Betrieb des Unternehmens mit sich bringt (sog. Tagesgeschäfte, BFH Urteil vom 3.7.1997, IV R 58/95, BStBl II 1998, 86, m.w.N.; BFH Beschluss vom 31.1.2002, V B 108/01, BStBl 2004, 622).Dazu bedarf es geeigneter Räume (FG Münster Urteil vom 24.5.2004, 9 K 5177/99 K, EFG 2004, 1498), meist Büroräume. Werden keine Büroräume unterhalten, kann die Wohnung des Leiters, Geschäftsführers oder Inhabers oder auch ein zur Nutzung überlassener Teil eines Einfamilienhauses in Betracht kommen (BFH Urteil vom 16.12.1998, I R 138/97, BStBl II 1999, 437; BFH Urteil vom 13.7.2006, IV R 25/05, BStBl II 2006, 804).
Die Geschäftsleitung ist notwendiger Teil jeder gewerblichen Aktivität. Jedes gewerbliche Unternehmen hat somit zumindest eine, am Ort der Geschäftsleitung zu lokalisierende Betriebsstätte, welcher im Zweifel und bei Fehlen einer anderweitigen zusätzlichen Betriebsstätte der gesamte Unternehmensgewinn zuzurechnen ist. Dabei bleibt es in der Regel auch bei einem »reisenden« Gewerbetreibenden, also einem solchen, der sein Gewerbe an wechselnden Orten ausübt, ohne jedoch an diesen Orten (weitere) Betriebsstätten zu begründen. Ist keine andere feste Geschäftseinrichtung vorhanden, so ist regelmäßig die Wohnung des Geschäftsleiters, ungeachtet des Umstandes, ob diese dem Privatvermögen zuzuordnen ist, als Geschäftsleitungsbetriebsstätte anzusehen, wenn dort die geschäftliche Planung vorgenommen wird (BFH Urteil vom 20.12.2017, I R 98/15, BFH/NV 2018, 497).
Das Vorhandensein einer festen eigenen Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit des Unternehmens dient, ist also nicht zwingend erforderlich (s. z.B. BFH Beschluss vom 15.7.1998, I B 134/97, BFH/NV 1999, 372; BFH Urteil vom 16.12.1998, I R 138/97, BStBl II 1999, 437).
Unerheblich ist, wo die abgegebenen Willenserklärungen wirksam werden oder die angeordneten Maßnahmen auszuführen sind.
Das Merkmal der Geschäftsleitung ist in verschiedenen Zusammenhängen von Bedeutung.
Die Zuständigkeit für die Besteuerung von Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen richtet sich nach § 20 AO grundsätzlich nach dem Ort der Geschäftsleitung.
Zuständig für die Umsatzsteuer ist nach § 21 AO das Finanzamt, von dessen Bezirk aus der Unternehmer sein Unternehmen betreibt. Gewerbebetriebe werden in der Regel dort betrieben, wo die Geschäftsleitung ist. Bei → Organschaft ist das Finanzamt für den gesamten Organkreis zuständig, in dessen Bezirk sich die Geschäftsleitung des Organträgers befindet.
Der Sitz der Geschäftsleitung ist auch von Bedeutung für die Gewerbesteuer. Für die Festsetzung und ggf. auch für die Zerlegung des Steuermessbetrages für die → Gewerbesteuer ist nach § 22 Abs. 1 AO das Betriebsfinanzamt zuständig. Das ist nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 AO das Finanzamt, in dessen Bezirk sich die Geschäftsleitung befindet.
Für die unbeschränkte Körperschaftsteuerpflicht nach § 1 KStG ist neben dem Sitz alternativ die Geschäftsleitung im Inland das entscheidende Anknüpfungsmerkmal.
Beispiel:
Eine GmbH in Liechtenstein unterhält einen Fabrikationsbetrieb in China und ein Verkaufsbüro in Frankreich. Alle erforderlichen Entscheidungen fallen in Stuttgart, wo die beiden Gesellschafter-Geschäftsführer ihren Wohnsitz haben.
