1 Grundsätzliches zur Behandlung des zivil- und steuerrechtlichen Insolvenzverfahrens
2 Insolvenzrechtliche Eröffnungsgründe
3 Eröffnungsantrag und Rechtsbehelfe
4 Vorläufige Maßnahmen
5 Wirkung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
5.1 Verfahrensunterbrechungen
5.2 Verfügungsverbot des Schuldners
5.3 Insolvenzverwaltung
5.3.1 Insolvenzverwalter
5.3.2 Einsicht des Insolvenzverwalters in Steuerakten des Insolvenzschuldners
6 Geltendmachung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis
6.1 Allgemeiner Überblick
6.2 Insolvenzforderungen
6.2.1 Grundsätzliches
6.2.2 Geltendmachung durch Anmeldung zur Forderungstabelle
6.2.2.1 Form und Frist der Geltendmachung
6.2.2.2 Begründete Ansprüche
6.2.3 Haftung und Einwendungsausschluss des GmbH-Geschäftsführers
6.3 Masseverbindlichkeiten
6.3.1 Grundsätzliches
6.3.2 Massekosten
6.3.3 Sonstige Massekosten
6.4 Erbschaftsteuer
6.5 Einkommensteuerforderungen
6.5.1 Verteilung auf die einzelnen Vermögensbereiche
6.5.2 Vermietung von zwangsverwaltetem Grundbesitz
6.5.3 Entstehung eines Auflösungsverlusts nach § 17 Abs. 4 EStG
6.5.4 Ausübung des Veranlagungswahlrechts in der Insolvenz
6.5.5 Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG
6.5.6 Verteilung der Einkünfte
6.6 Behandlung von Steuererstattungsansprüchen
6.7 Zeitpunkt der Betriebsaufgabe eines insolventen Einzelunternehmens
6.8 Forderungen aus Tätigkeiten des Insolvenzschuldners nach Eröffnung des Verfahrens
6.9 Zahlungen an den Nachlassinsolvenzverwalter zur Freigabe eines Kommanditanteils
7 Bemessungsgrundlage der Grunderwerbsteuer bei Forderungsausfall aufgrund der Insolvenz des Käufers
8 Bekanntgabe von Verwaltungsakten in Insolvenzfällen
9 Einspruchsverfahren in Fällen der Insolvenz
10 Die Umsatzsteuer im Insolvenzverfahren
10.1 Grundsätzliches
10.2 Kein Wechsel der Unternehmereigenschaft
10.3 Kleinunternehmerregelung im Insolvenzfall
10.4 Istbesteuerung
10.5 Sollbesteuerung
10.6 Die Behandlung von Umsatzsteuer und Vorsteuer als Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO
10.6.1 Allgemeine Grundsätze
10.6.2 Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO
10.6.2.1 Rechtsanwendung ab 1.1.2021
10.6.2.2 Umsatzsteuerverbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO
10.7 Umsatzsteuer- und Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG
10.7.1 Umsatzsteuerberichtigung wegen Uneinbringlichkeit aus Rechtsgründen
10.7.2 Umsatzsteuerberichtigung nach Forderungseinzug
10.8 Insolvenz des Leistungsempfängers
10.8.1 Umsatzsteuerrechtliche Konsequenzen beim Leistungserbringer
10.8.2 Vorsteuerberichtigung des Leistungsempfängers
10.9 Zusammenfassende Übersichten
10.10 Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG
10.11 Umsatzsteuer-Sondervorauszahlungen
10.11.1 Allgemeine Grundsätze
10.11.2 Anrechnung der Sondervorauszahlung
10.11.2.1 Widerruf der Dauerfristverlängerung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens
10.11.2.2 Kein Widerruf der Dauerfristverlängerung im Kalenderjahr der Insolvenzeröffnung
10.11.2.3 Widerruf der Dauerfristverlängerung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens
10.12 Umsatzsteuer-Voranmeldungsverfahren
10.12.1 Erklärungspflichten des Insolvenzverwalters
10.12.2 Umsatzsteuer-Voranmeldungen, die unter der bisherigen Steuernummer zu erfassen sind
10.12.3 Umsatzsteuer-Voranmeldungen, die unter einer neuen Steuernummer zu erfassen sind (Insolvenz-Steuernummer)
10.12.3.1 Starker vorläufiger Insolvenzverwalter und Insolvenzverwalter
10.12.3.2 Schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter
10.13 Getrennte Umsatzsteuer-Bescheide an unterschiedliche Unternehmensteile
10.14 Umsatzsteuer nach § 14c UStG
10.14.1 Wirkung eines zu hohen Steuerausweises
10.14.2 Berichtigung eines zu hohen Steuerausweises
10.14.3 Insolvenz des Rechnungsausstellers
10.15 Verwertung von Sicherungsgut
10.16 Insolvenz in Fällen umsatzsteuerlicher Organschaft
11 Erfüllung der Rechtsgeschäfte
11.1 Grundsätzliches
11.2 Insolvenzschuldner als Leistungserbringer
11.2.1 Erfüllung des Vertrages
11.2.2 Ablehnung der Vertragserfüllung
11.3 Insolvenzschuldner als Leistungsbesteller
11.3.1 Der Insolvenzverwalter wählt für den Leistungsbesteller die Erfüllung des Vertrags
11.3.2 Der Insolvenzverwalter lehnt für den Leistungsbesteller die Erfüllung des Vertrags ab
11.4 Lieferungen unter Eigentumsvorbehalt
11.4.1 Insolvenz des Verkäufers
11.4.2 Insolvenz des Käufers
11.4.2.1 Allgemeiner Überblick
11.4.2.2 Ablehnung der Vertragserfüllung durch den Insolvenzverwalter
11.4.2.3 Erfüllung des Vertrags durch den Insolvenzverwalter
12 Aufrechnung mit Insolvenzforderungen
13 Beendigung des Insolvenzverfahrens
14 Vorsteuerabzug aus Rechnungen des Insolvenzverwalters an den Insolvenzschuldner
14.1 Rechnungen des Insolvenzverwalters
14.2 Rechnungen des vorläufigen Insolvenzverwalters
15 Literaturhinweise
16 Verwandte Lexikonartikel
Das insolvenzrechtliche Verfahren nach der InsO sowie die damit im Zusammenhang stehende steuerrechtliche Behandlung im Insolvenzverfahren können nicht losgelöst voreinander behandelt werden. Das zivilrechtliche Verfahren nach der InsO ist ein unverzichtbarer Bestandteil der steuerrechtlichen Problematik des Insolvenzverfahrens.
Die originäre insolvenzrechtliche Kommentierung nach der InsO erfolgt wegen der Komplexität der Thematik in dem Stichwort → Insolvenzverfahren. In dem hier vorliegenden Stichwort »Insolvenzen und Steuern« wird in den entscheidenden Passagen immer wieder auf das insolvenzrechtliche Verfahren des Stichworts → Insolvenzverfahren verwiesen. Dabei lässt es sich auch nicht vermeiden und es ist sogar notwendig für das Verständnis des steuerrechtlichen Verfahrens, ab und an das zivilrechtliche Verfahren der steuerrechtlichen Problematik voranzustellen.
Eröffnungsgründe (§ 16 InsO) sind
die eingetretene Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO),
die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO) und
die Überschuldung (§ 19 InsO).
Zu den Eröffnungsgründen s. die ausführliche Kommentierung unter → Insolvenzverfahren und dort den Gliederungspunkt »Eröffnungsgründe«.
Das Insolvenzverfahren wird nur auf schriftlichen Antrag eröffnet. Antragsberechtigt sind sowohl die Gläubiger als auch der Schuldner (§ 13 Abs. 1 Satz 2 InsO). Den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann – außer bei drohender Zahlungsunfähigkeit – jeder Gläubiger stellen, der ein rechtliches Interesse an der Eröffnung hat und seinen Anspruch sowie den Eröffnungsgrund glaubhaft macht (vgl. § 14 Abs. 1 InsO).
Die Stellung eines Antrags auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners durch die Finanzbehörde ist kein Verwaltungsakt, sondern stellt schlichtes hoheitliches Handeln dar, dessen Überprüfung dem FG und nicht dem Insolvenzgericht obliegt (BFH Beschluss vom 31.8.2011, VII B 59/11, BFH/NV 2011, 2105). Dem Stpfl. stehen als Rechtsbehelfe hiergegen die allgemeine Leistungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) bzw. im vorläufigen Rechtsschutzverfahren der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 114 FGO) zu (vgl. BFH Beschluss vom 12.8.2011, VII B 159/10, BFH/NV 2011, 2104; s.a. AEAO Tz. 2.3 zu § 251 AO).
Zum Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer juristischen Person oder einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit (ab 1.1.2024: rechtsfähige PersGes, s. Hinweis) ist außer den Gläubigern jedes Mitglied des Vertretungsorgans, bei einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit oder bei einer Kommanditgesellschaft auf Aktien jeder persönlich haftende Gesellschafter, sowie jeder Abwickler berechtigt. Bei einer juristischen Person ist im Fall der Führungslosigkeit auch jeder Gesellschafter, bei einer Aktiengesellschaft oder einer Genossenschaft zudem auch jedes Mitglied des Aufsichtsrats zur Antragstellung berechtigt (§ 15 Abs. 1 InsO).
Hinweis:
Unter dem in der InsO wiederkehrenden Begriff der Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit versteht § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO die offene Handelsgesellschaft, die Kommanditgesellschaft, die Partnerschaftsgesellschaft, die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die Partenreederei und die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung.
Gem. Art. 35 Nr. 7 Buchst. a i.V.m. Art. 137 Satz 1 des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021 (BGBl I 2021, 3436) wird u.a. in § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO mit Wirkung ab 1.1.2024 die Wörter »Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit« durch die Wörter »rechtsfähige Personengesellschaft« ersetzt.
All die in § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO genannten Gesellschaftsrechtsformen sind zukünftig unter dem besser verständlichen Oberbegriff der rechtsfähigen PersGes zusammenzufassen. Dazu zählt insbes. auch die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung, die ausweislich § 1 EWIVAG aufgrund ihrer strukturellen Nähe zu den PersGes in der Bundesrepublik Deutschland als Sonderform der offenen Handelsgesellschaft zählt. Eine inhaltliche Änderung ist mit dieser terminologischen Klarstellung nicht verbunden. Weiterhin nicht zu den rechtsfähigen PersGes zählen demgegenüber die Gesellschaft bürgerlichen Rechts in Gestalt der nicht rechtsfähigen Gesellschaft und die stille Gesellschaft (BT-Drs. 19/27635, 203).
Nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO kann zur Sicherung der Vermögensmasse bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt werden. Es ist zwischen dem sog. »starken« und »schwachen« vorläufigen Insolvenzverwalter zu unterscheiden, da sich aufgrund seiner unterschiedlichen rechtlichen Stellung auch unterschiedliche Rechtsfolgen im Hinblick auf seine Tätigkeiten ergeben. Zum »starken« bzw. »schwachen« vorläufigen Insolvenzverwalter s. → Insolvenzverfahren und dort den Gliederungspunkt »Vorläufige Maßnahmen«.
Der »schwache« vorläufige Verwalter begründet keine Masseverbindlichkeiten, sondern lediglich Insolvenzverbindlichkeiten. Dies gilt selbst dann, wenn er später auch zum (endgültigen) Insolvenzverwalter bestellt wird (BFH Urteil vom 21.12.1988, V R 29/86, BStBl II 1989, 434 und OFD Frankfurt vom 4.11.2009 S 7340 A – 85 – St 11, SIS 10 40 63, Rz. 13).
Zur Begründung der Rechtsstellung eines »schwachen« vorläufigen Insolvenzverwalters und somit zur Entstehung bzw. zur Nichtbegründung von Masseverbindlichkeiten hat der BFH mit Urteil vom 9.12.2014 (X R 12/12, BStBl II 2016, 852; Nöcker, NWB 37/2015, 2710) Stellung genommen.
Sachverhalt und Entscheidungsgründe:
Im Urteilsfall war der Stpfl. vom Insolvenzgericht zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt worden. Ein allgemeines Verfügungsverbot nach § 22 Abs. 2 InsO war dem Insolvenzschuldner in diesem Beschluss nicht auferlegt worden. Das Insolvenzgericht hatte allerdings angeordnet, dass Verfügungen des Insolvenzschuldners nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Halbsatz 2 InsO nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam seien. Den Pflichtenumfang des vorläufigen Insolvenzverwalters hatte das Insolvenzgericht u.a. wie folgt erweitert:
Er hatte die Aufgabe, durch Überwachung des Insolvenzschuldners dieses Vermögen zu sichern und zu erhalten,
er wurde ermächtigt, Bankguthaben und sonstige Forderungen des Insolvenzschuldners einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen und auf ein von ihm einzurichtendes Anderkonto einzuzahlen,
er war zur Fortführung des Betriebes bis zur Entscheidung über die Verfahrenseröffnung ermächtigt; zur Stilllegung des Betriebes war er nur mit Zustimmung des Insolvenzgerichts befugt.
Nach der Urteilsbegründung hatte der Stpfl. trotz der Ausdehnung seiner Befugnisse als vorläufiger Insolvenzverwalter durch den Beschluss des Insolvenzgerichts weder die Stellung eines »starken« vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO noch ist diese Vorschrift analog anwendbar.
Nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO gelten nach der Eröffnung des Verfahrens auch solche Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, auf den die Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergegangen ist. Die Rechtsstellung dieses »starken« vorläufigen Insolvenzverwalters unterscheidet sich deutlich von der des sog. »schwachen« vorläufigen Insolvenzverwalters, auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners nicht übergegangen ist. So gelten die von einem »starken« vorläufigen Insolvenzverwalter begründeten Verbindlichkeiten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 2 Satz 1 InsO). Bei Rechtsstreiten, die das Vermögen des Schuldners betreffen, wird das Verfahren nach § 240 Satz 2 ZPO unterbrochen, wenn die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergeht. Bei dem sog. »schwachen« vorläufigen Insolvenzverwalter treten diese Rechtsfolgen nicht ein. Dies gilt auch dann, wenn das Insolvenzgericht gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 InsO anordnet, dass Verfügungen des Schuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind. In diesem Fall sind zwar Verfügungen des Schuldners ohne die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters grundsätzlich unwirksam (vgl. § 24 Abs. 1, § 81 InsO); andererseits kann aber auch der vorläufige Insolvenzverwalter grundsätzlich nicht (allein) über das Vermögen des Schuldners verfügen. Schuldner und vorläufiger Insolvenzverwalter haben eine vergleichbar starke Stellung. Der vorläufige Insolvenzverwalter ist als »Berater« des Schuldners anzusehen.
Im Urteilsfall hat das Insolvenzgericht den Verwalter nicht als vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Verfügungsverbot nach § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO bestellt. Stattdessen hat es ihn nur mit einem Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 InsO ausgestattet. Ein »starker« vorläufiger Insolvenzverwalter i.S.d. § 22 Abs. 1 InsO ist der Insolvenzverwalter deshalb nicht. Er konnte folglich keine Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO begründen (s.a. Anmerkung vom 23.8.2016, LEXinform 0948030).
Wurde ein »schwacher« vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, ist dieser nicht Vermögensverwalter i.S.d. § 34 Abs. 3 AO. Steuerbescheide weiterhin bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens ergehen und sind dem Schuldner bekannt zu geben, soweit kein Empfangsbevollmächtigter bestellt ist (AEAO Tz. 3.1 Abs. 2 zu § 251 AO; s.u. den Gliederungspunkt »Bekanntgabe von Verwaltungsakten in Insolvenzfällen«).
Der »schwache« vorläufige Insolvenzverwalter kann in der Regel keine Masseverbindlichkeiten begründen (BGH Urteil vom 18.7.2002, IX ZR 195/01, DB 2002, 2011). Aufgrund der Regelung des § 55 Abs. 4 InsO i.d.F. bis 31.12.2020 gelten jedoch Steuerverbindlichkeiten des Schuldners, die vom vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters begründet werden, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten. Zu Einzelheiten der Anwendung des § 55 Abs. 4 InsO siehe BMF-Schreiben vom 20.5.2015 (BStBl I 2015, 476; s.u.). Die Regelung ist zum 1.1.2011 in Kraft getreten.
Durch Art. 5 Nr. 14 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) wird mit Wirkung ab 1.1.2021 § 55 Abs. 4 InsO geändert. Zu Einzelheiten der Anwendung des § 55 Abs. 4 InsO i.d.F. ab 1.1.2021 s. BMF-Schreiben vom 11.1.2022 (BStBl I 2022, 116; s.u.). Zu der Änderung s. die Erläuterungen unter den unter Beachte angegebenen Gliederungspunkten.
Beachte:
Für Insolvenzverfahren, die ab dem 1.1.2021 beantragt wurden, ist das BMF-Schreiben vom 11.1.2022 (BStBl I 2022, 116) anzuwenden.
Für Insolvenzverfahren, die vor dem 1.1.2021 beantragt wurden, sind die Regelungen des BMF-Schreibens vom 20.5.2015 (BStBl I 2015, 476), ergänzt durch BMF-Schreiben vom 18.11.2015 (BStBl I 2015, 886) weiterhin anzuwenden (s.a. Streit u.a., BMF zur Behandlung der Umsatzsteuer im Insolvenzeröffnungsverfahren, DB 2022, 767).
Im BMF-Schreiben vom 20.5.2015 (BStBl I 2015, 476) wurden in den Rz. 9 bis 23 die Grundsätze des BFH-Urteils vom 24.9.2014 (V R 48/13, BStBl II 2015, 506) eingearbeitet. Nach dem BMF-Schreiben vom 18.11.2015 (BStBl I 2015, 886) sind die Rz. 9 bis 23 nach einer Übergangsregelung weiter anzuwenden, wenn die Sicherungsmaßnahmen vom Insolvenzgericht vor dem 1.1.2015 angeordnet wurden. Wurden die Sicherungsmaßnahmen vom Insolvenzgericht vor dem 1.1.2015 angeordnet, sind in diesen Fällen die Regelungen in Rz. 11 bis 19 des BMF-Schreibens vom 17.1.2012 (BStBl I 2021, 120) weiterhin anzuwenden.
Zu den Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO s. insbesondere die Gliederungspunkte
→ Insolvenzverfahren die Gliederungspunkte »Insolvenzforderung«, »Masseverbindlichkeiten« sowie »Verbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO«,
»Die Behandlung von Umsatzsteuer und Vorsteuer als Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO«,
»Umsatzsteuer- und Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG« sowie
»Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG«.
Das Steuerfestsetzungsverfahren, das Rechtsbehelfsverfahren und der Lauf der Rechtsbehelfsfristen werden, soweit sie die Insolvenzmasse betreffen und abstrakt dazu geeignet sind, sich auf zur Tabelle anzumeldende Steuerforderungen auszuwirken, analog zu § 240 ZPO unterbrochen (vgl. BFH Urteil vom 24.8.2004, VIII R 14/02, BStBl II 2005, 246).
Eine Verfahrensunterbrechung tritt nicht ein, wenn keine Forderungen gegenüber der Insolvenzmasse für Zeiträume vor Insolvenzeröffnung geltend zu machen sind (z.B. im Falle einer Erstattung für die Masse; BFH Urteil vom 13.5.2009, XI R 63/07, BStBl II 2010, 11 sowie AEAO Tz. 4.1.2 zu § 251 AO).
Mit dem Zeitpunkt, der im Eröffnungsbeschluss genannt ist, wird die Beschlagnahme des gegenwärtigen und auch des während des Verfahrens erworbenen Schuldnervermögens (Neuerwerb, § 35 InsO) wirksam. Das damit ausgesprochene Verfügungsverbot erstreckt sich auf das gesamte, der Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen einschließlich der Geschäftsbücher des Schuldners, auf alle im Besitz des Schuldners befindlichen Sachen und alle von ihm genutzten Grundstücke und Gebäude (§§ 35, 36 InsO). Der Umstand, dass z.B. ein Grundstück mit einer Grundschuld zugunsten einer Bank belastet ist, ändert an der Massezugehörigkeit nichts. Denn durch ein Absonderungsrecht gem. §§ 49 ff. InsO kann lediglich die vorrangige Befriedigung aus bestimmten Gegenständen, welche zur Haftungsmasse des Schuldners gehören, beansprucht werden (BFH vom 7.7.2020, X R 13/19, BStBl II 2021, 174, Rz. 15).
Nicht zur Insolvenzmasse gehören die unpfändbaren Gegenstände i.S.d. § 36 InsO und das Vermögen aus einer nach § 35 Abs. 2 InsO freigegebenen Tätigkeit (sog. insolvenzfreies Vermögen).
Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und § 80 Abs. 1 InsO). Die Verwaltungs- und Verfügungsrechte werden durch den Insolvenzverwalter ausgeübt (§ 34 Abs. 3 AO; AEAO Tz. 4.1.1 Abs. 1 zu § 251 AO).
Hat der Schuldner nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über einen Gegenstand der Insolvenzmasse verfügt, so ist diese Vfg. unwirksam (§ 81 Abs. 1 InsO). Ist nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Erfüllung einer Verbindlichkeit an den Schuldner geleistet worden, obwohl die Verbindlichkeit zur Insolvenzmasse zu erfüllen war, so wird der Leistende befreit, wenn er zur Zeit der Leistung die Eröffnung des Verfahrens nicht kannte (§ 82 InsO).
Beachte:
Mit Urteil vom 18.8.2015 (VII R 24/13, BStBl II 2016, 255) hatte der BFH darüber zu entscheiden, welche Folgen es hat, wenn nur das ehemals örtlich zuständige FA Kenntnis von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Stpfl. hat und das aktuell zuständige FA deshalb eine Steuererstattung nicht auf das Konto des nach § 80 Abs. 1 InsO empfangsberechtigten Insolvenzverwalters, sondern auf das Konto des Insolvenzschuldners leistet.
Der Insolvenzverwalter kann sich nicht auf eine Zurechnung der Kenntnis des ehemals örtlich zuständigen FA berufen, wenn er selbst seine steuerlichen Mitwirkungspflichten verletzt hat. Im Streitfall ist diese Voraussetzung erfüllt, da der Insolvenzverwalter entweder von dem Wohnsitzwechsel des Insolvenzschuldners gewusst hat, ohne das FA über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu informieren, oder keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen hat, den Wohnsitz des Insolvenzschuldners nachzuverfolgen. Darüber hinaus hat der Insolvenzverwalter über mehrere Jahre weder die erforderlichen ESt-Erklärungen abgegeben noch den Finanzbehörden die Besteuerungsgrundlagen mitgeteilt (Pressemitteilung des BFH Nr. 81/2015 vom 2.12.2015, LEXinform 0443852 sowie Anmerkung vom 8.12.2015, LEXinform 0947401).
Mit der Eröffnung des Verfahrens können bis zu diesem Zeitpunkt begründete Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (Insolvenzforderungen) nur noch nach Maßgabe der InsO geltend gemacht werden. Dies gilt auch für Ansprüche, auf die steuerliche Verfahrensvorschriften entsprechend anzuwenden sind (z.B. Rückforderung von Investitionszulage; AEAO Tz. 4.1.1 Abs. 4 zu § 251 AO).).
Nach dem BFH-Urteil vom 3.2.2016 (X R 25/12, BStBl II 2016, 391) verliert der Stpfl. aufgrund des mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 80 Abs. 1 InsO eingetretenen Übergangs der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf den Insolvenzverwalter nicht generell die originär ihm zustehende Befugnis, von ihm getätigte bzw. ihm zurechenbare Aufwendungen als Betriebsausgaben gem. § 4 Abs. 4 EStG abzuziehen. Denn die nach Maßgabe von § 80 Abs. 1 i.V.m. § 81 Abs. 1 Satz 1 InsO eintretenden Rechtsfolgen beziehen sich ausdrücklich nur auf »das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen« bzw. »einen Gegenstand der Insolvenzmasse« i.S.d. §§ 35 ff. InsO. Im Umkehrschluss hierzu ergibt sich zum einen, dass der Schuldner außerhalb der Insolvenzmasse stehendes – insolvenzfreies – Vermögen nach wie vor frei verwalten und uneingeschränkt darüber verfügen darf. Dies betrifft in erster Linie sein gem. § 36 Abs. 1 InsO i.V.m. §§ 850, 850c ZPO unpfändbares Arbeitseinkommen. Mit Recht hat daher der BGH in seinem Urteil vom 14.1.2010 (IX ZR 93/09, LEXinform 1560733) klargestellt, dass freiwillige Zahlungen des Insolvenzschuldners mit Mitteln, die nicht zur Insolvenzmasse gehören, nicht durch die §§ 87, 89 InsO untersagt sind und dadurch insbes. auch der insolvenzrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt wird.
Sobald das Gericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet, verliert der Schuldner i.d.R. die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen (Ausnahme: Eigenverwaltung des Vermögens durch den Schuldner nach § 270 Abs. 1 InsO; § 27 Abs. 1 Satz 2 InsO; s. → Insolvenzverfahren den Gliederungspunkt »Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren«). Aus diesem Grunde wird vom Gericht ein Insolvenzverwalter bestellt (§ 27 Abs. 1 Satz 1 und § 80 Abs. 1 InsO). Der Insolvenzverwalter sichert, verwaltet, verwertet und verteilt die Insolvenzmasse. Der Insolvenzschuldner bleibt jedoch auch nach Insolvenzeröffnung der maßgebliche Unternehmer. Der Insolvenzverwalter nimmt hingegen die Stellung eines Vermögensverwalters i.S.v. § 34 Abs. 3 AO ein. Er hat daher nach § 34 Abs. 1 AO die steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners zu erfüllen, d.h. Abgabe von Umsatzsteuervoranmeldungen auch für Zeiträume vor der Insolvenzeröffnung sowie Leisten von Zahlungen nach den gesetzlichen Bestimmungen. Er wird nicht Vertreter des Schuldners, sondern ist lediglich ein gesetzlich legitimiertes und in Bezug auf die Insolvenzmasse kraft eigenen Rechts im eigenen Namen handelndes Organ. Auch wird er nicht Steuersubjekt. Der Schuldner behält für die steuerbaren Umsätze die Unternehmereigenschaft (s.a. AEAO Tz. 4.2 zu § 251 AO).
Mit Urteil vom 24.11.2009 (1 K 1752/07, EFG 2010, 930, LEXinform 5009823, Rechtsausführungen bestätigt durch BFH-Beschluss vom 15.9.2010, II B 4/10, BFH/NV 2011, 2, LEXinform 5905802) hat das FG Rheinland-Pfalz zu der Frage Stellung genommen, ob und ggf. in welchem Umfang ein Insolvenzverwalter (Kläger) Anspruch auf Einsicht in die Steuerakten des Insolvenzschuldners (Schuldner) hat.
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht dem Insolvenzverwalter, der nach § 34 Abs. 3 und 1 AO die steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners zu erfüllen hat, das Recht zu, dass die Finanzbehörde über seinen im außergerichtlichen Besteuerungsverfahren gestellten Antrag auf Akteneinsicht nach pflichtgemäßem Ermessen entscheidet. Das Akteneinsichtsrecht des Insolvenzverwalters reicht grundsätzlich nicht weiter als das zunächst dem Insolvenzschuldner zustehende Akteneinsichtsrecht.
Zu den Auskunftsrechten des Insolvenzverwalters gegenüber dem FA s. AEAO zu § 251 Tz. 4.5 sowie OFD Frankfurt vom 15.5.2018 (S 0130 A – 115 – St 23, DB 2018, 1957).
Mit Beschluss vom 16.6.2020 (II B 65/19, BStBl II 2020, 622) hat der BFH entschieden, dass für Auskunfts- und Informationszugangsansprüche, deren Umfang nach § 32e AO begrenzt wird, nicht der Finanzrechtsweg, sondern der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist (s.a. Anmerkung vom 26.8.2020, LEXinform 0889663).
Insolvenzgläubiger können gem. § 87 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihre Insolvenzforderungen i.S.v. § 38 InsO (s. nachfolgenden Gliederungspunkt) und damit ihre zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegen den Schuldner »begründeten« Vermögensansprüche nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgen. Dementsprechend sind nach § 251 Abs. 3 AO Insolvenzforderungen während eines Insolvenzverfahrens nicht durch Steuerbescheid festzusetzen, sondern nur erforderlichenfalls durch Verwaltungsakt festzustellen (s.a. BFH Urteile vom 24.8.2011, V R 53/09, BStBl II 2012, 256 sowie vom 28.6.2022, VII R 23/21, BStBl II 2022, 791, Rz. 21). Diese Einschränkungen gelten aber nicht für Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO, die durch Steuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend zu machen sind und die der Insolvenzverwalter nach § 34 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 AO aus der Insolvenzmasse zu bezahlen hat (BFH Urteil vom 29.8.2007, IX R 4/07, BStBl II 2010, 145; s.a. rechtskräftiges Urteil des FG Baden-Württemberg vom 27.5.2009, 1 K 105/06, EFG 2009, 1585, LEXinform 5008633 und BFH Urteil vom 24.8.2011, V R 53/09, BStBl II 2012, 256). Das Steuerfestsetzungsverfahren, das Rechtsbehelfsverfahren und der Lauf der Rechtsbehelfsfristen werden analog § 240 ZPO durch das Insolvenzverfahren unterbrochen (AEAO Tz. 4.3.1 und 4.3.2 zu § 251 AO).
Zur Rückforderung einer auf einer (vermeintlich) unberechtigten Insolvenzanfechtung beruhenden Leistung des FA hat der BFH mit Urteil vom 12.11.2013 (VII R 15/13, BStBl II 2014, 359) entschieden, dass der Anspruch des Insolvenzverwalters auf Rückgewähr (vermeintlich) in anfechtbarer Weise geleisteter Steuern nach § 143 Abs. 1 InsO kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S.d. § 37 Abs. 1 AO ist, weil er kein auf steuerrechtlichen Gründen beruhender Erstattungsanspruch i.S.d. § 37 Abs. 2 AO, sondern ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch ist. Auch wenn sich dieser Anspruch auf Rückzahlung einer (zurückgezahlten) Steuer richtet, so dass § 37 Abs. 2 AO wortwörtlich genommen einschlägig zu sein scheint, kann nicht unberücksichtigt bleiben, dass der in § 37 Abs. 2 AO geregelte Anspruch auf der Umkehrung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis i.S.d. § 37 Abs. 1 AO beruht.
Im Streitfall ging es nicht um die Rückforderung einer ungerechtfertigten Steuerrückzahlung, sondern um die Rückabwicklung der – nach erneuter Prüfung nunmehr als unberechtigt angesehenen – Befolgung der Insolvenzanfechtung. Das FA hatte die durch Lastschrift von der GmbH eingezogenen Steuern zur Insolvenzmasse erstattet, weil es den Rückgewähranspruch des Insolvenzverwalters aus § 143 Abs. 1 InsO zunächst anerkannt hatte.
Begründet der Rückgewähranspruch des Insolvenzverwalters aus § 143 Abs. 1 InsO ein zivilrechtliches Rechtsverhältnis, kann auch die Rückforderung einer auf einer (vermeintlich) unberechtigten Insolvenzanfechtung beruhenden Leistung des FA nur in diesem Rechtsverhältnis abgewickelt werden. Denn ein Anspruch auf Rückgewähr einer Leistung teilt die Rechtsnatur des Anspruchs, auf den jene Leistung erbracht worden ist. Für diese Abwicklung kann sich das FA mangels Anwendbarkeit des § 218 Abs. 2 Satz 2 AO oder einer sonstigen Rechtsgrundlage nicht eines Rückforderungsbescheids bedienen, sondern muss den Zivilrechtsweg beschreiten. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Rückzahlung des FA »aufgrund eines wirklich bestehenden oder eines vermeintlichen Insolvenzanfechtungsanspruchs erfolgte«. Auch wenn sich später herausstellt, dass die Anfechtung nicht berechtigt war, hat das FA in Befolgung des Anfechtungsanspruchs und nicht »ohne Rechtsgrund allein auf der Grundlage des Steuerschuldverhältnisses« zurückgezahlt (s.a. Anmerkung vom 27.3.2014, LEXinform 0944695).
In seinem Urteil vom 14.12.2021 (VII R 15/19, BFH/NV 2022, LEXinform 0952366) macht der BFH in Rz. 30 der Entscheidung deutlich, dass § 143 Abs. 1 InsO – anders als § 144 Abs. 1 InsO – keinen früheren Anspruch wieder aufleben lässt. Deshalb ist der Anspruch des Insolvenzverwalters auf Rückgewähr in anfechtbarer Weise geleisteter Steuern nach § 143 Abs. 1 InsO kein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis i.S.d. § 37 AO ist, über den durch Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 Satz 2 AO entschieden werden kann, sondern ein bürgerlich-rechtlicher Anspruch.
In Bezug auf § 144 InsO hat der BFH entschieden, dass zwar die Zahlung der Steuerschuld regelmäßig zu ihrem Erlöschen und damit zur Beendigung dieses Steuerschuldverhältnisses führt, dass aber bei Steuerfälligkeiten, die in die insolvenzreife Zeit fallen, dieses Steuerschuldverhältnis selbst bei fristgerechter Zahlung wegen der gesetzlich vorgesehenen Anfechtungsmöglichkeiten des Insolvenzverwalters zunächst in der Schwebe bleibt. Die erfolgreiche Anfechtung und Rückgewähr nach § 143 InsO bewirkt also gem. § 144 InsO, dass die Steuerschuld rückwirkend wieder auflebt. Die Beendigung des Steuerschuldverhältnisses ist insoweit auflösend bedingt (BFH vom 11.11.2008, VII R 19/08, BStBl II 2009, 342, unter II.2.). Damit wird deutlich, dass der Rechtsgrund einer anfechtbaren Leistung von der Insolvenzanfechtung unberührt bleibt. Bei den Ansprüchen, die nach § 144 InsO wieder entstehen, handelt es sich folglich um die ursprünglichen Zahlungsansprüche (s. BFH vom 29.3.2017, XI R 5/16, BStBl II 2017, 738, Rz. 20; BFH vom 14.12.2021, VII R 15/19, BFH/NV 2022, 683, LEXinform 0952366, Rz. 28).
Bei einer Streitigkeit darüber, ob eine erloschene Abgabenschuld nach § 144 Abs. 1 InsO rückwirkend wieder aufgelebt ist, handelt es sich deshalb um eine Streitigkeit über die Verwirklichung eines Steueranspruchs i.S.v. § 218 Abs. 2 AO.
Nach dem BFH-Urteil vom 22.11.2017 (XI R 14/16, BStBl II 2018, 455) entstehen keine Säumniszuschläge, wenn aufgrund einer Anfechtung des Insolvenzverwalters Steuern, die bis zum Ablauf des Fälligkeitstages vom Insolvenzschuldner gezahlt wurden, zurückgewehrt werden. Zwar sind rückständige Steuerforderungen i.S.v. § 240 AO rückwirkend wieder aufgelebt, diese Forderungen sind aber bereits entrichtet worden (s.a. Anmerkung vom 24.5.2018, LEXinform 0949660).
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist zwischen Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten zu unterscheiden. Die Steuerforderungen sind je nachdem, ob es sich um Insolvenzforderungen oder Masseverbindlichkeiten handelt, unterschiedlich geltend zu machen.
Ob eine Insolvenzforderung vorliegt, richtet sich danach, wann der Rechtsgrund für den streitigen Anspruch gelegt worden ist (s. BFH vom 19.1.2021, VII R 38/19, BFH/NV 2021, 1057, Rz. 26). Der Rechtsgrund für Steueransprüche ist gelegt, wenn der gesetzliche (Besteuerungs-)Tatbestand verwirklicht wird (BFH vom 16.5.2013, IV R 23/11, BStBl II 2013, 759, Rz. 19 sowie vom 28.6.2022, VII R 23/21, BStBl II 2022, 791, Rz. 23).
Insolvenzforderungen sind die bis zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensansprüche gegen den Insolvenzschuldner (§ 38 InsO). Die Insolvenzforderungen werden aus der Insolvenzmasse quotal bedient (AEAO Tz. 5.1 zu § 251 AO).
Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, die gem. § 174 InsO als Insolvenzforderungen zur Eintragung in die Tabelle anzumelden sind, dürfen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens von den FÄ nicht mehr festgesetzt werden. Ein dennoch erlassener Steuerbescheid ist unwirksam (s. BFH Urteil vom 10.12.2008, I R 41/07, BFH/NV 2009, 719, LEXinform 0588361). Unwirksam ist aber auch eine Festsetzung, wenn nach der Anrechnung eine konkrete Zahlungsverpflichtung (zunächst) nicht mehr besteht, da ansonsten bei einem späteren Streit über die Höhe der Anrechnung eine durch diesen (evtl. bestandskräftigen) Steuerbescheid titulierte Insolvenzforderung entstehen könnte.
Bei der Anmeldung der Forderungen sind nach § 174 Abs. 2 InsO der Grund und der Betrag der Forderung anzugeben sowie die Tatsachen, aus denen sich nach Einschätzung des Gläubigers ergibt, dass ihr eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung, eine vorsätzliche pflichtwidrige Verletzung einer gesetzlichen Unterhaltspflicht oder eine Steuerstraftat des Schuldners nach den §§ 370, 373 oder 374 AO zugrunde liegt.
Beachte:
Nach dem Wortlaut des § 174 Abs. 2 InsO ist nicht die Tatsache der rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Steuerstraftat anzumelden, sondern jene Tatsachen, aus denen sich ergibt, dass der Forderung nach Einschätzung des Gläubigers eine Steuerstraftat zugrunde liegt. Insoweit unterscheiden sich die Regelungen in § 174 Abs. 2 und § 302 Nr. 1 Alternative 3 InsO, der Verbindlichkeiten aus einem Steuerschuldverhältnis von der Restschuldbefreiung ausnimmt, sofern der Schuldner im Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370, 373 oder 374 AO rechtskräftig verurteilt worden ist (s. → Insolvenzverfahren unter dem Gliederungspunkt »Das Verbraucherinsolvenzverfahren« und dort »Restschuldbefreiung«). Nach der Begründung des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte (BT-Drs. 17/11268, 32) soll nämlich bei der Anmeldung zur Tabelle unbeachtlich sein, wann die Verurteilung tatsächlich erfolgt (s.a. BFH vom 28.6.2022, VII R 23/21, BStBl II 2022, 791, Rz. 25).
Unberührt bleibt der Erlass von Steuerbescheiden, die zu einem Erstattungsanspruch führen (s.a. AEAO Tz. 4.3.1 zu § 251 AO). § 251 Abs. 2 Satz 1 AO bzw. § 87 InsO hindern das Ergehen eines auf 0 € lautenden Körperschaftsteuerbescheides für einen Besteuerungszeitraum vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens im laufenden Insolvenzverfahren nicht (BFH Urteil vom 10.12.2008, I R 41/07, BFH/NV 2009, 719, LEXinform 0588361). Zulässig sind auch Steuerbescheide, mit denen eine negative USt festgesetzt werden (BFH Urteil vom 11.12.2013, XI R 22/11, BStBl II 2014, 332, Rz. 21). In beiden Fällen setzt das FA keine Insolvenzforderung fest, die nach § 87 InsO nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgt werden kann, sondern einen Erstattungsbetrag, der nicht zur Tabelle anzumelden wäre. Deshalb scheidet hier auch eine Unterbrechung des Festsetzungsverfahrens mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens analog § 240 Satz 1 ZPO aus (AEAO zu § 251, Tz. 4.3.1 Abs. 3).
Steuerfestsetzungen i.H.v. 0 €, deren Besteuerungsgrundlagen in einen verbleibenden Verlustvortrag nach § 10d EStG eingehen können, sind unwirksam, da sie abstrakt geeignet sind, sich auf anzumeldende Steuerforderungen auszuwirken (AEAO zu § 251, Tz. 4.3.1 Abs. 2).
Mit Urteil vom 5.4.2022 (IX R 27/18, BStBl II 2022, 703) hat der BFH die bisher strittige Frage geklärt und entschieden, dass Steuerbescheide, mit denen eine positive Steuer festgesetzt wird, ausnahmsweise auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens wirksam ergehen können, wenn sich unter Berücksichtigung von Anrechnungsbeträgen insgesamt ein Erstattungsbetrag ergibt und auch keine Besteuerungsgrundlagen festgestellt werden, die die Höhe von Steuerforderungen beeinflussen, welche zur Tabelle anzumelden sind. Zwar dürfen Steuerbescheide nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr ergehen, wenn darin Insolvenzforderungen festgesetzt werden. Vielmehr muss das FA Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis zur Tabelle anmelden. Eine Ausnahme gilt für sog. Nullbescheide sowie für Umsatzsteuerbescheide, mit denen eine negative Steuer festgesetzt wird und aus denen sich keine Zahllast ergibt (s.o. sowie BFH Pressemitteilung Nr. 31/2022 vom 11.8.2022, LEXinform 0462541). Ein vergleichbarer Ausnahmefall liegt nach Ansicht des BFH auch dann vor, wenn sich – trotz positiver Steuer – unter Berücksichtigung von Anrechnungsbeträgen eine Erstattung ergibt. Einem derartigen Bescheid fehlt die abstrakte Eignung, sich auf anzumeldende Steuerforderungen auszuwirken. Denn damit hat das FA keine Insolvenzforderung festgesetzt, die nur nach den Vorschriften über das Insolvenzverfahren verfolgt werden kann.