Lösung:
Nach § 10 AO befindet sich die geschäftliche Oberleitung im Inland. Damit ist die Liechtensteiner GmbH in Deutschland unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig, auch wenn ihr Sitz nicht im Inland belegen ist.
In Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) ist der Begriff der Geschäftsleitung Anknüpfungspunkt für die Ansässigkeit (s. dazu Art 4 Abs. 1 Satz 1 OECD-MA). Das OECD-MA definiert den Begriff der Geschäftsleitung nicht, sondern verweist auf die Begriffsbestimmung nach nationalem Recht, so dass auf § 10 AO abzustellen ist.
Hat danach eine Gesellschaft in beiden Vertragsstaaten den Ort der Geschäftsleitung, bestimmt die Kollisionsregel des Art. 4 Abs. 3 OECD-MA, dass die Gesellschaft nur in dem Vertragsstaat als ansässig gilt, in dem sich der »Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung« befindet. Danach ist entsprechend den Grundsätzen des § 10 AO anhand der tatsächlichen Verhältnisse im Einzelfall zu bestimmen, wo sich die tatsächliche Geschäftsleitung befindet.
Bei Betrieben der Land- und Forstwirtschaft, bei Grundstücken, Betriebsgrundstücken und Mineralgewinnungsrechten ist das Lagefinanzamt zuständig (§ 18 Abs. 1 Nr. 1 AO).
Bei gewerblichen Betrieben mit Geschäftsleitung im Geltungsbereich dieses Gesetzes ist das Geschäftsleitungsfinanzamt zuständig; bei gewerblichen Betrieben ohne Geschäftsleitung im Geltungsbereich dieses Gesetzes das Betriebsfinanzamt (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 AO).
Bei Einkünften aus selbständiger Arbeit gem. § 18 EStG ist das Tätigkeitsfinanzamt zuständig. Das ist der Ort, von wo aus die Tätigkeit vorwiegend ausgeübt wird (§ 18 Abs. 1 Nr. 3 AO).
Bei der gesonderten und einheitlichen Feststellung (§ 180 Abs. 1 Nr. 2a AO) von Überschusseinkünften mehrerer Beteiligter ist das Verwaltungsfinanzamt zuständig (§ 18 Abs. 1 Nr. 4 AO.
§ 18 Abs. 2 AO hat insbesondere Bedeutung für die gesonderte Feststellung von ausländischen Einkünften, an denen mehrere Personen beteiligt sind, die im Inland steuerpflichtig sind.
Für die Einkommensteuerveranlagung ist das Wohnsitzfinanzamt zuständig.
Bei mehrfachem Wohnsitz im Inland ist der Wohnsitz maßgebend, an dem sich der Steuerpflichtige vorwiegend aufhält; bei mehrfachem Wohnsitz eines verheirateten oder in Lebenspartnerschaft lebenden Steuerpflichtigen, der von seinem Ehegatten oder Lebenspartner nicht dauernd getrennt lebt, ist das Familienwohnsitzfinanzamt zuständig. Bei der Beurteilung sind insoweit Kinder zu berücksichtigen.
Zu den Zuständigkeiten der ArbN ohne Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt nimmt die Vfg. des LfSt Bayern vom 11.1.2012 (2012–01–11 S 0122.2.1-1/5 St42) Stellung.
Aufgrund der Ermächtigung des § 19 Abs. 6 AO in Bezugnahme auf § 49 Abs. 1 Nr. 10 EStG durch das Jahressteuergesetz 2009 vom 19.12.2008 (BGBl I 2008, 2794) ist nach der Einkommensteuer-Zuständigkeitsverordnung (EStZustV) für die Einkommensbesteuerung von Personen, die nach § 1 Abs. 4 EStG beschränkt einkommensteuerpflichtig sind und ausschließlich mit Einkünften i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 7 und 10 EStG zu veranlagen sind, das Finanzamt Neubrandenburg erstmals für den VZ 2005 und letztmals für den VZ 2013 örtlich zuständig. Ab Inkrafttreten der EStZustV am 1.1.2009 werden alle Einkommensteuerfälle der betroffenen Steuerpflichtigen an das Finanzamt Neubrandenburg abgegeben.