Eine Vollstreckung nach den Vorschriften der AO ist gem. § 89 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens für Steuerforderungen, die vor Eröffnung des Verfahrens begründet waren, nicht mehr möglich.
Nach § 55 Abs. 4 Satz 1 InsO gelten Umsatzsteuerverbindlichkeiten sowie diesen gleichgestellten Verbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 Satz 2 InsO des Insolvenzschuldners, die vom vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten.
Beachte:
Durch Art. 5 Nr. 14 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 SanInsFoG vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) wird mit Wirkung ab 1.1.2021 § 55 Abs. 4 InsO geändert. S. → Insolvenzverfahren den Gliederungspunkt »Masseverbindlichkeiten« sowie die Kommentierung unter dem Gliederungspunkt »Die Behandlung von Umsatzsteuer und Vorsteuer als Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO«.
Vor der Insolvenzeröffnung begründete Abgabenansprüche können nicht mehr durch Festsetzung oder (Vor-)Anmeldung rechtswirksam werden (vgl. § 87 InsO). Ihre Geltendmachung erfolgt durch schriftliche Anmeldung zur Forderungstabelle (AEAO Tz. 5.2 zu § 251 AO). Nachrangige Insolvenzforderungen sind nur dann anzumelden, wenn das Insolvenzgericht hierzu besonders auffordert (vgl. § 174 Abs. 3 InsO). Die Tabelle wird im ersten Drittel des Zeitraums zwischen Anmeldungs- und Prüfungstermin (vgl. §§ 29 Abs. 1 Nr. 2, 175 Abs. 1 Satz 2 InsO) bei der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichts zur Einsichtnahme ausgelegt.
Die zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens begründeten Abgabenforderungen sind innerhalb der im Eröffnungsbeschluss genannten Frist schriftlich beim Verwalter anzumelden, soweit nicht die Möglichkeit einer Aufrechnung besteht (s.u.). Die Insolvenzordnung unterscheidet dabei nur Insolvenzforderungen (vgl. § 38 InsO) und nachrangige Insolvenzforderungen (vgl. § 39 InsO). Die Anmeldung soll die Forderungen nach Grund und Betrag bezeichnen. Diese soll ferner einen Hinweis darauf enthalten, welche Forderungen bereits vor Eröffnung des Verfahrens festgesetzt worden waren und bei welchen Bestandskraft eingetreten ist.
Beachte:
Forderungen können nach § 177 Abs. 1 InsO auch nachträglich, d.h. nach Ablauf der Anmeldefrist, angemeldet werden. Die gem. § 28 Abs. 1 InsO im Eröffnungsbeschluss zu bestimmende Anmeldefrist stellt keine Ausschlussfrist dar. Deshalb sind Forderungsanmeldungen (§ 177 Abs. 1 Satz 1 InsO) und Änderungsmeldungen (§ 177 Abs. 1 Satz 3 InsO) bis zum Schlusstermin möglich (BFH vom 28.6.2022, VII R 23/21, BStBl II 2022, 791, Rz. 26).
Die Insolvenzordnung stellt für die Einordnung der zum Verfahren anzumeldenden Ansprüche nur auf den Zeitpunkt der Begründetheit ab (vgl. § 38 InsO). Auf die steuerrechtliche Entstehung der Forderung kommt es im Insolvenzverfahren demzufolge nicht an. Daraus folgt, dass eine Abgabenforderung – unabhängig von der steuerrechtlichen Entstehung – immer dann als Insolvenzforderung i.S.v. § 38 InsO anzusehen ist, wenn ihr Rechtsgrund zum Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung bereits gelegt war. Eine Steuerforderung ist insolvenzrechtlich in dem Zeitpunkt begründet, zu dem der Besteuerungstatbestand vollständig verwirklicht ist (BFH Urteil vom 9.12.2014, X R 12/12, BStBl II 2016, 852; Nöcker, NWB 37/2015, 2710). Entscheidend ist insoweit, ob sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung eines Erstattungsanspruchs im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits erfüllt gewesen sind (BFH vom 8.11.2016, VII R 34/15, BStBl II 2017, 496, Rz. 12 sowie BFH vom 22.6.2022, XI R 46/20, BFH/NV 2023, 94, Rz. 17).
Besteht für einen Vergütungsanspruch, den das FA fehlerhaft für einen Besteuerungszeitraum nach Insolvenzeröffnung erstmals festsetzt, aufgrund der Rechtswidrigkeit dieser Steuerfestsetzung kein materieller Rechtsgrund, wird das FA diesen Vergütungsanspruch erst mit der Festsetzung (und damit vorliegend nach der Insolvenzeröffnung) zur Masse schuldig (BFH vom 22.6.2022, XI R 46/20, BFH/NV 2023, 94, LEXinform 4253396).
Im Urteilsfall XI R 46/20 hatte das FA im Umsatzsteuerbescheid für das Kj. 13 der Steuerfestsetzung einen – im Hinblick auf die mit der Insolvenzeröffnung im Kj. 10 bereits eingetretene Uneinbringlichkeit – nicht bestehenden Berichtigungsanspruch zugrunde gelegt, indem es angenommen hat, dass nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG der Steuerbetrag für stpfl. Ausgangsleistungen des Unternehmens zu berichtigen sei, weil sich eine Uneinbringlichkeit vorinsolvenzrechtlicher Entgelte erst aus der Zahlungsunfähigkeit der Leistungsempfänger ergeben habe.
Ob und wann ein Besteuerungstatbestand nach seiner Art und Höhe tatbestandlich verwirklicht und damit die Steuerforderung insolvenzrechtlich begründet worden ist, richtet sich auch im Anschluss an die Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters bzw. im Anschluss an die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausschließlich nach steuerrechtlichen Grundsätzen (BFH Urteil vom 9.12.2014, X R 12/12, BStBl II 2016, 852, Rz. 27).
Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht materiell-rechtlich bereits dann, wenn die betreffenden Gegenstände geliefert oder die Dienstleistungen erbracht werden. Für die insolvenzrechtliche Begründung des Erstattungsanspruchs kommt es auf den Besitz der Rechnung nicht an (BFH Urteil vom 12.6.2018, VII R 19/16, BStBl II 2020, 717). Der BFH unterscheidet zwischen der Entstehung und der Ausübung des Rechts zum Vorsteuerabzug (BFH Urteil vom 20.10.2016, V R 26/15, BStBl II 2020, 593). Dass der BFH in dem Besitz der Rechnung eine materielle Anspruchsvoraussetzung für die Ausübung des Rechts auf Vorsteuerabzug sieht (BFH Urteil vom 20.10.2016, V R 26/15, BStBl II 2020, 593, Rz. 17), ist demzufolge für die Frage nach dem Zeitpunkt der materiell-rechtlichen Entstehung dieses Anspruchs ohne Bedeutung. Auch wenn der Insolvenzverwalter seinen Anspruch erst mit dem Erhalt der Rechnung geltend machen kann, ändert dies nichts an dem Umstand, dass das Recht auf den Vorsteuerabzug materiell-rechtlich bereits zum Zeitpunkt der jeweiligen Leistungsbeziehung entstanden ist, also i.S.d. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (BFH vom 12.6.2018, VII R 19/16, BStBl II 2020, 717; Anmerkung vom 4.9.2018, LEXinform 0653508).
Beachte:
Eine Rechnungsberichtigung eines Unternehmers für eine von ihm erbrachte Leistung wirkt auf den Zeitpunkt der ursprünglichen Rechnungsausstellung zurück (→ Vorsteuerabzug).
Davon zu unterscheiden sind Forderungen an die Masse, die durch Maßnahmen des Verwalters bzw. des vorläufigen Verwalters (§ 55 Abs. 2 und 4 InsO) begründet worden sind.
Ist die Steuerforderung im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht gem. § 38 AO entstanden (z.B. Eröffnung im Laufe des USt-Voranmeldungszeitraums), ist nur die zum Eröffnungszeitpunkt bereits begründete Teilsteuerforderung anzumelden. Der nach Eröffnung begründete Teil ist Masseanspruch.
Wichtig:
Abgabenansprüche, die lediglich begründet sind, gelten im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung als fällig (vgl. § 41 InsO; s.a. AEAO Tz. 5.1 zu § 251 AO).
§ 41 Abs. 1 InsO wirkt nur gegenüber dem Insolvenzschuldner und berührt nicht die Mithaftung von Gesamtschuldnern. Die Eintragung eines Umsatzsteueranspruchs zur Insolvenztabelle (§ 178 Abs. 3 InsO) bewirkt auch unter Berücksichtigung von § 41 Abs. 1 InsO keine Fälligkeit zu Lasten des Zessionärs bei der Haftung nach § 13c UStG (BFH vom 23.7.2020, V R 44/19, BFH/NV 2021, 147, LEXinform 0952624; → Haftung bei Forderungsabtretung).
S. die Beispiele 1 bis 6 zum AEAO Tz. 5.1 zu § 251 AO.
Wird eine Steuerforderung gegenüber einer GmbH widerspruchslos zur Insolvenztabelle festgestellt, ist der Geschäftsführer der GmbH im Verfahren wegen Haftung gem. § 166 AO mit Einwendungen gegen die Höhe der Steuerforderung ausgeschlossen, wenn er der Forderungsanmeldung hätte widersprechen können, dies aber nicht getan hat (BFH Urteil vom 27.9.2017, XI R 9/16, BStBl II 2018, 515, Anmerkung vom 28.11.2017, LEXinform 0949221).
Der als Haftungsschuldner nach § 69 AO in Anspruch genommene Geschäftsführer einer GmbH ist nach § 166 AO im Haftungsverfahren mit Einwendungen gegen unanfechtbar festgesetzte Steuern der von ihm vertretenen und in Insolvenz geratenen GmbH ausgeschlossen, wenn er im Prüfungstermin nicht anwesend gewesen ist und deshalb gegen die Forderungen keinen Widerspruch erhoben hat, so dass diese zur Tabelle festgestellt worden sind (BFH Urteil vom 16.5.2017, VII R 25/16, BStBl II 2017, 934).
Nach § 69 i.V.m. § 34 AO haften die Geschäftsführer einer GmbH, soweit Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 AO) infolge vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung der ihnen auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt werden (→ Haftung). Die widerspruchslose Feststellung einer Steuerforderung im Insolvenzverfahren ist als unanfechtbare Steuerfestsetzung i.S.d. § 166 AO anzusehen (BFH Urteil vom 27.9.2017, XI R 9/16, BStBl II 2018, 515, Rz. 28). Im Bereich des Steuerrechts wirkt die widerspruchslose Eintragung in die Insolvenztabelle wie die bestandskräftige Festsetzung der Forderung (BFH Urteil vom 16.4.2013 VII R 44/12, BStBl II 2013, 778, Rz. 21).
Die Feststellung der Forderung in der Insolvenztabelle stellt das insolvenzrechtliche Äquivalent zur Steuerfestsetzung durch Verwaltungsakt dar (BFH Urteil vom 19.8.2008, VII R 36/07, BStBl II 2009, 90).
Eine Forderung gilt nach § 178 Abs. 1 Satz 1 InsO als festgestellt, soweit gegen sie im Prüfungstermin (§ 176 InsO) oder im schriftlichen Verfahren (§ 177 InsO) ein Widerspruch weder vom Insolvenzverwalter noch von einem Insolvenzgläubiger erhoben wird oder soweit ein erhobener Widerspruch beseitigt ist; ein Widerspruch des Schuldners steht der Feststellung der Forderung nicht entgegen (§ 178 Abs. 1 Satz 2 InsO). Das Insolvenzgericht trägt für jede angemeldete Forderung in die Insolvenztabelle ein, inwieweit die Forderung ihrem Betrag und ihrem Rang nach festgestellt ist oder wer der Feststellung widersprochen hat; auch ein Widerspruch des Schuldners ist einzutragen (§ 178 Abs. 2 Satz 1 und 2 InsO).
Die widerspruchslose Eintragung in die Insolvenztabelle wirkt gem. § 178 Abs. 3 InsO für die festgestellten Forderungen ihrem Betrag und ihrem Rang nach wie ein rechtskräftiges Urteil zwar (nur) gegenüber dem Insolvenzverwalter und allen Insolvenzgläubigern. Ein Tabelleneintrag im Insolvenzverfahren kann gem. § 178 Abs. 3 InsO auch im Haftungsverfahren Bindungswirkung entfalten. (BFH vom 17.9.2019, VII R 5/18, BStBl II 2023, 258; Anmerkung vom 15.1.2020, LEXinform 0889107).
Die widerspruchslose Feststellung zur Insolvenztabelle hat aber Rechtswirkungen nicht nur gegenüber dem Insolvenzverwalter und den Insolvenzgläubigern, sondern auch gegenüber der GmbH als Insolvenzschuldnerin.
Die Insolvenzmasse ist das gesamte der Zwangsvollstreckung unterliegende Vermögen des Schuldners, das ihm im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört, sowie das Vermögen, das er während des laufenden Verfahrens hinzuerwirbt (§§ 35, 36 InsO). Aus der Insolvenzmasse sind die Kosten des Insolvenzverfahrens (Massekosten) sowie die sonstigen Masseverbindlichkeiten vorweg, d.h. vor den Insolvenzforderungen zu befriedigen (§ 53 InsO). Masseverbindlichkeiten sind also solche, die vor allen anderen Verbindlichkeiten aus der Insolvenzmasse in voller Höhe bedient werden (§ 55 InsO; AEAO Tz. 6 zu § 251 AO).).
Massekosten sind die Gerichtskosten des Insolvenzverfahrens sowie die Vergütungen und die Auslagen des vorläufigen Insolvenzverwalters, des Insolvenzverwalters und der Mitglieder des Gläubigerausschusses (§ 54 InsO).
Sonstige Masseverbindlichkeiten sind u.a.
Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters (Alt. 1) oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse (Alt. 2) begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören.
§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 InsO (»durch Handlungen des Insolvenzverwalters«) umfasst alle Forderungen, die durch Rechtshandlungen des Insolvenzverwalters innerhalb seines amtlichen Wirkungskreises einschließlich deliktischer Handlungen und pflichtwidriger Unterlassungen begründet werden (BFH vom 14.12.2022, X R 9/20, BFH/NV 2023, 1141, LEXinform 4261961, Rz. 40).
Der Insolvenzverwalter kann als Partei kraft Amtes »im Rahmen der Verwaltung« Verträge mit Wirkung für und zu Lasten der Masse (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 InsO) abschließen (s. BFH vom 18.9.2019, XI R 19/17, BStBl II 2020, 172, Rz. 40). Im Urteilsfall XI R 19/17 beauftragte der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Rechtsanwalt. Dieser sollte prüfen, ob den Kommanditisten neben ihrem Gewinnanteil auch Teile ihrer Kommanditeinlage ausgezahlt worden sind und wieder zurückgefordert werden können. Die in den Honorarabrechnungen des Rechtsanwalts ausgewiesene USt machte der Insolvenzverwalter für die Stpfl. als Vorsteuer geltend.
In seinem Urteil XI R 19/17 hat der BFH entschieden, dass im Rahmen der Abwicklung des insolventen Unternehmens anfallende Kosten zur Prüfung der Frage, ob ein Anspruch nach § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB besteht, grds. zu den Allgemeinkosten der früheren unternehmerischen Tätigkeit gehören. Das Recht auf Vorsteuerabzug steht der Insolvenzmasse (nur) dann zu, wenn der Insolvenzverwalter die Masse wirksam verpflichtet hat (s. → Insolvenzen und Steuern, Gliederungspunkt »Die Umsatzsteuer im Insolvenzverfahren« und dort »Die Behandlung von Umsatzsteuer und Vorsteuer als Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO«);
Der zweiten Tatbestandsalternative (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO), den »in anderer Weise« durch Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse begründeten Verbindlichkeiten, sind Abgabenforderungen zuzuordnen, soweit sie die Insolvenzmasse betreffen. Dafür ist eine aktive Maßnahme des Verwalters nicht erforderlich (vgl. BFH vom 7.7.2020, X R 13/19, BStBl II 2021, 174, Rz. 38). Es kommt nicht darauf an, ob der Abgabentatbestand durch ein Verhalten des Insolvenzverwalters oder durch andere Tatsachen erfüllt ist. Vielmehr genügt es, dass die Abgabenforderung durch die Insolvenzverwaltung ausgelöst wird oder jedenfalls einen Bezug zur Masse aufweist und erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurde (BFH X R 9/20, Rz. 40).
Mit Urteil vom 14.12.2022 (X R 9/20, BFH/NV 2023, 1141, LEXinform 4261961) hat der BFH entschieden, dass die auf den einkommensteuerpflichtigen Gewinn aus dem Verkauf massezugehöriger sicherungsübereigneter beweglicher WG des BV durch den absonderungsberechtigten Gläubiger im Verfahren nach § 170 Abs. 2 InsO (Überlassung durch den Insolvenzverwalter zur Verwertung) entfallende Teileinkommensteuer eine »in anderer Weise« durch die Verwertung der Insolvenzmasse begründete Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 InsO ist. Durch die Überlassung (nur) zur Verwertung erfolgt keine echte Freigabe und damit auch keine Entlassung des Gegenstandes aus dem Insolvenzbeschlag des § 35 Abs. 1 InsO (s. Bodden, NWB 28/2023, 1946).
Verbindlichkeiten durch Handlungen des Insolvenzschuldners, die mit Zustimmung des Insolvenzverwalters mit Vermögen der Insolvenzmasse ausgeführt werden (§ 35 Abs. 2 InsO); gibt der Insolvenzverwalter das Vermögen ausdrücklich frei, handelt es sich um Insolvenzforderungen.
Zur Begründung bzw. Nichtbegründung von Masseverbindlichkeiten bei einer fortgesetzten Tätigkeit eines Freiberuflers in der Insolvenz hat der BFH mit Urteil vom 6.6.2019 (V R 51/17, BStBl II 2021, 52) Folgendes entschieden: Ist bei einer Tätigkeit ohne Wissen und Billigung des Insolvenzverwalters unklar, ob es sich umsatzsteuerrechtlich um eine solche des Insolvenzschuldners handelt, entsteht keine Masseverbindlichkeit.
Mit Art. 6 Nr. 1 des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3328) wird in § 35 InsO ein neuer Abs. 3 eingefügt. Der bisherige Abs. 3 wird Abs. 4. (s.u. die Erläuterungen unter dem Gliederungspunkt »Forderungen aus Tätigkeiten des Insolvenzschuldners nach Eröffnung des Verfahrens«).
Handlungen des verfügungsberechtigten vorläufigen Insolvenzverwalters (»starker« vorläufiger Verwalter, § 55 Abs. 2 InsO). Werden dabei Ertragsteuern begründet, stellen diese nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Masseverbindlichkeiten dar.
Wird der vorläufige Insolvenzverwalter ohne ein allgemeines Verfügungsverbot und nur mit einem Zustimmungsvorbehalt bestellt, sind die von ihm begründeten Verbindlichkeiten bisher keine Masseverbindlichkeiten; eine analoge Anwendung des § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO kommt nicht in Betracht (rechtskräftiges Urteil des FG Baden-Württemberg vom 27.5.2009, 1 K 105/06, EFG 2009, 1585, LEXinform 5008633).
Für Insolvenzverfahren, die ab dem 1.1.2011 beantragt werden, können Masseverbindlichkeiten auch nach § 55 Abs. 4 InsO entstehen. Zur Anwendung des § 55 Abs. 4 InsO a.F. s. das BMF-Schreiben (koordinierter Ländererlass) vom 20.5.2015 (BStBl I 2015, 476).
Mit dem Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) wird mit Art. 5 Nr. 14 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 SanInsFoG ab 1.1.2021 § 55 Abs. 4 InsO neu gefasst. Mit den Änderungen wird der Anwendungsbereich der Vorschrift u.a. auf bestimmte Steuerarten beschränkt (BT-Drs. 19/25353, 13). S. die Kommentierung unter dem Gliederungspunkt »Die Behandlung von Umsatzsteuer und Vorsteuer als Masseverbindlichkeiten nach § 55 InsO«. Zur Anwendung des § 55 Abs. 4 InsO n.F. s. das BMF-Schreiben (koordinierter Ländererlass) vom 11.1.2022 (BStBl I 2022, 116).
Die Verbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO gelten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten. Im Gegensatz zu den latenten Masseverbindlichkeiten des § 55 Abs. 2 InsO, die durch einen »starken« vorläufigen Insolvenzverwalter begründet worden sind, handelt es sich bei den latenten Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO ausschließlich um solche aus dem Steuerschuldverhältnis. Steuererstattungsansprüche und Steuervergütungsansprüche werden von § 55 Abs. 4 InsO nicht erfasst (Rz. 6 des BMF-Schreibens vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116). § 55 Abs. 4 InsO bezieht sich nur auf Verbindlichkeiten, nicht aber auf Forderungen. Angesichts des eindeutigen Wortlauts der Norm ist eine abweichende Auslegung nicht möglich. Erstattungsansprüche zählen zu den Insolvenzforderungen (vorinsolvenzrechtlicher Unternehmensteil) und nicht zu den Masseverbindlichkeiten des § 55 Abs. 4 InsO und müssen als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle angemeldet werden (Niedersächsisches FG Urteil vom 7.9.2017, 11 K 10305/15, EFG 2017, 1977, LEXinform 5020641, rkr.).
Vom Anwendungsbereich des § 55 Abs. 4 InsO betroffen sind ab 1.1.2021 folgende Steuerarten
Umsatzsteuer,
sonstige Ein- und Ausfuhrabgaben,
bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuern.
Energiesteuerverbindlichkeiten können nur dann Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO darstellen, wenn sie aus sog. Neugeschäften entstehen, weshalb durch bereits bei Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters bestehende Lieferverträge (»Altgeschäfte«) keine Masseverbindlichkeiten begründet werden können (BFH vom 13.12.2022, VII R 49/20, BFH/NV 2023, 901, LEXinform 0953375),
Luftverkehr- und Kfz-Steuer und
Lohnsteuer.
Werden Löhne während des Insolvenzeröffnungsverfahrens an die ArbN ausgezahlt, stellt die hierbei entstandene Lohnsteuer mit Verfahrenseröffnung eine Masseverbindlichkeit dar. Dies gilt nicht für Insolvenzgeldzahlungen; diese unterliegen als steuerfreie Einnahmen nach § 3 Nr. 2 EStG nicht dem Lohnsteuerabzug (BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 28).
Steuerliche Nebenleistungen werden von § 55 Abs. 4 InsO nicht erfasst (BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 7 und 8).
Die ab Festsetzung gegen den Insolvenzverwalter oder den eigenverwaltenden Schuldner entstehenden Säumniszuschläge auf als Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO zu qualifizierende Umsatz- und Lohnsteuerforderungen sind nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO geltend zu machen (BMF vom 11.1.2022, Rz. 8).
Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO werden begründet:
durch Handlungen des »schwachen« vorläufigen Insolvenzverwalters (z.B. Verwertung von Anlagevermögen durch den vorläufigen Insolvenzverwalter im Rahmen einer Einzelermächtigung, Einziehung von Forderungen), auf den die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis nicht nach § 22 Abs. 1 InsO übergegangen ist (→ Insolvenzverfahren unter dem Gliederungspunkt »Vorläufige Maßnahmen«);
durch Handlungen des Insolvenzschuldners, die mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters (z.B. Zustimmung zu Umsatzgeschäften) erfolgen. Die Zustimmung kann aktiv oder durch konkludentes Handeln erfolgen (z.B. Tun, Dulden, Unterlassen).
Hierbei ist es unbeachtlich, ob der schwache vorläufige Insolvenzverwalter vom Gericht mit einem Zustimmungsvorbehalt ausgestattet wurde oder nicht. Auch ohne einen Zustimmungsvorbehalt i.S.d. § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO können entsprechende Steuerverbindlichkeiten durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter begründet werden, insbes. wenn ihm zahlreiche Rechte durch das Insolvenzgericht eingeräumt oder Sicherungsmaßnahmen angeordnet werden (BMF vom 11.1.2022, Rz. 2).
Soweit der »schwache« vorläufige Insolvenzverwalter ausdrücklich der Handlung des Insolvenzschuldners widersprochen hat, entstehen keine Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO.
Die Verbindlichkeiten des starken vorläufigen Insolvenzverwalters i.S.d. § 55 Abs. 2 InsO sowie die Verbindlichkeiten des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO gelten erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten (s.a. BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 32). Vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind Steuerforderungen und Steuererstattungen ohne Einschränkung aufrechenbar, soweit die Aufrechnungsvoraussetzungen vorliegen. Der Umstand, dass bestimmte Steuerforderungen später (nach Insolvenzeröffnung) zu Masseverbindlichkeiten werden, hindert die Aufrechnung nicht (BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 48).
Zu den Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 InsO zählen insbesondere (AEAO Tz. 6.1 zu § 251 AO):
der Vorsteuerberichtigungsanspruch nach § 15a UStG. Ein Vorsteuerberichtigungsanspruch des FA nach § 15a UStG, der dadurch entsteht, dass der Insolvenzverwalter ein WG abweichend von den für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgebenden Verhältnissen verwendet, gehört zu den Masseverbindlichkeiten und kann durch Steuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend gemacht werden (BFH Urteil vom 9.2.2011, XI R 35/09, BStBl II 2011, 1000 sowie Anmerkung vom 23.6.2011, LEXinform 0940712 und Pressemitteilung des BFH Nr. 47/11 vom 15.6.2011, LEXinform 0436567);
USt, die sich aus der Verwertung von sicherungsübereigneten Gegenständen nach Verfahrenseröffnung ergibt;
nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens vereinnahmte USt aus Umsätzen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Dies gilt sowohl bei Istversteuerung (BFH Urteil vom 29.1.2009, V R 64/07, BStBl II 2009, 682) als auch bei Sollversteuerung (BFH Urteil vom 9.12.2010, V R 22/10, BStBl II 2011, 996);
USt-Zahllasten, die sich aus Umsätzen nach Verfahrenseröffnung ergeben und durch den Insolvenzverwalter anzumelden sind;
USt-Schuld, die sich aus der Vorsteuerberichtigung ergibt, weil der Gläubiger des Insolvenzschuldners Beträge, die er vor Insolvenzeröffnung vom Insolvenzschuldner vereinnahmt hat, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens infolge einer erfolgreichen Insolvenzanfechtung in die Insolvenzmasse zurückzahlt. Der Insolvenzverwalter hat im Zeitpunkt der Rückzahlung den Vorsteuerabzug gem. § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu berichtigen. Die Berichtigung des Vorsteuerabzugs führt zum Entstehen einer Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (BFH Urteile vom 29.3.2017, XI R 5/16, BStBl II 2017, 738 und vom 15.12.2016, V R 26/16, BStBl II 2017, 735; Anmerkung vom 9.6.2017, LEXinform 0880262 sowie Abschn. 17.1 Abs. 17 UStAE);
Verbindlichkeiten bzw. solche, die nach § 55 Abs. 1 und Abs. 4 Satz 1 und Satz 2 Nr. 1 bis 4 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten gelten;
ESt/KSt, die sich auf Einkünfte aus der Verwaltung oder der Verwertung der Masse gründet. Nach dem Urteil des FG Düsseldorf vom 17.5.2018 (15 K 1458/17, LEXinform 0448465, rkr.) stellt die Einkommensteuerschuld auf einen Gewinnanteil einer insolventen Personengesellschaft keine Masseverbindlichkeit dar.
Aus einem anteiligen Veräußerungsgewinn einer KG entfielen auf den Stpfl. 60 000 €. Die Einkünfte stammten aus der Veräußerung von Immobilien durch den Insolvenzverwalter. Die ESt-Schuld gehöre deshalb nicht zur Insolvenzmasse, weil der Stpfl. selbst nicht insolvent sei und sein Gesellschaftsanteil nicht zur Insolvenzmasse gehöre.
Die Insolvenz über das Vermögen einer Personengesellschaft sei ein Sonderinsolvenzverfahren über das gesamthänderisch gebundene Vermögen der Mitunternehmer. Nur das Gesamthandsvermögen gehöre zur Insolvenzmasse. Die steuerliche Zuordnung und Erfassung von Einkünften werde durch die Vorschriften der Insolvenzordnung nicht verändert. Eine Personengesellschaft werde durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Gesamthandsvermögen nicht Steuersubjekt für diejenigen Steuern, für die sie ohne Verfahrenseröffnung nicht Steuersubjekt gewesen sei.
Auch im Insolvenzverfahren seien die Einkünfte, die aus dem Gesamthandsvermögen einer Personengesellschaft erzielt werden, anteilig den Gesellschaftern zuzurechnen und bei diesen der ESt zu unterwerfen. Die Personengesellschaft selbst sei lediglich Gewinnerzielungssubjekt. Da sie nicht Schuldnerin der ESt sei, könne diese nicht zu Masseverbindlichkeiten im Insolvenzverfahren der Personengesellschaft führen. Entsprechende ESt-Bescheide seien daher nicht gegen die Masse der Mitunternehmerschaft zu richten, sondern den Gesellschaftern bekanntzugeben (FG Düsseldorf Mitteilung vom 11.7.2018, LEXinform 0448465).
Wird ein zur Insolvenzmasse gehörendes und mit einem Absonderungsrecht belastetes Betriebsgrundstück nach Insolvenzeröffnung auf Betreiben eines Grundpfandgläubigers ohne Zutun des Insolvenzverwalters versteigert und hierdurch – infolge Aufdeckung stiller Reserven – ein stpfl. Veräußerungsgewinn ausgelöst, ist die auf den Gewinn entfallende ESt eine »in anderer Weise« durch die Verwaltung bzw. Verwertung der Insolvenzmasse begründete Masseverbindlichkeit. Die Massezugehörigkeit des Vermögensgegenstandes sowie dessen fehlende Freigabe durch den Insolvenzverwalter stellen die entscheidenden Wertungsmomente für die Annahme von Masseverbindlichkeiten dar (BFH vom 7.7.2020, X R 13/19, BStBl II 2021, 174).
Gem. § 35 Abs. 1 InsO erfasst das Insolvenzverfahren das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Im Urteilsfall X R 13/19 stand das Betriebsgrundstück bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Eigentum der Insolvenzschuldnerin und wurde damit Bestandteil der Insolvenzmasse. Der Umstand, dass es mit einer Grundschuld zugunsten der Bank belastet war, ändert an der Massezugehörigkeit nichts. Denn durch ein Absonderungsrecht gem. §§ 49 ff. InsO kann lediglich die vorrangige Befriedigung aus bestimmten Gegenständen, welche zur Haftungsmasse des Schuldners gehören, beansprucht werden;
GewSt bei Weiterführung des Gewerbebetriebs durch den Insolvenzverwalter;
LSt auf nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgezahlte Arbeitslöhne;
Kfz-Steuer für den laufenden Entrichtungszeitraum ab der Verfahrenseröffnung und für alle danach beginnenden Entrichtungszeiträume, sofern das Fahrzeug Teil der Insolvenzmasse ist (BFH Urteile vom 13.4.2011, II R 49/09, BStBl II 2011, 944 und vom 8.9.2011, II R 54/10, BStBl II 2012, 149; Rspr. bestätigt durch BFH vom 21.3.2019, III R 30/18, BFH/NV 2019, 1033, LEXinform 0951911). Für die Beurteilung der Kfz-Steuer als Masseverbindlichkeit kommt es nicht auf eine tatsächliche Verwendungsmöglichkeit des Kfz und damit auf dessen Nutzung für die Insolvenzmasse an. Maßgebend ist vielmehr, ob das Kfz Teil der Insolvenzmasse ist. Unerheblich ist auch allein die Haltereigenschaft, da die Rechtsposition des Halters eines Kfz kein Vermögen i.S.d. § 35 InsO ist (s.a. FG Berlin-Brandenburg vom 22.6.2021, 8 K 8232/19, EFG 2021, 1851, LEXinform 5024043, Revision eingelegt, Az. BFH: IV R 16/21, LEXinform 0953595).
Die nach Insolvenzeröffnung entstandene Kfz-Steuer für ein Fahrzeug, das als Zubehör bereits vor Insolvenzeröffnung durch Anordnung der Zwangsverwaltung über ein Grundstück beschlagnahmt worden war, ist keine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO und daher nicht gegenüber dem Insolvenzverwalter, sondern gegenüber dem Zwangsverwalter festzusetzen (BFH Urteil vom 1.8.2012, II R 28/11, BStBl II 2013, 131; s.a. Anmerkung vom 22.11.2012, LEXinform 0943316).
Ein Fahrzeug des Insolvenzschuldners, das bereits vor Insolvenzeröffnung untergegangen (z.B. verbrannt) ist, fällt nicht unter den Insolvenzbeschlag gem. § 35 Abs. 1 InsO. Dies gilt auch dann, wenn das Kfz erst nach Verfahrenseröffnung verkehrsrechtlich abgemeldet wird. Die für dieses Kfz zu entrichtende Kfz-Steuer ist keine Masseverbindlichkeit (BFH vom 21.3.2019, III R 30/18, BFH/NV 2019, 1033, LEXinform 0951911).
Die als Masseverbindlichkeiten entstehenden Abgabenansprüche sind durch Steuerbescheid geltend zu machen. Die Masse betreffende Verwaltungsakte können nicht durch die Bekanntgabe an den Schuldner wirksam werden. Bekanntgabeadressat ist in diesen Fällen vielmehr der Verwalter. Der Verwalter ist verpflichtet, die entsprechenden Steuererklärungen oder Steueranmeldungen abzugeben (§ 34 Abs. 3 AO). Er ist dem Massegläubiger zum Schadenersatz verpflichtet, wenn er durch eine Rechtshandlung eine Masseverbindlichkeit begründet, die aus der Masse nicht voll erfüllt werden kann, und er bei der Begründung der Verbindlichkeit erkennen konnte, dass die Masse voraussichtlich zur Erfüllung nicht ausreichen würde (§ 61 InsO).
Sind die Kosten des Insolvenzverfahrens gedeckt, reicht die Insolvenzmasse jedoch nicht aus, um die fälligen sonstigen Masseverbindlichkeiten zu erfüllen, hat der Insolvenzverwalter dem Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit anzuzeigen (§ 208 Abs. 1 Satz 1 InsO). Nach § 210a InsO i.d.F. des Gesetzes zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen ist auch bei Masseunzulänglichkeit ein Insolvenzplan zu erstellen (AEAO Tz. 6.1 zu § 251 AO).
Nach dem BFH-Urteil vom 17.9.2019 (VII R 31/18, BStBl II 2023, 221) entstehen Säumniszuschläge gem. § 240 Abs. 1 Satz 1 AO auch nach Anzeige der Masseunzulänglichkeit kraft Gesetzes. Nach Rückkehr ins reguläre Insolvenzverfahren sind die während der Masseunzulänglichkeit geltenden Aufrechnungsverbote nicht mehr anzuwenden.
Beachte:
Masseverbindlichkeiten werden nach dem eindeutigen Wortlaut des § 301 Abs. 1 Satz 1 InsO und der Systematik der §§ 35 ff. und 286 ff. InsO von der Restschuldbefreiung nicht erfasst (BFH Urteil vom 28.11.2017, VII R 1/16, BStBl II 2018, 457, Rz. 13 und 14). S. → Insolvenzverfahren den Gliederungspunkt »Restschuldbefreiung«.
Das Niedersächsische FG ist mit Urteil vom 12.7.2013 (3 K 436/12, EFG 2013, 1985, LEXinform 5015725, rkr.) der Auffassung, dass dann, wenn dem Schuldner während des Insolvenzverfahrens eine Erbschaft/ein Vermächtnis zugefallen ist, die Annahme oder Ausschlagung dem Schuldner selbst zusteht. Wird die Erbschaft angenommen, stellt die ErbSt eine Masseverbindlichkeit nach § 55 InsO dar. Die Steuerschuld als Masseverbindlichkeit ist grds. mit Bescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend zu machen. Mit Urteil vom 5.4.2017 (II R 30/15, BStBl II 2017, 971) bestätigt der BFH die Rechtsauffassung des Niedersächsischen FG.
Ist der Schuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder während des Verfahrens Erbe geworden, fällt der Nachlass zunächst vorläufig in die Insolvenzmasse. Die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft steht nicht dem Insolvenzverwalter, sondern ausschließlich dem Schuldner zu (§ 83 Abs. 1 InsO). Hat der Insolvenzschuldner die Erbschaft ausdrücklich angenommen oder gilt die Erbschaft nach Ablauf der Ausschlagungsfrist als angenommen, kann er sie nach § 1943 BGB nicht mehr ausschlagen; es tritt hinsichtlich der Erbschaft Vollerwerb ein. Ab diesem Zeitpunkt ist der Nachlass endgültig Bestandteil der Insolvenzmasse. Die Nachlassgläubiger und die Eigengläubiger des Erben (Erbengläubiger) sind aus der Insolvenzmasse zu befriedigen, sofern nicht eine Trennung der Vermögensmassen durch Insolvenzverwalter, Erben oder Nachlassgläubiger herbeigeführt wird, namentlich durch Beantragung der Nachlassverwaltung oder des Nachlassinsolvenzverfahrens (BFH Urteil vom 5.4.2017, II R 30/15, BStBl II 2017, 971, Rz. 17).
Mit Urteil vom 19.8.2011 (11 K 4201/10 E, EFG 2012, 544, LEXinform 5012837, rkr.) nimmt das FG Düsseldorf ausführlich zur Behandlung der ESt als Masseverbindlichkeit Stellung (s.a. BFH vom 10.7.2019, X R BStBl II 2022, 488). Im Streitfall (11 K 4201/10) erzielte der Stpfl. (Insolvenzschuldner, vertreten durch den Insolvenzverwalter) Einkünfte aus
Renteneinnahmen,
privaten Veräußerungsgeschäften (Grundstücksveräußerung) sowie aus
Vermietung und Verpachtung.
Die Höhe der (einheitlichen) Jahreseinkommensteuer richtet sich allein nach dem Steuerrecht. Steuerschuldner ist der Insolvenzschuldner. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bewirkt in steuerrechtlicher Hinsicht keine Unterscheidung zwischen dem (persönlichen) beschlagfreien Vermögen des Schuldners einerseits und der Insolvenzmasse andererseits.
Im Fall der Insolvenz ist die ESt verschiedenen insolvenzrechtlichen Forderungskategorien zuzuordnen. Zu unterscheiden ist zwischen Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten als Forderungen gegen die Insolvenzmasse sowie Forderungen gegen das insolvenzfreie Vermögen. Insolvenzforderungen i.S.v. § 38 InsO sind Vermögensansprüche gegen den Schuldner, die im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits begründet sind. Hingegen sind Masseverbindlichkeiten insbesondere die Verbindlichkeiten, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Sie werden nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet.
Beachte:
Falls der Insolvenzverwalter für den Insolvenzschuldner die Zusammenveranlagung beantragt, ist die Ausübung dieses Wahlrechts als Verwaltungsmaßnahme i.S.d. § 55 Abs. 1 InsO zu qualifizieren, die geeignet ist, eine Masseverbindlichkeit zu begründen. § 55 Abs. 1 Nr. 1 AO setzt für die Begründung einer Masseverbindlichkeit nach seinem Wortlaut eine »Handlung des Insolvenzverwalters« mit Bezug zur Insolvenzmasse voraus. Die vom Insolvenzverwalter vorgenommene Ausübung des Wahlrechts zur Zusammenveranlagung gem. § 26 Abs. 2 Satz 2 EStG kann ohne Weiteres unter den Begriff der »Handlung« subsumiert werden (BFH vom 27.10.2020, VIII R 19/18, BStBl II 2021, 819, Rz. 57 bis 59; s.u. den Gliederungspunkt »Ausübung des Veranlagungswahlrechts in der Insolvenz«).
Die Zuordnung der Steuerforderung bestimmt sich nicht nach dem Steuerrecht, sondern nach dem Insolvenzrecht. Maßgeblich ist der Zeitpunkt des Begründetseins des gegen den Insolvenzschuldner gerichteten Anspruchs. Die ESt-Schuld wird für die insolvenzrechtliche Zuordnungsentscheidung schon dann begründet, wenn im Laufe des Veranlagungszeitraums die einzelnen für die Höhe des Jahreseinkommens maßgeblichen Besteuerungsmerkmale verwirklicht werden. Der schuldrechtliche Tatbestand, der die Grundlage für den Steueranspruch bildet, muss vollständig abgeschlossen sein. Auf die Entstehung des Steueranspruchs i.S.d. § 38 AO kommt es nicht an.
Sind in einem Veranlagungszeitraum mehrere insolvenzrechtliche Forderungskategorien betroffen, so ist die einheitlich ermittelte ESt-Schuld aufzuteilen. Der Insolvenzverwalter ist allein Adressat der Steuerbescheide über Ansprüche, die Masseverbindlichkeiten darstellen. Hingegen ist er nicht Adressat der Verwaltungsakte, die das insolvenzfreie Vermögen des Insolvenzschuldners betreffen. Diese sind dem Insolvenzschuldner bekanntzugeben. Bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründete Steuerforderungen sind beim Insolvenzverwalter zur Tabelle anzumelden (§ 174 Abs. 1 Satz 1 InsO).
Hinweis:
Zur Zusammenveranlagung und Aufteilung der ESt-Schuld im Jahr der Verfahrenseröffnung s. das BFH-Urteil vom 27.10.2020, VIII R 19/18, BStBl II 2021, 819) unter dem Gliederungspunkt »Verteilung der Einkünfte« und dort das Beispiel 2.
Die ESt stellt – soweit sie auf den Gewinn aus privaten Veräußerungsgeschäften entfällt – eine Masseverbindlichkeit dar. Nach der Rspr. des BFH ist die durch Auflösung stiller Reserven entstandene Steuerforderung Masseverbindlichkeit, wenn der in den Einkünften enthaltene Veräußerungserlös aus der Verwertung von Vermögensgegenständen zur Masse gelangt ist, und zwar auch dann, wenn durch die Veräußerung stille Reserven realisiert worden sind, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden sind (BFH Urteile vom 29.3.1984, IV R 271/83, BStBl II 1984, 602; vom 11.11.1993, XI R 73/92, BFH/NV 1994, 477; vom 18.5.2010, X R 60/08, BStBl II 2011, 429 sowie AEAO Tz. 9 zu § 251 AO). Zur Begründung hat das FG Düsseldorf (Urteil vom 19.8.2011, 11 K 4201/10 E, LEXinform 5012837, rkr.) ausgeführt, dass die Frage, ob der Gewinn vor oder nach der Insolvenzeröffnung erzielt worden ist, davon abhänge, in welchem Zeitpunkt die einzelnen Geschäftsvorfälle erfolgswirksam geworden seien, d.h. zu einer Veränderung des Betriebsvermögens geführt hätten. Dies sei bei gewinnbringenden Geschäften erst der Fall, wenn der Bilanzierende seine eigene Leistung erbracht habe. Erst zu diesem Zeitpunkt würden auch stille Reserven mit steuerlicher Wirkung realisiert. Das Halten von stillen Reserven erfülle noch kein Besteuerungsmerkmal. Nach Auffassung des FG ist ausschlaggebend, dass der Steuertatbestand erst durch die Veräußerung des Grundbesitzes nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens verwirklicht worden ist. Das Halten stiller Reserven ist einkommensteuerlich irrelevant. Nur durch die Verwertungshandlung des Insolvenzverwalters ist die Steuerforderung ausgelöst worden. Erst dann ist der schuldrechtliche Tatbestand, der die Grundlage für den Steueranspruch bildet, komplett abgeschlossen. Gegen die Annahme einer bedingt entstandenen ESt spricht, dass es zumindest im Fall des Gewinns aus privaten Veräußerungsgeschäften i.S.d. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG nicht zwingend zu einer steuerrelevanten Aufdeckung von stillen Reserven kommt. Wird der Grundbesitz länger als zehn Jahre gehalten, ist er nicht mehr steuerverstrickt. Vor diesem Hintergrund führt die Bildung stiller Reserven nicht zwangsläufig zu einer Stundung der ESt, vielmehr kann es auch zu einem kompletten Verzicht auf die Besteuerung kommen.
Mit Urteil vom 16.5.2013 (IV R 23/11, BStBl II 2013, 759) bestätigt der BFH seine zur Konkursordnung ergangene Rspr. (BFH Urteil vom 29.3.1984, IV R 271/83, BStBl II 1984, 602). Trennlinie zwischen sonstigen Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen ist, ob der Rechtsgrund der Entstehung der Forderung im Augenblick vor Verfahrenseröffnung bereits gelegt war. Die ESt auf den Veräußerungsgewinn eines Grundstücks durch den Insolvenzverwalter ist in voller Höhe eine sonstige Masseverbindlichkeit.
In seinem Urteil vom 16.5.2013 (IV R 23/11, BStBl II 2013, 759) gibt der BFH allerdings seine anderslautende Rspr. im BFH-Urteil vom 29.3.1984 (BStBl II 1984, 602) zur Höhe der zu den Massekosten gehörenden ESt auf. Danach führte bisher die aus der Veräußerung eines zur Konkursmasse gehörenden und mit Grundpfandrechten belasteten Grundstücks resultierende ESt nur insoweit zu Massekosten, als der Veräußerungserlös zur Masse gelangte.
Nach der Rechtsprechungsänderung des BFH ist diese ESt auch dann in voller Höhe Masseverbindlichkeit, wenn das verwertete WG mit Absonderungsrechten belastet war und – nach Vorwegbefriedigung der absonderungsberechtigten Gläubiger aus dem Verwertungserlös – der (tatsächlich) zur Masse gelangte Erlös nicht ausreicht, um die aus der Verwertungshandlung resultierende Einkommensteuerforderung zu befriedigen (so auch FG Düsseldorf vom 19.8.2011, 11 K 4201/10 E, LEXinform 5012837 und FG Niedersachen Urteil vom 19.1.2012, 14 K 47/10, LEXinform 5014480, rkr.).
Soweit die ESt auf die Renteneinkünfte entfällt, ist sie nicht der Forderungskategorie der Masseverbindlichkeiten zuzuordnen. Das Rentenstammrecht und jede einzelne Rentenzahlung gehören zum unpfändbaren Vermögen des Insolvenzschuldners. Die Unpfändbarkeit der Rente ergibt sich aus § 850 ZPO i.V.m. § 54 Abs. 4 SGB I. Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, gehören gem. § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht zur Insolvenzmasse. Die auf die Renteneinkünfte entfallende ESt stellt sich somit als Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen dar.
Sind in einem Veranlagungszeitraum mehrere insolvenzrechtliche Forderungskategorien betroffen, so ist die einheitlich ermittelte ESt aufzuteilen. Nach der Rspr. des BFH erfolgt die Aufteilung der Jahressteuerschuld nach dem Verhältnis der Teileinkünfte zueinander. Zur Begründung wird ausgeführt, diese Aufteilungsmethode sei auch in Ansehung der progressiven Steuerbelastung sachgerecht, weil zur Jahressteuerschuld ununterscheidbar alle Einkommensteile beigetragen hätten (BFH Urteil vom 29.3.1984, IV R 271/83, BStBl II 1984, 602; vom 11.11.1993, XI R 73/92, BFH/NV 1994, 477). Sie hat zur Konsequenz, dass eine Zuordnung der Pausch- und Freibeträge nicht erfolgen muss. Die Aufteilung der Jahressteuerschuld nach dem Verhältnis der Teileinkünfte dürfte dem Prinzip der einheitlichen Steuerschuld am ehesten entsprechen. Zudem sprechen Praktikabilitätsgründe für diese Aufteilungsmethode. Im Übrigen ist zu beachten, dass es sich bei der Aufteilung um eine Schätzung handelt und jeder Aufteilungsschlüssel zu Ungenauigkeiten führt. Demnach ist die ESt wie folgt aufzuteilen (s.a. AEAO Tz. 9.1 zu § 251):
Einkommensteuer |
5 024,00 € |
davon auf die Renteneinkünfte entfallend (1 251 €/29 583 €) = Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen |
212,45 € |
davon auf die übrigen Einkünfte entfallend (28 332 €/29 583 €) = Masseverbindlichkeit |
4 811,55 € |
Die sich aus der Verwertung der Insolvenzmasse ergebende Einkommensteuerschuld ist in einem auf den Zeitraum nach Insolvenzeröffnung beschränkten Einkommensteuerbescheid gegenüber dem Insolvenzverwalter festzusetzen.
Masseverbindlichkeiten sind die Einkommensteuerschulden, die sich aus »echten« Gewinnen einer Mitunternehmerschaft ergeben. Zu den Masseverbindlichkeiten gehören auch die Einkommensteuerschulden, die sich daraus ergeben, dass bei Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft durch Auflösung einer Rückstellung auf der Ebene der Gesellschaft (Mitunternehmerschaft) ein Gewinn entsteht (BFH Urteil vom 18.5.2010, X R 60/08, BStBl II 2011, 429; s.a. Anmerkung vom 12.8.2010, LEXinform 0926828). Die Einkommensteuerschulden, die aus der Verwaltung eines zur Masse gehörenden Gesellschaftsanteils entstehen, der entweder nach der Insolvenzeröffnung fortgeführt oder durch den Insolvenzverwalter neu begründet und nicht vom Insolvenzverwalter freigegeben worden ist, stellen Masseverbindlichkeiten (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO) dar (BFH vom 1.6.2016, X R 26/14, BStBl II 2016, 848; s.a. Anmerkung vom 30.8.2016, LEXinform 0948059). Nach dem BFH-Urteil vom 10.7.2019 (X R 31/16, BStBl II 2022, 488; Anmerkung vom 7.1.2020, LEXinform 0653699) ist es im Fall der Beteiligung des Insolvenzschuldners an einer PersGes zur Begründung von Masseverbindlichkeiten ausreichend, wenn die Beteiligung im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Insolvenzmasse gehörte und die Einkünfte hieraus nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erzielt wurden.
Nach der Entscheidung des BFH in seinem Urteil vom 16.5.2013 (IV R 23/11, BStBl II 2013, 759, Rz. 17 ff.) kommt es für die insolvenzrechtliche Begründung des Einkommensteueranspruchs darauf an, ob der einzelne (unselbstständige) Besteuerungstatbestand – insbes. die Erzielung von Einkünften nach § 2 Abs. 1 EStG – vor oder nach Insolvenzeröffnung verwirklicht wurde. Es ist deshalb zu prüfen, wann der Tatbestand, an den die Besteuerung knüpft, vollständig verwirklicht ist.
Entscheidend ist daher bei der Einkommensteuer (auch) die Art der Gewinnermittlung. Wird der Gewinn durch Einnahme-Überschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG ermittelt, gilt das Zuflussprinzip des § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG. Danach ist der Tatbestand für die Einkommensbesteuerung erst vollständig verwirklicht, wenn die Einnahmen bezogen sind, sie dem Stpfl. zufließen (BFH Urteil vom 9.12.2014, X R 12/12, BStBl II 2016, 852, Rz. 29).
Wird der Gewinn hingegen durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG, ggf. i.V.m. § 5 EStG, ermittelt, gilt das Zuflussprinzip nach § 11 Abs. 1 Satz 5 EStG nicht. Stattdessen ist das Realisationsprinzip nach § 252 Abs. 1 Nr. 4 Halbsatz 2 HGB zu beachten, und zwar nicht nur bei der Gewinnermittlung buchführungspflichtiger Kaufleute nach § 5 Abs. 1 EStG, sondern auch bei der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG. Ein Gewinn ist in diesem Sinn realisiert, wenn bei gegenseitigen Verträgen der Leistungsverpflichtete die vereinbarte Leistung »wirtschaftlich erfüllt« hat und ihm die Forderung auf die Gegenleistung so gut wie sicher ist (BFH Urteile vom 10.10.1998, IV R 80/96, BStBl II 1999, 21 und vom 9.12.2014, X R 12/12, BStBl II 2016, 852, Rz. 30). Folglich ist bereits mit der steuerrechtlichen Realisation einer Forderung die Steuerforderung insolvenzrechtlich begründet.
Zur ESt für Lohneinkünfte, die nach der Insolvenzeröffnung zu zahlen ist, hat der BFH mit Urteil vom 24.2.2011 (VI R 21/10, BStBl II 2011, 520) wie folgt entschieden: Gelangt pfändbarer Arbeitslohn des Insolvenzschuldners zur Insolvenzmasse, liegt allein darin keine Verwaltung der Insolvenzmasse in anderer Weise i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, sodass die auf die Lohneinkünfte zu zahlende ESt (Nachzahlung) keine vorrangig zu befriedigende Masseverbindlichkeit ist (s.a. BFH Urteil vom 27.7.2011, VI R 9/11, BFH/NV 2011, 2111, LEXinform 0928364).
Das Recht zur Wahl der Lohnsteuerklasse geht auch im Insolvenzverfahren nicht auf den Insolvenzverwalter über, sondern verbleibt beim Insolvenzschuldner. Die Arbeitstätigkeit des Insolvenzschuldners als solche ist keine Verwaltungstätigkeit des Verwalters. Ein Bezug zur Masse ist schon deshalb ausgeschlossen, weil die Arbeitskraft des Schuldners nicht zur Insolvenzmasse gehört.
Für Arbeitseinkommen gelten auch in der Insolvenz die Pfändungsgrenzen der ZPO (§ 36 Abs. 1 Satz 2 InsO i.V.m. § 850c ZPO). Werden die Pfändungsfreigrenzen des § 850c ZPO nicht überschritten, ist das gesamte Arbeitseinkommen pfändungs- und damit insolvenzbeschlagfrei. Nur der Teil des Arbeitseinkommens, der pfändbar ist, fließt zur Masse. Das Arbeitseinkommen ist bei Überschreiten der Pfändungsfreigrenze damit ggf. in einen teilweise pfändungs- und damit insolvenzfreien Teil und einen pfändbaren und damit insolvenzbefangenen Teil aufzuteilen.
Ungeachtet des Umstandes, dass der die Pfändungsgrenzen übersteigende Teil des Arbeitseinkommens in die Insolvenzmasse fällt, stellt die auf das Arbeitseinkommen entfallende Einkommensteuerverbindlichkeit (Nachzahlung) insgesamt keine Masseschuld dar, sondern ist in vollem Umfang dem insolvenzfreien Bereich zuzuordnen. Die Einkommensteuerschuld stellt keine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 InsO dar, da sie nicht durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet wird (s. FG Münster vom 15.5.2023, 7 K 2627/20, EFG 2023, 1197, LEXinform 5025528 unter III.3.a, Rev. eingelegt, Az. BFH: VI R 5/23, LEXinform 0954754).
Der nach § 46 Abs. 1 AO pfändbare Lohn- oder Einkommensteuererstattungsanspruch gehört allerdings in vollem Umfang zur Insolvenzmasse; dies unabhängig davon, ob er auf die Zeit vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entfällt. Hinsichtlich der Zugehörigkeit von Ansprüchen zur Insolvenzmasse kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Vollrechtsentstehung an, sondern auf den Zeitpunkt, in dem nach insolvenzrechtlichen Grundsätzen der Rechtsgrund für den Anspruch gelegt worden ist. Der Rechtsgrund für einen Lohnsteuererstattungsanspruch wird bereits mit der Leistung der entsprechenden Vorauszahlungen gelegt. Der Stpfl. erlangt bereits in diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf Erstattung der Vorauszahlungen unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Jahresende die geschuldete ESt geringer ist als die Summe der Vorauszahlungen (vgl. BFH vom 28.2.2012, VII R 36/11, BStBl II 2012, 451, Rz. 10). Der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch stellt kein Arbeitseinkommen dar, auch wenn er seinen Ursprung in der Arbeitstätigkeit und darauf entfallenen Lohnzahlung hat (vgl. BFH vom 15.3.2017, III R 12/16, BStBl II 2018, 789, Rz. 16; s.u. den Gliederungspunkt »Antragsveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG«).
Hat der Insolvenzverwalter eine Ansparabschreibung (→ Investitionsabzugsbeträge nach § 7g EStG) gebildet und den Gewerbebetrieb des Insolvenzschuldners zu einem späteren Zeitpunkt freigegeben § 35 Abs. 2 und 3 InsO), so führt die durch den Insolvenzschuldner nach der Freigabe vorgenommene Auflösung der Ansparabschreibung dazu, dass die daraus resultierende Steuer eine insolvenzfreie Forderung ist und nicht eine Forderung gegen die Insolvenzmasse (Urteil FG Rheinland-Pfalz vom 13.11.2014, 6 K 2046/11, EFG 2015, 230, LEXinform 5017197, rkr.).
Nach dem BFH-Urteil vom 10.2.2015 (IX R 23/14, BStBl II 2017, 367) ändert sich an der Entrichtungspflicht des Zwangsverwalters eines Grundstücks nichts, wenn während der Zwangsverwaltung das Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet wird.
Treffen die Zwangsverwaltung und die Insolvenzverwaltung für einen Schuldner zeitlich zusammen, ergibt sich aus § 34 Abs. 3 letzter Halbsatz AO, dass beide Verwalter die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen haben, soweit ihre Verwaltung jeweils reicht. In der InsO ist eindeutig geregelt, dass eine früher angeordnete Zwangsverwaltung grundsätzlich Vorrang vor der Insolvenzverwaltung hat. Dies ergibt sich zunächst aus § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO. Danach bleiben die Vorschriften über die Wirkungen einer Pfändung oder einer Beschlagnahme im Wege der Zwangsvollstreckung von dem Übergang der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen auf den Insolvenzverwalter unberührt. § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO ist die Grundlage dafür, dass eine vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens angeordnete Zwangsverwaltung neben diesem wirksam bleibt. Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht danach zwar die an das Eigentum geknüpfte Verfügungsbefugnis des Schuldners an den der Zwangsverwaltung unterliegenden Grundstücken auf den Insolvenzverwalter über. Die Befugnis, das Grundstück zu verwalten und zu benutzen und insbes. der Besitz an dem Grundstück verbleiben aber bei dem Zwangsverwalter (s.a. BMF vom 3.5.2017, BStBl I 2017, 718, Rz. 14).
Auch aus § 153b Abs. 1 ZVG ergibt sich, dass die Insolvenzeröffnung als solche keinen Einfluss auf die fortbestehende Verwaltungs- und Nutzungsbefugnis des Zwangsverwalters über bereits wirksam beschlagnahmte Sachen hat. Gem. § 153b Abs. 1 ZVG wird nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Antrag des Insolvenzverwalters die einstweilige vollständige oder teilweise Einstellung der Zwangsverwaltung angeordnet, wenn der Insolvenzverwalter glaubhaft macht, dass durch die Fortsetzung der Zwangsverwaltung eine wirtschaftlich sinnvolle Nutzung der Insolvenzmasse wesentlich erschwert wird. Damit ist der Vorrang der Verwaltungsrechte des Insolvenzverwalters vor denen des Zwangsverwalters nur unter der Voraussetzung gesetzlich vorgesehen, dass dies die Verwertungsmöglichkeiten des Schuldnervermögens verbessert. Mit der einstweiligen Einstellung des Zwangsverwaltungsverfahrens nach § 153b ZVG geht die Verwaltungs- und Benutzungsbefugnis des Zwangsverwalters über die beschlagnahmten Sachen in dem Umfang, den die Einstellung hat, auf den Insolvenzverwalter über. Hieraus folgt im Umkehrschluss, dass allein die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die fortbestehende Verwaltungs- und Nutzungsbefugnis des Zwangsverwalters über die beschlagnahmten Sachen nicht berührt (s.a. BFH Urteil vom 1.8.2012, II R 28/11, BStBl II 2013, 131).
Aus § 55 InsO ergibt sich nichts anderes. Die Vorschrift regelt, welche Forderungen im Insolvenzverfahren vom Insolvenzverwalter als Masseverbindlichkeit vorab aus der Masse zu bedienen sind. Sie setzt dabei voraus, dass die Forderung, um die es geht, in die Insolvenz fällt. Daran fehlt es aber, wenn sie in einem vorrangigen Zwangsverwaltungsverfahren vom dortigen Zwangsverwalter zu bedienen ist.
Die Entrichtungspflicht des Zwangsverwalters für die anteilige ESt des Schuldners ordnet die Steuerlast derjenigen Vermögensmasse zu, aus deren Zwangsverwertung sie entstanden ist. Dies dient der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger und vermeidet Verzerrungen, die ansonsten entstehen, wenn die Insolvenzmasse mit Steuern belastet wird, die im Zusammenhang mit Einnahmen stehen, welche nicht der Insolvenzmasse, sondern dem Zwangsverwalter zuzurechnen sind. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb die absonderungsberechtigten Gläubiger aus der Zwangsverwaltung die Bruttomieten vereinnahmen und die anderen Insolvenzgläubiger die darauf entfallende Einkommensteuer tragen sollten.
Das BMF regelt in Rz. 20 ff. des Schreibens vom 3.5.2017 (BStBl I 2017, 718), dass die Steuerentrichtungspflicht des Zwangsverwalters auch dann besteht, wenn über das Vermögen des Grundstückseigentümers das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist. Dies gilt gem. § 80 Abs. 2 Satz 2 InsO sowohl bei einer dem Insolvenzverfahren zeitlich vorangehenden Zwangsverwaltung als auch bei einer gem. § 49 InsO zeitlich nachfolgenden Zwangsverwaltung.
Der Insolvenzverwalter wird nach Aufhebung der Zwangsverwaltung nicht zum Bekanntgabeadressaten für die den zwangsverwalteten Grundbesitz betreffenden Einkommensteuernachzahlungsbescheide. Die auf das zwangsverwaltete Grundstück entfallende Einkommensteuernachzahlung ist in diesem Fall keine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 InsO, sondern eine Forderung gegen das insolvenzfreie Vermögen, die gegen den insolventen Grundstückseigentümer festzusetzen ist (BMF vom 3.5.2017, BStBl I 2017, 718, Rz. 41).
Beispiel 1:
Am 2.1.01 wurde für das Grundstück A-Straße die Zwangsverwaltung angeordnet. Über das Vermögen des alleinigen Grundstückseigentümers B wurde am 1.1.02 das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Aufhebung der Zwangsverwaltung – ohne Ermächtigung zur Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten nach § 12 Abs. 2 ZwVwV – erfolgte am 1.2.03. Das FA möchte am 1.6.04 die Einkommensteuerveranlagungen für 02 und 03 durchführen.
Lösung 1:
S. das Beispiel in Rz. 41 des BMF-Schreibens vom 3.5.2017 (BStBl I 2017, 718).
Da die Zwangsverwaltung im Bekanntgabezeitpunkt aufgehoben war, ist die ESt 02 und 03, soweit sie mit Einkünften aus dem zwangsverwalteten Grundbesitz im Zusammenhang steht (d.h. mit den bis zum 31.1.03 erzielten Mieteinnahmen), wieder gegenüber dem Grundstückseigentümer festzusetzen. Der Festsetzung dieser Forderung als Masseverbindlichkeiten im Insolvenzverfahren gegenüber dem Insolvenzverwalter steht entgegen, dass dem Insolvenzverwalter während der bestehenden Zwangsverwaltung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis für das Grundstück fehlte.
Betrifft die Steuerforderung aus dem zwangsverwalteten Grundstück Zeiträume vor Insolvenzeröffnung und ist eine Festsetzung gegenüber dem Zwangsverwalter während der Zwangsverwaltung noch nicht erfolgt, ist nach Aufhebung der Zwangsverwaltung diese Forderung als Insolvenzforderung zur Tabelle anzumelden.
Bekanntgabeadressat von Einkommensteuerbescheiden nach Aufhebung der Zwangsverwaltung, die zu einem Erstattungsanspruch hinsichtlich der Einkünfte aus dem zwangsverwalteten Grundstück führen, ist der Insolvenzverwalter.
Soweit aus dem Grundstück nach Aufhebung der Zwangsverwaltung weiterhin Mieterträge erzielt werden (im o.g. Beispiel also nach dem 1.2.03), unterliegen diese nach § 35 Abs. 1 InsO dem Insolvenzbeschlag und führen zur Begründung von Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, die insoweit gegenüber dem Insolvenzverwalter mittels Steuerbescheids festzusetzen sind (BMF vom 3.5.2017, BStBl I 2017, 718, Rz. 42 bis 44).
Bei der sog. kalten Zwangsverwaltung handelt es sich nicht um eine Zwangsverwaltung i.S.d. ZVG. Vielmehr beruht diese auf einer besonderen Vereinbarung zwischen dem Insolvenzverwalter und den dinglich gesicherten Gläubigern, nach welcher die Verwaltung, insbesondere der Einzug der Mieten, durch den Insolvenzverwalter erfolgt. Da hier Handlungen des Insolvenzverwalters im Zusammenhang mit massezugehörigem Vermögen vorliegen, führt die kalte Zwangsverwaltung weiterhin zur Begründung von Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (BMF vom 3.5.2017, BStBl I 2017, 718, Rz. 59).
Wird die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt, entsteht ein Auflösungsverlust nach § 17 Abs. 4 EStG nicht zu dem Zeitpunkt des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (BFH Urteil vom 13.3.2018 (IX R 38/16, BFH/NV 2018, 721, LEXinform 0951102, bestätigt durch BFH vom 5.4.2022, IX R 27/18, BStBl II 2022, 703; Anmerkung vom 19.6.2018, LEXinform 0949725).
Nach § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG gilt als Veräußerung i.S.d. § 17 Abs. 1 EStG auch die Auflösung einer Kapitalgesellschaft. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört somit auch der Gewinn aus der Auflösung von Kapitalgesellschaften, wenn der Gesellschafter innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft zu mindestens 1 % beteiligt war und er die Beteiligung in seinem Privatvermögen hält. Entsprechendes gilt für die aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft entstehenden Verluste, sofern die Verlustberücksichtigung nicht nach § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG ausgeschlossen ist (s.a. OFD Frankfurt vom 12.2.2021, S 2244 A – 21 – St 519, SIS 21 06 65).
Ein Verlust ist in dem Jahr zu erfassen, in dem mit einer wesentlichen Änderung des bereits feststehenden Verlusts nicht mehr zu rechnen ist (BFH Urteil vom 1.7.2014, IX R 47/13, BStBl II 2014, 786).
Ein Auflösungsverlust steht fest, wenn der gemeine Wert des dem Stpfl. zugeteilten oder zurückgezahlten Vermögens einerseits (§ 17 Abs. 4 Satz 2 EStG) und die Liquidations- und Anschaffungskosten des Gesellschafters andererseits (§ 17 Abs. 2 Satz 1 EStG) feststehen. Gleiches gilt, wenn sicher ist, dass eine Zuteilung oder Zurückzahlung von Gesellschaftsvermögen an die Gesellschafter ausscheidet und wenn die durch die Beteiligung veranlassten Aufwendungen feststehen.
Im Fall der Liquidation der Gesellschaft schließt der BFH eine Zuteilung oder Zurückzahlung von Gesellschaftsvermögen an die Gesellschafter regelmäßig erst dann aus, wenn die Liquidation abgeschlossen ist. Nur ausnahmsweise kann auf einen früheren Zeitpunkt abgestellt werden, etwa wenn die Eröffnung des Konkurs- oder Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist oder wenn aus anderen Gründen feststeht, dass die Gesellschaft bereits im Zeitpunkt eines Auflösungsbeschlusses vermögenslos war (BFH Urteil vom 4.11.1997, VIII R 18/94, BStBl II 1999, 344). In diesen Fällen kann die Möglichkeit einer Zuteilung oder Zurückzahlung von Restvermögen an die Gesellschafter ausgeschlossen werden.
Der Auflösungsverlust entsteht somit nicht bereits im Jahr der Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens, da es in diesem Jahr an der zivilrechtlichen Auflösung der Gesellschaft fehlt.
Zur Berücksichtigung von Auflösungsverlusten nach § 17 Abs. 4 EStG s. → Beteiligungsveräußerung.
Der BFH hat mit Beschluss vom 22.3.2011 (III B 114/09, BFH/NV 2011, 1142, LEXinform 5906125) klargestellt, dass das Wahlrecht der Ehegatten für eine Einzel- oder Zusammenveranlagung zur ESt in der Insolvenz eines Ehegatten durch den Insolvenzverwalter ausgeübt werden kann. Das Wahlrecht des § 26 Abs. 1 EStG stellt kein höchstpersönliches Recht dar (s.a. BGH vom 18.11.2010, IX ZR 240/07, LEXinform 1567705 mit Anmerkung von Micker, LEXinform 0940508).
Es entspricht ständiger Rspr. des BFH, dass das Veranlagungswahlrecht beim Tod eines Ehegatten auf den oder die Erben übergeht (BFH vom 21.6.2007, III R 59/06, BStBl II 2007, 770). Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass dieses Wahlrecht kein höchstpersönliches und damit ein vererbliches Recht ist (BFH vom 29.10.1963, VI 266/61 U, BStBl III 1963, 597; vom 15.10.1964, VI 175/63 U, BStBl III 1965, 86). Die in der Beschwerdebegründung aufgestellte Behauptung, das Veranlagungswahlrecht stelle ein höchstpersönliches – von der Verwaltungsbefugnis des Insolvenzverwalters gem. § 34 Abs. 3 AO i.V.m. § 80 Abs. 1 InsO nicht erfasstes – Recht dar, steht nicht im Einklang mit der Rspr. des BFH. Auch wenn der BFH die Frage, von wem das Veranlagungswahlrecht in der Insolvenz eines Ehegatten auszuüben ist, bisher noch nicht ausdrücklich entschieden hat, fehlen doch gerade mit Blick auf die vorstehend dargestellte BFH-Rspr. konkrete Ausführungen dazu, weshalb dieses Recht nicht dem Insolvenzverwalter zustehen soll.
Das Ehegattensplitting ist zwar keine beliebig veränderbare Steuer-Vergünstigung, sondern – unbeschadet der näheren Gestaltungsbefugnis des Gesetzgebers – eine an dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG und der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehepaare (Art. 3 Abs. 1 GG) orientierte sachgerechte Besteuerung. Im Besteuerungsverfahren können die Ehegatten gem. § 26 EStG aber grundsätzlich frei zwischen Zusammenveranlagung (Ehegattensplitting) und Einzelveranlagung wählen. Der BFH erachtet die Wahl eines Ehegatten auf Einzelveranlagung nur dann als unwirksam, wenn dafür keine wirtschaftlich verständlichen und vernünftigen Gründe vorliegen und der Antrag als willkürlich erscheint. Im Streitfall sind jedoch solche Gründe gegeben. Die Wahl auf Einzelveranlagung entspricht dem Zweck des § 80 Abs. 1 InsO, die Insolvenzmasse möglichst ungeschmälert zur gemeinschaftlichen Befriedigung der Insolvenzgläubiger zu erhalten. Die Vorschrift des § 80 Abs. 1 InsO stellt eine durch Gründe des öffentlichen Interesses gerechtfertigte Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums i.S.d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar. Daneben sind die Forderungen der Insolvenzgläubiger ihrerseits durch Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG geschütztes Eigentum und möglichst weitgehend unter Wahrung des sozialen Friedens zu befriedigen.
Beachte:
Nach dem BFH Urteil vom 15.3.2017 (III R 12/16, BStBl II 2018, 789) bestätigt der BFH seine Rechtsprechung, wonach das Veranlagungswahlrecht nach § 26 Abs. 2 EStG kein höchstpersönliches Recht darstellt (z.B. BFH Beschluss vom 21.6.2007, III R 59/06, BStBl II 2007, 770). Es ist in der Insolvenz eines Ehegatten als Verwaltungsrecht mit vermögensrechtlichem Bezug anzusehen und daher nach § 80 Abs. 1 InsO vom Insolvenzverwalter auszuüben (BGH Urteil vom 24.5.2007, IX ZR 8/06, DStR 2007, 1411, LEXinform 0900573 sowie BFH Beschluss vom 22.3.2011, III B 114/09, BFH/NV 2011, 1142, LEXinform 5906125 und BFH Urteil vom 27.10.2020, VIII R 19/18, BStBl II 2021, 819, Rz. 58).
Das FG Münster nimmt mit Urteil vom 15.5.2023 (7 K 2627/20, EFG 2023, 1197, LEXinform 5025528, Rev. eingelegt, Az. BFH: VI R 5/23, LEXinform 0954754) zur Formwirksamkeit eines Antrags auf Veranlagung für vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erzielten Arbeitslohn des Insolvenzschuldners bei alleiniger Unterzeichnung der ESt-Erklärung durch den Insolvenzverwalter Stellung.
Im Erstattungsfall steht die Befugnis, eine ESt-Erklärung zu unterzeichnen, allein dem Insolvenzverwalter zu, da das Veranlagungsverfahren durch Erlass eines Erstattungsbescheids abgeschlossen werden wird und die sich ergebende Erstattungsforderung in vollem Umfang allein in den Verantwortungsbereich des Insolvenzverwalters bzw. in vollem Umfang in die Insolvenzmasse fällt (s.o. den Gliederungspunkt »Verteilung auf die einzelnen Vermögensbereiche«). Eine Mitunterzeichnung der Steuererklärung durch den Insolvenzschuldner ist für einen formell wirksamen Antrag auf Veranlagung i.S.v. § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG nicht notwendig.
Zur Verteilung der Einkünfte sowie zur Ermittlung der jeweiligen anteiligen ESt hat das FG Münster mit Urteil vom 28.2.2018 (9 K 3343/13, EFG 2018, 1336, LEXinform 5021266, bestätigt durch BFH Urteil vom 27.10.2020, VIII R 19/18, BStBl II 2021, 819) entschieden, dass die in Beispiel 3 der AEAO Tz. 9.1.2 zu § 251 vorgesehene Aufteilung der ESt-Schuld im Jahr der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Ehegatten in die insolvenzrechtlichen Kategorien sachgerecht ist. Nach der FG-Entscheidung ist dabei der Altersentlastungsbetrag nach § 24a EStG bei der einkünftebezogenen Aufteilung der ESt-Schuld verhältniswahrend anzusetzen.
Nach Auffassung der Finanzverwaltung wie auch nach der finanzgerichtlichen Rechtsprechung ist die Aufteilung der Gesamtsteuerschuld auf die insolvenzrechtlichen Vermögensbereiche grundsätzlich in dem Verhältnis vorzunehmen, in welchem die stpfl. Einkünfte des Insolvenzschuldners auf diese Vermögensbereiche entfallen (vgl. AEAO Tz. 9.1.2 zu § 251, Beispiel 3). Das FA schloss hieraus, dass der Altersentlastungsbetrag gem. § 24a EStG im Rahmen der Aufteilung nicht berücksichtigt werden dürfe, da dieser nach § 2 Abs. 3 EStG nicht bei der Ermittlung der Einkünfte, sondern erst auf späterer Ebene bei der Ermittlung der Summe der Einkünfte zu erfassen sei. Dieser formalen Sichtweise des FA kann nach Auffassung des FG jedoch nicht gefolgt werden. Zwar wird der Altersentlastungsbetrag im Einkommensermittlungssystem des § 2 EStG tatsächlich erst bei der Ermittlung der Summe der Einkünfte angesetzt. Ungeachtet dessen muss jedoch festgestellt werden, dass der Altersentlastungsbetrag einkünftebezogen ist, da er z.B. nicht für Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit und auch nicht für die in § 24a Satz 2 EStG genannten Einkünfte gilt. Dies spricht dafür, den Altersentlastungsbetrag bei der ebenfalls einkünftebezogenen Aufteilung der Einkommensteuerschuld auf die insolvenzrechtlichen Vermögensbereiche zu berücksichtigen.
Beispiel 2:
Über das Vermögen des Ehegatten A wurde im Kj. 36 das Insolvenzverfahren eröffnet. A steht ein Altersentlastungsbetrag i.H.v. 1 748 € zu. Bei der Zusammenveranlagung der Eheleute beträgt die gesamte ESt-Schuld 6 326,00 €.
Im Kj. 37 erzielt A und sein Ehegatte B folgende Einkünfte:
Einkunftsart |
Insolvenzmasse |
vorinsolvenzlicher Vermögensbereich |
||||
Einkünfte insolventer Ehegatte A |
§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG |
13 378,00 € |
||||
§ 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG |
835,00 € |
749,00 € |
||||
§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG: Renteneinkünfte (abzüglich des steuerfreien Teils) |
17 101,00 € |
|||||
Einkünfte Ehegatte B: |
§ 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG: |
|||||
21 400,00 € |
Lösung 2:
Die Steuerfestsetzung gegen den Insolvenzschuldner und gegen den Insolvenzverwalter erfolgt in zwei getrennten Verfahren (s. BFH vom 27.10.2020, VIII R 19/18, BStBl II 2021, 819, Rz. 37). Zur Ermittlung der einerseits gegen die Masse (den Insolvenzverwalter), andererseits gegen das insolvenzfreie Vermögen (den Insolvenzschuldner) festzusetzenden ESt ist zunächst einheitlich die ESt des Veranlagungszeitraumes zu ermitteln. Diese ist in einem zweiten Schritt aufzuteilen und getrennt festzusetzen. Die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Steueransprüche, die als Masseverbindlichkeiten zu qualifizieren sind, sind gegenüber dem Insolvenzverwalter durch einen (gegenständlich beschränkten) Steuerbescheid, der Teil des Festsetzungsverfahrens ist, festzusetzen (z.B. BFH vom 16.4.2015, III R 21/11, BStBl II 2016, 29; vom 10.7.2019, X R 31/16, BStBl II 2022, 488; vom 16.7.2015, III R 32/13, BStBl II 2016, 251). Alle sonstigen nach der Eröffnung begründeten Steueransprüche sind insolvenzfrei. Die entsprechend begründete ESt ist, soweit sie auf die Nutzung des insolvenzfreien Vermögens des Schuldners entfällt, durch Steuerbescheid gegen den Insolvenzschuldner festzusetzen.
Der Annahme zweier getrennter Festsetzungsverfahren steht der Umstand, dass der Insolvenzschuldner als Rechtsträger der Insolvenzmasse – trotz der getrennten Geltendmachung der Steuerforderung – weiterhin Steuerschuldner ist nicht entgegen.
Einkunftsart |
Insolvenzmasse |
vorinsolvenzlicher Vermögensbereich |
||||
Einkünfte insolventer Ehegatte A |
§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG |
13 378,00 € |
||||
§ 21 Abs. 1 Nr. 1 EStG |
835,00 € |
749,00 € |
||||
§ 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG: Renteneinkünfte (abzüglich des steuerfreien Teils) |
17 101,00 € |
|||||
Zwischensumme |
32 063,00 € |
14 213,00 € |
17 101,00 € |
749,00 € |
||
Altersentlastungsbetrag 1 748 € × 14 213/14 962 bzw. 1 748 € × 749/14 962 für Renteneinkünfte |
./. 1 660,49 € |
0,00 € |
./. 87,51 € |
|||
Zwischensumme |
30 315,00 € |
12 552,51 € |
17 101,00 € |
661,49 € |
||
Summe vorinsolvenzlicher Vermögensbereich |
17 762,49 € |
|||||
Verhältnis der Einkünfte |
41,407 % |
58,593 % |
||||
Einkünfte Ehegatte B: |
§ 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG: |
|||||
21 400,00 € |
||||||
Verteilung im Verhältnis der Einkünfte des insolventen Ehegatten |
8 861,10 € |
12 538,90 € |
||||
Zwischensumme |
51 715,00 € |
21 413,61 € |
30 301,39 € |
|||
Verhältnis der Einkünfte |
41,407 % |
58,593 % |
||||
Steuer |
6 326,00 € |
2 619,00 € |
3 707,00 € |
Die gesamte ESt-Schuld i.H.v. 6 326 € stellt infolge der Zusammenveranlagung des Insolvenzschuldners und seiner Ehefrau eine Gesamtschuld dar, die jeder Gesamtschuldner in vollem Umfang schuldet (BFH vom 27.10.2020, VIII R 19/18, LEXinform 0951946, Rz. 45).
Die einheitlich ermittelte Steuer ist den insolvenzrechtlichen Vermögensbereichen im Verhältnis der Einkünfte aus den unterschiedlichen Vermögensbereichen zu den Gesamteinkünften beider Ehegatten zuzuordnen:
Insolvenzforderungen sind i.H.v. 3 707,00 € zur Tabelle anzumelden. Gegen den Insolvenzverwalter sind Masseforderungen i.H.v. 2 619,00 € festzusetzen. Gegen den nicht insolventen Ehegatten B ist eine Steuer von 6 326,00 € festzusetzen, da er/sie insoweit Gesamtschuldner ist.