Für die Körperschaftsteuer ist das Geschäftsleitungsfinanzamt zuständig.
Befindet sich die Geschäftsleitung nicht im Geltungsbereich des Gesetzes oder lässt sich der Ort der Geschäftsleitung nicht feststellen, so ist das Finanzamt örtlich zuständig, in dessen Bezirk die Steuerpflichtige ihren Sitz hat.
Wenn der Unternehmer seinen Wohnsitz oder das Unternehmen seine Geschäftsleitung oder seinen Sitz nicht im Inland hat, so ist abweichend von den §§ 19 und 20 AO für die Besteuerung von Unternehmen, die Bauleistungen i.S.v. § 48 Abs. 1 Satz 3 EStG erbringen, das Unternehmensfinanzamt i.S.d. § 21 Abs. 1 AO zuständig. Das gilt auch abweichend von den §§ 38 bis 42f EStG beim Steuerabzug vom Arbeitslohn und für die Lohnsteuer in den Fällen der Arbeitnehmerüberlassung durch ausländische Verleiher nach § 38 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG.
Liegen die Voraussetzungen des § 20a Abs. 1 Satz 1 AO vor, so gilt die Zuständigkeit für die gesamte Besteuerung (Einkommen-, Körperschaft-, Umsatz- und Gewerbesteuer).
Für die Umsatzsteuer ist das Unternehmensfinanzamt zuständig, von dessen Bezirk aus der Unternehmer sein Unternehmen im Geltungsbereich des Gesetzes ganz oder vorwiegend betreibt.
Für Unternehmen und Unternehmer mit Sitz im Ausland wird nach § 21 Abs. 1 Satz 2 AO die örtliche Zuständigkeit einem Finanzamt für den Geltungsbereich des Gesetzes übertragen. Den Sitz hat eine Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse nach § 11 AO an dem Ort, der durch Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Satzung, Stiftungsgeschäft oder dergleichen bestimmt ist. Maßgeblich dafür ist die USt-Zuständigkeitsverordnung vom 20.12.2001 (BGBl I, 3794), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 8.12.2010 (BGBl I, 1768). Das dort genannte jeweils zuständige Finanzamt ist nach § 20a Abs. 1 AO auch für die Steuern vom Einkommen bei Bauleistungsunternehmern (→ Abzugsbesteuerung bei Bauleistungen) zuständig (s. AEAO zu § 21).
Für die ESt des ArbN, der von einem Bauleistungsunternehmer im Inland beschäftigt ist und der seinen Wohnsitz im Ausland hat, ist das in der USt-Zuständigkeitsverordnung für seinen Wohnsitzstaat genannte Finanzamt zuständig (Verordnung über die örtliche Zuständigkeit für die Einkommensteuer von im Ausland ansässigen Arbeitnehmern des Baugewerbes
Für die Gewerbesteuermessbeträge ist das Betriebsfinanzamt (§ 18 Abs. 1 Nr. 2 AO) und für die Grundsteuermessbeträge das Lagefinanzamt (§ 18 Abs.1 Nr. 1 AO) zuständig.
Zuständig für die Entscheidung durch Abrechnungsbescheid ist gem. § 218 Abs. 2 Satz 1 AO die Finanzbehörde. Das ist die nach den allgemeinen Zuständigkeitsregelungen der §§ 16 ff. AO zuständige Finanzbehörde (BFH vom 19.3.2019, VII R 27/17, BStBl II 2020, 31). An seiner mit Urteil vom 12.7.2011, VII R 69/10, BFHE 234, 114; BFH/NV 2011, 1936) vertretenen Auffassung, dass für Entscheidungen durch Abrechnungsbescheid diejenige Behörde zuständig ist, die den Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis festgesetzt hat, um dessen Verwirklichung gestritten wird, hält der erkennende Senat nicht mehr fest.