Beachte:
Mit Urteil vom 19.1.2023 (III R 44/20, LEXinform 0952852) bestätigt der III. Senat des BFH die Rspr. des VIII. Senats vom 27.10.2020 (VIII R 19/18, BStBl II 2021, 819) sowie des X. Senats vom 10.7.2019 (X R 31/16, BStBl II 2022, 488). Die Aufteilung der ESt sowie des Soli und der Zinsen zur ESt zwischen einem Insolvenzschuldner und dem Insolvenzverwalter ist entsprechend dem Verhältnis der Einkünfte vorzunehmen.
In einem ersten Schritt ist während des Insolvenzverfahrens die Jahreseinkommensteuer für alle im jeweiligen Veranlagungszeitraum (§ 25 Abs. 1 EStG) angefallenen Einkünfte, deren materiell-rechtlicher Rechtsträger der Insolvenzschuldner ist, nach steuerrechtlichen Vorschriften und Maßstäben einheitlich zu ermitteln (BFH III R 44/20, Rz. 18). Dann ist dieser Betrag in einem zweiten Schritt aufzuteilen. Gegenüber dem Insolvenzschuldner und gegenüber dem Insolvenzverwalter ist der jeweilige Teilbetrag in gesonderten Einkommensteuerbescheiden festzusetzen.
Der Grund für die im ersten Schritt vorzunehmende Ermittlung einer Gesamt-ESt für alle Einkünfte liegt darin, dass diese ununterscheidbar zur ESt beitragen, unabhängig davon, ob sie vor der Insolvenzeröffnung, von der Masse (§ 55 InsO), während des Insolvenzverfahrens vom Insolvenzschuldner oder (im letzten Jahr der Insolvenz) nach Beendigung des Insolvenzverfahrens erzielt wurden.
Der Urteilsfall III R 44/20 stellt sich verkürzt wie folgt dar:
Einkunftsart |
Insolvenzmasse |
vorinsolvenzlicher Vermögensbereich |
|
§ 15 Abs. 1 Nr. 1 EStG |
119 807,00 € |
||
§ 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG |
17 840,00 € |
||
Summe |
137 647,00 € |
||
Verhältnis der Einkünfte |
87,04 % |
12,96 % |
|
ESt lt. FA |
48 019,00 € |
||
Soli lt. FA |
2 641,04 € |
||
Das FA hat die ESt gegenüber der Insolvenzmasse i.H.v. sowie den Soli i.H.v. |
41 795,41 € 2 298,74 € |
||
festgesetzt und gegenüber dem Insolvenzschuldner i.H.v. zzgl. Soli i.H.v. festgesetzt. |
6 223,59 € 342,30 € |
Ergeben sich im eröffneten Insolvenzverfahren Steuererstattungsansprüche, ist grundsätzlich zu prüfen, ob gegen diese Ansprüche aufgerechnet werden kann. Zur Aufrechnung s. § 226 AO.
Maßgeblich für die Zuordnung eines Steuererstattungsanspruchs ist die insolvenzrechtliche Begründetheit nach § 38 InsO; nicht maßgebend ist die steuerrechtliche Entstehung oder die Fälligkeit. Ein Steueranspruch ist in diesem Sinne begründet, wenn der den Tatbestand auslösende Sachverhalt vollendet ist.
Eine Aufrechnung mit Insolvenzforderungen ist immer nur dann zulässig, wenn der Erstattungsanspruch vor der Verfahrenseröffnung begründet wurde, also dem vorinsolvenzlichen Bereich zugerechnet werden kann. Wegen der Unzulässigkeiten der Aufrechnung s. § 96 InsO. Wurde der Erstattungsanspruch nach Verfahrenseröffnung begründet, ist eine Aufrechnung mit Insolvenzforderungen nicht mehr zulässig (nur noch mit Masseverbindlichkeiten).
Ob ein Insolvenzgläubiger vor oder nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens etwas zur Insolvenzmasse schuldig geworden ist, bestimmt sich nach der Rspr. des BFH danach, ob der Tatbestand, der den betreffenden Anspruch begründet, nach den steuerrechtlichen Vorschriften bereits vor oder erst nach Insolvenzeröffnung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Entscheidend ist, ob sämtliche materiell-rechtlichen Tatbestandsvoraussetzungen für die Entstehung eines Erstattungsanspruchs im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits erfüllt waren (vgl. BFH vom 15.1.2019, VII R 23/17, BStBl II 2019, 329; vom 8.11.2016, VII R 34/15, BStBl II 2017, 496).
Ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO aufgrund zu hoher bzw. nicht geschuldeter Vorauszahlungen entsteht (§ 38 AO) nach ständiger Rspr. bereits im Zeitpunkt der Entrichtung der jeweiligen Vorauszahlung unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Ende des Besteuerungszeitraums die geschuldete Steuer geringer ist als die Vorauszahlung (vgl. BFH vom 20.9.2016, VII R 10/15, BFH/NV 2017, 442, Rz. 18). Dementsprechend wird nach der BFH-Rspr. der Rechtsgrund für eine Erstattung von ESt (auch) im insolvenzrechtlichen Sinne bereits mit der Leistung der entsprechenden Vorauszahlungen gelegt (BFH vom 28.2.2012, VII R 36/11, BStBl II 2012, 451). Für USt-Vorauszahlungen gilt das gleichermaßen (vgl. BFH vom 31.5.2005, VII R 74/04, BFH/NV 2005, 1745).
Zur Aufrechnung einer LSt-Forderung des FA mit einem KSt-Erstattungsbetrag durch das FA im vorinsolvenzlichen Bereich hat der BFH mit Urteil vom 18.4.2023 (VII R 35/19, LEXinform 0952648) Stellung genommen. Im Urteilsfall waren die allgemeinen Voraussetzungen für eine Aufrechnung gem. § 226 AO i.V.m. §§ 387 ff. BGB erfüllt. In seiner Urteilsbegründung geht der BFH in den Rz. 34 bis 42 auf die Fälligkeit der LSt-Forderung sowie auf die Erfüllbarkeit des Erstattungsanspruchs ein.
Die Besonderheit des Urteilsfalls bestand darin, dass trotz des Vorliegens der Aufrechnungslage der Aufrechnung ein Aufrechnungsverbot i.S.d. § 96 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 131 Abs. 1 Nr. 1 InsO (inkongruente Deckung) entgegenstand.
Demnach ist eine Rechtshandlung anfechtbar, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, die er nicht oder nicht in der Art oder nicht zu der Zeit zu beanspruchen hatte, wenn die Handlung im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder nach diesem Antrag vorgenommen worden ist.
Im Streitfall hat die Schuldnerin dadurch eine Rechtshandlung vorgenommen, dass sie im letzten Monat vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ihren ArbN Lohn überwiesen hat. Diese Rechtshandlung hat zu einer objektiven Gläubigerbenachteiligung geführt. Denn durch die Überweisung der Löhne ist bei der Schuldnerin insofern eine Verschlechterung der Vermögenssituation eingetreten, als sie infolgedessen für die Entrichtung der LSt einzustehen hatte. Die LSt entsteht gem. § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem ArbN zufließt. Zwar ist gem. § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG der ArbN Schuldner der LSt. Der ArbG haftet jedoch gem. § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG für die LSt, die er einzubehalten und abzuführen hat. Der Haftungsanspruch entsteht (§ 38 AO), sobald die einzubehaltende LSt zum Fälligkeitszeitpunkt nicht an das FA abgeführt wird. Dadurch besteht – zumindest mittelbar – die Möglichkeit, dass das Vermögen der Schuldnerin beeinträchtigt wird.
Die Rechtshandlung des ArbG besteht darin, dass infolge der Zahlung der Arbeitslöhne eine Aufrechnungsmöglichkeit zugunsten des FA geschaffen wurde.
Die Überweisung des Arbeitslohns hat zur Entstehung der LSt und in der weiteren Folge zur Entstehung einer Aufrechnungslage geführt, sodass dem FA eine Möglichkeit zur Befriedigung gegeben wurde. Denn gem. § 389 BGB bewirkt die Aufrechnung, dass die Forderungen, soweit sie sich decken, als in dem Zeitpunkt erloschen gelten, in welchem sie zur Aufrechnung geeignet einander gegenübergetreten sind.
Das FA hatte keinen Anspruch auf die Befriedigungsmöglichkeit im Wege der Aufrechnung. § 131 InsO ist einschlägig, wenn sich die Aufrechnungsbefugnis nicht aus dem zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger zuerst entstandenen Rechtsverhältnis ergibt. Im Streitfall bestand ein Anspruch des FA auf Begleichung der LSt durch Zahlung, nicht aber darauf, dem FA die Möglichkeit einer Erfüllung des KSt-Erstattungsanspruchs der Schuldnerin durch Aufrechnung zu verschaffen. Die Aufrechnungslage ist vielmehr dadurch entstanden, dass die Schuldnerin die Lohnzahlung geleistet hat, ohne dass sich dies aus einem Rechtsverhältnis zwischen der Schuldnerin und dem FA ergeben hätte oder dieses darauf auch nur hätte Einfluss nehmen können. Auch eine gesetzliche Privilegierung des FA gegenüber den anderen Insolvenzgläubigern bestand nicht. Ohne die – eher zufällig entstandene – Möglichkeit der Aufrechnung hätte das FA die Steuererstattung zur Masse auszahlen müssen und die LSt-Forderung gem. §§ 174 ff. InsO zur Tabelle anmelden können.
Nach dem BFH-Urteil vom 15.10.2019 (VII R 31/17, BStBl II 2023, 262; Anmerkung vom 27.2.2020, LEXinform 0889215) wird der Rechtsgrund für eine Erstattung von USt auch dann im insolvenzrechtlichen Sinne bereits mit der Leistung der entsprechenden Vorauszahlungen gelegt, wenn diese im Fall einer nicht erkannten Organschaft zunächst gegen die Organgesellschaft festgesetzt und von dieser auch entrichtet worden sind. Ein Erstattungsanspruch nach § 37 Abs. 2 AO aufgrund zu hoher bzw. nicht geschuldeter Vorauszahlungen entsteht (§ 38 AO) nach ständiger Rechtsprechung bereits im Zeitpunkt der Entrichtung der jeweiligen Vorauszahlung unter der aufschiebenden Bedingung, dass am Ende des Besteuerungszeitraums die geschuldete Steuer geringer ist als die Vorauszahlung. Erst recht muss dies für solche Vorauszahlungen gelten, die von vornherein ohne (materiellen) Rechtsgrund geleistet worden sind; denn in diesem Fall steht der Erstattungsanspruch noch nicht einmal unter einer aufschiebenden Bedingung.
Die (verfahrensrechtliche) Festsetzung des Erstattungsanspruchs und ebenso dessen Änderung oder Aufhebung sind für den Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Entstehung nicht maßgeblich. Ebenfalls nicht maßgeblich ist der Zeitpunkt, zu dem die den zu erstattenden Zahlungen zugrunde liegenden Steuerfestsetzungen oder -anmeldungen aufgehoben worden sind. Es ist insolvenzrechtlich ausreichend, dass der Sachverhalt, der zu der Entstehung des Erstattungsanspruchs führt, verwirklicht ist (BFH VII R 31/17, Rz. 21).
Der Anspruch auf Erstattung der GrESt nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 GrEStG für einen vor Insolvenzeröffnung geschlossenen Kaufvertrag entsteht im Fall der Ablehnung der Erfüllung gem. § 103 Abs. 2 InsO erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens i.S.d. § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO (BFH vom 15.1.2019, VII R 23/17, BStBl II 2019, 329). »Rückgängig gemacht« i.S.d. § 16 Abs. 1 GrEStG ist ein Erwerbsvorgang, wenn über die zivilrechtliche Aufhebung des den Steuertatbestand erfüllenden Rechtsgeschäfts hinaus die Vertragspartner sich derart aus ihren vertraglichen Bindungen entlassen haben, dass die Möglichkeit zur Verfügung über das Grundstück nicht beim Erwerber verbleibt, sondern der Veräußerer seine ursprüngliche Rechtsstellung wiedererlangt. Erst zu diesem Zeitpunkt entsteht materiell-rechtlich der Anspruch aus § 16 GrEStG. Dementsprechend ist der Anspruch aus § 16 Abs. 1 GrEStG auch erst zu diesem Zeitpunkt vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen. Da das FA das Guthaben aus der GrESt erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens schuldig geworden ist, ist die Aufrechnung mit vorinsolvenzrechtlichen Steuerforderungen nach § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO unzulässig.
Ergeben sich keine Aufrechnungsmöglichkeiten, sind die Erstattungsbescheide gegenüber dem Insolvenzverwalter bekanntzugeben und der zu erstattende Betrag ist in die Masse zu überweisen.
Wird eine ESt-Veranlagung für ein nach dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Stpfl. beginnendes Steuerjahr durchgeführt und ergibt sich aufgrund des Lohnsteuereinbehalts ein Steuererstattungsanspruch, so stellt dieser Erstattungsanspruch eine Masseforderung dar, gegen die das FA nicht mit noch offenen, vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen Steuerforderungen aufrechnen darf (BFH Beschluss vom 29.1.2010, VII B 188/09, BFH/NV 2010, 1243, LEXinform 5905504 sowie AEAO Tz. 9.1.4 zu § 251 AO).
Zur Verteilung der Einkünfte auf die einzelnen Vermögensbereiche bei Einzel- und Zusammenveranlagung s. die ausführlichen Beispiele zur AEAO Tz. 9.1 zu § 251 AO.
Eine Betriebsaufgabe ohne ausdrückliche Betriebsaufgabeerklärung tritt schon ein, wenn der Betriebsinhaber sein nahezu wertloses Unternehmen auf neue Rechtsträger so umstrukturiert, dass der ursprüngliche Gewerbebetrieb nicht mehr fortgesetzt wird, ein nicht verkäufliches Betriebsgrundstück aber noch mehrere Jahre lang unter Zwangsverwaltung zurückbehält. Auf den Zeitpunkt der Veräußerung dieses Grundstücks kommt es nicht mehr an (rechtskräftiges Urteil FG Münster vom 8.4.2011, 12 K 4487/07 E, EFG 2011, 1518, LEXinform 5011989).
In Insolvenzverfahren über das Vermögen natürlicher Personen versuchen Schuldner, die vor der Eröffnung des Verfahrens eine selbstständige Tätigkeit ausgeübt hatten, oftmals diese Tätigkeit nach Eröffnung des Verfahrens – mit oder ohne Kenntnis oder Duldung des Insolvenzverwalters – fortzusetzen oder eine neue Tätigkeit zu beginnen. Das Interesse des Schuldners, sich durch eine gewerbliche oder freiberufliche Tätigkeit eine neue wirtschaftliche Existenz zu schaffen, stellt aber die Insolvenzpraxis vor erhebliche Probleme. So gehören Einkünfte, die ein selbstständig tätiger Schuldner nach der Insolvenzeröffnung erzielt, gem. § 35 InsO in vollem Umfang ohne Abzug für beruflich bedingte Ausgaben zur Insolvenzmasse. Damit ist eine selbstständige Tätigkeit des Schuldners außerhalb des Insolvenzverfahrens nahezu ausgeschlossen.
Übt der Insolvenzschuldner dennoch – mit oder ohne Wissen oder Einwilligung des Verwalters – eine selbstständige Tätigkeit aus, dann hat der Insolvenzverwalter häufig ein Interesse, zwar den durch eine selbstständige Tätigkeit erzielten Neuerwerb für die Masse zu vereinnahmen, mit durch den Neuerwerb in vielfältiger Form begründete Verbindlichkeiten jedoch nicht die Masse zu belasten. Ein Weg, dem Insolvenzschuldner die Möglichkeit einer selbstständigen Tätigkeit außerhalb des Insolvenzverfahrens zu eröffnen, ist eine Art »Freigabe« des Vermögens, das der gewerblichen Tätigkeit gewidmet ist, einschließlich der dazu gehörenden Vertragsverhältnisse. Eine vergleichbare Regelung findet sich bereits in § 109 Abs. 1 Satz 2 InsO hinsichtlich der Wohnung des Schuldners. Den Neugläubigern, also den Gläubigern, die nach Eröffnung des Verfahrens mit dem Schuldner kontrahiert haben, stehen, sofern eine entsprechende Erklärung des Verwalters vorliegt, als Haftungsmasse die durch die selbstständige Tätigkeit erzielten Einkünfte zur Verfügung. Eine Verpflichtung der Insolvenzmasse durch die Tätigkeit des Schuldners scheidet dann von vornherein aus. Macht der Verwalter von der Freigabe keinen Gebrauch und duldet er die Fortführung der gewerblichen Tätigkeit durch den Insolvenzschuldner, dann werden die durch den Neuerwerb begründeten Verbindlichkeiten zu Masseverbindlichkeiten, da insofern eine Verwaltungshandlung vorliegt (s.a. BFH Urteil vom 16.7.2015, III R 32/13, BStBl II 2016, 251). Dies würde auch für Verbindlichkeiten gelten, die der Schuldner unter Einsatz von Gegenständen begründet, die nach § 811 Abs. 1 Nr. 5 ZPO unpfändbar sind.
Beachte:
Zur Begründung bzw. Nichtbegründung von Masseverbindlichkeiten bei einer fortgesetzten Tätigkeit eines Freiberuflers in der Insolvenz hat der BFH mit Urteil vom 6.6.2019 (V R 51/17, BStBl II 2021, 52) Folgendes entschieden: Ist bei einer Tätigkeit ohne Wissen und Billigung des Insolvenzverwalters unklar, ob es sich umsatzsteuerrechtlich um eine solche des Insolvenzschuldners handelt, entsteht keine Masseverbindlichkeit.
Zusammenfassung der Entscheidungsgründe des BFH (V R 51/17):
Wird eine zu stpfl. Einkünften führende Tätigkeit ohne Wissen und Zutun des Insolvenzverwalters ausgeübt und gelangen die Erträge nicht zur Masse, entsteht der Steueranspruch nicht als Masseverbindlichkeit (s.a. BFH vom 18.5.2010, X R 11/09, BFH/NV 2010, 2114, LEXinform 0179600).
Im Streitfall wird keine Masseverbindlichkeit »in anderer Weise« nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründet, weil der Schuldner seine Tätigkeit ohne Wissen und Billigung durch den Insolvenzverwalter ausübte und die Entgelte nicht zur Masse gelangten (BFH V R 51/17, Rz. 13).
Die durch die selbstständige Tätigkeit begründeten Steuerforderungen sind nicht von vornherein bis zur Freigabeerklärung durch den Insolvenzverwalter nach § 35 Abs. 2 Satz 1 InsO Masseverbindlichkeiten. Denn eine unterbliebene Erklärung des Insolvenzverwalters steht nicht einer »konkludenten Positiverklärung« gleich (BFH V R 51/17, Rz. 17).
Beachte:
Mit Art. 6 Nr. 1 des Gesetzes zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3328) wird in § 35 InsO ein neuer Abs. 3 eingefügt. Der bisherige Abs. 3 wird Abs. 4.
Nach § 35 Abs. 3 Satz 1 InsO ist der Schuldner verpflichtet, dem Insolvenzverwalter unverzüglichen Anzeige einer beabsichtigten oder bereits ausgeübten selbstständigen Tätigkeit zu erstatten. Auf die Informationen über die selbstständige Tätigkeit des Schuldners ist der Insolvenzverwalter angewiesen, um abschätzen zu können, ob eine Freigabe der Tätigkeit im Interesse der Insolvenzmasse geboten ist.
Nach § 35 Abs. 3 Satz 2 kann der Schuldner den Verwalter um die Freigabe der angezeigten Tätigkeit ersuchen. In diesem Fall hat sich der Insolvenzverwalter unverzüglich, spätestens jedoch nach einem Monat zu dem Ersuchen des Schuldners zu erklären. Hierdurch erlangt der Schuldner Rechts- und Planungssicherheit hinsichtlich der von ihm geplanten oder bereits ausgeübten Tätigkeit. Kann der Verwalter allerdings binnen der Monatsfrist die Vor- und Nachteile, die eine Freigabe für die Masse hätte, nicht abschließend beurteilen, ist er im Falle einer hierauf gestützten vorsorglichen Verweigerung der Freigabe nicht gehindert, die Entscheidung zu korrigieren, sobald er die erforderliche Einschätzung vornehmen kann.
Der BFH hat mit Urteil vom 27.7.2023 (IV R 10/20, LEXinform 0952859) zur ertragsteuerlichen Behandlung der Zahlung des Gesellschaftererben an den Nachlassverwalter zur Freigabe eines Kommanditanteils Stellung genommen.
Entscheidungssachverhalt:
Nach dem Tod der Kommanditistin K der GmbH & Co. KG (KG) stellten die Erben einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über den Nachlass der K. Die Erben einigten sich mit dem Insolvenzverwalter auf eine »Übertragung« der insolvenzbehafteten Kommanditanteile der K. Zum Ausgleich sollten die Erben eine Zahlung von insgesamt 50 000 € in die Insolvenzmasse leisten. Streitbefangen war, ob die Zahlungen zu einem Veräußerungsgewinn der K führten oder steuerlich abzugsfähig sind.
Entscheidungsgründe:
Der BFH sieht in dem Übergang des Kommanditanteils gegen Zahlung in das Nachlassinsolvenzverfahren keine Veräußerung, denn die Kommanditgesellschaft wird beim Tod eines Kommanditisten mit den Erben fortgesetzt. Dabei geht der Kommanditanteil nicht im Wege der Gesamtrechtsnachfolge auf die Erbengemeinschaft über. Vielmehr erwerben die zur Nachfolge des Kommanditisten bestimmten Erben im Wege der Sonderrechtsnachfolge jeweils eigenständige Gesellschaftsanteile im Umfang ihrer Erbquoten. Die Erben haben die Kommanditanteile unmittelbar von K erworben und waren im Zeitpunkt des Abschlusses der Vereinbarung mit dem Insolvenzverwalter bereits Kommanditisten der KG. Aus diesem Grund konnte der Insolvenzverwalter die Kommanditanteile der K nicht (wirksam) auf die Erben übertragen, sodass die Zahlung in die Insolvenzmasse nicht zu einem Gewinn aus der Veräußerung eines Mitunternehmeranteils mangels entgeltlicher Übertragung geführt hat.
Nach Ansicht des BFH stellen die Zahlungen an den Nachlassinsolvenzverwalter auch keine Sonderbetriebsausgaben der Erben dar. Die Zahlung an den Insolvenzverwalter diente nicht der Stärkung der Kommanditbeteiligungen. Die Erben wollten mit der Zahlung in die Insolvenzmasse die mit der Nachlassinsolvenz verbundenen Einschränkungen beseitigen. Zudem sind der Erbfall als solcher und auch die Nachlassinsolvenz private Vorgänge. Verwendet der Gesellschaftererbe seinen Gewinnanteil, um (private) Nachlassverbindlichkeiten zu begleichen, so handelt es sich dabei um privat veranlasste Aufwendungen. Diese sind der Ebene der (steuerlich unbeachtlichen) Einkommensverwendung zuzurechnen.
Leistet der Gesellschaftererbe eine Zahlung an den Nachlassinsolvenzverwalter zur Freigabe des von ihm geerbten Kommanditanteils, so handelt es sich um eine nach § 12 Nr. 1 EStG privat veranlasste Aufwendung und nicht um eine Sonderbetriebsausgabe (s.a. Anmerkung vom 10.10.2023, LEXinform 0654089).
Weitere ausführliche Erläuterungen zur Freigabe i.S.d. § 35 Abs. 2 InsO s. → Insolvenzverfahren unter dem Gliederungspunkt »Forderungen aus Tätigkeiten des Insolvenzschuldners nach Eröffnung des Verfahrens«.
Bei einem Grundstückskauf bemisst sich die GrESt nach dem Kaufpreis einschließlich der vom Käufer übernommenen sonstigen Leistungen. Die Kaufpreisforderung ist mit ihrem Nennwert anzusetzen, wenn nicht besondere Umstände einen höheren oder geringeren Wert begründen. Da zum Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrags die Beteiligten davon ausgehen, dass der Kaufpreis auch tatsächlich entrichtet wird, ist dieser mit seinem Nennwert als Bemessungsgrundlage der GrESt anzusetzen. Unerheblich ist, ob der Grundstückskäufer den Kaufpreis später tatsächlich zahlt oder der Verkäufer mit der Kaufpreisforderung ganz oder zum Teil ausfällt. Dies hat keine Auswirkungen auf die festgesetzte GrESt.
Wie der BFH mit Urteil vom 12.5.2016 (II R 39/14, BStBl II 2017, 63) klargestellt hat, ist es ebenso, wenn über das Vermögen des Käufers das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Zwar wird dann die Kaufpreisforderung uneinbringlich, soweit der Verkäufer im Insolvenzverfahren nicht befriedigt wird. Dies berührt aber weder die Wirksamkeit des Kaufvertrags noch kommt es zu einer Herabsetzung des Kaufpreises, da für dessen Bestimmung der Zeitpunkt des Vertragsschlusses maßgeblich ist. Eine Änderung kommt auch nicht nach § 16 Abs. 3 des GrEStG in Betracht. Danach kann zwar die Herabsetzung der Kaufpreisforderung nach Abschluss des Kaufvertrags zu einer Änderung des Grunderwerbsteuerbescheids führen, der teilweise Ausfall der Kaufpreisforderung aufgrund der Insolvenz des Käufers ist aber keine derartige Herabsetzung des Kaufpreises.
Der Entscheidung des BFH kommt über den Streitfall hinaus allgemeine Bedeutung zu. So käme eine Minderung der GrESt aufgrund eines Zahlungsausfalls des Käufers z.B. auch dann nicht in Betracht, wenn der Verkäufer Grunderwerbsteuerschuldner ist (BFH Pressemitteilung Nr. 66/2016 vom 19.10.2016, LEXinform 0445247).
Zur Bekanntgabe von Verwaltungsakten in Insolvenzfällen s. AEAO zu § 122 Nr. 2.9 sowie AEAO Tz. 4.3.2 zu § 251 AO.
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens (ggf. schon vorher bei Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters) verliert der Stpfl. (Schuldner) die Befugnis, sein Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen (Ausnahme: Fälle der Eigenverwaltung; s. → Insolvenzverfahren und dort den Gliederungspunkt »Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren« und AEAO Tz. 13.2 zu § 251 AO). Die Insolvenzmasse erfasst das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (§ 35 InsO). Die Verwaltungs- und Verfügungsrechte werden durch den Insolvenzverwalter ausgeübt (§ 80 InsO), der im Rahmen seiner Tätigkeit auch die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen hat (§ 34 Abs. 3 AO). Die Insolvenzmasse betreffende Verwaltungsakte können daher nicht mehr durch Bekanntgabe an den Stpfl. (Inhaltsadressaten) wirksam werden.
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist eine Prüfungsanordnung bei einer PersGes an den Insolvenzverwalter zu richten (BFH Beschluss vom 4.10.1991, VIII B 93/90, BStBl II 1992, 59). Dies gilt unabhängig davon, ob Zeiträume vor oder nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens geprüft werden sollen (FG München vom 4.10.2022, 12 K 465/22, LEXinform 5025090 unter II.2.a). Der Insolvenzverwalter tritt als Prüfungssubjekt an die Stelle des bisher stpfl. Gemeinschuldners und ist Inhaltsadressat der Prüfungsanordnung.
Während des Insolvenzverfahrens dürfen hinsichtlich der Insolvenzforderungen Verwaltungsakte über die Festsetzung von Ansprüchen aus dem Steuerschuldverhältnis nicht mehr ergehen (zur Geltendmachung derartiger Ansprüche s.o.). Bescheide, die einen Erstattungsanspruch zugunsten der Insolvenzmasse festsetzen, können bekannt gegeben werden (BFH Urteil vom 13.5.2009, XI R 63/07, BStBl II 2010, 11; AEAO Tz. 4.3.1 zu § 251 AO). Bis zum Abschluss der Prüfungen gem. §§ 176, 177 InsO dürfen grundsätzlich auch keine Bescheide mehr erlassen werden, die Besteuerungsgrundlagen feststellen oder Steuermessbeträge festsetzen, welche die Höhe der zur Insolvenztabelle anzumeldenden Steuerforderungen beeinflussen können (BFH Urteil vom 18.12.2002, I R 33/01, BStBl II 2003, 630). Dies gilt nicht, wenn sich Feststellungen von Besteuerungsgrundlagen oder Festsetzungen von Steuermessbeträgen für den Insolvenzschuldner vorteilhaft auswirken – z.B. weil sie zu einem Verlustrücktrag führen oder zusammen mit einer Steuerfestsetzung Grundlagen für die Erstattung von Vorauszahlungen sind – und der Insolvenzverwalter die Feststellung bzw. Festsetzung ausdrücklich beantragt oder wenn die Feststellung oder Festsetzung ausschließlich zu dem Zweck erfolgt, Masseforderungen der Finanzbehörde zu ermitteln.
In diesen Fällen ist Bekanntgabeadressat aller die Insolvenzmasse betreffenden Verwaltungsakte der Insolvenzverwalter. Das gilt insbesondere für die Bekanntgabe von
Steuerbescheiden wegen Steueransprüchen, die nach der Verfahrenseröffnung entstanden und damit sonstige Masseverbindlichkeiten sind,
Steuerbescheiden wegen Steueransprüchen, die aufgrund einer neuen beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit des Insolvenzschuldners entstanden sind (sog. Neuerwerb, § 35 InsO).
Hat das Gericht nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO zur Sicherung der Masse die vorläufige Verwaltung angeordnet und nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO ein allgemeines Verfügungsverbot erlassen (sog. starker vorläufiger Insolvenzverwalter), hat der vorläufige Insolvenzverwalter als Vermögensverwalter i.S.d. § 34 Abs. 3 AO die steuerlichen Pflichten des Schuldners zu erfüllen.
Ist vom Insolvenzgericht eine vorläufige Verwaltung angeordnet, aber kein allgemeines Verfügungsverbot erlassen (sog. schwacher vorläufiger Insolvenzverwalter), sind Verwaltungsakte bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens weiterhin dem Schuldner bekannt zu geben (§ 22 Abs. 2 InsO). Da der schwache vorläufige Insolvenzverwalter nicht Vermögensverwalter nach § 34 Abs. 3 AO ist, hat er keine Steuererklärungspflichten für den Insolvenzschuldner zu erfüllen. § 55 Abs. 4 InsO verlagert lediglich den Zeitpunkt der Zuordnung von Steuerverbindlichkeiten in Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Zeitpunkt der Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters vor (BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 30 und 31).
Die bisher gegen den Insolvenzschuldner (vorinsolvenzlicher Unternehmensteil) für die Zeiträume des vorläufigen Insolvenzverfahrens festgesetzten Umsatzsteuern sind – korrespondierend zu den Festsetzungen gegen die Insolvenzmasse – in Form einer Steuerberechnung mit anschließender (gegebenenfalls berichtigter) Tabellenanmeldung zu ändern, soweit darin unselbstständige Besteuerungsgrundlagen berücksichtigt sind, die wegen § 55 Abs. 4 InsO nach Insolvenzeröffnung als Masseverbindlichkeiten dem Unternehmensteil »Insolvenzmasse« zuzurechnen sind (BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 39).
Soweit noch keine Steuerfestsetzung der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens nach § 55 Abs. 4 InsO als Masseverbindlichkeit geltenden Steuerverbindlichkeit vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gegenüber dem Insolvenzschuldner erfolgt ist, ist gegenüber dem Insolvenzverwalter die Steuer erstmalig festzusetzen.
Beispiele für Bescheiderläuterungen:
»Der Bescheid ergeht an Sie als Verwalter/vorläufiger Verwalter im Insolvenzverfahren/Verfahren über den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners …«
Die Erläuterung ist, soweit erforderlich, zur Klarstellung zu ergänzen:
»Die Steuerfestsetzung betrifft die Festsetzung der USt als sonstige Masseverbindlichkeit.«
Nach dem BFH-Urteil vom 11.4.2018 (X R 39/16, BFH/NV 2018, 1075, LEXinform 0951241) kann ein Steuerbescheid auch dann dem Insolvenzverwalter gegenüber wirksam bekanntgegeben sein, wenn er ohne den ausdrücklichen Zusatz »als Insolvenzverwalter« namentlich im Adressfeld des Steuerbescheides aufgeführt ist. In einem solchen Fall ist die Bekanntgabe gleichwohl wirksam, wenn sich gemessen am objektiven Empfängerhorizont aus den Gesamtbeständen der Bekanntgabe heraus keine Zweifel daran ergeben, dass der Adressat in seiner Funktion als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Insolvenzschuldners angesprochen ist (Abgrenzung zu BFH Urteil vom 15.3.1994, XI R 45/93, BStBl II 1994, 600 und zu BFH Beschluss vom 22.6.1999, VII B 244/98, BFH/NV 1999, 1583, LEXinform 0162359).
Hat das Gericht in dem Beschluss über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Eigenverwaltung angeordnet (§ 270 InsO), kann der Schuldner weiterhin sein Vermögen verwalten und über dieses verfügen. In diesen Fällen sind Verwaltungsakte an den Schuldner bekanntzugeben (AEAO Tz. 13.2 zu § 251 AO).
Zur inhaltlich hinreichenden Bestimmtheit von USt-Bescheiden an juristische Personen in Liquidation hat der BFH mit Urteil vom 16.1.2020 (V R 56/17, BFH/NV 2020, 536, LEXinform 0951685) entschieden, dass ein Umsatzsteuerbescheid nichtig ist, wenn aus ihm nicht klar ersichtlich wird, ob der Inhaltsadressat (Steuerschuldner) eine GmbH oder deren Geschäftsführer bzw. Liquidator ist. Der Inhaltsadressat (Steuerschuldner) muss nicht ausdrücklich als solcher bezeichnet werden; ausreichend ist vielmehr, dass er sich nach dem objektiven Erklärungsgehalt des Bescheids aus Sicht des Empfängers im Wege der Auslegung zweifelsfrei bestimmen lässt.
Sachverhalt und Entscheidungsgründe des BFH-Urteils V R 56/17:
Klägerin war eine GmbH. Alleiniger Geschäftsführer war M. Mit Beschluss von 2013 lehnte das Amtsgericht die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse ab. Seitdem befindet sich die Klägerin in Liquidation. Zum Liquidator wurde der frühere Geschäftsführer M bestellt. Die USt-Bescheide wiesen als Bekanntgabeadressaten jeweils Herrn M aus. Unterhalb des Adressfeldes, wo beim Auseinanderfallen von Bekanntgabe- und Inhaltsadressaten der Inhaltsadressat anzugeben sei, stehe lediglich der Vermerk »als gesetzlicher Vertreter …« bzw. »als Liquidator für Firma C-GmbH …«. Der richtige Inhaltsadressat sei jedoch die C- GmbH. Durch die Angaben »als gesetzlicher Vertreter von Fa. C-GmbH …« bzw. »als Liquidator für Fa. C-GmbH …« werde nicht die C-GmbH als Inhaltsadressatin konkretisiert, sondern nur die Funktion des M genannt.
Die USt-Bescheide lauteten wie folgt:
»Herr M
in Fa. C-GmbH…«
Unterhalb des Adressfeldes enthielten die Bescheide folgenden Zusatz:
»als gesetzlicher Vertreter von Firma C-GmbH…«
Während der Liquidation wurden die Bescheide gerichtet an:
»Herrn M
in Firma C-GmbH i.L. ….«
Unterhalb des Adressfeldes enthielten die Bescheide folgenden Zusatz:
»als Liquidator für Firma C-GmbH i.L. …«
Die zutreffende Adressierung hätte nach dem sog. Bekanntgabe-Erlass des BMF (AEAO zu § 122, Rdnr. 2.8.3.1.) lauten müssen:
»Fa. C-GmbH …, z.Hd. des gesetzlichen Vertreters/Liquidators«.
Aus den Erläuterungen der Bescheide sei zwar jeweils erkennbar, dass die Änderungen auf einer Betriebsprüfung bei der C-GmbH beruhten, so dass sich im Wege der Auslegung die C-GmbH als Inhaltsadressat ergebe. Im Adressteil des Bescheids sei aber nicht die C-GmbH, sondern ihr Geschäftsführer/Liquidator als Inhaltadressat angegeben. Das FG entschied, dass die angegriffenen Umsatzsteuerbescheide nichtig seien, weil sie nicht eindeutig erkennen ließen, wer der Inhaltsadressat und damit der Steuerschuldner sei.
Der BFH hob dieses Urteil auf und verwies die Sache an das FG zurück. Nach seiner Auffassung war für Herrn M ohne weiteres erkennbar, dass er die streitgegenständlichen Umsatzsteuerbescheide zunächst in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer und später als Liquidator der Klägerin erhalten hatte und sie ihn nicht als Steuerschuldner betrafen. Dies ergebe sich eindeutig aus den angefochtenen Steuerbescheiden selbst sowie den konkreten Gegebenheiten bei ihrem Erlass (BFH V R 56/17, Rz. 18). Die Zurückverweisung erfolgte, weil das FG keine Feststellungen getroffen hatte, die es dem BFH ermöglichten, über die Höhe der USt für die Streitjahre selbst zu entscheiden (s.a. Anmerkung vom 11.3.2020, LEXinform 0889252).
Die Vfg. der OFD Hannover vom 26.2.2008 (S 0625 – 40 – StO 141, DStR 2008, 923, LEXinform 5230204) nimmt zu Einspruchsverfahren in Fällen der Insolvenz ausführlich Stellung (s.a. AEAO Tz. 4.1.2 zu § 251 AO).
Das anhängige Einspruchsverfahren wird unterbrochen (analog § 240 ZPO) durch
die Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw.
die Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots bei Einsetzung eines vorläufigen (starken) Insolvenzverwalters.
Die Unterbrechung dauert so lange fort, bis das Rechtsbehelfsverfahren nach den für das eröffnete Insolvenzverfahren geltenden Vorschriften aufgenommen (§ 180 Abs. 2 InsO) oder das (ggf. vorläufige) Insolvenzverfahren aufgehoben wird (s.a. BFH vom 30.7.2019, VIII R 21/16, BStBl II 2021, 171; Anmerkung vom 31.1.2020, LEXinform 0882025). Mangels gesetzlicher Regelung in der AO kann das FA ein Einspruchsverfahren, wenn die mit dem angefochtenen Bescheid festgesetzte Steuer bereits vor der Insolvenzeröffnung gezahlt wurde, erst nach der Beendigung des Insolvenzverfahrens fortsetzen.
Durch die Anordnung des allgemeinen Verfügungsverbots bei Einsetzung eines vorläufigen (starken) Insolvenzverwalters unterbrochene Rechtsbehelfsverfahren wegen Insolvenzforderungen können weder vom starken vorläufigen Insolvenzverwalter noch vom FA aufgenommen werden. Insolvenzforderungen können nach § 87 InsO nur durch Anmeldung zur Insolvenztabelle geltend gemacht werden. Da dies die Eröffnung des Insolvenzverfahrens voraussetzt, gibt es während der Zeit der vorläufigen Insolvenzverwaltung keine Möglichkeit, die Insolvenzforderung zu verfolgen, d.h. der Erlass einer Einspruchsentscheidung ist unzulässig.
Die Vfg. der OFD Nürnberg vom 25.1.2005 (S 7100 – 620/St 43, DStR 2005, 697, LEXinform 0578981) äußert sich zur Geltendmachung von Umsatzsteuerforderungen und dem Aufrechnungsverbot in Fällen der Unternehmensinsolvenz.
Gem. § 251 Abs. 2 Satz 1 AO werden die Vorschriften der InsO durch das Steuerrecht nicht berührt und damit auch nicht eingeschränkt. Es gilt der Grundsatz »Insolvenzrecht geht vor Steuerrecht«. Für die Realisierung von Umsatzsteuerforderungen seitens des FA im Insolvenzverfahren ist entscheidend, ob diese zu den Insolvenzforderungen oder zu den Masseverbindlichkeiten zählen. Während Insolvenzforderungen zur Insolvenztabelle angemeldet werden müssen (s. AEAO Tz. 5.2 zu § 251 AO) und – wenn überhaupt – nur anteilig getilgt werden, hat der Insolvenzverwalter Masseverbindlichkeiten (AEAO Tz. 6.1 zu § 251 AO) vorab aus der Insolvenzmasse zu befriedigen (u.U. haftet er hierfür). Merkmal für die Einstufung als Insolvenz- oder Masseverbindlichkeit ist ausschließlich der Zeitpunkt der insolvenzrechtlichen Begründetheit (§ 38 InsO), da es um die insolvenzrechtliche Vermögenszuordnung geht (AEAO Tz. 5.1 zu § 251 AO mit Beispielen).