Die obersten Finanzbehörden der Länder haben Regelungen zur Zuständigkeit für Stundungen, Erlasse, Billigkeitsmaßnahmen nach den §§ 163, 234 Abs. 2, 237 Abs. 4 AO, Absehen von Festsetzungen nach § 156 Abs. 2 AO und Niederschlagungen von Landessteuern und der sonstigen durch Landesfinanzbehörden verwalteten Steuern und Abgaben herausgegeben (BMF vom 5.7.2023, BStBl I 2023, 1467).
Die Finanzämter sind befugt zu stunden (§ 222 AO):
in eigener Zuständigkeit
Beträge bis 100 000 € einschließlich zeitlich unbegrenzt,
höhere Beträge bis zu 6 Monaten;
mit Zustimmung der Oberfinanzdirektion
Beträge bis 250 000 € einschließlich zeitlich unbegrenzt,
höhere Beträge bis zu 12 Monaten;
mit Zustimmung der obersten Landesfinanzbehörde in allen übrigen Fällen.
Stundungen sind stets unter dem Vorbehalt des Widerrufs auszusprechen.
Die Finanzämter sind zum Erlass (§ 227 AO) befugt
für Beträge bis einschließlich 20 000 € und bei Säumniszuschlägen, deren Erhebung nicht mit dem Sinn und Zweck des § 240 AO zu vereinbaren und deshalb ein teilweiser oder vollständiger Erlass der kraft Gesetzes verwirkten Säumniszuschläge aus Gründen sachlicher Unbilligkeit geboten ist (AEAO zu § 240, Nr. 5), in unbegrenzter Höhe in eigener Zuständigkeit;
für Beträge bis einschließlich 100 000 € mit Zustimmung der Oberfinanzdirektion;
mit Zustimmung der obersten Landesfinanzbehörde in allen übrigen Fällen.
Sind mehrere Finanzämter zuständig, so entscheidet die Finanzbehörde, die zuerst mit der Sache befasst worden ist, es sei denn, die zuständigen Finanzbehörden einigen sich auf eine andere zuständige Finanzbehörde. Dabei handelt es sich nicht um eine Zuständigkeitsvereinbarung i.S.d. § 27 AO. Der Zustimmung des Betroffenen bedarf es nicht.
Der Wechsel der Zuständigkeit tritt in dem Zeitpunkt ein, in dem eine der beiden Finanzbehörden hiervon erfährt. Tritt ein Zuständigkeitswechsel ein, so hat das neu zuständig gewordene Finanzamt die Besteuerung in vollem Umfang zu übernehmen. Es hat also unerledigte Veranlagungen zu bearbeiten und die Erhebungsgeschäfte abzuwickeln. Erforderlichenfalls hat es auch Vollstreckungsmaßnahmen wegen Steuerrückständen aus zurückliegenden Jahren vorzunehmen bzw. fortzuführen, weil die Zuständigkeit für die Besteuerung auch die Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen umfasst.
Die Besteuerung ist auch zu übernehmen, wenn
Veranlagungen noch nicht durchgeführt worden sind,
die Steuerpflicht zwischen unbeschränkter und beschränkter Steuerpflicht gewechselt hat,
über Anträge des Steuerpflichtigen noch nicht entschieden ist.
Auch ein anhängiges außergerichtliches Rechtsbehelfsverfahren hindert die Aktenabgabe nicht, weil nach § 367 Abs. 1 Satz 2 AO jeder nach Erlass des Verwaltungsaktes eintretende Zuständigkeitswechsel auch eine Zuständigkeitsänderung im Einspruchsverfahren bewirkt. Diese Rechtsbehelfsverfahren sind daher mit den übrigen Akten abzugeben.
Nach § 26 Satz 2 AO kann die bisher zuständige Finanzbehörde ein Verwaltungsverfahren fortführen, wenn dies unter Wahrung der Interessen der Beteiligten der einfachen und zweckmäßigen Durchführung des Verfahrens dient und die nunmehr zuständige Finanzbehörde zustimmt. Eine entsprechende Vereinbarung zwischen den beteiligten FÄ kann sich nur auf einzelne, im Zeitpunkt des Zuständigkeitswechsels bereits anhängige Verwaltungsverfahren beziehen, nicht jedoch auf die örtliche Zuständigkeit insgesamt.
Als Verwaltungsverfahren i.S.d. § 26 Satz 2 AO ist insbesondere das Besteuerungsverfahren im engeren Sinne anzusehen, das im Allgemeinen mit der ggf. öffentlichen Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung beginnt und mit der erforderlichenfalls im Vollstreckungswege durchzuführenden Verwirklichung (Einziehung bzw. Erstattung) endet, einschließlich eines etwaigen außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahrens. Dabei ist jede Steuerart und jeder Veranlagungszeitraum gesondert zu betrachten. Entsprechendes gilt für die nach §§ 179 ff. AO durchzuführenden Feststellungen.
Ein Zuständigkeitswechsel nach Satz 1 tritt so lange nicht ein, wie über einen Insolvenzantrag noch nicht entschieden wurde, ein eröffnetes Insolvenzverfahren noch nicht aufgehoben wurde oder sich eine Personengesellschaft oder eine juristische Person in Liquidation befindet.
Die Kenntnis des Zuständigkeitswechsels ist mit Angabe des Datums aktenkundig zu machen und dem anderen Finanzamt unverzüglich mitzuteilen.
Bei gleichzeitiger Betriebsaufgabe und Wohnsitzverlegung ermittelt das bisher zuständige Finanzamt den Gewinn aus der Zeit bis zur Betriebsaufgabe und übermittelt ihn dem neuen Wohnsitzfinanzamt.
Bei Fortführung des bereits begonnenen Verwaltungsverfahrens durch das bisher zuständige Finanzamt soll der Steuerpflichtige gehört werden. Er ist auf jeden Fall zu benachrichtigen.
Zum Zuständigkeitswechsel nimmt die OFD Karlsruhe (Verfügung S-0127 vom 28.4.2023; LEXinform 7013611) ausführlich Stellung.
Finanzbehörden können untereinander eine Zuständigkeitsvereinbarung treffen, wenn der Betroffene zustimmt. Eine der Finanzbehörden kann den Betroffenen auffordern, innerhalb einer angemessenen Frist die Zustimmung zu erklären. Die Zustimmung gilt als erteilt, wenn der Betroffene nicht innerhalb dieser Frist widerspricht. Der Betroffene ist auf die Wirkung seines Schweigens ausdrücklich hinzuweisen. Für die Zustimmung ist keine bestimmte Form vorgeschrieben.
Eine Zuständigkeitsvereinbarung ist insbesondere in den Fällen der zentralen Zuständigkeit nach § 21 Abs. 1 Satz 2 AO sinnvoll, wenn das zentral zuständige Finanzamt weder für den Steuerpflichtigen noch für die Finanzbehörde zweckmäßig ist.
Insbesondere in Fällen der Betriebsaufgabe und gleichzeitiger Wohnsitzverlegung sollte geprüft werden, ob das neue Wohnsitz-FA die Festsetzung und Erhebung (einschl. Vollstreckung) der noch offenen Betriebsteuern übernimmt. Dies gilt auch für die Fälle, in denen keine Grundkennbuchstaben gesetzt sind und ausschl. die Bilanzsteuerakten beim bisherigen FA verbleiben.
Eine Zuständigkeitsvereinbarung kann in diesen Fällen zweckmäßig sein, wenn zur Abwicklung der Betriebsteuerveranlagungen persönliche Verhandlungen mit dem Stpfl. geführt werden müssen oder eine Einsicht in die an dem neuen Wohnort des Stpfl. befindlichen Bücher und Unterlagen erforderlich ist.