Wird ein Unternehmen durch den Insolvenzverwalter bzw. den vorläufigen Insolvenzverwalter geführt, ist nicht der Insolvenzverwalter der Unternehmer, sondern der Inhaber der Vermögensmasse, für die der Insolvenzverwalter tätig wird (Abschn. 2.1 Abs. 7 Satz 1 UStAE). Der Insolvenzverwalter übt anstelle des Schuldners das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über die Insolvenzmasse aus. Er ist verpflichtet, USt-Erklärungen und -Voranmeldungen abzugeben und Zahlungen nach den gesetzlichen Bestimmungen zu leisten. Durch die Insolvenzeröffnung werden der Besteuerungszeitraum (§ 16 Abs. 1 UStG) und der USt-Voranmeldungszeitraum (§ 18 Abs. 1 UStG) nicht unterbrochen.
Der Insolvenzverwalter führt grundsätzlich die Besteuerungsart (Soll- oder Ist-Besteuerung) des Insolvenzschuldners fort. Ein Wechsel von der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten zu der Besteuerung nach vereinnahmten Entgelten kann auf Antrag des Insolvenzverwalters für das ganze Jahr nur genehmigt werden, soweit die Voraussetzungen des § 20 UStG in der Person des Insolvenzschuldners vorliegen (s.u.).
Hinweis:
Nach dem EuGH-Urteil vom 3.6.2021 (C-182/20, LEXinform 4232224) wird eine wirtschaftliche Tätigkeit i.S.d. Art. 9 MwStSystRL nicht durch bloße Insolvenzeröffnung beendet. Der bloße Umstand, dass die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Stpfl. nach den dafür im innerstaatlichen (rumänischen) Recht vorgesehenen Modalitäten die Zwecke der Umsätze dieses Stpfl. so ändert, dass nur noch dessen Liquidation zum Zweck der Begleichung der Schulden gefolgt von seiner Auflösung umfassen, kann den wirtschaftlichen Charakter der im Rahmen dieses Unternehmens bewirkten Umsätze nicht berühren. Es kann somit nicht davon ausgegangen werden, dass die Eröffnung des Insolvenzverfahrens den engen und unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem Vorsteuerabzugsrecht und der Nutzung der betreffenden Gegenstände oder Dienstleistungen für besteuerte Ausgangsumsätze unterbricht und dass der betreffende Stpfl. verpflichtet wäre, den Betrag der abgezogenen Vorsteuer zu entrichten (s.a. Anmerkung vom 11.8.2021, LEXinform 0887511).
Der Grundsatz der Unternehmenseinheit gilt auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers fort. Bedingt durch die Erfordernisse des Insolvenzrechts besteht das Unternehmen nach Verfahrenseröffnung jedoch aus mehreren Unternehmensteilen, zwischen denen einzelne umsatzsteuerrechtliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden können. Zu unterscheiden sind der vorinsolvenzrechtliche Unternehmensteil, gegen den Insolvenzforderungen zur Tabelle anzumelden sind (§§ 174 ff. InsO), der die Insolvenzmasse betreffende Unternehmensteil, gegen den Masseverbindlichkeiten geltend zu machen sind, sowie ggf. das vom Insolvenzverwalter freigegebene Vermögen (§ 35 Abs. 2 InsO), bei dem Steueransprüche gegen den Insolvenzschuldner persönlich ohne insolvenzrechtliche Einschränkungen geltend gemacht werden können.
Diese aus insolvenzrechtlichen Gründen bestehenden Unterschiede bei der Durchsetzung des umsatzsteuerrechtlich einheitlichen Steueranspruchs ändern aber nichts an dem Grundsatz, dass der Insolvenzschuldner umsatzsteuerrechtlich nur ein einziges Unternehmen hat. Daher muss die Summe der gegenüber dem Insolvenzverwalter und der gegenüber dem Insolvenzschuldner festgesetzten USt die nach den Vorschriften des UStG entstandene Jahresumsatzsteuer für das gesamte Unternehmen ergeben. Hieraus folgt zugleich, dass der Verzicht nach § 19 Abs. 2 UStG nur einheitlich für das gesamte Unternehmen ausgeübt werden kann.
Die Befugnis, den Verzicht nach § 19 Abs. 2 UStG zu erklären, steht ab der Eröffnung des Insolvenzverfahrens dem Insolvenzverwalter zu, da das Verwaltungs- und Verfügungsrecht nach § 80 Abs. 1 InsO auf ihn übergeht. Ein danach durch den Insolvenzverwalter erklärter Verzicht erstreckt sich trotz der Beschränkung auf den Umfang der Verwaltungsbefugnis nach § 34 Abs. 3 AO auf das gesamte Unternehmen und damit auch auf den Unternehmensteil, dessen Umsätze der Insolvenzschuldner nach Insolvenzeröffnung selbst zu versteuern hat (BFH vom 7.4.2005, V R 5/04, BStBl II 2005, 848 und vom 17.3.2010 XI R 30/08, BFH/NV 2010, 2128), da sich sonst aus der Summe der gegenüber dem Insolvenzverwalter und der gegenüber dem Insolvenzschuldner festgesetzten USt nicht die nach den Vorschriften des UStG entstandene Jahresumsatzsteuer für das gesamte Unternehmen ergäbe. Hierfür spricht auch, dass eine Versteuerung von Umsätzen durch den Insolvenzverwalter als Regelfall und die Versteuerung von Umsätzen durch den Insolvenzschuldner z.B. aufgrund einer Freigabe von vom Insolvenzbeschlag erfassten Vermögen als Ausnahmefall anzusehen ist (BFH vom 20.12.2012, V R 23/11, BStBl II 2013, 334).
Mit Urteil vom 29.1.2009 (V R 64/07, BStBl II 2009, 682) hat der BFH entschieden, dass dann, wenn der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Rahmen der Istbesteuerung gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG Entgelte für Leistungen vereinnahmt, die bereits vor Verfahrenseröffnung erbracht wurden, es sich bei der für die Leistung entstehenden USt um eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO handelt.
Die Einordnung des Steueranspruchs in eine Insolvenzforderung oder in eine Masseverbindlichkeit bestimmt sich nach dem Zeitpunkt, zu dem der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Der BFH betont ausdrücklich, dass der Zeitpunkt der Steuerentstehung für die Einordnung in Insolvenzforderungen oder in Masseverbindlichkeiten unerheblich ist (s.a. das BFH Urteil vom 1.4.2008, X B 201/07, BFH/NV 2008, 925, LEXinform 5904338). Welche Anforderungen im Einzelnen an die somit erforderliche vollständige Tatbestandsverwirklichung im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung zu stellen sind, richtet sich nach den jeweiligen Vorschriften des Steuerrechts, nicht aber nach dem Insolvenzrecht (vgl. BFH Urteil vom 29.8.2007, IX R 4/07, BStBl II 2010, 145). Kommt es zur vollständigen Tatbestandsverwirklichung bereits vor Verfahrenseröffnung, handelt es sich um eine Insolvenzforderung, erfolgt die vollständige Tatbestandsverwirklichung erst nach Verfahrenseröffnung, liegt unter den Voraussetzungen des § 55 InsO eine Masseverbindlichkeit vor.
Die Einordnung der Umsatzsteuerschulden vor Verfahrenseröffnung ist u.a. vom Status des vorläufigen Insolvenzverwalters als »schwacher« oder »starker« Insolvenzverwalter abhängig (s.u.).
Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG entsteht die Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen bei der Berechnung nach vereinnahmten Entgelten (Istbesteuerung) mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt vereinnahmt wird. Für die bei der Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten maßgebliche vollständige Tatbestandsverwirklichung kommt es dabei auf die Vereinnahmung des Entgelts an.
Entscheidendes Merkmal der Istbesteuerung ist nach dem Wortlaut des § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG die Vereinnahmung des Entgelts, nicht aber die Leistungserbringung. Dementsprechend ist der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand in diesem Fall erst mit der Entgeltvereinnahmung vollständig verwirklicht und abgeschlossen. Hierdurch wird nicht auf den für die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderungen und Masseverbindlichkeiten unerheblichen Zeitpunkt der Steuerentstehung abgestellt. Denn der Steueranspruch entsteht im Rahmen der Istbesteuerung erst mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt vereinnahmt wird, nicht aber bereits mit der Vereinnahmung des Entgelts.
Unerheblich ist im Hinblick auf die Besonderheiten der Umsatzbesteuerung und die darüber hinaus zu beachtenden insolvenzrechtlichen Wertungen, ob der Insolvenzverwalter Entgelte für Leistungen vereinnahmt, die vor oder nach Verfahrenseröffnung erbracht wurden. Denn der Insolvenzverwalter hat mit der ab Verfahrenseröffnung bestehenden Aufgabe, die Insolvenzmasse zu verwerten, hinsichtlich der Vereinnahmung der Gegenleistungen für umsatzsteuerpflichtige Umsätze auch die dem Unternehmer zugewiesene Aufgabe des »Steuereinnehmers« übernommen. Denn nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist es der Insolvenzverwalter (§ 56 InsO), der die steuerlichen Pflichten des Insolvenzschuldners zu erfüllen hat, die diesem obliegen würden, wäre das Insolvenzverfahren nicht eröffnet worden (vgl. § 34 Abs. 1 und Abs. 3 AO). Hierzu gehört die vollständige Versteuerung der nach Verfahrenseröffnung vereinnahmten Entgelte.
Mit Urteil vom 9.12.2010 (V R 22/10, BStBl II 2011, 996, s.a. Anmerkung von Widmann, UR 2011, 555 sowie Kahlert, DStR 2011, 1973) führt der BFH seine Rspr. vom 29.1.2009 (V R 64/07, BStBl II 2009, 682) zur Entgeltvereinnahmung bei der Istbesteuerung fort. Vereinnahmt der Insolvenzverwalter eines Unternehmers das Entgelt für eine vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeführte Leistung, begründet die Entgeltvereinnahmung nicht nur bei der Ist-, sondern auch bei der Sollbesteuerung eine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Der BFH stellt damit sicher, dass aus einem vom Insolvenzverwalter vereinnahmten Entgelt einschließlich USt im Regelfall auch die USt an das FA abgeführt werden muss.
Wird über das Vermögen eines Unternehmers, der umsatzsteuerpflichtige Leistungen erbringt, das Insolvenzverfahren eröffnet, vereinnahmen Insolvenzverwalter häufig Forderungen aus Leistungen, die der Unternehmer bis zur Verfahrenseröffnung erbracht hat. Diese Forderungen setzen sich aus dem sog. Entgelt und dem Umsatzsteueranteil für die erbrachte Leistung zusammen. Hinsichtlich der Forderung tritt spätestens mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens Uneinbringlichkeit im vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil ein (Uneinbringlichkeit aus Rechtsgründen, s.u.). Der Steuerbetrag ist deshalb nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 UStG zu berichtigen.
Beachte:
Besteht für einen Vergütungsanspruch, den das FA für einen Besteuerungszeitraum nach Insolvenzeröffnung erstmals festsetzt, aufgrund der Rechtswidrigkeit dieser Steuerfestsetzung kein materieller Rechtsgrund, wird das FA diesen Vergütungsanspruch erst mit der Festsetzung (und damit vorliegend nach der Insolvenzeröffnung) zur Masse schuldig (BFH vom 22.6.2022, XI R 46/20, BFH/NV 2023, 94, LEXinform 4253396).
Im Urteilsfall XI R 46/20 hatte das FA im Umsatzsteuerbescheid für das Kj. 13 der Steuerfestsetzung einen – im Hinblick auf die mit der Insolvenzeröffnung im Kj. 10 bereits eingetretene Uneinbringlichkeit – nicht bestehenden Berichtigungsanspruch zugrunde gelegt, indem es angenommen hat, dass nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG der Steuerbetrag für stpfl. Ausgangsleistungen des Unternehmens zu berichtigen sei, weil sich eine Uneinbringlichkeit vorinsolvenzrechtlicher Entgelte erst aus der Zahlungsunfähigkeit der Leistungsempfänger ergeben habe.
Zieht der Insolvenzverwalter z.B. eine Forderung über 1 190 € ein, ist hierin bei Leistungen, die dem Regelsteuersatz von 19 % unterliegen, ein Umsatzsteueranteil von 190 € enthalten. Der Umsatzsteuerbetrag ist nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG erneut zu berichtigen. Die vom Insolvenzverwalter vereinnahmte USt für eine vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistung ist auch in diesem Fall eine voll zu befriedigende Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (s.a. Abschn. 17.1 Abs. 11 UStAE mit Beispiel; s.u. den Gliederungspunkt »Umsatzsteuer- und Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG«).
Beispiel 3:
S.a. Beispiel 1 unter AEAO Tz. 5.1 zu § 251 AO.
Die Umsatzsteuerforderung entsteht bei Sollversteuerung erst mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen ausgeführt worden sind (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG). Dagegen ist sie grundsätzlich bereits begründet, soweit die Leistung erbracht ist. Vereinnahmt der Insolvenzverwalter aber das bisher nicht entrichtete Entgelt, begründet dieses eine sonstige Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (Abschn. 17.1 Abs. 11 UStAE).
Im Falle der Istversteuerung nach § 20 UStG entsteht die Umsatzsteuerforderung erst mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt vereinnahmt worden ist (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG). Insolvenzrechtlich begründet ist sie bereits im Zeitpunkt der Vereinnahmung des Entgelts (BFH Urteil vom 29.1.2009, V R 64/07, BStBl II 2009, 682). Das Gleiche gilt für die Anzahlungsbesteuerung nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG.
Beispiel 4:
S.a. Beispiel 2 unter AEAO Tz. 5.1 zu § 251 AO.
Der Vorsteuerrückforderungsanspruch (§ 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG) entsteht ebenfalls erst mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums. Er ist aber zur Zeit der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt oder Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters, dem die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übertragen worden ist, begründet, weil die Uneinbringlichkeit bereits zu diesem Zeitpunkt vorlag. Spätestens ist der Vorsteuerrückforderungsanspruch mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet (BFH Urteil vom 22.10.2009, V R 14/08, BStBl II 2011, 988 und vom 9.12.2010, V R 22/10, BStBl II 2011, 996).
Die USt bzw. Vorsteuer gehört unter den folgenden Voraussetzungen des § 55 InsO zu den Masseverbindlichkeiten (s.a. BFH Urteil vom 24.9.2014, V R 48/13, BStBl II 2015, 506, Rz. 16):
nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 InsO »durch Handlungen des Insolvenzverwalters« oder »in anderer Weise« durch Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO; s.a. Abschn. 17.1 Abs. 11 Satz 8 und Abs. 12 Satz 4 UStAE).
Der Insolvenzverwalter kann als Partei kraft Amtes »im Rahmen der Verwaltung« Verträge mit Wirkung für und zu Lasten der Masse (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) abschließen (s. BFH vom 18.9.2019, XI R 19/17, BStBl II 2020, 172, Rz. 40). Im Urteilsfall XI R 19/17 beauftragte der Insolvenzverwalter nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen Rechtsanwalt. Dieser sollte prüfen, ob den Kommanditisten neben ihrem Gewinnanteil auch Teile ihrer Kommanditeinlage ausgezahlt worden sind und wieder zurückgefordert werden können. Die in den Honorarabrechnungen des Rechtsanwalts ausgewiesene USt machte der Insolvenzverwalter für die Steuerpflichtige als Vorsteuer geltend.
In seinem Urteil XI R 19/17 hat der BFH entschieden, dass im Rahmen der Abwicklung des insolventen Unternehmens anfallende Kosten zur Prüfung der Frage, ob ein Anspruch nach § 172 Abs. 4 Satz 1 HGB besteht, grundsätzlich zu den Allgemeinkosten der früheren unternehmerischen Tätigkeit gehören. Das Recht auf Vorsteuerabzug steht der Insolvenzmasse (nur) dann zu, wenn der Insolvenzverwalter die Masse wirksam verpflichtet hat (s.o. den Gliederungspunkt »Geltendmachung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis« und dort »Masseverbindlichkeiten«).
Im Insolvenzverfahren eines Unternehmers, der seinen Geschäftsbetrieb bereits eingestellt hat, kommt es für den Vorsteuerabzug insofern auf seine frühere wirtschaftliche Gesamttätigkeit an (BFH XI R 19/17, Rz. 23). Nach diesen Grundsätzen sind Leistungen eines Rechtsanwalts dann »für das Unternehmen« bezogen, wenn sie durch die unternehmerische Tätigkeit entweder durch ganz bestimmte Ausgangsumsätze oder als allgemeine Kosten der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit veranlasst sind. Dabei teilen Prozesskosten grundsätzlich die Qualifikation der Aufwendungen, die Gegenstand des Prozesses waren (BFH XI R 19/17, Rz. 25).
Bei Insolvenz einer PersGes ist zu unterscheiden, ob der nach Insolvenzrecht abzuwickelnde Vermögensbereich oder die Gesellschafter persönlich betroffen sind (BFH Beschluss vom 12.11.1992, IV B 83/91, BStBl II 1993, 265, Rz. 11). Insofern gehören auch Steuerberatungsleistungen oder Prozessführungstätigkeiten bezüglich der Unternehmenssteuern bzw. Verpflichtungen aus der aktiven unternehmerischen Tätigkeit zu den im Zusammenhang mit der Abwicklung der unternehmerischen Tätigkeit stehenden Leistungen (BFH XI R 19/17, Rz. 27);
nach § 55 Abs. 2 InsO durch Handlungen des »starken« vorläufigen Insolvenzverwalters. Die Verbindlichkeiten gelten nach Eröffnung des Verfahrens als Masseverbindlichkeiten.
Nach dem BFH-Urteil vom 11.7.2013 (XI B 41/13, BFH/NV 2013, 1647, LEXinform 5907422) ist es nicht ernstlich zweifelhaft, dass die Vereinnahmung des Entgelts durch den »starken« vorläufigen Insolvenzverwalter für eine vor seiner Bestellung zum vorläufigen Insolvenzverwalter vom Insolvenzschuldner ausgeführte Leistung mit der Verfahrenseröffnung eine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO begründet (s.a. BFH vom 1.3.2016, XI R 21/14, BStBl II 2016, 756; s.a. Abschn. 17.1 Abs. 12 Satz 4 UStAE);
nach § 55 Abs. 4 InsO durch Handlungen des »schwachen« vorläufigen Insolvenzverwalters oder des Schuldners mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters (s.a. Abschn. 17.1 Abs. 13 Satz 7 UStAE). Betroffen sind ausschließlich Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis.
Der BFH hat mit Urteil vom 23.7.2020 (V R 26/19, BStBl II 2022, 495) entschieden, dass im Zeitraum der vorläufigen Insolvenzverwaltung unter Bestellung eines sog. schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters begründete Vorsteuererstattungsansprüche dem vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil und nicht der Insolvenzmasse zuzuordnen sind. Dies hat zur Folge, dass keine Erstattung an den Insolvenzverwalter erfolgt. Dieser Beurteilung steht auch die Vorschrift des § 55 Abs. 4 InsO nicht entgegen, wonach Verbindlichkeiten, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit dessen Zustimmung begründet worden sind, nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeiten gelten. Diese Regelung erfasst nach ihrem Wortlaut nur Verbindlichkeiten, nicht aber Forderungen der Masse. Forderungen und Verbindlichkeiten sind auch nach dem Gesetzeszweck nicht gleichzustellen (s.a. Anmerkung vom 4.11.2020, LEXinform 0889843 sowie BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 6).
Durch Art. 5 Nr. 14 i.V.m. Art. 25 Abs. 1 des Gesetzes zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz – SanInsFoG) vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) wird mit Wirkung ab 1.1.2021 § 55 Abs. 4 InsO geändert. Auf alle Insolvenzverfahren, deren Eröffnung ab dem 1.1.2021 beantragt wurde, findet das BMF-Schreiben vom 11.1.2022 (BStBl I 2022, 116) Anwendung.
Beachte:
Für Insolvenzverfahren, die vor dem 1.1.2021 beantragt wurden, sind die Regelungen des BMF-Schreibens vom 20.5.2015 (BStBl I 2015, 476), ergänzt durch BMF-Schreiben vom 18.11.2015 (BStBl I 2015, 886) weiterhin anzuwenden.
Umsatzsteuerverbindlichkeiten des Insolvenzschuldners, die von einem vorläufigen Insolvenzverwalter oder vom Schuldner mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters oder vom Schuldner nach Bestellung eines vorläufigen Sachwalters begründet worden sind, gelten nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit. Den Umsatzsteuerverbindlichkeiten stehen die folgenden Verbindlichkeiten gleich:
sonstige Ein- und Ausfuhrabgaben,
bundesgesetzlich geregelte Verbrauchsteuern,
die Luftverkehr- und die Kraftfahrzeugsteuer und
die Lohnsteuer.
Mit den Änderungen wird der Anwendungsbereich der Vorschrift einerseits auch auf die vorläufige Eigenverwaltung erstreckt (→ Insolvenzverfahren unter dem Gliederungspunkt »Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren«), andererseits auf bestimmte Steuerarten beschränkt (BT-Drs. 19/25353, 13).
Zur USt im Insolvenzeröffnungsverfahren hat der BFH mit Urteil vom 24.9.2014 (V R 48/13, BStBl II 2015, 506) entschieden, dass die USt für die Leistungen eines insolvenzbedrohten Unternehmers Masseverbindlichkeiten sein können. § 55 Abs. 4 InsO ordnet an, dass bestimmte Steueransprüche, die durch oder mit Zustimmung eines vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 Fall 2 InsO) im Zeitraum nach seiner Bestellung bis zur Insolvenzeröffnung begründet worden sind, im eröffneten Insolvenzverfahren als Masseverbindlichkeiten gelten. Sie sind dann – anders als bloße Insolvenzforderungen – vorrangig zu befriedigen.
Die Vorschrift ist nur nach Maßgabe der für den vorläufigen Insolvenzverwalter bestehenden rechtlichen Befugnisse anzuwenden (§ 22 Abs. 2 InsO). Diese beziehen sich allerdings im Regelfall nicht auf Leistungen durch den insolvenzbedrohten Unternehmer, sondern auf den Forderungseinzug und damit auf das Recht des vorläufigen Insolvenzverwalters, Entgelte für umsatzsteuerpflichtige Leistungen einzuziehen.
Das Insolvenzgericht kann den vorläufigen Insolvenzverwalter zum Forderungseinzug ermächtigen. Der Forderungseinzug erfolgt in diesem Fall im Rahmen der für den vorläufigen Insolvenzverwalter bestehenden rechtlichen Befugnisse und kann dementsprechend dazu führen, dass umsatzsteuerrechtliche Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis, die mit dem Forderungseinzug im Zusammenhang stehen, zur Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO werden.
Beachte:
Nach der Verwaltungsregelung im BMF-Schreiben vom 11.1.2022 (BStBl I 2022, 116, Rz. 11) ist von einer Befugnis zur Entgeltvereinnahmung auch dann auszugehen, wenn der »schwache« vorläufige Insolvenzverwalter nur mit einem allgemeinen Zustimmungsvorbehalt ausgestattet wurde, denn der Drittschuldner kann schuldbefreiend nur noch mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters leisten (§ 24 Abs. 1 und § 82 InsO). Gleiches gilt, wenn der »schwache« vorläufige Insolvenzverwalter zur Kassenführung berechtigt ist.
Der BFH hat mit Urteil vom 28.5.2020 (V R 2/20, BFH/NV 2020, 1180, LEXinform 0952649) Folgendes entschieden: Ordnet das Insolvenzgericht gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Fall 2 InsO an, dass Verfügungen des Insolvenzschuldners nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam sind, werden Drittschuldner aus Leistungen an den Insolvenzschuldner nur dann gem. § 24 Abs. 1 i.V.m. § 82 InsO befreit, wenn sie zur Zeit der Leistung die Eröffnung des Verfahrens nicht kannten. Hat der Drittschuldner mangels Schuldbefreiung nochmals an den Verwalter im Eröffnungsverfahren oder im eröffneten Verfahren zu zahlen, entsteht eine Masseverbindlichkeit (hier festgesetzte USt) nach § 55 Abs. 1 oder Abs. 4 InsO (s.a. Anmerkung vom 26.8.2020, LEXinform 0889664).
Erlässt das Insolvenzgericht entsprechend § 23 Abs. 1 Satz 3 InsO bei Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt das Verbot an Drittschuldner, an den Schuldner zu zahlen, und ermächtigt es den vorläufigen Insolvenzverwalter, Forderungen des Schuldners einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen (§ 22 Abs. 2 InsO), wird damit das Rechtsverhältnis zwischen Schuldner und vorläufigem Insolvenzverwalter gegenüber Drittschuldnern gem. § 24 Abs. 1 InsO in einer Weise geregelt, die § 80 Abs. 1 und § 82 InsO entspricht (BFH vom 24.9.2014, V R 48/13, BStBl II 2015, 506).
Nach § 80 Abs. 1 InsO geht die Empfangszuständigkeit für alle Leistungen, die auf zur Insolvenzmasse gehörende Forderungen erbracht werden, auf den Insolvenzverwalter über und der Unternehmer ist somit aus rechtlichen Gründen nicht mehr in der Lage, rechtswirksam Entgeltforderungen in seinem eigenen vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil selbst zu vereinnahmen, da sie im Rahmen der Masseverwaltung und Masseverwertung zu vereinnahmen sind und damit zum Bereich der Masseverbindlichkeiten gehören (BFH vom 24.9.2014, V R 48/13, BStBl II 2015, 506).
Erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelten die nach Maßgabe des § 55 Abs. 4 InsO in der vorläufigen Insolvenzverwaltung begründeten Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten (BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 32).
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die als Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO geltenden Umsatzsteuerverbindlichkeiten für die Voranmeldungszeiträume des vorläufigen Insolvenzverfahrens gegenüber dem Insolvenzverwalter festzusetzen und bekannt zu geben. Hierbei ist es unbeachtlich, wenn für denselben Voranmeldungszeitraum bereits vor der Insolvenzeröffnung ein Vorauszahlungsbescheid vorlag, der sich gem. § 168 Satz 1 AO auch aus einer Steueranmeldung ergeben kann, die einer Steuerfestsetzung unter Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht. Eventuell erfolgte Zahlungen auf die als Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO geltenden Umsatzsteuerverbindlichkeiten sind im Abrechnungsteil der Festsetzung anzurechnen.
Die bisher gegen den Insolvenzschuldner (vorinsolvenzrechtlicher Unternehmensteil) für die Zeiträume des vorläufigen Insolvenzverfahrens festgesetzten Umsatzsteuern sind – korrespondierend zu den Festsetzungen gegen die Insolvenzmasse – in Form einer Steuerberechnung mit anschließender (ggf. berichtigter) Tabellenanmeldung zu ändern, soweit darin unselbstständige Besteuerungsgrundlagen berücksichtigt sind, die wegen § 55 Abs. 4 InsO nach Insolvenzeröffnung als Masseverbindlichkeiten dem Unternehmensteil »Insolvenzmasse« zuzurechnen sind.
In der Umsatzsteuerjahreserklärung sind die die Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO begründenden unselbstständigen Besteuerungsgrundlagen mit den die Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 1 und ggf. § 55 Abs. 2 InsO begründenden Besteuerungsgrundlagen in der (Teil-)Umsatzsteuerjahreserklärung des Unternehmensteiles Insolvenzmasse zu berücksichtigen (BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 38 bis 41).
Wie der BFH bereits für das eröffnete Insolvenzverfahren entschieden hat, werden die Entgelte für Leistungen, die der Unternehmer bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbracht hat und die der Unternehmer bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht vereinnahmt hat, im Augenblick vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens uneinbringlich (s.a. Abschn. 17.1 Abs. 11 Satz 5 ff. UStAE). Maßgeblich ist hierfür, dass gem. § 80 Abs. 1 InsO die Empfangszuständigkeit für alle Leistungen, die auf die zur Insolvenzmasse gehörenden Forderungen erbracht werden, auf den Insolvenzverwalter übergeht und dass der Unternehmer somit aus rechtlichen Gründen nicht mehr in der Lage ist, rechtswirksam Entgeltforderungen in seinem eigenen vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil selbst zu vereinnahmen, da sie im Rahmen der Masseverwaltung und Masseverwertung zu vereinnahmen sind und damit zum Bereich der Masseverbindlichkeiten gehören (BFH Urteil vom 24.11.2011, V R 13/11, BStBl II 2012, 298 unter II.5.b).
Hinweis:
Unter dem Az. XI R 15/22 (LEXinform 0954135) ist vor dem BFH ein Revisionsverfahren gegen das Urteil des FG Baden-Württemberg vom 31.3.2022 (1 K 2073/21) anhängig (s. FG Baden-Württemberg Pressemitteilung vom 23.9.2022, LEXinform 0462743). Dabei ist folgende Rechtsfrage anhängig: Ist der geschuldete Steuerbetrag gem. 17 Abs. 1 Satz 1 UStG zu berichtigen, wenn über das Vermögen eines Dritten, der das vom Leistungsempfänger geschuldete Entgelt für Rechnung des Leistenden eingezogen hat, das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, bevor der Dritte das Entgelt an den Leistenden weitergeleitet hat?
Ebenso ist es im Insolvenzeröffnungsverfahren. Zwar ergibt sich das Recht zum Forderungseinzug hier nicht aus den einem Insolvenzverwalter gem. §§ 80 ff. InsO zustehenden Befugnissen. Erlässt das Insolvenzgericht aber entsprechend § 23 Abs. 1 Satz 3 InsO bei der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt das Verbot an Drittschuldner, an den Schuldner zu zahlen, und ermächtigt es den vorläufigen Insolvenzverwalter, Forderungen des Schuldners einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen (§ 22 Abs. 2 InsO), wird damit das Rechtsverhältnis zwischen dem Schuldner und dem vorläufigen Insolvenzverwalter gegenüber Drittschuldnern gem. § 24 Abs. 1 InsO in einer Weise geregelt, die § 80 Abs. 1 und § 82 InsO entspricht.
Ordnet das Insolvenzgericht daher an, dass der Verwalter als vorläufiger Insolvenzverwalter berechtigt ist, Bankguthaben und sonstige Forderungen des Insolvenzschuldners einzuziehen sowie eingehende Gelder entgegenzunehmen und verbietet es zudem den Drittschuldnern an den Insolvenzschuldner zu zahlen, führt dies wie im eröffneten Insolvenzverfahren zur Uneinbringlichkeit der dem Unternehmer zustehenden Entgelte. Denn auch im Insolvenzeröffnungsverfahren ist es dann dem Unternehmer aufgrund der auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergegangenen Einziehungsbefugnis nicht mehr möglich, das Entgelt für die zuvor entstandene Steuerschuld zu erlangen. Ob es zu einer Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt, ist als erst nachträglich eintretender Umstand für die steuerrechtliche Beurteilung unerheblich (BFH Urteil vom 24.9.2014, V R 48/13, BStBl II 2015, 506, Rz. 26 ff.).
Beachte:
Nach der Verwaltungsregelung im BMF-Schreiben vom 11.1.2022 (BStBl I 2022, 116, Rz. 18) ist die Berichtigung i.S.d. § 17 UStG auch bei Bestellung eines »schwachen« vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt ohne ausdrücklichem Recht zum Forderungseinzug anzuwenden (Abschn. 17.1 Abs. 13 Satz 2 UStAE).
Zur Begründung der Rechtsstellung eines »schwachen« vorläufigen Insolvenzverwalters hat der BFH mit Urteil vom 9.12.2014 (X R 12/12, BStBl II 2016, 852, Nöcker, NWB 37/2015, 2710) Stellung genommen (s.o. unter dem Gliederungspunkt »Vorläufige Maßnahmen«).
Auch bei der Bestellung eines »starken« vorläufigen Insolvenzverwalters erfolgt eine zweifache Berichtigung der USt (BFH vom 1.3.2016, XI R 21/14, BStBl II 2016, 756). Bestellt das Insolvenzgericht einen sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter, ist der Steuerbetrag für die steuerpflichtigen Leistungen, die der Unternehmer bis zur Verwalterbestellung erbracht hat, nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG wegen Uneinbringlichkeit zu berichtigen (erste Berichtigung). Eine nachfolgende Vereinnahmung des Entgelts durch den sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter führt gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu einer zweiten Berichtigung des Steuerbetrages und begründet eine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO (Abschn. 17.1 Abs. 12 Satz 4 UStAE).
Für Steuerbeträge aus Umsätzen, die nach der Bestellung des sog. »starken« vorläufigen Insolvenzverwalters erbracht worden sind, kommt hingegen keine Berichtigung des Umsatzsteuerbetrags nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 UStG in Betracht. Diese Steuerbeträge gelten mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens als sonstige Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO (Abschn. 17.1 Abs. 12 Satz 6 und 7 UStAE).
Beispiel 5:
S.a. Beispiel 1 und 2 in Rz. 18 des BMF-Schreibens vom 11.1.2022 (BStBl I 2022, 116).
Der Insolvenzschuldner hat Forderungen aus steuerpflichtigen Umsätzen, die er vor der Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters am 15.3.24 erbracht hat, i.H.v. 11 900 €. Er hat diese Umsätze zwar angemeldet, die Entrichtung des Entgelts vom Leistungsempfänger steht aber noch aus.
Lösung 5:
Durch die Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters werden diese Forderungen aus rechtlichen Gründen uneinbringlich, da der Leistungsempfänger nicht mehr an den Insolvenzschuldner leisten kann. Die für diese Umsätze geschuldeten Steuerbeträge sind nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG zu berichtigen (Abschn. 17.1 Abs. 13 Satz 1 bis 3 UStAE). Die Entgelte, die der Insolvenzschuldner vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen erbracht hatte, werden nach ständiger BFH-Rspr. bereits mit und dabei eine juristische Sekunde vor der Verfahrenseröffnung aus Rechtsgründen uneinbringlich.
Beachte:
Besteht für einen Vergütungsanspruch, den das FA für einen Besteuerungszeitraum nach Insolvenzeröffnung erstmals festsetzt, aufgrund der Rechtswidrigkeit dieser Steuerfestsetzung kein materieller Rechtsgrund, wird das FA diesen Vergütungsanspruch erst mit der Festsetzung (und damit vorliegend nach der Insolvenzeröffnung) zur Masse schuldig (BFH vom 22.6.2022, XI R 46/20, BFH/NV 2023, 94, LEXinform 4253396).
Im Urteilsfall XI R 46/20 hatte das FA im Umsatzsteuerbescheid für das Kj. 13 der Steuerfestsetzung einen – im Hinblick auf die mit der Insolvenzeröffnung im Kj. 10 bereits eingetretene Uneinbringlichkeit – nicht bestehenden Berichtigungsanspruch zugrunde gelegt, indem es angenommen hat, dass nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG der Steuerbetrag für stpfl. Ausgangsleistungen des Unternehmens zu berichtigen sei, weil sich eine Uneinbringlichkeit vorinsolvenzrechtlicher Entgelte erst aus der Zahlungsunfähigkeit der Leistungsempfänger ergeben habe.
Uneinbringlich werden auch die Entgelte für die Leistungen, die der Unternehmer nach Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt und Recht zum Forderungseinzug bis zur Beendigung des Insolvenzeröffnungsverfahrens (§§ 26, 27 InsO) erbringt oder bezieht. Für eine differenzierende Betrachtung nach den Leistungen, die das Unternehmen vor der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters erbringt oder bezieht und den Leistungen, die das Unternehmen nach dessen Bestellung bis zur Beendigung des Insolvenzeröffnungsverfahrens erbringt oder bezieht, besteht insbes. unter Berücksichtigung der insolvenzrechtlichen Befugnisse des vorläufigen Insolvenzverwalters kein sachlicher Rechtfertigungsgrund. Erbringt der Unternehmer Leistungen, ist die Befugnis, die hierfür geschuldeten Entgelte zu vereinnahmen, in beiden Fällen auf den vorläufigen Insolvenzverwalter übergegangen. Anders als bei Leistungen, die durch einen verwaltungs- und verfügungsberechtigten vorläufigen starken Insolvenzverwalter (§ 21 Abs. 2 Nr. 2 Fall 1 InsO) oder nach Insolvenzeröffnung durch den Insolvenzverwalter erbracht werden, kommt es damit zu einer Trennung von Leistungserbringung und Entgeltvereinnahmung.
Beispiel 6:
Nach der Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters erbringt der Insolvenzschuldner steuerpflichtige Umsätze i.H.v. 5 950 €.
Lösung 6:
Diese Umsätze hat er im Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung grundsätzlich zu versteuern. Gleichzeitig sind die Steuerbeträge für diese Umsätze nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG zu berichtigen, da die Forderung aus rechtlichen Gründen uneinbringlich wird (Abschn. 17.1 Abs. 13 Satz 4 UStAE).
Beachte:
Berechnet der leistende Unternehmer seine Steuer nach vereinnahmten Entgelten (§ 20 UStG), so entsteht die USt für ausgeführte Leistungen nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b UStG erst mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem das Entgelt vereinnahmt wird. Wird das Entgelt für eine Leistung uneinbringlich, ergibt sich daher kein weiterer Handlungsbedarf, da die USt noch nicht entstanden ist. Änderungen der Entgeltvereinbarung führen nur dann zu einer USt-Berichtigung nach § 17 UStG, wenn der leistende Unternehmer das ursprüngliche vereinbarte Entgelt bereits vereinnahmt hat. Die USt-Berichtigung ist dann für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem das bereits vereinnahmte Entgelt ganz oder teilweise zurückgezahlt wird.
Im Fall der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten kommt es im Anschluss an die Uneinbringlichkeit durch die Vereinnahmung des Entgeltes gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu einer zweiten Berichtigung (BFH Urteil vom 24.9.2014, V R 48/13, BStBl II 2015, 506, Rz. 32 ff.). Dem steht nicht entgegen, dass die erste Berichtigung aufgrund Uneinbringlichkeit und die zweite Berichtigung aufgrund nachfolgender Vereinnahmung ggf. im selben Voranmeldungs- oder Besteuerungszeitraum zusammentreffen (BFH Urteil vom 24.10.2013, V R 31/12, BStBl II 2015, 674, Rz. 22 und BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 20).
Hinweis:
Zur Doppelberichtigung der USt bei Entgeltvereinnahmung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen durch den Insolvenzverwalter hat das FG Düsseldorf mit Urteil vom 25.1.2023 (5 K 1749/21, EFG 2023, 726, LEXinform 5025253, Revision eingelegt, Az. BFH: XI R 3723) entschieden, dass die Durchführung der zweiten Berichtigung materiell-rechtlich nicht von der Vornahme der ersten Berichtigung abhängig ist. Mit der Entgeltvereinnahmung durch den Insolvenzverwalter kommt es zu einer (zweiten) Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG im Massebereich. Soweit in § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG von einer »erneuten« Berichtigung gesprochen wird, ist dies keine Tatbestandsvoraussetzung, setzt also mit anderen Worten keine erste Berichtigung voraus, sondern dient lediglich der Klarstellung, dass es sich materiell-rechtlich um eine Folgeberichtigung handelt.
Im Urteilsfall hatte der Schuldner es versäumt, die USt nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG wegen Uneinbringlichkeit zu berichtigen (erste Berichtigung). Im Rahmen des Insolvenzverfahrens meldete das FA seine Steuerforderungen zum Insolvenzplan an. Nach Rechtskraft des Insolvenzplans ist eine Änderung nach § 164 Abs. 2 AO nicht mehr möglich (s. BFH vom 22.10.2014, I R 39/13, BStBl II 2025, 577, Rz. 25 und 26). Der Insolvenzplan wirkt rechtsgestaltend für und gegen alle Beteiligten und betrifft damit nicht nur den Schuldner und das FA als Insolvenzgläubiger, sondern sämtliche verfahrensbeteiligten Gläubiger und sogar alle Gläubiger, die ihre Forderungen nicht angemeldet haben (§ § 254b InsO).
Die Wirkung des rechtskräftigen Insolvenzplans tritt nur ein, wenn der Schuldner die Forderung im Prüftermin nicht bestritten hat (§ 257 Abs. 1 Satz 1 InsO). Der Schuldner hätte die Einwendungen gegen die Höhe der angemeldeten USt ohne Weiteres durch Widerspruch geltend machen können.
Beispiel 7:
Nach der Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters erbringt der Insolvenzschuldner im Voranmeldungszeitraum April 05 steuerpflichtige Umsätze i.H.v. 5 950 €. Im Voranmeldungszeitraum April 05 vereinnahmt der »schwache« vorläufige Insolvenzverwalter 2 000 €.