Eine Zuständigkeitsvereinbarung sollte stets dann getroffen werden, wenn der Stpfl. vor Durchführung der Betriebsteuerveranlagungen wieder eine gewerbliche, berufliche oder land- und forstwirtschaftliche Tätigkeit in dem Bezirk des neuen Wohnsitz-FA aufgenommen hat.
Eine gem. § 27 AO begründete, ausschließlich von den jeweiligen Amtsleitern der beteiligten Finanzämter unterzeichnete Zuständigkeitsvereinbarung stellt eine Vereinbarung zwischen den beteiligten Finanzbehörden dar. Es handelt sich nicht um ein Vertragsverhältnis oder vertragsähnliches Verhältnis zwischen Finanzbehörde und Stpfl., und auch nicht um einen öffentlich-rechtlichen Vertrag i.S.d. §§ 54 ff. VwVfG (BFH vom 12.7.2021, VI R 13/19, BStBl II 2021, 839). Die Aufhebung einer solchen Zuständigkeitsvereinbarung bedarf daher nicht der Zustimmung des Stpfl., der dem Abschluss der Zuständigkeitsvereinbarung zwischen den beteiligten Finanzämtern als Betroffener zugestimmt hatte.
Durch das Jahressteuergesetz 2007 vom 13.12.2006 (BGBl I 2006, 2878) wird in den §§ 151 ff. BewG die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die ErbSt neu geregelt (→ Vermögens- und Verbundvermögensaufstellung, → Anteilsbewertung, → Bedarfsbewertung, → Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer).
§ 152 BewG regelt die örtliche Zuständigkeit der Finanzämter für die gesonderten Feststellungen. Örtlich zuständig ist
für Feststellungen der Grundbesitzwerte (→ Bedarfsbewertung, → Betriebsgrundstück) das Lagefinanzamt (§ 152 Nr. 1 BewG),
für Feststellungen des Werts des Betriebsvermögens oder des Anteils am Betriebsvermögen (→ Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer) das Betriebsfinanzamt (§ 152 Nr. 2 BewG),
für Feststellungen des Werts der nicht notierten Anteile an Kapitalgesellschaften (→ Anteilsbewertung) das Finanzamt, in dessen Bezirk sich die Geschäftsleitung bzw. der Sitz der Kapitalgesellschaft befindet (§ 152 Nr. 3 BewG),
für Feststellungen des Werts der anteiligen übrigen WG und der Schulden das Finanzamt, von dessen Bezirk die Verwaltung des Vermögens ausgeht, oder, wenn diese im Inland nicht feststellbar ist, das Finanzamt, in dessen Bezirk sich der wertvollste Teil des Vermögens befindet (§ 152 Nr. 4 BewG).
Bei Verstößen gegen die sachliche Zuständigkeit ist der Verwaltungsakt nichtig, wenn ein besonders schwerwiegender Fehler i.S.d. § 125 Abs. 1 AO vorliegt. Dies ist dann der Fall, wenn die unzuständige Behörde, die den Verwaltungsakt erlassen hat, nicht über eine gleichartige Sachkunde verfügt wie die sachlich zuständige Behörde. Damit soll eine möglichst zutreffende Entscheidung gewährleistet werden. Dagegen soll noch kein besonders schwerwiegender Fehler nach § 125 Abs. 1 AO vorliegen, wenn die sachlich unzuständige Gemeinde einen Gewerbesteuermessbescheid erlässt, dabei jedoch die abschließend und verbindlich von der zuständigen Finanzbehörde festgelegten Eingabewerte übernimmt und sich auf die maschinelle Abwicklung und Bekanntgabe des Messbescheids beschränkt (BFH vom 23.4.1986, BStBl II 1986, 880).
§ 127 AO ist bei Verletzung der Vorschriften über die sachliche Zuständigkeit nicht anwendbar (BFH vom 21.4.1993, BStBl II 1993, 649).
Verstöße gegen die behördeninternen Zuständigkeitsregelungen führen nicht zur Nichtigkeit. Daher sind Verwaltungsakte, die von einem nach der internen Geschäftsverteilung unzuständigen Beamten ergehen, dann unbeachtlich, wenn sie der zuständigen Finanzbehörde angehören und grundsätzlich entscheidungsbefugt sind (z.B. Festsetzung der Einkommensteuer von einem behördenintern unzuständigen Sachbearbeiter einer Einkommensteuer-Veranlagungsstelle).
Bei Verletzung der örtlichen Zuständigkeit ist der Verwaltungsakt gem. § 125 Abs. 3 Nr. 1 AO nicht nichtig, daher wirksam nach § 124 Abs. 3 AO. Der Verwaltungsakt ist wegen der Verletzung der örtlichen Zuständigkeit aber fehlerhaft und damit rechtswidrig. Dies führt zur Anfechtbarkeit oder kann zu dessen Aufhebung führen. Eine Heilung ist nach § 126 AO nicht vorgesehen.
Wird die Aufhebung des Verwaltungsaktes beantragt, ist zu unterscheiden, ob der gesetzesgebundene Verwaltungsakt oder eine Ermessensentscheidung angefochten wird.
Beantragt der Steuerpflichtige die Aufhebung eines Steuerbescheids, »nur« weil die Finanzbehörde die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit nicht beachtet hat, kann die Finanzbehörde nach § 127 AO dem nicht entsprechen, da keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. Die sachlich zuständige Behörde hätte im Ergebnis die gleiche Entscheidung getroffen. Im Ergebnis verlangt § 127 AO, dass eine richtige Entscheidung getroffen wurde und dazu keine Alternative besteht.
Eine gebundene Entscheidung i.S.d. § 127 AO liegt auch dann vor, wenn die Besteuerungsgrundlagen gem. § 162 AO geschätzt wurden (→ Schätzung).
Für Ermessensentscheidungen ist § 127 AO nicht anwendbar. Wird also die Aufhebung einer Ermessensentscheidung, wie z.B.
Verspätungszuschläge,
Zwangsgeldfestsetzungen,
Stundungen,
Ablehnungen von Fristverlängerungen,
Aussetzung der Vollziehung und
Pfändungen
gegenüber einer örtlich unzuständigen Behörde beansprucht, muss eine Aufhebung erfolgen und ggf. von der örtlich zuständigen Behörde nochmals erlassen werden.
Dies gilt nur dann nicht, wenn der mit dem Rechtsbehelf gerügte Fehler die Entscheidung durch die zuständige Finanzbehörde unter keinen Umständen beeinflusst haben kann (BFH vom 18.7.1985, BStBl II 1986, 169).
Die Aufhebung eines Gewerbesteuermessbescheides kann regelmäßig nicht allein deswegen beansprucht werden, weil er von einem örtlich unzuständigen Finanzamt erlassen worden ist (BFH vom 19.11.2003, BStBl II 2004, 751).
Ein Bescheid über die → Gesonderte Feststellung, der unter Verletzung der in § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO herangezogenen Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit ergangen ist, muss aufgehoben werden, weil die Verletzung der §§ 18 und 19 AO in der gem. § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO getroffenen Zuordnung ein nicht heilbarer Rechtsfehler ist. Führt die Verletzung von Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit dazu, dass zu Unrecht ein gesonderter Feststellungsbescheid nach § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b AO erteilt wird, kann der Feststellungsbescheid nicht unter Berücksichtigung des § 127 AO aufrechterhalten werden.
Das dem § 180 Abs. 1 Nr. 2 AO zugrunde liegende Prinzip der Ortsnähe sei in Wirklichkeit ein Prinzip der größeren Sachnähe, die für die sachliche Richtigkeit spricht (BFH Urteil vom 10.6.1999, BStBl II 2009, 691). Daher sei eine Anwendung des § 127, wie in den Fällen der sachlichen Unzuständigkeit, ausgeschlossen.
→ Abzugsbesteuerung bei Bauleistungen
→ Bauleistungen in der Umsatzsteuer
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