Lösung 7:
S.a. Beispiel 1 und 2 in Rz. 18 und Beispiel 3 in Rz. 20 des BMF-Schreibens vom 11.1.2022 (BStBl I 2022, 116).
Die Umsätze hat der Insolvenzschuldner im Voranmeldungszeitraum der Leistungserbringung (April 05) grundsätzlich zu versteuern. Gleichzeitig sind die Steuerbeträge für diese Umsätze nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG im Voranmeldungszeitraum April 05 zu berichtigen, da die Forderung aus rechtlichen Gründen uneinbringlich wird.
Durch die Vereinnahmung des Entgelts sind die darin enthaltenen Steuerbeträge für die Umsätze nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG im Voranmeldungszeitraum April 05 insoweit ein zweites Mal zu berichtigen. Diese zweite Steuerberichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG erfolgt im Unternehmensteil Insolvenzmasse und führt daher zu Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO (Abschn. 17.1 Abs. 13 Satz 4 ff. UStAE).
Die zweite Berichtigung gilt auch in Fällen der Vereinnahmung eines Entgelts, in denen das Entgelt bereits vor der Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters aus tatsächlichen Gründen (z.B. wegen Zahlungsunfähigkeit des Entgeltschuldners) als uneinbringlich behandelt worden ist, und der darin enthaltene Steuerbetrag nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG berichtigt wurde. Insoweit führt die aufgrund der Vereinnahmung erneut nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG durchzuführende Steuerberichtigung zur Entstehung von Masseverbindlichkeiten i.S.v. § 55 Abs. 4 InsO (Abschn. 17.1 Abs. 13 Satz 7 UStAE; s.a. das Beispiel in Abschn. 17.1 Abs. 14 UStAE).
Im Fall der Istversteuerung führt die Vereinnahmung der Entgelte durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter im vorläufigen Insolvenzverfahren mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Entstehung von Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO (BFH Urteil vom 29.1.2009, V R 64/07, BStBl II 2009, 682 und BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 23).
Entgeltforderungen aus Lieferungen und sonstigen Leistungen, die vor Insolvenzeröffnung an den späteren Insolvenzschuldner erbracht wurden, werden im Augenblick der Bestellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters i.S.d. Abschn. 17.1 Abs. 12 UStAE oder eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters i.S.d. Abschn. 17.1 Abs. 13 UStAE – spätestens aber mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens – unbeschadet einer möglichen Insolvenzquote in voller Höhe i.S.d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich. Zu diesem Zeitpunkt ist die USt beim leistenden Unternehmer und dementsprechend der Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger nach § 17 Abs. 1 UStG zu berichtigen. Dies gilt sinngemäß auch, wenn der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (z.B. mangels Masse) abgewiesen wird. Wird das uneinbringlich gewordene Entgelt nachträglich vereinnahmt, ist der Umsatzsteuerbetrag erneut zu berichtigen (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG). Das gilt auch für den Fall, dass der Insolvenzverwalter die durch die Eröffnung uneinbringlich gewordene Forderung erfüllt (Abschn. 17.1 Abs. 16 UStAE).
Hinweis:
Nach dem EuGH-Urteil vom 11.6.2020 (C-146/19, LEXinform 0651678) darf einem Stpfl. das Recht auf Verminderung der im Zusammenhang mit einer uneinbringlichen Forderung entrichteten Mehrwertsteuer nicht versagt werden, wenn er diese Forderung im Insolvenzverfahren gegen seinen Schuldner nicht angemeldet hat.
Zu berichtigen ist auch der Vorsteuerabzug. Der BFH hat bereits mehrfach entschieden, dass der Vorsteuerberichtigungsanspruch aus nicht bezahlten Leistungsbezügen nach § 17 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 1 Satz 2 UStG mit der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters mit Zustimmungsvorbehalt entsteht. Der Gläubiger des Schuldners, für den der vorläufige Insolvenzverwalter bestellt wird, kann dann seinen Entgeltanspruch aus der an den Schuldner erbrachten Leistung – selbst wenn es nachfolgend zu keiner Eröffnung des Insolvenzverfahrens kommt, sondern diese z.B. mangels Masse unterbleibt – zumindest für die Dauer des Eröffnungsverfahrens und damit im Regelfall über einen längeren Zeitraum von ungewisser Dauer nicht mehr durchsetzen. Entsprechende Vorsteuerrückforderungsansprüche des FA gegenüber dem Insolvenzschuldner stellen Insolvenzforderungen dar (BFH Urteil vom 24.9.2014, V R 48/13, BStBl II 2015, 506, Rz. 30 und BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 24).
Der Vorsteuerabzug aus Leistungen, die der Insolvenzschuldner im Insolvenzeröffnungsverfahren bezieht, ist ebenfalls aus rechtlichen Gründen uneinbringlich und entsprechend nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 2 UStG zu berichtigen (Abschn. 17.1 Abs. 16 UStAE). Dies gilt sowohl bei der Besteuerung nach vereinbarten als auch nach vereinnahmten Entgelten. Da dieser Berichtigungsanspruch regelmäßig mit dem ursprünglichen Vorsteueranspruch im gleichen Voranmeldungszeitraum zusammenfällt, ergeben sich grundsätzlich keine Steueransprüche, die als Insolvenzforderungen geltend zu machen wären.
Durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter veranlasste Zahlungen von Entgelten aus vor oder nach seiner Bestellung bezogenen Leistungen führen zu einer zweiten Berichtigung des Vorsteuerabzugs nach § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG. Auch dies kann im selben Voranmeldungs- oder Besteuerungszeitraum zusammentreffen.
Grds. reicht allein die Stellung eines Insolvenzantrags aber für sich nicht zur Annahme der Uneinbringlichkeit aus (BGH vom 19.7.2007, IX ZR 81/06, UR 2007, 742, LEXinform 5210593 unter II.2.b.bb.).
Nach der Rspr. des BFH liegt Uneinbringlichkeit spätestens mit der Insolvenzeröffnung vor, sie kann vielfach aber auch bereits früher eingetreten sein. Bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann die Uneinbringlichkeit gegeben sein, da anderenfalls auch kein Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt worden wäre. Beantragt daher der Schuldner die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, so ist in diesem Fall der drohenden Zahlungsunfähigkeit die Uneinbringlichkeit i.S.d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG gegeben. Es ist dann nämlich in absehbarer Zeit nicht mehr damit zu rechnen, dass der Schuldner die Forderungen erfüllen wird (FG München vom 10.3.2021, 3 K 1123/19, EFG 2021, 997, LEXinform 5023805, rkr.).
Beispiel 8:
Nach der Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters erhält der Insolvenzschuldner im Voranmeldungszeitraum April 05 steuerpflichtige Leistungen sowie eine ordnungsgemäße Rechnung i.H.v. 5 950 €. Im Voranmeldungszeitraum April 05 veranlasst der »schwache« vorläufige Insolvenzverwalter die Zahlung von 2 000 €.
Lösung 8:
Die Vorsteuer ist im Voranmeldungszeitraum des Leistungsbezugs und nach Erhalt einer ordnungsgemäßen Rechnung (April 05) nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG abziehbar und abzugsfähig. Gleichzeitig sind die Vorsteuerbeträge nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 2 UStG im Voranmeldungszeitraum April 05 zu berichtigen, da die Forderung des Leistungserbringers aus rechtlichen Gründen uneinbringlich wird.
Durch die Zahlung des Entgelts sind die Vorsteuerbeträge für die erhaltenen Leistungen nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG im Voranmeldungszeitraum April 05 insoweit ein zweites Mal zu berichtigen. Die zweite Vorsteuerberichtigung nach § 17 Abs. 1 Satz 2 UStG mindert den Steueranspruch und ist im Fall einer nachfolgenden Insolvenzeröffnung bei der Berechnung der sich für den Voranmeldungs- oder Besteuerungszeitraum ergebenden Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO anspruchsmindernd zu berücksichtigen (Abschn. 17.1 Abs. 16 UStAE).
Hinweis:
Eine Vorsteuervergütung zugunsten der Insolvenzmasse aufgrund einer Quotenzahlung setzt voraus, dass hinsichtlich der betroffenen Entgeltforderungen zuvor eine Vorsteuerkürzung erfolgte und der Betrag auch tatsächlich an das FA abgeführt wurde. Dies hat das FG Münster mit Urteil vom 20.2.2018 (15 K 1514/15, EFG 2018, 697, LEXinform 5021136, rkr.) entschieden.
Der Kläger war Insolvenzverwalter über das Vermögen einer GmbH. Weder der Kläger noch die GmbH gaben für Zeiträume des Insolvenzeröffnungsverfahrens und des Insolvenzverfahrens USt-Erklärungen ab. Das FA meldete die bis zur Insolvenzeröffnung entstandenen USt-Beträge zur Insolvenztabelle an. In den Berechnungen nahm es keine Vorsteuerkürzungen bezüglich solcher Eingangsrechnungen der GmbH vor, die die GmbH bis zur Insolvenzeröffnung nicht mehr bezahlt hatte. Im Jahr 13 leistete der Kläger Quotenzahlungen auf zur Insolvenztabelle angemeldete und von ihm anerkannte Forderungen und beantragte hierfür beim FA eine Vorsteuervergütung. Dies lehnte das FA mit der Begründung ab, dass im Rahmen der Insolvenzeröffnung keine entsprechenden Vorsteuerkorrekturen zulasten der Insolvenzmasse vorgenommen worden seien.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Die vom Kläger als Insolvenzverwalter beantragten Vorsteuerbeträge auf die Quotenzahlungen seien nicht zu vergüten. § 17 UStG beinhalte eine erste Vorsteuerberichtigungspflicht hinsichtlich der Rechnungen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr bezahlt wurden und eine zweite gegenläufige Vorsteuerberichtigungspflicht hinsichtlich der nachträglich im Hinblick auf die Quote erfolgten Zahlungen (s.a. Abschn. 17.1 Abs. 16 UStAE). Die zweite Berichtigung hinge davon ab, dass die erste Berichtigung vorgenommen und die aufgrund der Vorsteuerkürzung entstandenen Beträge eingezogen wurden. Anderenfalls träte eine gesetzlich nicht vorgesehene und nicht gerechtfertigte Privilegierung der Insolvenzmasse ein. Diese Verknüpfung sei jedenfalls im Streitfall zu fordern, weil weder die GmbH noch der Kläger als Insolvenzverwalter ihren Pflichten zur Kürzung der Vorsteuern im Rahmen der Insolvenzeröffnung nachgekommen seien (s. Mitteilung des FG Münster vom 15.3.2018, LEXinform 0447972).
Die folgenden Übersichten fasst die oben dargestellten Grundsätze unter Berücksichtigung der BFH-Urteile vom 9.12.2010 (V R 22/10, BStBl II 2011, 996) und vom 24.9.2014 (V R 48/13, BStBl II 2015, 506) zusammen (s.a. Abschn. 17.1 Abs. 11 UStAE und AEAO Tz. 9.2 zu § 251 AO). Zur Berichtigung der Bemessungsgrundlage wegen Uneinbringlichkeit im vorläufigen Insolvenzverfahren s.a. BMF vom 18.5.2016, BStBl I 2016, 506.
Unternehmen Insolvenzeröffnung |
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Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers kommt es zu einer Aufspaltung des Unternehmens in mehrere Unternehmensteile; es gilt aber trotzdem weiterhin der Grundsatz der Unternehmenseinheit. Zwischen den einzelnen Unternehmensteilen können einzelne umsatzsteuerrechtliche Berechtigungen und Verpflichtungen nicht miteinander verrechnet werden (s.a. Abschn. 17.1 Abs. 11 UStAE). |
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Unternehmensteile |
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Vorinsolvenzrechtlicher Unternehmensteil |
Insolvenzmasse |
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Verbindlichkeiten des »starken« vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 55 Abs. 2 InsO) oder |
Verbindlichkeiten des Insolvenzschuldners aus dem Steuerschuldverhältnis, die vom »schwachen« vorläufigen Insolvenzverwalters oder vom Schuldner begründet worden sind (§ 55 Abs. 4 InsO) |
Verbindlichkeiten aus dem restlichen Vermögen |
Verbindlichkeiten aus dem vom Insolvenzverwalter freigegebenen Vermögen (§ 35 Abs. 2 InsO) |
Verbindlichkeiten aus dem restlichen Vermögen, die vom Insolvenzverwalter begründet wurden (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) |
Latente Masseverbindlichkeiten, die nach der Insolvenzeröffnung als Masseverbindlichkeiten gelten (s.a. BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 29 ff.). |
Insolvenzforderungen |
Masseverbindlichkeiten |
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Umsatzsteuer- und Vorsteuerbeträge aus diesen Unternehmensteilen können nicht miteinander verrechnet werden (s.a. FG Münster Urteil vom 26.1.2017, 5 K 3730/14, EFG 2017, 614, LEXinform 5019959, rkr. sowie Mitteilung des FG Münster vom 15.3.2017, LEXinform 0446093). Trotz einer Steuerschuld für den insolvenzfreien Unternehmensteil kann es zu einem Vorsteuerüberschuss und damit zu einer Umsatzsteuervergütung für die dem Insolvenzverwalter unterliegende Insolvenzmasse kommen (s.a. BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 33 ff.). Beachte auch BFH vom 5.4.2022 (VII R 18/21, BStBl II 2023, 3, Rz. 39). |
Vorinsolvenzrechtlicher Unternehmensteil Leistungserbringung |
Insolvenzmasse (kein freigegebenes Vermögen) Entgeltvereinnahmung durch Insolvenzverwalter. |
Istversteuerer |
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Entgelt bisher nicht vereinnahmt. Im Fall der Istversteuerung führt die Vereinnahmung der Entgelte durch den »schwachen« vorläufigen Insolvenzverwalter im vorläufigen Insolvenzverfahren mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Entstehung von Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO (BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 23; Abschn. 17.1 Abs. 13 Satz 7 UStAE). Im Fall der Istversteuerung führt die Vereinnahmung der Entgelte durch den »starken« vorläufigen Insolvenzverwalter im vorläufigen Insolvenzverfahren mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Entstehung von Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 2 InsO (Abschn. 17.1 Abs. 12 Satz 4 UStAE). |
Erst mit der Entgeltvereinnahmung ist der USt-Anspruch vollständig verwirklicht und abgeschlossen (BFH Urteil vom 29.1.2009, V R 64/07, BStBl II 2009, 682). Es handelt sich um eine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (AEAO Tz. 5.1 Beispiel 1 zu § 251 AO). |
Vorinsolvenzrechtlicher Unternehmensteil Leistungserbringung |
Insolvenzmasse (kein freigegebenes Vermögen) |
Sollversteuerer |
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Entgelt bisher nicht vereinnahmt: |
Mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens geht nach § 80 Abs. 1 InsO die Empfangszuständigkeit für alle Leistungen, welche auf die zur Insolvenzmasse gehörenden Forderungen erbracht werden, auf den Insolvenzverwalter über. Das Entgelt ist in die Insolvenzmasse zu leisten (Masseverbindlichkeit). Wird demnach die Entgeltforderung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens uneinbringlich, begründet die spätere Entgeltvereinnahmung durch den Insolvenzverwalter eine erneute Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG. Diese Berichtigung ist nach § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 7 UStG erst im Zeitpunkt der Vereinnahmung vorzunehmen. Die erste Steuerberichtigung aufgrund der Uneinbringlichkeit im vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil und die zweite Steuerberichtigung aufgrund der Vereinnahmung führen somit zu einer zutreffenden Besteuerung des Gesamtunternehmens. Die aufgrund der Vereinnahmung entstehende Steuerberichtigung begründet eine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Denn der sich aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG ergebende Steueranspruch ist erst mit der Vereinnahmung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen (BFH Urteil vom 9.12.2010, V R 22/10, BStBl II 2011, 996; Abschn. 17.1 Abs. 11 Satz 7 bis 9 UStAE mit Beispiel). Nach dem BFH-Urteil vom 27.9.2018 (V R 45/16, BStBl II 2019, 356) führt die Vereinnahmung von Entgelten nach Insolvenzeröffnung für bereits vor Verfahrenseröffnung erbrachte Leistungen auch im Verfahren der Eigenverwaltung zu einer zweiten Berichtigung als Masseverbindlichkeit (s. Abschn. 17.1 Abs. 11 ff.). Im Verfahren der Eigenverwaltung übt der Schuldner die Funktion des Verwalters aus (BFH V R 45/16, Rz. 26). |
Mit Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters werden bei der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten die noch ausstehenden Entgelte für zuvor erbrachte Leistungen im Augenblick vor der Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens aus Rechtsgründen uneinbringlich. Uneinbringlich werden auch die Entgelte für die Leistungen, die der Insolvenzschuldner nach Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters bis zur Beendigung des Insolvenzeröffnungsverfahrens (§§ 26, 27 InsO) erbringt. Die Bemessungsgrundlage ist gem. § 17 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 1 UStG auf 0 € zu berichtigen. Zur Aufrechnung im Insolvenzverfahren sowie zur Berücksichtigung eines Berichtigungsbetrags in einem falschen Besteuerungszeitraum s. BFH vom 22.6.2022 (XI R 46/20, BFH/NV 2023, 94, LEXinform 4253396). Im Fall der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten kommt es im Anschluss an die Uneinbringlichkeit durch die Vereinnahmung des Entgeltes gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu einer zweiten Berichtigung. Dem steht nicht entgegen, dass die erste Berichtigung aufgrund Uneinbringlichkeit und die zweite Berichtigung aufgrund nachfolgender Vereinnahmung ggf. im selben Voranmeldungs- oder Besteuerungszeitraum zusammentreffen. Diese zweite Steuerberichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG erfolgt im Gegensatz zur ersten Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG im Unternehmensteil Insolvenzmasse und führt daher zu Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1, 2 bzw. Abs. 4 InsO (s.a. BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 20 ff.; Abschn. 17.1 Abs. 12 Satz 4 und Abs. 13 Satz 7 UStAE). |
Abb.: Masseverbindlichkeit der Umsatzsteuer
Beispiel 9:
1.2.12 |
4.3.12 |
|||
Zeit vor der Insolvenz |
Vorläufiges Insolvenzverfahren |
Insolvenzverfahren |
||
Bis 31.1.12: Zeitraum vor der Stellung eines Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Der Unternehmer U unterliegt keinerlei Beschränkungen. |
1.2.12: Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 13 ff. InsO) und Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters nach § 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO durch das Insolvenzgericht. Es kann sich dabei entweder um einen starken oder um einen schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter handeln (s.o.). |
4.3.12: Eröffnungsbeschluss und Bestellung eines Insolvenzverwalters (§ 27 Abs. 1 InsO). |
||
a. |
Unternehmer U führt Leistungen aus und vereinnahmt das Entgelt in der Zeit bis zum 31.1.12. Die dafür geschuldete USt wird nicht an das FA abgeführt. |
Lösung 9a:
Der den Umsatzsteueranspruch begründete Tatbestand wurde bereits vor Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters vollständig verwirklicht. Die USt-Schuld gilt weder nach § 55 Abs. 2 noch nach § 55 Abs. 4 InsO nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit (Rz. 18 des BFH-Urteils vom 9.12.2010, V R 22/10, BStBl II 2011, 996). Es handelt sich um eine Insolvenzforderung, die schriftlich beim Insolvenzverwalter anzumelden ist (§§ 174 und 175 InsO; AEAO Tz. 5.1 und 5.2 zu § 251 AO).
1.2.12 |
4.3.12 |
|||
Zeit vor der Insolvenz |
Vorläufiges Insolvenzverfahren |
Insolvenzverfahren |
||
b. |
Unternehmer U führt Leistungen aus. |
Das Entgelt wurde nach dem 31.1.12 und vor dem 4.3.12 vereinnahmt, die dafür geschuldete USt allerdings nicht an das FA abgeführt. Das Insolvenzgericht hat einen »starken« vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. |
Lösung 9b:
Der »starke« vorläufige Insolvenzverwalter ist Vermögensverwalter i.S.d. § 34 Abs. 3 AO. Mit seiner Bestellung am 1.2.12 geht die gesamte Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf ihn über. Mit seiner Bestellung wird das Unternehmen in mehrere Unternehmensteile aufgespalten. Der Steuerbetrag ist im vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil uneinbringlich geworden und nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 UStG zu berichtigen. Mit Vereinnahmung ist der Steuerbetrag nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG erneut zu berichtigen. Diese aufgrund der Vereinnahmung entstehende Steuerberichtigung begründet eine sonstige Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO bei Vereinnahmung durch den sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter (Abschn. 17.1 Abs. 12 Satz 4 UStAE).
1.2.12 |
4.3.12 |
|||
Zeit vor der Insolvenz |
Vorläufiges Insolvenzverfahren |
Insolvenzverfahren |
||
c. |
Unternehmer U führt Leistungen aus. |
Das Entgelt wurde nach dem 31.1.12 und vor dem 4.3.12 vereinnahmt, die dafür geschuldete USt allerdings nicht an das FA abgeführt. Das Insolvenzgericht hat einen »schwachen« vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. |
Lösung 9c:
Im Fall der Istversteuerung führt die Vereinnahmung der Entgelte durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter im vorläufigen Insolvenzverfahren mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Entstehung von Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO (BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 23).
Aufgrund der Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters werden nach der Sollversteuerung die noch ausstehenden Entgelte für zuvor erbrachte Leistungen im Augenblick vor der Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens aus Rechtsgründen uneinbringlich. Nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG ist der Steuerbetrag für steuerpflichtige Ausgangsleistungen des Unternehmens zu berichtigen, wenn das vereinbarte Entgelt uneinbringlich geworden ist.
Besteht für den Vergütungsanspruch, der im Augenblick vor der Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens besteht, den das FA aber für einen Besteuerungszeitraum nach Insolvenzeröffnung erstmals festsetzt, aufgrund der Rechtswidrigkeit dieser Steuerfestsetzung kein materieller Rechtsgrund, wird das FA diesen Vergütungsanspruch erst mit der Festsetzung (und damit vorliegend nach der Insolvenzeröffnung) zur Masse schuldig (BFH vom 22.6.2022, XI R 46/20, BFH/NV 2023, 94, LEXinform 4253396).
Im Fall der Sollversteuerung kommt es im Anschluss an die Uneinbringlichkeit durch die Vereinnahmung des Entgeltes gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu einer zweiten Berichtigung. Diese zweite Steuerberichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG erfolgt im Gegensatz zur ersten Berichtigung nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG im Unternehmensteil Insolvenzmasse und führt daher zu Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO (BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 20 und 22 sowie Abschn. 17.1 Abs. 13 UStAE).
1.2.12 |
4.3.12 |
|||
Zeit vor der Insolvenz |
Vorläufiges Insolvenzverfahren |
Insolvenzverfahren |
||
d. |
Unternehmer U führt Leistungen aus. Das Entgelt fällt wegen Zahlungsunfähigkeit des Entgeltschuldners aus und die Bemessungsgrundlage wird nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 UStG berichtigt. |
Der schwache vorläufige Insolvenzverwalter vereinnahmt das Entgelt im vorläufigen Insolvenzverfahren. |
Lösung 9d:
Der Vereinnahmung des Entgelts durch den schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter führt zu einer Berichtigung der Bemessungsgrundlage nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG. Diese aufgrund der Vereinnahmung entstehende Steuerberichtigung begründet bei Bestellung eines schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters eine sonstige Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 InsO (Abschn. 17.1 Abs. 14 Satz 1 bis 3 UStAE sowie BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 22).
Wird hingegen vom Insolvenzgericht ein sog. starker vorläufiger Insolvenzverwalter nach § 22 Abs. 1 InsO eingesetzt, liegen insoweit sonstige Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 InsO vor. Denn der sich aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG ergebende Steueranspruch ist erst mit der Vereinnahmung vollständig verwirklicht, mithin im vorläufigen Insolvenzverfahren (Abschn. 17.1 Abs. 14 Satz 4 und 5 UStAE).
1.2.12 |
4.3.12 |
|||
Zeit vor der Insolvenz |
Vorläufiges Insolvenzverfahren |
Insolvenzverfahren |
||
e. |
Unternehmer U führt Leistungen aus. |
Das Entgelt für die ausgeführten Leistungen in der Zeit vor der Insolvenz wird durch den Insolvenzverwalter vereinnahmt. |
Lösung 9e:
Vereinnahmt der Insolvenzverwalter eines Unternehmers das Entgelt für eine vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeführte Leistung, begründet die Entgeltvereinnahmung nicht nur bei der Istbesteuerung (BFH Urteil vom 29.1.2009, V R 64/07, BStBl II 2009, 682), sondern auch bei der Sollbesteuerung eine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (BFH Urteil vom 9.12.2010, V R 22/10, BStBl II 2011, 996; s.a. Abschn. 17.1 Abs. 11 UStAE).
Erbringt der Unternehmer, über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet wird, eine Leistung vor Verfahrenseröffnung, ohne das hierfür geschuldete Entgelt bis zu diesem Zeitpunkt zu vereinnahmen, tritt daher spätestens mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens Uneinbringlichkeit im vorinsolvenzrechtlichen Unternehmensteil ein (Uneinbringlichkeit aus Rechtsgründen). Der Steuerbetrag ist bei Sollbesteuerung deshalb nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 UStG zu berichtigen. Vereinnahmt der Insolvenzverwalter später das zunächst uneinbringlich gewordene Entgelt, ist der Umsatzsteuerbetrag nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG erneut zu berichtigen. Diese aufgrund der Vereinnahmung entstehende Steuerberichtigung begründet eine sonstige Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO (vgl. BFH Urteil vom 9.12.2010, V R 22/10, BStBl II 2011, 996). Denn der sich aus § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG ergebende Steueranspruch ist erst mit der Vereinnahmung vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen (Abschn. 17.1 Abs. 11 UStAE).
1.2.12 |
4.3.12 |
|||
Zeit vor der Insolvenz |
Vorläufiges Insolvenzverfahren |
Insolvenzverfahren |
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f. |
Unternehmer U führt mit Genehmigung des vorläufigen Insolvenzverwalters Leistungen aus. Das dafür in Rechnung gestellte Entgelt wird auch vereinnahmt, die geschuldete USt wird nicht an das FA abgeführt. Vom Insolvenzgericht wird ein »schwacher« vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt. |
Lösung 9f:
Zunächst werden die Entgelte für die Leistungen, die der Insolvenzschuldner nach Bestellung des »schwachen« vorläufigen Insolvenzverwalters bis zur Beendigung des Insolvenzeröffnungsverfahrens (§§ 26, 27 InsO) erbringt, uneinbringlich. Nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 1 UStG ist der Steuerbetrag für steuerpflichtige Ausgangsleistungen des Unternehmens zu berichtigen (BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 14 und 18; Abschn. 17.1 Abs. 13 Satz 3 und 4 UStAE).
Im Fall der Besteuerung nach vereinbarten Entgelten kommt es im Anschluss an die Uneinbringlichkeit durch die Vereinnahmung des Entgeltes gem. § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu einer zweiten Berichtigung. Dem steht nicht entgegen, dass die erste Berichtigung aufgrund Uneinbringlichkeit und die zweite Berichtigung aufgrund nachfolgender Vereinnahmung ggf. im selben Voranmeldungs- oder Besteuerungszeitraum zusammentreffen (BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 20; Abschn. 17.1 Abs. 13 Satz 5 UStAE).
Sowohl bei der Ist-, als auch bei der Sollversteuerung wird die USt-Schuld durch den Insolvenzverwalter begründet. Sowohl beim starken als auch beim schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter gilt die USt-Schuld nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1InsO; Abschn. 17.1 Abs. 13 Satz 9 UStAE).
1.2.12 |
4.3.12 |
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Zeit vor der Insolvenz |
Vorläufiges Insolvenzverfahren |
Insolvenzverfahren |
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g. |
Unternehmer U führt mit Genehmigung des vorläufigen Insolvenzverwalters Leistungen aus. Das dafür in Rechnung gestellte Entgelt wird nicht vereinnahmt, die bei der Sollbesteuerung geschuldete USt wird nicht an das FA abgeführt. Vom Insolvenzgericht wird ein »starker« vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt. |
Das Entgelt für die Leistungen im vorläufigen Insolvenzverfahren wird durch den Insolvenzverwalter vereinnahmt. |
Lösung 9g:
Wird vom Insolvenzgericht ein sog. »starker« vorläufiger Insolvenzverwalter nach § 22 Abs. 1 InsO bestellt, ist dieser Vermögensverwalter i.S.d. § 34 Abs. 3 AO. Da auf ihn die gesamte Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners übergeht, tritt bereits mit seiner Bestellung die Aufspaltung des Unternehmens in mehrere Unternehmensteile ein (Abschn. 17.1 Abs. 12 UStAE).
Bei der Istversteuerung wird erst durch die Entgeltentrichtung der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und abgeschlossen. Die USt-Schuld stellt damit eine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar.
Bei der Sollbesteuerung wird die USt-Schuld durch einen starken vorläufigen Insolvenzverwalter begründet. Die USt-Schuld gilt nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 2 InsO (Abschn. 17.1 Abs. 12 Satz 7 UStAE).
Für Steuerbeträge aus Umsätzen, die nach der Bestellung als sog. »starker« vorläufiger Insolvenzverwalter erbracht worden sind, kommt keine Berichtigung des Umsatzsteuerbetrags nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG in Betracht, da kein Wechsel des Unternehmensteils (Insolvenzmasse) vorliegt. Diese Umsätze stellen vor und mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens sonstige Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO dar (Abschn. 17.1 Abs. 12 Satz 6 und 7 UStAE).
Ansprüche der Finanzverwaltung aus Vorsteuerberichtigungen nach § 15a UStG, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens anfallen, sind insolvenzrechtlich Masseverbindlichkeiten. Dies hat der speziell für Umsatzsteuerstreitigkeiten zuständige 5. Senat des FG Münster mit Urteil vom 8.10.2009 entschieden (5 K 1096/07 U, LEXinform 5009334; Rechtsausführungen bestätigt durch BFH vom 9.2.2011, XI R 35/09, BStBl II 2011, 1000, s.u.).
Im Streitfall machte die Steuerschuldnerin, eine GbR, Vorsteuer aus den Bauerrichtungskosten für eine Einkaufspassage geltend. Das FA zahlte die Vorsteuer anteilig i.H.d. umsatzsteuerpflichtigen Vermietungen aus. In den folgenden Jahren verringerte sich der steuerpflichtige Vermietungsanteil, so dass – begrenzt auf zehn Jahre – die Vorsteuer anteilig zu Lasten der Gesellschaft zu berichtigen war (§ 15a UStG). Nachdem über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden war, forderte das FA vom Insolvenzverwalter die Rückzahlung von anteilig zu Unrecht ausgezahlter Vorsteuer, die auf Zeiträume nach Insolvenzeröffnung entfiel. Der Insolvenzverwalter wehrte sich mit dem Hinweis, es handele sich um zur Insolvenztabelle anzumeldende Forderungen.
Das FG Münster trat der Ansicht des klagenden Insolvenzverwalters entgegen und qualifizierte die streitige Vorsteuerrückforderung nach § 15a UStG als Masseverbindlichkeit, die der Insolvenzverwalter – außerhalb der quotalen Verteilung – aus der Insolvenzmasse zu bezahlen habe (§§ 53, 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO). Der Vorsteuerberichtigungsanspruch aus § 15a UStG entstehe für jedes Kj., in dem sich die für den Vorsteuerabzug maßgebenden Umstände gegenüber dem Erstjahr geändert hätten. Es handele sich um einen eigenständigen Steuertatbestand, der durch die Verwaltung der Insolvenzmasse, nämlich die teilweise steuerfreie Vermietung des Objekts, jährlich neu begründet werde.
Mit Urteil vom 9.2.2011 (XI R 35/09, BStBl II 2011, 1000) hat der BFH die Rechtsauffassung des FG Münster bestätigt. Bei der im Streitfall vorgenommenen Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG ging es nicht »um die Korrektur der Besteuerung eines von dem Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens abgeschlossenen Rechtsgeschäfts«. Vielmehr hat das FA die Vorsteuerbeträge, die für den Bezug von WG für das Unternehmen vor Eintritt der Insolvenz angefallen und abgezogen worden sind, in den Streitjahren nach § 15a UStG teilweise zurückgefordert, weil der Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die WG (durch Vermietung) abweichend von den ursprünglichen Verhältnissen tatsächlich verwendet hat. Diese Vermietung in den Streitjahren war eine Verwaltung oder Verwertung der Insolvenzmasse i.S.d. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Denn nach § 108 Abs. 1 InsO bestehen Miet- und Pachtverhältnisse des Schuldners über unbewegliche Gegenstände oder Räume »mit Wirkung für die Insolvenzmasse« fort; dies gilt auch für Miet- und Pachtverhältnisse, die der Schuldner als Vermieter oder Verpächter eingegangen war. Damit ist die Vermietung der Insolvenzmasse zuzurechnen. Erst mit Ablauf des jeweiligen Kj. steht fest, ob und in welchem Umfang sich durch die Vermietung die für den ursprünglichen Vorsteuerabzug maßgeblichen Verhältnisse geändert haben (§ 15a Abs. 1 UStG). Die der Masse zuzurechnende Vermietung ist ausschlaggebend dafür, ob eine Verpflichtung zur Berichtigung nach § 15a UStG besteht. Dann aber kann die aus § 15a Abs. 1 UStG resultierende Verbindlichkeit kein anderes Schicksal haben als die sonstigen Verpflichtungen im Zusammenhang mit den Mietverträgen.
Mit Urteil vom 8.3.2012 (V R 24/11, BStBl II 2012, 466) bestätigt der BFH seine Rspr., wonach die Vorsteuerrückforderung i.S.d. § 15a UStG dann als Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO anzusehen ist, wenn die Berichtigung nach § 15a UStG auf einer steuerfreien Veräußerung durch den Insolvenzverwalter im Rahmen der Verwaltung und Verwertung der Masse beruht.
Ist während der vorläufigen Insolvenzverwaltung eine Vorsteuerberichtigung nach § 15a UStG durchzuführen, fällt diese in den Anwendungsbereich des § 55 Abs. 4 InsO, soweit die Änderung der Verhältnisse im Rahmen der Befugnisse des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters veranlasst wurde (BMF vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116, Rz. 26).
Zur Anrechnung der Sondervorauszahlung in Insolvenzfällen s. OFD Frankfurt vom 4.11.2009 (S 7340 A – 85 – St 11, SIS 10 40 63, Rz. 64 ff.).
Wurde eine Sondervorauszahlung gem. § 47 UStDV durch den Unternehmer entrichtet, so ist die Sondervorauszahlung i.d.R. bei der Festsetzung der USt-Vorauszahlung für den Monat Dezember anzurechnen (§ 48 Abs. 4 UStDV, Abschn. 18.4 Abs. 5 UStAE). Dies gilt grundsätzlich auch in Insolvenzfällen, da die Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf die Unternehmereigenschaft des Insolvenzschuldners keinen Einfluss hat (vgl. BFH Urteil vom 28.6.2000, V R 87/99, BStBl II 2000, 639). Unerheblich ist auch, dass dem Insolvenzverwalter aus insolvenzrechtlichen Gründen (Abgrenzung Insolvenzforderungen zu den Masseverbindlichkeiten) eine neue zweite Steuernummer erteilt wird. Die Anrechnung der Sondervorauszahlung auf die Steuerschuld des entsprechenden Voranmeldungszeitraums ist abgabenrechtlich nicht Teil des Steuerfestsetzungsverfahrens, sondern Teil des Erhebungsverfahrens.
Die Abrechnung der Sondervorauszahlung ist ein eigenständiger Verwaltungsakt i.S.d. § 118 AO, der unabhängig von der Steuerfestsetzung mit eigenen Rechtsmitteln angegriffen werden kann und muss (s.a. AEAO zu § 218). Dies gilt sowohl für die Anrechnungsverfügung, aus der sich ergibt, inwieweit die festgesetzte Steuer bereits durch Zahlungen erloschen ist oder inwieweit ein Stpfl. einen Anspruch auf Erstattung von Überzahlungen hat, als auch für den Abrechnungsbescheid.
Nach § 46 Satz 2 UStDV ist eine bereits gewährte Dauerfristverlängerung zu widerrufen, wenn der Steueranspruch gefährdet erscheint. In Insolvenzfällen ist eine Gefährdung des Steueranspruchs bereits dann gegeben, wenn dem FA bekannt wurde, dass der Unternehmer oder ein Dritter einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt hat. In derartigen Fällen ist der Widerruf unverzüglich formlos gegenüber dem Unternehmer bekanntzugeben. Der Widerruf ist mit einer Rechtsbehelfsbelehrung zu versehen.
Der Widerruf bewirkt, dass in dem Monat, in dem der Widerruf ausgesprochen wurde, die Sondervorauszahlung auf die Steuerschuld des entsprechenden Voranmeldungszeitraums angerechnet werden kann.
Beispiel 10:
Der Unternehmer U hat am 10.6.02 einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt. Das FA hat am 20.6.02 den Widerruf gegenüber dem Insolvenzschuldner bekannt gegeben. Das Insolvenzverfahren wurde am 10.8.02 eröffnet.
Lösung 10:
Die Anrechnung der geleisteten Sondervorauszahlung ist im Monat Juni 02 vorzunehmen. Führt die Anrechnung zu einer Steuererstattung, besteht die uneingeschränkte Möglichkeit der Verrechnung mit anderen fälligen Steuerverbindlichkeiten des Insolvenzschuldners. Da die Überzahlungen des Insolvenzschuldners Zeiträume vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens betreffen, ist der Erstattungsanspruch aus überzahlter USt aufgrund des § 47 UStDV im Zeitpunkt der Eröffnung zumindest bedingt entstanden (§ 95 InsO; vgl. analog FG Nürnberg, rkr. Urteil vom 10.3.1992, UR 1993, 173). Es ist daher von besonderer Bedeutung, dass der Widerruf vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt, damit die Sondervorauszahlung mit den – vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandenen – »unsicheren« Insolvenzforderungen verrechnet werden kann.
Beispiel 11:
Der Unternehmer U hat am 10.6.02 einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt. Das FA hat am 7.8.02 den Widerruf gegenüber dem Insolvenzschuldner bekannt gegeben. Das Insolvenzverfahren wurde am 10.8.02 eröffnet.
Lösung 11:
Die Anrechnung der geleisteten Sondervorauszahlung ist im Monat August 02 vorzunehmen. Obwohl in diesem Monat das Insolvenzverfahren eröffnet wurde und der Voranmeldungszeitraum durch die Insolvenzeröffnung nicht unterbrochen wird, ist die Sondervorauszahlung ausschließlich auf Insolvenzforderungen anzurechnen. Insoweit haben die insolvenzrechtlichen Bestimmungen Vorrang vor den steuerrechtlichen Vorschriften (vgl. BFH Urteil vom 28.6.2000, V R 87/99, BStBl II 2000, 639). Der Voranmeldungszeitraum ist insoweit zu begrenzen und umfasst den Zeitraum 1.1. bis zum 10.8.02. Führt die Anrechnung zu einer Steuererstattung, besteht auch hier die uneingeschränkte Möglichkeit der Verrechnung mit anderen fälligen Steuerverbindlichkeiten des Insolvenzschuldners.
Die Anrechnung steht, da der Widerruf vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgesprochen wurde, nicht für Zeiträume nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zur Verfügung. Insbesondere kommt eine Erstattung an die Insolvenzmasse nicht in Betracht. Werden gegen diese Verfahrensweise durch den Insolvenzverwalter Einwendungen erhoben, so ist ein Abrechnungsbescheid gem. § 218 Abs. 2 AO gegenüber dem Insolvenzverwalter zu erlassen.
Wurde die Dauerfristverlängerung im Kj. der Insolvenzeröffnung nicht widerrufen, ist die festgesetzte Sondervorauszahlung bei der Festsetzung der Vorauszahlung für den letzten Voranmeldungszeitraum – also den Monat Dezember – des Besteuerungszeitraums anzurechnen (§ 48 Abs. 4 UStDV). Besteuerungszeitraum ist das Kj. (§ 16 Abs. 1 Satz 2 UStG).
Ist die Sondervorauszahlung höher als die Vorauszahlung für den letzten Voranmeldungszeitraum, auf die sie gem. § 48 Abs. 4 UStDV anzurechnen ist, kommt zwar ein Erstattungsanspruch in Betracht. Da die Sondervorauszahlung »für das jeweilige Kj.« erfolgt (§ 48 Abs. 2 Satz 1 UStDV), kann der Insolvenzverwalter die Erstattung allerdings nur verlangen, soweit er die übrigen Vorauszahlungen für das Kj. gezahlt hat und nicht schuldig geblieben ist.
Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandene Ansprüche auf Erstattung von vor Eröffnung geleisteten Vorauszahlungen gehören zur Insolvenzmasse (vgl. BFH Urteil vom 18.7.2002, V R 56/01, BStBl II 2002, 705 und vom 4.5.1993, VII R 96/92, BFH/NV 1994, 287; vom 6.11.2002, V R 21/02, BStBl II 2003, 39). Die Anrechnung der Sondervorauszahlung für den Monat Dezember führt nur dann zu einer Erstattung an den Insolvenzverwalter, wenn für das gesamte Kj. (also einschließlich der Zeiträume bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens) keine Umsatzsteuerrückstände bestehen. Anderenfalls ist ein möglicher Erstattungsbetrag des Monats Dezember auf rückständige Umsatzsteuern für dieses Kj. anzurechnen.
Gem. § 48 Abs. 4 UStDV ist die Sondervorauszahlung zunächst bei der Festsetzung der Vorauszahlung für den letzten Voranmeldungszeitraum des Besteuerungszeitraums (Kalenderjahrs) anzurechnen. Soweit die Sondervorauszahlung durch die Anrechnung beim letzten Voranmeldungszeitraum noch nicht verbraucht ist, ist sie auf die restliche noch offene Jahressteuer anzurechnen. Ist die Sondervorauszahlung auch dann noch nicht verbraucht, hat der Unternehmer insoweit einen Erstattungsanspruch (BFH Urteil vom 6.11.2002, V R 21/02, BStBl II 2003, 39). Dies gilt auch im Fall der Insolvenz; der Erstattungsanspruch fällt dann in die Insolvenzmasse.
Die Anrechnung erfolgt durch Umbuchung auf das Steuerkonto für Insolvenzforderungen – bisherige Steuernummer – und gegenüber dem Insolvenzverwalter durch eine entsprechende Aufrechnungserklärung.
Beispiel 12:
Über das Vermögen des Unternehmers U wurde am 10.6.02 das Insolvenzverfahren eröffnet. U hatte eine Sondervorauszahlung i.H.v. 10 000 € entrichtet. Die Dauerfristverlängerung wurde nicht widerrufen. Für den Zeitraum 1.1.02 bis zum Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehen Umsatzsteuerrückstände von 50 000 € (unter der bisherigen Steuernummer), die zur Insolvenztabelle angemeldet wurden. Die vom Insolvenzverwalter für den Monat Dezember (neue Steuernummer) abgegebene Umsatzsteuervoranmeldung weist nach Anrechnung der Sondervorauszahlung einen Erstattungsbetrag von 15 000 € aus. Der Insolvenzverwalter begehrt die Erstattung des gesamten Betrages.
Lösung 12:
I.H.v. 10 000 € (Anteil Sondervorauszahlung) besteht für den Insolvenzverwalter keine Erstattungsberechtigung, da für den Zeitraum 1.1.02 bis zum Tag der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Umsatzsteuerrückstände von 50 000 € bestehen. Die Sondervorauszahlung ist auf die Steuerrückstände anzurechnen. Die Überprüfung der Aufrechnung der restlichen 5 000 € bleibt hiervon unberührt.
Werden gegen diese Verfahrensweise Einwendungen durch den Insolvenzverwalter erhoben, ist gegenüber dem Insolvenzverwalter ein Abrechnungsbescheid gem. § 218 Abs. 2 AO zu erlassen (vgl. BFH Urteil vom 18.7.2002, VR 56/01, BStBl II 2002, 705).
Wird die Dauerfristverlängerung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens widerrufen, so gelten die obigen Grundsätze entsprechend.
Beispiel 13:
Der Unternehmer U hat am 10.6.02 einen Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens gestellt. Das FA hat am 7.9.02 den Widerruf gegenüber dem Insolvenzschuldner bekannt gegeben. Das Insolvenzverfahren wurde bereits am 20.8.02 eröffnet.
Lösung 13:
Die Anrechnung der geleisteten Sondervorauszahlung ist im Monat September 02 vorzunehmen.
Mit Urteil vom 16.12.2008 (VII R 17/08, BStBl II 2010, 91) nimmt der BFH erneut zum Widerruf der Dauerfristverlängerung nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens Stellung. Wird die Dauerfristverlängerung für die Abgabe der USt-Voranmeldungen widerrufen und die Sondervorauszahlung auf die Vorauszahlung für den letzten Voranmeldungszeitraum, für den die Fristverlängerung gilt, angerechnet, ist der insoweit nicht verbrauchte Betrag der Sondervorauszahlung nicht zu erstatten, sondern mit der Jahressteuer zu verrechnen. Nur soweit die Sondervorauszahlung auch durch diese Verrechnung nicht verbraucht ist, entsteht ein Erstattungsanspruch. Wird die Dauerfristverlängerung im September 02 widerrufen, dann ist die Sondervorauszahlung im Voranmeldungszeitraum September 02 zu verrechnen. Die »Anrechnung« der Sondervorauszahlung auf die Vorauszahlung für den letzten Voranmeldungszeitraum bedeutet, dass die errechnete Vorauszahlung für diesen Zeitraum um die Sondervorauszahlung zu kürzen ist. Eine Kürzung kann aber nur erfolgen, wenn sich tatsächlich ein festzusetzender Vorauszahlungsbetrag ergibt. Ist eine Anrechnung der Sondervorauszahlung im September 02 aus diesem Grund nicht möglich, muss die Sondervorauszahlung in voller Höhe bzw. in anteiliger Höhe für die Jahresabrechnung verbleiben. Eine Erstattung der Sondervorauszahlung ist erst dann möglich, wenn und soweit die Sondervorauszahlung zur Tilgung der Jahressteuer nicht benötigt wird (so auch BFH vom 21.9.2021, VII R 9/18, BFH/NV 2022, 44, LEXinform 0951862). Nach einem Erlass (koordinierter Ländererlass) des FinMin Brandenburg vom 4.10.2010 (31 – S 7348 – 1/09, UR 2010, 922, LEXinform 5233054) ist die Anwendung des BFH-Urteils vom 16.12.2008 auf Insolvenzfälle beschränkt. Die Grundsätze der Anrechnung der USt-Sondervorauszahlung gelten auch im Fall der Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens (BFH vom 21.9.2021, VII R 9/18, BFH/NV 2022, 44).
Der Insolvenzverwalter hat in gleicher Weise wie bisher der Insolvenzschuldner USt-Voranmeldungen abzugeben. Voranmeldungszeitraum ist gem. § 18 Abs. 2 Satz 1 UStG grundsätzlich das Kalendervierteljahr. Von der Möglichkeit, ihn von der Verpflichtung zur Abgabe von Voranmeldungen gem. § 18 Abs. 2 Satz 3 UStG zu befreien, ist grundsätzlich kein Gebrauch zu machen (OFD Frankfurt vom 4.11.2009, S 7340 A – 85 – St 11, SIS 10 40 63, Rz. 96).
Insolvenzverwalter und Schuldner betreiben dasselbe Unternehmen, auch wenn sie umsatzsteuerrechtlich getrennt zu erfassen sind; der von ihnen einzuhaltende Voranmeldungszeitraum bestimmt sich nach den Umsätzen dieses (Gesamt-)Unternehmens (BFH Urteil vom 15.6.1999, VII R 3/97, BStBl II 2000, 46).
Soweit bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch USt-Voranmeldungen ausstehen, sind diese umgehend beim Insolvenzverwalter anzufordern. Kommt der Insolvenzverwalter dieser Aufforderung nicht nach, ist die USt-Vorauszahlung zeitnah im Wege der Schätzung (§ 162 AO) festzusetzen.
Mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens können sich für den Voranmeldungszeitraum der Verfahrenseröffnung Erklärungspflichten unterschiedlicher rechtlicher Qualitäten ergeben, die auch zu unterschiedlichen Rechtsfolgen führen.
Auch für die Zeit vom Beginn des Voranmeldungszeitraums bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens hat der Insolvenzverwalter die Erklärungspflichten des Insolvenzschuldners nachzuholen, die eigentlich diesen aus seiner bis dahin entfalteten unternehmerischen Tätigkeit treffen (vgl. § 80 InsO i.V.m. § 34 AO).
In dem anschließenden Zeitabschnitt von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bis zum Ende des Voranmeldungszeitraums – sowie den sich anschließenden Voranmeldungszeiträumen des Insolvenzverfahrens – hat der Insolvenzverwalter über die von ihm entfalteten und umsatzsteuerlich relevanten Aktivitäten sowie für Handlungen des Insolvenzverwalters nach Verfahrenseröffnung ebenfalls USt-Voranmeldungen abzugeben.
Da sich die Umsatzsteuerpflicht auf Handlungen des Insolvenzverwalters gründet und damit auch insolvenzrechtlich besonders eingeordnet wird (Masseschulden i.S.d. § 55 Abs. 2 InsO), hat für diesen Zeitraum eine gesonderte Steuerfestsetzung zu erfolgen.
Wird im Insolvenzverfahren ein starker vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt oder über das Vermögen des Unternehmers das Insolvenzverfahren eröffnet, ist für die Betriebssteuern eine neue Steuernummer (Masse-StNr.) zu vergeben. Der neu vergebenen Masse-StNr. ist grundsätzlich die bisher unter der alten Steuernummer vergebene USt-IdNr. zuzuordnen.
Da der schwache vorläufige Insolvenzverwalter nicht Vermögensverwalter nach § 34 Abs. 3 AO ist, hat er keine Steuererklärungspflichten für den Insolvenzschuldner zu erfüllen. § 55 Abs. 4 InsO verlagert lediglich den Zeitpunkt der Zuordnung von Steuerverbindlichkeiten in Masseverbindlichkeiten und Insolvenzforderungen von der Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf den Zeitpunkt der Bestellung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters vor (Rz. 30 und 31 des BMF-Schreibens vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116).
Erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gelten die nach Maßgabe des § 55 Abs. 4 InsO in der vorläufigen Insolvenzverwaltung begründeten und noch bestehenden Verbindlichkeiten als Masseverbindlichkeiten. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens sind die im vorläufigen Insolvenzverfahren abgegebenen USt-Voranmeldungen, bei denen die USt noch nicht bzw. nicht vollständig beglichen wurde, in Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO und Insolvenzforderungen aufzuteilen.
Für Zwecke der Zuordnung gilt Folgendes: Die in den betreffenden Voranmeldungszeiträumen mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters begründeten Steuern aus Lieferungen und sonstigen Leistungen i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO sind um die mit Zustimmung des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters begründeten Vorsteuerbeträge zu mindern. Nur soweit sich hiernach eine Zahllast ergibt, liegt eine Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO vor. Die als Masseverbindlichkeiten i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO geltenden USt-Verbindlichkeiten sind nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens für die Besteuerungszeiträume des Insolvenzeröffnungsverfahrens gegenüber dem Insolvenzverwalter durchzusetzen. Einwendungen hiergegen können nach den allgemeinen Grundsätzen, insbesondere im Wege des Einspruchs nach § 347 AO, geltend gemacht werden.
Nicht als Masseverbindlichkeit i.S.d. § 55 Abs. 4 InsO geltend zu machende Umsatzsteuerverbindlichkeiten sind als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle anzumelden (Rz. 36 des BMF-Schreibens vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116).
Mit Urteil vom 28.6.2000 (V R 87/99, BStBl II 2000, 639) hat der BFH folgenden Fall entschieden:
Unternehmer U (Insolvenzschuldner) |
|
Firma I |
Firma II |
Insolvenzmasse |
keine Insolvenzmasse |
Insolvenzverwalter bestimmt |
kein Verwaltungs- und Verfügungsverbot |
Entscheidungsgründe:
Die Insolvenzeröffnung hat auf die Unternehmereigenschaft des Insolvenzschuldners (§ 2 Abs. 1 Satz 1 UStG) keinen Einfluss; sie ändert auch nichts daran, dass das Unternehmen gem. § 2 Abs. 1 Satz 2 UStG die gesamte gewerbliche und berufliche Tätigkeit des Unternehmers erfasst (vgl. Urteile des BFH vom 14.5.1998, V R 74/97, BStBl II 1998, 634; vom 15.6.1999, VII R 3/97, BStBl II 2000, 46, und vom 16.7.1987, VR 80/82, BStBl II 1987, 691). Dementsprechend bestimmt sich die USt für das gesamte Unternehmen des Insolvenzschuldners zunächst ohne Rücksicht auf die Vorschriften des Insolvenzrechts ausschließlich nach dem Umsatzsteuerrecht. Gleichwohl ist die USt nicht gegenüber dem Insolvenzschuldner, sondern gegenüber dem Insolvenzverwalter festzusetzen, soweit das Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters reicht. Nach § 80 Abs. 1 InsO wird nämlich das Verwaltungs- und Verfügungsrecht über das zur Insolvenzmasse gehörige Vermögen durch den Insolvenzverwalter ausgeübt. In diesem Umfang hat er die steuerlichen Pflichten für den Insolvenzschuldner zu erfüllen (§ 34 Abs. 3 AO). Insoweit ist auch ihm gegenüber die USt festzusetzen (BFH Urteil vom 14.5.1998, V R 74/97, BStBl II 1998, 634).
Wird das Unternehmen des Insolvenzschuldners zum Teil vom Insolvenzverwalter i.R.d. ihm zustehenden Verwaltungs- und Verfügungsrechts und zum Teil vom Unternehmer (Insolvenzschuldner) mit Mitteln betrieben, die nicht dem Verwaltungs- und Verfügungsrecht des Insolvenzverwalters unterliegen, so ist die USt in zwei getrennten USt-Bescheiden festzusetzen, von denen der eine an den Insolvenzschuldner persönlich und der andere an den Insolvenzverwalter zu richten ist (vgl. BFH Urteil vom 15.6.1999, VII R 3/97, BStBl II 2000, 46).
Weist der leistende Unternehmer oder der von ihm beauftragte Dritte in einer Rechnung einen höheren Steuerbetrag aus, als der leistende Unternehmer nach dem Gesetz schuldet (unrichtiger Steuerausweis), schuldet der leistende Unternehmer auch den Mehrbetrag (§ 14c Abs. 1 Satz 1 UStG; s.a. Abschn. 14c.1 Abs. 1 Satz 1 UStAE; s. → Unrichtiger und unberechtigter Steuerausweis).
Bei der nach § 14c Abs. 1 oder 2 UStG geschuldeten Steuer kommt es auf den Zeitpunkt der Rechnungsausstellung an, so dass die USt dann zu den Massekosten gehört, wenn die Rechnung vom Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erstellt wurde.
Hat der Schuldner vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens eine Rechnung i.S.d. § 14c Abs. 1 oder 2 UStG erteilt sowie die zu hoch ausgewiesene Steuer abgeführt und wird die Rechnung vom Insolvenzverwalter nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens berichtigt, so zählt der Erstattungsanspruch nur dann zur Masse, wenn bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Gefährdung des Steueraufkommens bereits beseitigt gewesen ist (BFH Urteil vom 8.11.2016, VII R 34/15, BStBl II 2017, 496, Rz. 13).
Der Rechnungsaussteller kann die zu hoch ausgewiesene Steuer gegenüber dem Leistungsempfänger berichtigen (§ 14c Abs. 1 Satz 2 UStG). Hierbei ist § 17 Abs. 1 UStG (→ Änderung der Bemessungsgrundlage) entsprechend anzuwenden (Abschn. 14c.1 Abs. 5 UStAE). Wurde ein zu hoch ausgewiesener Rechnungsbetrag bereits vereinnahmt und steht dem Leistungsempfänger aus der Rechnungsberichtigung ein Rückforderungsanspruch zu, ist die Berichtigung des geschuldeten Mehrbetrags erst nach einer entsprechenden Rückzahlung an den Leistungsempfänger zulässig (Abschn. 14c.1 Abs. 5 Satz 4 UStAE).
Mit Urteil vom 16.5.2018 (XI R 28/16, BStBl II 2022, 570) bestätigt der BFH die bisherige Rspr. und die Verwaltungsregelung in Abschn. 14c.1 Abs. 5 Satz 4 UStAE. Die Berichtigung eines Steuerbetrags nach § 14c Abs. 1 Satz 2, § 17 Abs. 1 UStG setzt zur Vermeidung einer ungerechtfertigten Bereicherung grds. voraus, dass der Rechnungsaussteller die vereinnahmte und abgeführte Steuer an den Leistungsempfänger zurückgezahlt hat. Ist dies nicht geschehen, ist das FA berechtigt, die Erstattung der zu Unrecht erhobenen USt zu verweigern.
Beispiel 6:
Ein Unternehmer erteilt nachstehende Abrechnung über einen Umsatz, der dem ermäßigten Steuersatz nach § 12 Abs. 2 UStG unterliegt:
Entgelt |
1 000 € |
+ 19 % USt |
190 € |
Rechnungsbetrag |
1 190 € |
Lösung 6:
Wird der Rechnungsbetrag um die zu hoch ausgewiesene Steuer herabgesetzt, ergibt sich folgende berichtigte Rechnung:
Entgelt |
1 000 € |
+ 7 % USt |
70 € |
Rechnungsbetrag |
1 070 € |
Diese berichtigte Rechnung ist für Zwecke der Berichtigung des Steuerbetrags nur anzuerkennen, soweit der leistende Unternehmer vom bereits vereinnahmten Rechnungsbetrag den Differenzbetrag i.H.v. 120 € (= 1 190 € ./. 1 070 €) an den Leistungsempfänger zurückgewährt (BFH vom 16.5.2018, XI R 28/16, BStBl II 2022, 570, Rz. 49 ff.; s.u.).
Ohne die Rückzahlung der USt an den Leistungsempfänger wäre der Leistende bei einer Korrektur seiner USt und durch deren Erstattung durch das FA ungerechtfertigt bereichert (BFH XI R 28/16, Rz. 52). Die Rechnungsberichtigung als formaler Akt gegenüber dem Leistungsempfänger allein reicht für die wirksame Berichtigung eines Steuerbetrags i.S.v. § 14c Abs. 1 Satz 2, § 17 Abs. 1 UStG mit der Folge, dass dieser dem Rechnungsaussteller zu erstatten ist, nicht aus (BFH XI R 28/16, Rz. 50).
Mit Urteil vom 30.6.2015 (VII R 30/14, BStBl II 2022, 246) hat der BFH entschieden, dass der Leistungsempfänger keine Erstattung nicht geschuldeter USt aus § 37 Abs. 2 AO bei Insolvenz des Rechnungsausstellers beanspruchen kann.
Ein Unternehmer (Leistungsempfänger) rief den BFH an, nachdem er festgestellt hatte, dass sein Vertragspartner (Leistungserbringer) ihm zu Unrecht USt in Rechnung gestellt hatte. Nach entsprechender Rechnungsberichtigung verlangte er die Erstattung der von ihm an sein FA zurückgezahlten Vorsteuerbeträge. Hinzu kam noch, dass der Vertragspartner insolvent wurde und der Insolvenzverwalter zwar vom zuständigen FA die zu Unrecht in Rechnung gestellte USt nach Rechnungsberichtigung in voller Höhe erhielt, diese aber nur entsprechend der Insolvenzquote an den Unternehmer (Leistungsempfänger) auszahlte. Das für den Leistungsempfänger zuständige FA lehnte durch Abrechnungsbescheid die Erstattung der USt an diesen ab.
Der BFH hielt dies für zutreffend. Nach Ansicht des BFH kann der Unternehmer (Leistungsempfänger) seinen Erstattungsanspruch nicht auf § 37 Abs. 2 AO stützen. Ein Leistungsempfänger, der einen überhöhten Umsatzsteuerbetrag an einen Rechnungsaussteller geleistet, die insoweit zu viel erstattete Vorsteuer an das FA zurückgezahlt und gegen den Rechnungsaussteller einen zivilrechtlichen Bereicherungsanspruch hat, hat keinen Direktanspruch gegen den Fiskus auf Erstattung des überhöhten Umsatzsteuerbetrags, wenn der Rechnungsaussteller zwischenzeitlich insolvent ist und es dem Leistungsempfänger daher unmöglich ist, die zu viel gezahlte USt vom Rechnungsaussteller zurückzuerhalten (BFH vom 30.6.2015, VII R 30/14, BStBl II 2022, 246).
Beachte:
Der EuGH hat allerdings mit Urteil vom 15.3.2007 (C-35/05, UR 2007, 343, 430, LEXinform 5210446) entschieden, dass die an das FA gezahlte USt grundsätzlich nicht erstattungsfähig ist. Kann der Dienstleistungsempfänger den Dienstleistungserbringer zivilrechtlich nicht in Regress nehmen, also insbesondere im Falle von dessen Zahlungsunfähigkeit, können die gemeinschaftsrechtlichen Grundsätze es gebieten, dass der Dienstleistungsempfänger seinen Antrag auf Erstattung unmittelbar an die Steuerbehörden richten kann. Damit der Grundsatz der Effektivität gewahrt wird, müssen deshalb die Mitgliedstaaten die erforderlichen Mittel und Verfahrensmodalitäten vorsehen, die es dem Dienstleistungsempfänger ermöglichen, die zu Unrecht in Rechnung gestellte Steuer erstattet zu bekommen (s.a. Meyer-Burow u.a., UStB 12/2015, 353 sowie Anmerkung vom 15.3.2007, LEXinform 0401655).
Hat ein nach seiner Unternehmenstätigkeit zum Vorsteuerabzug berechtigter Rechnungsempfänger eine gesetzlich nicht geschuldete, aber gleichwohl in einer ansonsten ordnungsgemäßen Rechnung ausgewiesene USt gezahlt, kann er im Rahmen eines sog. Direktanspruchs entsprechend dem EuGH-Urteil Reemtsma (C-35/05) eine »Rückzahlung« von der Finanzverwaltung verlangen, wenn eine Rückforderung vom Rechnungsaussteller insbes. im Hinblick auf dessen Zahlungsunfähigkeit übermäßig erschwert ist. Hierüber ist im Billigkeitsverfahren nach § 163 AO zu entscheiden (BFH vom 30.6.2015, VII R 30/14, BStBl II 2022, 246 unter II.2.b bb).
Hinweis:
Die Verpflichtung zur Rückzahlung des Mehrbetrages an den Leistungsempfänger besteht auch in den Fällen, in denen über das Vermögen des Rechnungsausstellers das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist (FG Münster vom 8.10.2020, 5 K 20/17, LEXinform 5023370). Denn würde in den Fällen der Insolvenz des Rechnungsausstellers das Rückzahlungserfordernis nicht gelten, dann wären der Rechnungsaussteller bzw. dessen Gläubiger auf Kosten des Leistungsempfängers dadurch (doppelt) begünstigt, dass zum einen der Mehrbetrag an ihn erstattet würde und zum anderen er den Mehrbetrag aber nicht an den Leistungsempfänger zurückzahlen müsste, weil der Anspruch des Leistungsempfängers gegen den Insolvenzschuldner nur eine quotal zu erfüllende Insolvenzforderung darstellen würde (s. FG Münster vom 8.10.2020, 5 K 20/17 unter 2.c). Ein Umsatzsteuererstattungsanspruch des Rechnungsausstellers besteht daher nur bzw. insoweit, wie der leistende Unternehmer die Umsatzsteuer an den Leistungsempfänger zurückgezahlt hat.
Das zuständige FA hätte den Mehrbetrag an den Rechnungsaussteller (Insolvenzschuldner) nicht auszahlen dürfen. Erst nachdem dieser den Mehrbetrag an den Leistungsempfänger ausgezahlt hat, darf der Mehrbetrag an den Rechnungsaussteller zurückgezahlt werden.
Mit Beschluss vom 5.1.2021 (XI S 20/20 (PKH), LEXinform 4228016) hat der BFH den Antrag auf Ge-währung von Prozesskostenhilfe für eine noch einzulegende Revision gegen das Urteil des FG Münster vom 8.10.2020 (5 K 20/17) abgelehnt. Denn die beabsichtigte Revision bietet bei der gebotenen summarischen Prüfung jedenfalls keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Das FG hat zu Recht entschieden, dass nach § 14c Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 UStG die Verpflichtung zur Rückzahlung des Mehrbetrags an den Leistungsempfänger auch in den Fällen besteht, in denen über das Vermögen des Rechnungsausstellers das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist (s.a. Anmerkung vom 13.4.2021, LEXinform 0653829).
Zum Direktanspruch in der Umsatzsteuer und zur Anwendung der BFH-Urteile vom 30.6.2015 (VII R 30/14, BStBl II 2022, 246) und vom 22.8.2019 (V R 50/16, BStBl II 2022, 290) nimmt das BMF (koordinierter Ländererlass) mit Schreiben vom 12.4.2022 (BStBl I 2022, 652) Stellung. Dabei wird in Abschn. 15.11 UStAE ein neuer Abs. 8 angefügt: »In der Rspr. wurde das sich aus dem Unionsrecht ergebende Rechtsinstrument des Direktanspruchs in der Umsatzsteuer entwickelt (vgl. EuGH vom 15.3.2007, C-35/05, Reemtsma Cigarettenfabriken). Danach kann ein Leistungsempfänger unter bestimmten Voraussetzungen über eine Billigkeitsmaßnahme die Erstattung einer rechtsgrundlos an den Leistenden gezahlten Umsatzsteuer direkt vom Fiskus (statt vom Leistenden) verlangen, vgl. BMF vom 12.4.2022, BStBl I 2022, 652.
Hinweis:
Nach Rz. 11 des BMF-Schreibens vom 12.4.2022 hat der Leistungsempfänger seinen Anspruch auf Erstattung einer unzutreffend in Rechnung gestellten und rechtsgrundlos gezahlten USt regelmäßig zunächst zivilrechtlich gegenüber dem Leistenden geltend zu machen. Der Direktanspruch kann daher nur nachrangig gegenüber dem Verfahren zur Steuerberichtigung nach § 14c Abs. 1 UStG zum Tragen kommen. Von einer von vornherein unmöglichen oder übermäßig erschwerten Erstattung durch den Leistenden ist regelmäßig nur im Fall eines bereits mangels Masse abgelehnten Insolvenzantrages über dessen Vermögen auszugehen. Die bloße Zahlungsunfähigkeit des Leistenden im Sinne der InsO genügt dafür nicht. Im Fall eines vorliegenden Insolvenzantrages bzw. eines laufenden Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Leistenden besteht für den Leistungsempfänger noch Aussicht, den geltend gemachten Anspruch in Höhe der Quote teilweise zu erhalten. Ein Direktanspruch kann dann ggf. nur in Höhe der Differenz zwischen dem Erstattungsanspruch gegenüber dem Leistenden und der erhaltenen Quote entstehen. Über den Direktanspruch kann daher nach Anmeldung der Forderungen zur Tabelle erst entschieden werden, wenn das Insolvenzverfahren abgeschlossen und ggf. die Quote zugeteilt ist. Sofern in einem laufenden Insolvenzverfahren keine Anmeldung der Forderung zur Tabelle mehr möglich ist, sind die Gründe hierfür bei der Billigkeitsentscheidung über den Direktanspruch zu berücksichtigen (BMF vom 12.4.2022, Rz. 11).
Es obliegt dem den Direktanspruch begehrenden Leistungsempfänger, nachzuweisen, dass der zivilrechtliche Anspruch gegenüber dem Leistenden (weiterhin) besteht und es unmöglich oder übermäßig erschwert ist, die Erstattung der irrtümlich in Rechnung gestellten und rechtsgrundlos gezahlten USt vom Leistenden zu erlangen.
Zur Weigerung der Steuerverwaltung, dem Leistungsempfänger die rechtsgrundlos gezahlte Mehrwertsteuer wegen nicht mehrwertsteuerpflichtiger Umsätze zu erstatten, hat der EuGH mit Urteil vom 13.10.2022 (C-397/21, LEXinform 0953541) zu einem ungarischen Vorabentscheidungsersuchen Stellung genommen.
Entscheidungssachverhalt
Die Firma H beauftragte die Firma B mit der Erbringung von Dienstleistungen im Rahmen des Projekts zur Errichtung des ungarischen Pavillons bei der Weltausstellung von 2015 in Mailand. Für diese Dienstleistungen stellte die B Rechnungen mit Mehrwertsteuerausweis aus. Die Firma H bezahlte die Rechnungen und die Firma B führte die erhaltene Mehrwertsteuer an die ungarische Steuerverwaltung ab. Die Firma H hat ihr – zunächst bestehendes – Recht auf Vorsteuerabzug nicht ausgeübt.
Später stellte die Steuerverwaltung fest, dass in Ungarn keine Steuerschuld bestanden hatte, weil sich die Erbringung von Dienstleistungen auf ein in Italien belegenes Grundstück bezogen hatte. Der Antrag von H auf Erstattung der Mehrwertsteuer zzgl. Zinsen gegenüber der Steuerverwaltung blieb erfolglos. Die Wiedererlangung der rechtsgrundlos entrichteten Mehrwertsteuer auf dem Zivilrechtsweg war unmöglich oder übermäßig schwierig, weil über die Firma B zwischenzeitlich ein Liquidationsverfahren eröffnet worden war.
Entscheidungsgründe
In Rz. 23 seiner Entscheidung C-397/21 stellt der EuGH die Übertragbarkeit dieses Verfahrens auf die Reemtsma-Rechtsprechung vom 15.3.2007 (C-35/05, UR 2007, 343, 430, LEXinform 5210446) fest. In beiden Verfahren waren Dienstleistungen im betreffenden Mitgliedstaat nicht mehrwertsteuerpflichtig, weil sie in einem anderen Mitgliedstaat erbracht worden waren.
Aus dem Vorabentscheidungsersuchen C-397/21 geht hervor, dass im vorliegenden Fall weder Missbrauch noch Betrug vorlag, da der Dienstleistungsempfänger H und der Dienstleistungserbringer B beide gutgläubig waren. Folglich gilt für das Ausgangsverfahren wie für die Reemtsma-Rechtssache, dass keine Gefahr eines Steuerausfalls besteht und es für den Dienstleistungsempfänger H unmöglich oder übermäßig schwierig ist, vom Dienstleistungserbringer B die rechtsgrundlos gezahlte Mehrwertsteuer erstattet zu bekommen, da über diesen zwischenzeitlich ein Liquidationsverfahren eröffnet wurde (EuGH C-397/21, Rz. 24).
Der EuGH weist in Rz. 26 seiner Entscheidung C-397/21 darauf hin, dass die Mitgliedstaaten das Recht haben, Strafen vorzusehen, um die Stpfl. zur Einhaltung der von ihnen zu beachtenden formellen Anforderungen anzuhalten und damit das ordnungsgemäße Funktionieren des Mehrwertsteuersystems zu gewährleisten. So könnte einem Stpfl., dessen Antrag auf Erstattung der rechtsgrundlos entrichteten Mehrwertsteuer auf seine eigene Nachlässigkeit zurückzuführen ist, eine Geldbuße auferlegt werden.
Aufgrund des Stellenwerts dieses Grundsatzes im gemeinsamen Mehrwertsteuersystem erscheint eine Strafe, die einer absoluten Verwehrung des Rechts auf Erstattung der fälschlich in Rechnung gestellten und entrichteten Mehrwertsteuer entspricht, unangemessen.
Hinweis:
Beim EuGH sind zwei weitere Vorabentscheidungsersuchen zum Umfang und zu den Einschränkungsmöglichkeiten des Direktanspruchs anhängig.
Das FG Münster hat mit Beschluss vom 27.6.2022 (15 K 2327/20, EFG 2022, 1577, LEXinform 5024759) dem EuGH (Az. C-453/22) die Frage zur Reichweite des Direktanspruchs vorgelegt. Im Vorlageverfahren wendete sich der Leistungsempfänger mit der Bitte an seine Vorlieferanten, die Rechnungen ihm gegenüber zu berichtigen und ihm den Differenzbetrag auszuzahlen. Die Vorlieferanten beriefen sich jedoch auf die Einrede der Verjährung. Daraufhin stellte der Leistungsempfänger – ohne Erfolg – einen Antrag beim FA, ihm die nachgeforderte USt im Wege der Billigkeit gem. §§ 163, 227 AO zu erlassen.
Mit Urteil vom 7.9.2023 (C-453/22, LEXinform 0854228) hat der EuGH die Vorlagefrage des FG Münster beantwortet. Danach hat der Leistungsempfänger einen Anspruch auf Erstattung der zu Unrecht in Rechnung gestellten USt, die er an seinen Vorlieferanten gezahlt hat und die dieser an das FA abgeführt hat (s. die ausführliche Kommentierung dazu unter → Unrichtiger und unberechtigter Steuerausweis unter dem Gliederungspunkt »Rechnungsberichtigung«).
Im Revisionsverfahren gegen das Urteil des FG Düsseldorf vom 4.12.2020 (1 K 1510/18, EFG 2021, 1969, LEXinform 5024137; Revision eingelegt, Az. BFH XI R 6/21) hat der BFH mit Beschluss vom 3.11.2022 (XI R 6/21, BStBl II 2023, 469) das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH Fragen zum Bestehen eines Direktanspruchs vorgelegt (Az. EuGH: C-83/23, LEXinform 0954626; s.a. Anmerkung vom 22.2.2023, LEXinform 0888836; Nieskens, UR 2023, 269 sowie Brill, NWB 8/2023, 521).
Es handelt sich dabei nicht um das Bestehen eines Direktanspruchs im Zusammenhang mit einem Insolvenzverfahren, sondern es geht um die Frage, ob einem Leistungsempfänger mit Ansässigkeit im Inland ein sog. Direktanspruch gegen die inländische FinVerw entsprechend dem Urteil des EuGH vom 15.3.2007 (C-35/05, Reemtsma) zusteht, wenn
dem Leistungsempfänger von einem Leistenden, der gleichfalls im Inland ansässig ist, eine Rechnung mit inländischem Steuerausweis erteilt wird, die der Leistungsempfänger bezahlt, wobei der Leistende die in der Rechnung ausgewiesene Steuer ordnungsgemäß versteuert,
es sich bei der in Rechnung gestellten Leistung aber um eine in einem anderen Mitgliedstaat erbrachte Leistung handelt.
Mit Beschluss vom 19.7.2007 (V B 222/06, BStBl II 2008, 163) hat der BFH zu den Voraussetzungen des § 13b Abs. 2 Nr. 2 UStG »Lieferung außerhalb des Insolvenzverfahrens« wie folgt entschieden: Die Veräußerung eines sicherungsübereigneten Gegenstands durch den Sicherungsnehmer an einen Dritten führt zu einem sog. Doppelumsatz, nämlich zu einer Lieferung des Sicherungsnehmers an den Erwerber (Dritten) und zugleich zu einer Lieferung des Sicherungsgebers an den Sicherungsnehmer. Hat der Sicherungsnehmer einen sicherungsübereigneten Gegenstand vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Besitz genommen, aber erst nach der Eröffnung verwertet, liegt keine »Lieferung eines sicherungsübereigneten Gegenstands durch den Sicherungsgeber an den Sicherungsnehmer außerhalb des Insolvenzverfahrens« i.S.d. § 13b Abs. 2 Nr. 2 UStG vor. Die Veräußerung des Sicherungsguts nach Insolvenzeröffnung durch den Gläubiger führt zu einem Erstattungsanspruch der USt an die Masse (s.a. BFH Beschluss vom 20.4.2004, V B 107/03, BFH/NV 2004, 1302, LEXinform 5900028).
Der BGH hat mit Urteil 29.3.2007 (IX ZR 27/06, UR 2077, 583, LEXinform 1545234) Folgendes entschieden: Hat der wegen sicherungsübereigneter Gegenstände zur abgesonderten Befriedigung berechtigte Gläubiger das Sicherungsgut vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Besitz genommen, aber erst nach der Eröffnung verwertet, hat er i.H. der wegen der Lieferung des Sicherungsgutes an ihn angefallenen USt-Schuld aus dem Verwertungserlös einen Betrag in dieser Höhe in analoger Anwendung von § 13b Abs. 2 Nr. 2 UStG, § 170 Abs. 2, § 171 Abs. 2 Satz 3 InsO an die Masse abzuführen.
Zur umsatzsteuerrechtlichen Behandlung der Verwertung sicherungsübereigneter beweglicher Gegenstände s. → Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers.
Die Verwertung von Sicherungsgut begründet keine Umsatzsteuerverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 InsO. Derartige Umsätze unterliegen weiterhin der Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach § 13b Abs. 2 Nr. 2 UStG. Durch die Fiktion in § 55 Abs. 4 InsO werden diese Umsätze nicht zu Umsätzen »innerhalb« des Insolvenzverfahrens (Rz. 27 des BMF-Schreibens vom 11.1.2022, BStBl I 2022, 116).
Zur Insolvenz in Fällen umsatzsteuerlicher → Organschaft s. die Vfg. der OFD Frankfurt vom 28.7.2021 (S 7105 A – 21 – St 110.2, UR 2021, 800 sowie Abschn. 2.8 Abs. 12 UStAE.
Die Beantragung der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Organträgers oder der Organgesellschaft führt nicht zur Beendigung der Organschaft. Diese Maßnahme ändert nichts an der Eingliederung der Organgesellschaft in das Unternehmen des Organträgers (OFD Niedersachsen vom 27.7.2017, S 7105 – 49 – St 186, UR 2017, 985, LEXinform 5236386, Tz. 1.3.1).
Spätestens mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Organträgers oder der Organgesellschaft endet das Organschaftsverhältnis, da zu diesem Zeitpunkt das Verwaltungs- und Verfügungsrecht nach § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter übergeht und somit die finanzielle Eingliederung entfällt (s.a. BFH vom 15.12.2016, V R 14/16, BStBl II 2017, 600, Rz. 28 ff.; Anmerkung vom 21.3.2017, LEXinform 0653135; Abschn. 2.8 Abs. 12 Satz 1 UStAE). Ab diesem Zeitpunkt ist nicht mehr gewährleistet, dass der Wille des Organträgers in der Organgesellschaft auch tatsächlich ausgeführt wird (vgl. BFH vom 13.3.1997, V R 96/96, BStBl II 1997, 580). Bestellt das Insolvenzgericht im Verfahren einen Insolvenzverwalter, folgt dies bereits daraus, dass das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwalten und darüber zu verfügen, gem. § 80 Abs. 1 InsO auf den Insolvenzverwalter übergeht (Abschn. 2.8 Abs. 12 UStAE). Dies gilt jeweils auch bei Bestellung eines Sachwalters im Rahmen der Eigenverwaltung nach § 270 ff. InsO (Abschn. 2.8 Abs. 12 Satz 2 UStAE). Die vorläufige Eigenverwaltung unter Aufsicht eines vorläufigen Sachwalters über das Vermögen des Organträgers oder der Organgesellschaft führt nicht zur Beendigung der Organschaft (OFD Niedersachsen vom 27.7.2017, S 7105 – 49 – St 186, UR 2017, 985, LEXinform 5236386, Tz. 1.3.5), wenn das Insolvenzgericht lediglich bestimmt, dass ein vorläufiger Sachverwalter bestellt wird, sowie eine Anordnung gem. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO erlässt (BFH vom 27.11.2019, XI R 35/17, BStBl II 2021, 252; s.a. Anmerkung vom 4.3.2020, LEXinform 0889233 sowie Abschn. 2.8 Abs. 12 Satz 6 UStAE i.d.F. des BMF-Schreibens vom 4.3.2021, BStBl I 2021, 316). Zur Eigenverwaltung s. → Insolvenzverfahren unter »Eigenverwaltung und Schutzschirmverfahren«.
Im Rahmen des SanInsFoG vom 22.12.2020 (BGBl I 2020, 3256) wurde die InsO bezüglich der Regelungen zum Eigenverwaltungsverfahren (§§ 270 ff. InsO) ergänzt. Nach § 276a Abs. 3 InsO in der ab dem 1. Januar 2021 geltenden Fassung findet nunmehr § 276a Abs. 1 InsO auch vor Verfahrenseröffnung Anwendung, wenn die vorläufige Eigenverwaltung oder eine andere Sicherungsmaßnahme angeordnet wurde.
Ist der Schuldner eine juristische Person oder eine rechtsfähige PersGes, so haben der Aufsichtsrat, die Gesellschafterversammlung oder entsprechende Organe keinen Einfluss auf die Geschäftsführung des Schuldners. Die Abberufung und Neubestellung von Mitgliedern der Geschäftsleitung ist nur wirksam, wenn der Sachwalter zustimmt. Die Zustimmung ist zu erteilen, wenn die Maßnahme nicht zu Nachteilen für die Gläubiger führt.
Zu den Auswirkungen der Anordnungen der vorläufigen Eigenverwaltung unter Bestellung eines vorläufigen Sachwalters und Erlass einer Anordnung i.S.v. § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 InsO auf eine umsatzsteuerliche Organschaft s. BMF vom 4.3.2021 (BStBl I 2021, 316) sowie Abschn. 2.8 Abs. 12 Satz 6 UStAE.
Die Regelung des § 276a Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 InsO in der ab 1.1.2021 geltenden Fassung hat Auswirkung auf eine umsatzsteuerliche Organschaft. Unter den Voraussetzungen des § 276a Abs. 1 InsO führt auch die vorläufige Eigenverwaltung zur Beendigung der Organschaft. S. BMF vom 22.6.2021 (BStBl I 2021, 856) sowie Abschn. 2.8 Abs. 12 Satz 7 UStAE.
Sofern ein vorläufiger Insolvenzverwalter (starker oder schwacher) für das Vermögen des Organträgers oder der Organgesellschaft bestellt wird, endet die Organschaft mit Wirksamwerden der Bestellung des vorläufigen Insolvenzverwalters (BFH vom 5.4.2022, VII R 18/21, BStBl II 2023, 3, Rz. 23; Abschn. 2.8 Abs. 12 Satz 3 und 4 UStAE).
Mit Beendigung der Organschaft ist die ehemalige Organgesellschaft als selbstständiger Unternehmer i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG zu beurteilen. Die Unternehmereigenschaft ist auch dann zu bejahen, wenn nach Beendigung des Organschaftsverhältnisses lediglich Verwertungshandlungen im geringen Umfang vorgenommen werden, sodass diese Tätigkeit für sich betrachtet nicht nachhaltig ist. Die Organgesellschaft war jedoch zur Zeit der Organschaft ein Unternehmensteil, der lediglich nicht selbstständig war, so dass auch die Tätigkeit vor Beendigung der Organschaft in die Beurteilung der Unternehmereigenschaft einzubeziehen ist.
Die Unternehmereigenschaft endet nicht vor Abschluss der letzten Liquidationshandlungen (BFH vom 9.12.1993, V R 108/91, BStBl II 1994, 483). Auf eine getrennte umsatzsteuerliche Erfassung der ehemaligen Organgesellschaft ist deshalb zu achten. Für die Frage der Besteuerungsform und des Voranmeldungszeitraums der ehemaligen Organgesellschaft sind grundsätzlich die Verhältnisse des Organkreises zu berücksichtigen.
Wird der Antrag der Organgesellschaft auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt, so bleibt die vorher bestehende finanzielle, organisatorische und wirtschaftliche Eingliederung unberührt. Die Organgesellschaft rechnet so lange zum Unternehmen des Organträgers, bis die Liquidation abgeschlossen und das vorhandene Gesellschaftsvermögen veräußert ist (BFH Beschluss vom 27.9.1991, V B 78/91, BFH/NV 1992, 346).
Nach dem BFH-Urteil vom 15.12.2016 (V R 14/16, BStBl II 2017, 600) endet die Organschaft auch mit der Insolvenzeröffnung über das Vermögen des Organträgers. Aufgrund der Zusammenfassung zu einem Unternehmen ist der Organträger Steuerschuldner für alle Leistungen, die die Unternehmensteile des Organkreises gegenüber Dritten erbringen. Der Organträger übernimmt die – nach § 370 AO strafbewährte – Verantwortung für die Umsatztätigkeit der mit ihm verbundenen juristischen Person (BFH vom 2.12.2015, V R 15/14, BStBl II 2017, 553, Rz. 24). So sind die von der Organgesellschaft gegenüber Dritten ausgeführten Umsätze dem Organträger zuzurechnen. Leistungsbezüge der Organgesellschaft von Dritten werden dem Organträger gleichfalls zugerechnet und berechtigen diesen zum Vorsteuerabzug. Leistungsbeziehungen zwischen Organträger und Organgesellschaft sind demgegenüber als Innenumsätze nicht steuerbar und begründen kein Recht auf Vorsteuerabzug. Die vom Organkreis geschuldete Steuer ist einheitlich in einem gegenüber dem Organträger zu erlassenden Steuerbescheid festzusetzen (BFH vom 15.12.2016, V R 14/16, BStBl II 2017, 600, Rz. 17).
Anders als das Umsatzsteuerrecht mit der Organschaft fasst das Insolvenzrecht die Verfahren mehrerer Personen nicht zusammen. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 InsO kann das Insolvenzverfahren über das Vermögen jeder natürlichen und jeder juristischen Person eröffnet werden. Dies gilt gem. § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO auch für das Vermögen einer Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit wie z.B. einer offenen Handelsgesellschaft oder einer Kommanditgesellschaft. Sowohl hinsichtlich der Feststellung des Insolvenzgrundes als auch in Bezug auf die Abwicklung des Insolvenzverfahrens bleiben verbundene Unternehmen daher insolvenzrechtlich selbstständig. Die Insolvenz eines herrschenden Unternehmens erstreckt sich daher nach geltendem Recht nur auf dessen Vermögen, nicht dagegen auf das Vermögen seiner Tochtergesellschaften. Die Vermögensmassen insolvenzfähiger Gesellschaften und Personen sind dementsprechend trotz konzernmäßigen Verbundes getrennt abzuwickeln, so dass es keine Konzerninsolvenz gibt (BFH vom 15.12.2016, V R 14/16, BStBl II 2017, 600, Rz. 20; Abschn. 2.8 Abs. 12 UStAE).
Organträger |
Organgesellschaften |
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GmbH |
GmbH 1 |
GmbH 2 |
GmbH 3 |
Vermögensmasse |
Vermögensmasse |
Vermögensmasse |
Vermögensmasse |
Insolvenzverfahren |
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Die Insolvenz erstreckt sich nur auf das Vermögen des Organträgers, nicht dagegen auf das Vermögen der Tochtergesellschaften. Die Vermögensmassen insolvenzfähiger Gesellschaften und Personen sind dementsprechend trotz konzernmäßigen Verbundes getrennt abzuwickeln, so dass es keine Konzerninsolvenz gibt (BFH vom 15.12.2016, V R 14/16, BStBl II 2017, 600, Rz. 20). |
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Die insolvenzrechtliche Trennung ist auch bei der Umsatzsteuer zu beachten (BFH vom 15.12.2016, V R 14/16, BStBl II 2017, 600, Rz. 25). |
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Ab dem Zeitpunkt der Beendigung der Organschaft stellen Organträger und Organgesellschaft zwei selbstständige umsatzsteuerliche Rechtssubjekte dar, die zueinander in Leistungsaustauschbeziehungen treten können (BFH vom 11.1.1990, V R 156/84, BFH/NV 1990, 741, LEXinform 0097168). Die damit verbundene Trennung des Organkreises in verschiedene Unternehmen beinhaltet keine (Teil-)Geschäftsveräußerung (OFD Niedersachsen vom 27.7.2017, S 7105 – 49 – St 186, UR 2017, 985, LEXinform 5236386, Tz. 2.1) |
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Der Umsatzsteueranspruch für die Umsatztätigkeit der Insolvenzmasse nach Insolvenzeröffnung ist eine Masseverbindlichkeit gem. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. Dies gilt aber nur für den Umsatzsteueranspruch aus der eigenen Umsatztätigkeit des bisherigen Organträgers, nicht aber auch für den Umsatzsteueranspruch, der auf die Umsatztätigkeit seiner bisherigen Organgesellschaften entfällt (BFH vom 15.12.2016, V R 14/16, BStBl II 2017, 600, Rz. 24). Zur Insolvenzmasse des Organträgers gehört daher nur seine Beteiligung an der Organgesellschaft, nicht aber auch das Vermögen der Organgesellschaft. |
Der Umsatzsteueranspruch aus der Umsatztätigkeit der bisherigen Organgesellschaften richtet sich nunmehr gegen diese. Daher begründet die Umsatztätigkeit der bisherigen Organgesellschaften in der Insolvenz des bisherigen Organträgers keine Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO. |
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Bei der Annahme einer fortbestehenden Organschaft bestünde für das FA nur die Möglichkeit, einen auf die eigene Umsatztätigkeit des Organträgers beschränkten Steuerbescheid zu erlassen und die Organgesellschaft als Haftende nach § 73 AO in Anspruch zu nehmen. Dies ist mit dem umsatzsteuerrechtlichen Grundsatz der organschaftlichen Unternehmenseinheit und der mit der Organschaft bezweckten Verwaltungsvereinfachung nicht vereinbar (BFH vom 15.12.2016, V R 14/16, BStBl II 2017, 600, Rz. 25). |
Umsätze, die von der Organgesellschaft vor Beendigung der Organschaft ausgeführt wurden, sind grundsätzlich dem Organträger zuzurechnen und von diesem zu versteuern, auch wenn die hierauf entfallende USt erst mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums der Tatbestandsverwirklichung und damit u.U. nach Beendigung der Organschaft entsteht. Entscheidend ist, dass das die USt auslösende Ereignis (Leistung der Organgesellschaft bzw. in Fällen der Istbesteuerung die Vereinnahmung des Entgelts durch die Organgesellschaft) vor Beendigung der Organschaft eintritt. Berichtigungsansprüche nach § 17 UStG, die diese Umsätze betreffen, richten sich nur dann gegen den Organträger, wenn der Zeitpunkt des den Berichtigungsanspruch auslösenden Ereignisses vor Beendigung der Organschaft liegt. Tritt das auslösende Ereignis jedoch nach Beendigung der Organschaft ein, richten sich die Berichtigungsansprüche gegen die Organgesellschaft.
Hinweis:
Grds. werden jegliche Umsätze der Organgesellschaft einschließlich der Verwirklichung der Entnahmetatbestände und der übrigen Umsätze nach § 1 Abs. 1 Nrn. 4 und 5 UStG dem Organträger zugerechnet. Dieser ist Schuldner der auf diese Umsätze entfallenden USt. Er hat alle Pflichten zu erfüllen, die sich aus § 18 UStG für den Unternehmer ergeben. Er allein gibt Voranmeldungen und Jahreserklärungen für den gesamten Organkreis ab. Die Organgesellschaft hat grds. keine Steuererklärungspflicht (BFH Beschluss vom 11.12.2019, XI R 16/18, BFH/NV 2020, 598, LEXinform 5022839 und BFH vom 5.4.2022, VII R 18/21, BStBl II 2023, 3, Rz. 22).
Umsätze, die nach Beendigung der Organschaft von der Organgesellschaft ausgeführt werden, sind dagegen grundsätzlich von der Organgesellschaft als leistendem Unternehmer zu versteuern. Hat jedoch der Organträger An- und Vorauszahlungen auf diese Umsätze bereits der Umsatzbesteuerung unterworfen (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4, Buchst. b UStG), so bleibt diese Besteuerung auch nach Beendigung der Organschaft bestehen. Von der Organgesellschaft ist dementsprechend nur der im Zeitpunkt der Beendigung der Organschaft noch offene Restbetrag zu versteuern (BFH vom 21.6.2001, V R 68/00, BStBl II 2002, 255; OFD Niedersachsen vom 27.7.2017, S 7105 – 49 – St 186, UR 2017, 985, LEXinform 5236386, Tz. 2.2 und 2.3).
Mit Urteil vom 5.4.2022 (VII R 18/21, BStBl II 2023, 3) nimmt der BFH Stellung zur Haftung der Organgesellschaft für nach Beendigung der Organschaft entstandene Steuern (s.a. Anmerkung vom 13.9.2022, LEXinform 0653977).
Das FG Sachsen (Urteil vom 13.4.2021, 3 K 1304/19, EFG 2021, 1953) gab dem Insolvenzverwalter recht. Eine Haftung nach § 73 AO für die USt für den Voranmeldungszeitraum März 14 bestehe nicht, weil diese bei Beendigung der Organschaft am 27.3.14 rechtlich noch nicht entstanden gewesen sei. Die Steuer für die Leistungen im Voranmeldungszeitraum März 14 sei erst mit Ablauf des 31.3.14 entstanden. Auf eine wirtschaftliche oder insolvenzrechtliche Verursachung der Steuer komme es nicht an.
Entscheidungsgründe des BFH in VII R 18/21
Nach Rz. 15 der BFH-Entscheidung VII R 18/21 hat das FG zu Unrecht entschieden, dass die GmbH als ehemalige Organgesellschaft gem. § 73 Satz 1 AO nur für Steuern des Organträgers haftet, die während des Bestehens der Organschaft entstanden sind. Zur genauen Feststellung des Haftungsanspruchs hat der BFH die Sache an das FG zurückverwiesen.
Der Feststellungsbescheid i.S.d. § 251 Abs. 3 AO betrifft u.a. den Fall, in dem ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens schon begründet, aber noch nicht festgesetzt war und der Insolvenzverwalter der zur Tabelle angemeldeten Forderung widersprochen hat.
Der Verwaltungsakt nach § 251 Abs. 3 AO enthält also zwei Feststellungen, und zwar:
dass ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 37 Abs. 1 AO besteht, zu dem nach § 37 Abs. 1 AO auch der Haftungsanspruch gehört, und
dass es sich dabei um eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO handelt.
Gem. § 73 Satz 1 AO haftet eine Organgesellschaft für solche Steuern des Organträgers, für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist (s.a. AEAO zu § 73 Tz. 1). Ob eine Organschaft in diesem Sinne steuerlich von Bedeutung ist, richtet sich im Falle der umsatzsteuerlichen Organschaft nach den Bestimmungen des UStG (BFH VII R 18/21, Rz. 20; AEAO zu § 73 Tz. 3.1.2).
Steuern des Organträgers, »für welche die Organschaft zwischen ihnen steuerlich von Bedeutung ist«, liegen nach Wortlaut und Systematik von § 73 AO i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 und 3, § 18 UStG grds. dann vor, wenn der Organträger die Umsätze der Organgesellschaft zu versteuern hat und Vorsteuerbeträge aus Rechnungen über Leistungsbezüge der Organgesellschaft abziehen kann. Für diese Steuern haftet folglich die Organgesellschaft nach § 73 AO.
In Rz. 27 folgt der BFH ausdrücklich nicht der im Schrifttum – ohne nähere Begründung – vertretenen Auffassung, dass die Haftung der Organgesellschaft für Steuern des Organträgers nur solche Steuern umfasst, die während der Dauer des Organschaftsverhältnisses entstanden sind.
Ob eine Insolvenzforderung vorliegt (s.o. unter 2.), richtet sich danach, wann der Rechtsgrund für den streitigen Anspruch gelegt worden ist. Für die insolvenzrechtliche Begründung einer Haftungsforderung kommt es weder auf die zugrunde liegende Steuerschuld noch auf den Erlass des Haftungsbescheids an, sondern darauf, ob die für die Haftung maßgebliche Handlung bzw. Unterlassung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begangen wurde. Anknüpfungspunkt für die Haftung nach § 73 Satz 1 AO ist das Bestehen der Organschaft (Rz. 30).
Der BFH kann nicht abschließend entscheiden, in welcher Höhe die GmbH als ehemalige Organgesellschaft nach § 73 Satz 1 AO haftet. Das FG wird Feststellungen dazu treffen müssen, in welcher Höhe die USt für den Voranmeldungszeitraum März 14 den Organkreis betrifft.
Wegen der Beendigung der umsatzsteuerlichen Organschaft bereits am 27.3.14 erfasst die Umsatzsteuerforderung gegen den (ehemaligen) Organträger für den Voranmeldungszeitraum März 14 jedoch zwei Komplexe: die USt betreffend den Organkreis bis zum 27.3.14 und die (nur) eigene USt der A-GmbH ab dem 28.3.14.
Soweit Lieferungen und sonstige Leistungen während des Bestehens der umsatzsteuerlichen Organschaft (bis 27.3.14) ausgeführt worden sind, kommt eine Haftung der Organgesellschaft in Betracht.
In Rz. 39 seiner Entscheidung VII R 18/21 verweist der BFH noch auf die Zuordnung der Berichtigung der USt bzw. Vorsteuer nach § 17 UStG. Für die Zuordnung dieser Berichtigung nach § 17 UStG kommt es darauf an, wann die Tatbestandsvoraussetzungen dafür vorgelegen haben. Für den Streitfall verweist der BFH darauf, dass aufgrund der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt von einer Uneinbringlichkeit nach § 17 UStG auszugehen ist (s.a. Abschn. 17.1 Abs. 13 UStAE). Ist die Uneinbringlichkeit gleichzeitig mit der Organschaftsbeendigung eingetreten, richtet sich der Vorsteuerberichtigungsanspruch gegen den (vormaligen) Organträger und nicht gegen die Organgesellschaft (s.a. BFH Beschluss vom 5.12.2008, V B 101/07, BFH/NV 2009, 432, LEXinform 5904795).
Beispiel 14:
Die Organschaft zwischen X als Organträger und der Y-GmbH als Organgesellschaft wird am 17.1.09 beendet. Die regelversteuernde Y-GmbH hatte noch am 16.1.09 Waren im Wert von 10 000 € zzgl. USt an den Kunden Z geliefert. Noch am gleichen Tag stellt die Y-GmbH die Rechnung, die Z am 18.1.09 zugeht. Z zahlt am 4.2.09 und macht von der Möglichkeit der Inanspruchnahme eines Skontos i.H.v. 2 % bei Zahlung innerhalb von 20 Tagen Gebrauch.
Lösung 14:
S. das Beispiel in der Vfg. der OFD Frankfurt vom 28.7.2021 (S 7105 A – 21 – St 110.2, UR 2021, 800, Tz. 1).
Die USt aus der Lieferung entsteht nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a UStG mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums Januar 09, also nach Beendigung der Organschaft. Da das die USt auslösende Ereignis, also die Lieferung der Y-GmbH an Z, vor Beendigung der Organschaft erfolgt ist, ist die hierauf entfallende USt noch beim Organträger X zu erfassen.
Nach der oben dargestellten BFH-Entscheidung vom 5.4.2022 (VII R 18/21, BStBl II 2023, 3) kann die Y-GmbH als Organgesellschaft gem. § 73 AO für die USt des Organträgers haften, da der Organträger die Umsätze der Organgesellschaft zu versteuern hat.
Die Berichtigung des Steuerbetrags aufgrund der Änderung der Bemessungsgrundlage hat nach § 17 Abs. 1 Satz 7 UStG in dem Voranmeldungszeitraum zu erfolgen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten ist. Das die Änderung der Bemessungsgrundlage auslösende Ereignis ist die Zahlung von Z innerhalb von 20 Tagen nach Zugang der Rechnung. Die Minderung der USt ist daher im Voranmeldungszeitraum Februar 09 zu erfassen und steht der Y-GmbH als nun eigenständiger Unternehmerin zu (s.a. Leitsatz 1 des BFH-Beschlusses vom 5.12.2008, V B 101/07, BFH/NV 2009, 432, LEXinform 5904795).
Vorsteuern aus Leistungen, die die Organgesellschaft vor Beendigung der Organschaft bezieht, stehen auch dann nur dem Organträger zu, wenn die Rechnung erst nach Beendigung der Organschaft bei der Organgesellschaft eingeht und von dieser beglichen wird (BFH vom 13.5.2009, XI R 84/07, BStBl II 2009, 868). Maßgeblich ist, dass der Leistungsbezug als auslösendes Ereignis vor Beendigung der Organschaft erfolgt. Vorsteuerberichtigungsansprüche nach § 17 UStG, die diese Leistungsbezüge betreffen, richten sich nur dann gegen den Organträger, wenn das den Berichtigungsanspruch auslösende Ereignis (Uneinbringlichkeit) vor Beendigung der Organschaft eintritt (BFH vom 6.6.2002, V R 22/01, BFH/NV 2002, 1352; BFH Beschluss vom 5.12.2008, V B 101/07, BFH/NV 2009, 432, LEXinform 5904795, Leitsatz 2). Tritt das den Berichtigungsanspruch auslösende Ereignis nach Beendigung der Organschaft ein, ist die Berichtigung i.S.d. § 17 UStG bei der Organgesellschaft vorzunehmen (BFH vom 7.12.2006, V R 2/05, BFH/NV 2007, 839 und BFH Beschluss vom 6.6.2002, V B 110/01, BFH/NV 2002, 1267; BFH Beschluss vom 5.12.2008, V B 101/07, BFH/NV 2009, 432, LEXinform 5904795, Leitsatz 1).
Vorsteuern aus Leistungen, die die Organgesellschaft nach Beendigung der Organschaft bezieht, können grundsätzlich nur von der Organgesellschaft abgezogen werden. Hat jedoch der Organträger vor Beendigung der Organschaft An- oder Vorauszahlungen auf diese Leistungen entrichtet und hieraus den (vorgezogenen) Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 UStG vorgenommen, so ist die Organgesellschaft lediglich zum Vorsteuerabzug aus dem im Zeitpunkt der Beendigung der Organschaft noch offenen Restbetrag berechtigt; der vorgezogene Vorsteuerabzug aus den An- und Vorauszahlungen steht weiterhin dem Organträger zu (BFH vom 21.6.2001, V R 68/00, BStBl II 2002, 255; OFD Niedersachsen vom 27.7.2017, S 7105 – 49 – St 186, UR 2017, 985, LEXinform 5236386, Tz. 2.4 und 2.5).
Beispiel 15:
Die Organschaft zwischen A als Organträger und der B-GmbH als Organgesellschaft wird am 20.1.09 beendet. B hatte noch am 16.1.09 Waren im Wert von 10 000 € zzgl. USt von C geliefert bekommen. Die nach § 14 UStG ordnungsgemäß erteilte Rechnung des C geht bei B erst am 3.2.09 ein.
Lösung 15:
S. das Beispiel in der Vfg. der OFD Frankfurt vom 28.7.2021 (S 7105 A – 21 – St 110.2, UR 2021, 800, Tz. 2).
Die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs nach § 15 UStG liegen erst im Zeitpunkt des Erhalts der Rechnung am 3.2.09 vor. Der Vorsteuerabzug ist demnach erst im Voranmeldungszeitraum Februar 09 zu erfassen. Der Vorsteuerabzug aus dieser Rechnung steht jedoch in vollem Umfang A als Organträger zu, da im Zeitpunkt des Leistungsbezugs durch B die Organschaft noch bestanden hat.
Durch die Beendigung der Organschaft wird der Berichtigungszeitraum nach § 15a UStG nicht unterbrochen. Vorsteuerberichtigungsansprüche für WG der Organgesellschaft, die während des Bestehens der Organschaft angeschafft oder hergestellt wurden, richten sich daher auch dann gegen die Organgesellschaft, wenn der ursprüngliche Vorsteuerabzug nach § 15 UStG dem Organträger zugestanden hat (Abschn. 15a.10 Satz 1 Nr. 4 Satz 1 UStAE).
Bei Rechtsgeschäften, die auf einen gegenseitigen Leistungsaustausch gerichtet sind, jedoch vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht oder nicht vollständig erfüllt wurden, bewirkt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens kein Erlöschen der Erfüllungsansprüche. Vielmehr verlieren die noch offenen Ansprüche im Insolvenzverfahren ihre Durchsetzbarkeit. In diesen Fällen räumt das Gesetz dem Insolvenzverwalter nach § 103 InsO das Wahlrecht ein, ob er die Vertragspflichten des Insolvenzschuldners erfüllt oder die Erfüllung ablehnt.
Wählt der Insolvenzverwalter die Erfüllung des Vertrags, hat der Insolvenzschuldner die vertraglich vereinbarte Leistung zu erbringen. Eine mögliche Differenzierung der Leistungserbringung in die Phasen vor Eröffnung und nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens unterbleibt.
Aus umsatzsteuerlicher Sicht wird damit die gesamte Leistung nach Eröffnung des Verfahrens erbracht. Die hierauf entfallende USt gehört zu den sonstigen Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO, soweit sie noch nicht durch eine bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommene Anzahlungsbesteuerung abgedeckt ist (BFH Urteil vom 30.4.2009, V R 1/06, BStBl II 2010, 138).
Liegen ausnahmsweise Teilleistungen i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 3 UStG vor, gehört die USt für die bei Insolvenzeröffnung erbrachten Teilleistungen zu den Insolvenzforderungen und für die nach Insolvenzeröffnung erbrachten Teilleistungen zu den Masseverbindlichkeiten (s.a. Abschn. 13.2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Satz 10 und Abschn. 3.9 UStAE).
Lehnt der Insolvenzverwalter für den Insolvenzschuldner als Leistungserbringer die Erfüllung des Vertrags ab, vollzieht sich hierdurch eine Änderung des ursprünglichen Vertrags. Der Insolvenzschuldner liefert das halbfertige Produkt, das die veränderte Bemessungsgrundlage für die zu entrichtende USt darstellt. In diesen Fällen ist die Lieferung im Zeitpunkt der Insolvenzerfüllung bewirkt (Abschn. 13.2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Satz 9 UStAE).
Die hierauf entfallende USt ist vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet und gehört somit zu den Insolvenzforderungen nach § 38 InsO. Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 2 InsO liegen jedoch dann vor, wenn die Steuerpflicht aus der Anzahlung durch eine Handlung des starken vorläufigen Insolvenzverwalters begründet wird. Unter den Voraussetzungen des § 55 Abs. 4 InsO (Tätigkeit des schwachen vorläufigen Insolvenzverwalters) gilt die USt-Schuld nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens als Masseverbindlichkeit.
Lehnt der Insolvenzverwalter die Erfüllung eines Bauvorhabens ab, werden jedoch aufgrund eines gleichzeitigen Angebots zur Fortsetzung des Baus auf dieser neuen Rechtsgrundlage die Bauarbeiten fortgesetzt, liegt im Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens keine Lieferung des teilfertigen Gebäudes vor. Der Sachverhalt ist nicht anders zu beurteilen als die Erfüllung des ursprünglichen Vertrags durch den Insolvenzverwalter (FG Niedersachen vom 5.9.2000, 5 K 424/98, EFG 2003, 198, LEXinform 0813771, rkr.).
Wählt der Insolvenzverwalter für den Leistungsbesteller die Erfüllung des Vertrags, erfolgt seitens des Leistenden eine Lieferung. Die hierauf entfallende USt gehört zu den Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 1 InsO.
Daneben entsteht unter den Voraussetzungen des § 15 UStG ein Vorsteuererstattungsanspruch zu Gunsten der Masse. Soweit der Vorsteuerabzug bereits aus gezahlten Anzahlungen vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wurde, beschränkt sich der Vorsteuerabzug zugunsten der Insolvenzmasse auf den restlichen Betrag. In diesem Fall kommt eine Vorsteuerberichtigung zum Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens wegen anzunehmender Nichterfüllung des Vertrags nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG nicht in Betracht (OFD Frankfurt vom 4.11.2009, S 7340 A – 85 – St 11, SIS 10 40 63, Rz. 74.).
Lehnt der Insolvenzverwalter für den Leistungsbesteller die Erfüllung des Vertrags ab, beschränkt sich der Leistungsaustausch auf den gelieferten Teil des Werks, der nach § 105 InsO nicht zurückgefordert werden kann (Abschn. 3.9 Abs. 1 Satz 3 UStAE). Das Entgelt bestimmt sich nach den geleisteten Anzahlungen sowie einer eventuellen Insolvenzquote.
Entgeltforderungen aus Lieferungen und sonstigen Leistungen, die vor Insolvenzeröffnung an den späteren Insolvenzschuldner erbracht wurden, werden im Augenblick der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters – spätestens aber mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens – unbeschadet einer möglichen Insolvenzquote in voller Höhe i.S.d. § 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG uneinbringlich. Zu diesem Zeitpunkt ist die USt beim leistenden Unternehmer und dementsprechend der Vorsteuerabzug beim Leistungsempfänger nach § 17 Abs. 1 UStG zu berichtigen. Dies gilt sinngemäß auch, wenn der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (z.B. mangels Masse) abgewiesen wird (Abschn. 17.1 Abs. 16 UStAE).
Hat vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens der Schuldner eine bewegliche Sache unter Eigentumsvorbehalt verkauft und dem Käufer den Besitz an der Sache übertragen, so kann der Käufer die Erfüllung des Kaufvertrags verlangen.
Bei Insolvenz des Vorbehaltskäufers kann der Verwalter die Vertragserfüllung ablehnen oder den Vertrag erfüllen, indem er die mit Eigentumsvorbehalt belastete Ware zur Masse zieht.
Lehnt der Insolvenzverwalter die Erfüllung ab (§ 103 Abs. 2 i.V.m. § 107 InsO), kann der Vorbehaltskäufer zurücktreten und die Aussonderung der Vorbehaltsware nach § 47 InsO verlangen (OFD Frankfurt vom 4.11.2009, S 7340 A – 85 – St 11, SIS 10 40 63, Rz. 61).
Da umsatzsteuerrechtlich schon bei Kauf des Gegenstandes unter Eigentumsvorbehalt die Lieferung mit Übergabe ausgeführt wurde, liegt eine Rückgängigmachung dieser Lieferung vor, so dass ein etwaiger Vorsteuerabzug nach § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG zu berichtigen ist (Abschn. 17.1 Abs. 8 Satz 4 UStAE).
Der Vorsteuerrückforderungsanspruch nach § 17 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 17 Abs. 2 Nr. 3 UStG stellt keine Insolvenzforderung, sondern eine Masseverbindlichkeit dar, da der Berichtigungstatbestand des § 17 Abs. 2 UStG erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens durch die Entscheidung des Insolvenzverwalters des Vorbehaltskäufers verwirklicht wurde (s.a. BFH Urteil vom 25.7.2012, VII R 29/11, BStBl II 2013, 36).
Zieht der Insolvenzverwalter mit Eigentumsvorbehalten belastete Ware zur Masse und wird deshalb nach § 103 i.V.m. § 107 InsO die Forderung des Lieferanten voll aus der Masse erfüllt, sind die Voraussetzungen des Vorsteuerabzugs gegeben. Die Bezahlung durch den Insolvenzverwalter führt nicht zu einem erneuten Anwendungsfall des § 17 UStG (BFH Urteil vom 28.6.2000, V R 45/99, BStBl II 2000, 703).
Da die Mehrzahl der Lieferungen heute unter Eigentumsvorbehalt steht und die Eigentumsvorbehaltsware dann dem Insolvenzverwalter ggf. zur Verwertung überlassen wird, hat dieser Punkt erhebliches wirtschaftliches Gewicht. Sofern die Insolvenzverwalter mit den Lieferanten die Rückgängigmachung des ursprünglichen Geschäftes vereinbaren und einen neuen Liefervertrag über die Ware abschließen, bliebe die Vorsteuerrückforderung des FA als Insolvenzforderung bestehen, der Vorsteuerabzug stünde jedoch der Insolvenzmasse zu. Diese Vorgehensweise der Insolvenzverwalter ist im Hinblick auf § 42 AO nicht anzuerkennen. Der »neue« Liefervertrag ist lediglich als Bestätigung des ursprünglichen Vertrages anzusehen. Ein neuer Vorsteuerabzugsanspruch für die Insolvenzmasse entsteht nicht (vgl. BFH Urteil vom 15.3.1994, XI R 89/92, BFH/NV 1995, 74 sowie Niedersächsisches FG vom 11.12.1997, V 231/91, EFG 1998, 909, LEXinform 0145995, rkr.).
Für die Aufrechnung gelten die Vorschriften des BGB (§§ 387 bis 396 BGB) sinngemäß.
Das Aufrechnungsverbot des § 96 Abs. 1 Nr. 1 InsO besteht nach Einstellung des Insolvenzverfahrens nicht mehr. Das FA kann gegen eine abgetretene Forderung der Insolvenzmasse unter den Voraussetzungen des § 406 BGB auch gegenüber dem neuen Gläubiger die Aufrechnung erklären (BFH Urteil vom 13.12.2016, VII R 1/15, BStBl II 2017, 541; s.a. Anmerkung vom 19.4.2017, LEXinform 0653157). Siehe die ausführlichen Erläuterungen unter → Aufrechnung.
Sobald die Schlussverteilung vollzogen ist, beschließt das Insolvenzgericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 200 Abs. 1 InsO). Die Befriedigung der Insolvenzgläubiger (§ 187 InsO) erfolgt aus der Insolvenzmasse. Die Schlussverteilung erfolgt, sobald die Verwertung der Insolvenzmasse beendet ist (§ 196 InsO). Nach § 53 InsO ist die Insolvenzmasse vor der Verteilung um die Kosten des Insolvenzverfahrens (§ 54 InsO) und die sonstigen Masseverbindlichkeiten (§ 55 InsO) zu berichtigen. S. die ausführliche Kommentierung unter → Insolvenzverfahren.
Der Insolvenzverwalter ist berechtigt, wegen seiner Tätigkeit dem Insolvenzschuldner eine Rechnung mit USt-Ausweis zu erteilen und daraus für die Masse den Vorsteuerabzug geltend zu machen (vgl. BFH Urteil vom 20.2.1986, V R 16/81, BStBl II 1986, 579 sowie Urteil des FG Hamburg vom 4.9.1997, II 117/96, EFG 1998, 69). Das gilt allerdings nur unter der Voraussetzung, dass das Insolvenzverfahren noch nicht mit dem Schlusstermin (§ 197 InsO) abgeschlossen oder dass im Schlusstermin eine Nachtragsverteilung vorbehalten ist. Rechnet der Insolvenzverwalter seine Vergütung verspätet (d.h. nach dem Schlusstermin ohne Vorbehalt der Nachtragsverteilung) ab, so kann der Erstattungsanspruch mit Forderungen des FA aus der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Wege der Aufrechnung ausgeglichen werden. Gleiches gilt, wenn das Insolvenzverfahren mangels Masse eingestellt worden ist; denn insoweit kommt eine Nachtragsverteilung nicht in Betracht.
Es ist darauf zu achten, dass der Insolvenzverwalter u.U. nicht nur mit der Verwaltung und Verwertung von unternehmerischem Vermögen, sondern auch von privatem Vermögen des Insolvenzschuldners betraut wird. Für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG ist es jedoch erforderlich, dass die Leistung des Verwalters für das Unternehmen des Schuldners erfolgte. Unterliegt auch Privatvermögen dem Insolvenzverfahren, so ist die Vorsteuer in einen abziehbaren und einen nichtabziehbaren Anteil aufzuteilen (BFH Urteile vom 15.4.2015, V R 44/14, BStBl II 2015, 679 und vom 21.10.2015, XI R 28/14, BStBl II 2016, 550; Pressemitteilung des BFH Nr. 39/2015 vom 3.6.2015, LEXinform 0443238; Abschn. 15.2c Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStAE). Die Vorsteuer ist grundsätzlich im Verhältnis der unternehmerischen zu den privaten Verbindlichkeiten, die im Nachlassinsolvenzverfahren jeweils als Insolvenzforderungen geltend gemacht wurden, aufzuteilen. Zum Vorsteuerabzug aus der Rechnung des Insolvenzverwalters s.a. das BFH-Urteil vom 2.12.2015 (V R 15/15, BStBl II 2016, 486), wonach im Insolvenzverfahren einer KG, die ihre Tätigkeit bereits vor Insolvenzeröffnung eingestellt hatte, über den Vorsteuerabzug aus der Rechnung des Insolvenzverwalters nach der früheren Unternehmenstätigkeit der KG zu entscheiden ist. Im Falle der Insolvenz einer KG sind alle geltend gemachten Insolvenzforderungen regelmäßig aufgrund der Unternehmenstätigkeit der KG entstanden, sodass in diesem Fall die Leistung des Insolvenzverwalters von der Insolvenzschuldnerin (KG) ausschließlich für ihre unternehmerische (wirtschaftliche) Tätigkeit verwendet wurde (vgl. BFH vom 2.12.2015, V R 15/15, BStBl II 2016, 486, Rz. 18).
Zur Vorsteueraufteilung aus einer Insolvenzverwalterrechnung hat das FG Schleswig-Holstein mit Urteil vom 15.9.2016 (4 K 14/14, EFG 2017, 76, LEXinform 50149584, rkr.) entschieden, dass bei der Aufteilung der Vorsteuer aus einer Insolvenzverwalterrechnung in einem ersten Schritt das Verhältnis der unternehmerischen zu den privaten Insolvenzforderungen zu ermitteln ist. Bzgl. der unternehmerischen Forderungen ist in einem zweiten Schritt danach aufzuteilen, ob die Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit steuerpflichtigen Ausgangsumsätzen oder steuerfreien Ausschlussumsätzen stehen.
Mit Urteil vom 26.9.2012 (V R 9/11, BStBl II 2013, 346) hat der BFH entschieden, dass der Beschluss des Insolvenzgerichts gem. § 64 InsO zur Festsetzung des Vergütungsanspruchs des Insolvenzverwalters keine Rechnung eines Dritten i.S.d. § 14 Abs. 2 Satz 4 UStG ist, die zum Vorsteuerabzug berechtigt.
Bei der Leistung des Insolvenzverwalters handelt es sich um eine einheitliche Leistung, die mittels Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse des Gemeinschuldners (vgl. § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) der Befriedigung der Insolvenzgläubiger als Hauptziel des Insolvenzverfahrens (vgl. § 1 InsO) dient. Der für den Vorsteuerabzug maßgebliche direkte und unmittelbare Zusammenhang besteht dabei zwischen der einheitlichen Leistung des Insolvenzverwalters und den im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen der Insolvenzgläubiger. Auf die einzelnen Verwertungshandlungen des Insolvenzverwalters kommt es nicht an (BFH Urteil vom 2.12.2015, V R 15/15, BStBl II 2016, 486). Nach dem Urteil des FG Münster vom 4.5.2020 (5 K 546/17, EFG 2020, 1361, LEXinform 5023099, rkr.) sind Vorsteuerbeträge aus Leistungen eines Insolvenzverwalters einer GmbH & Co. KG bei Durchführung von steuerfreien Ausgangsumsätzen im Rahmen der Unternehmensfortführung durch den Insolvenzverwalter nicht aufzuteilen. Die Tatsache, dass der Insolvenzverwalter die Tätigkeit der Insolvenzschuldnerin für einen gewissen Zeitraum (Ausproduktion) fortgeführt hat, ändert nichts daran, dass es sich bei der Veräußerung des Grundstücks lediglich um einen Verwertungsumsatz handelt, der nach der Rspr. des BFH (BFH vom 2.12.2015, V R 15/15, BStBl II 2016, 486) nicht im Rahmen der Aufteilung zu berücksichtigen ist (s.a. FG Münster vom 20.1.2022, 5 K 1363/19, EFG 2022, 534, LEXinform 5024436, Revision eingelegt, Az. BFH: V R 3/22 sowie 5 K 1179/19, EFG 2022, 530, LEXinform 5024398, Revision eingelegt, Az. BFH: XI R 8/22, LEXinform 0954107).
Hinweis:
Eine Unternehmensfortführung durch den Insolvenzverwalter, bei der die Leistung des Insolvenzverwalters nicht mit den im Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen der Insolvenzgläubiger, sondern mit der fortgesetzten unternehmerischen Tätigkeit in einem direkten und unmittelbaren Zusammenhang steht, kommt nur in Betracht, wenn die einheitliche Leistung des Insolvenzverwalters nicht der Befriedigung der Insolvenzgläubiger als Hauptziel des Insolvenzverfahrens mittels Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse des Gemeinschuldners dient (s.o. FG Münster vom 4.5.2020, 5 K 546/17, EFG 2020, 1361), sondern vorrangig darauf abzielt, das Unternehmen des Insolvenzschuldners zu erhalten. Dies ist z.B. der Fall, wenn das Insolvenzverfahren nicht darauf abzielt, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen des Schuldners verwertet und der Erlös verteilt wird, sondern in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbes. zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird (vgl. § 1 Abs. 1 InsO; FG Münster vom 20.1.2022, 5 K 1179/19, EFG 2022, 530, LEXinform 5024398, Revision eingelegt, Az. BFH: XI R 8/22, LEXinform 0954107).
Die Leistung des Insolvenzverwalters ist erst mit dem Beschluss des Insolvenzgerichts über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach § 200 Abs. 1 InsO erbracht, soweit keine anderen Beendigungsgründe vorliegen. Erst mit diesem Beschluss endet das Amt des Insolvenzverwalters (s.a. BMF vom 4.11.2020, BStBl I 2020, 1129, Rz. 19).
Im Revisionsverfahren vom 2.12.2015 (V R 15/15, BStBl II 2016, 486) erteilte der Insolvenzverwalter seine Rechnung, bevor das Insolvenzgericht die Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach § 200 InsO beschlossen hatte. Nach der Entscheidung des BFH ist die vom Insolvenzverwalter an sich als Insolvenzverwalter des Schuldners erteilte Rechnung keine Rechnung über eine bereits vollständig ausgeführte Leistung, sondern eine Rechnung über eine erst noch zu erbringende Leistung. Der Vorsteuerabzug setzt dann gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG neben dem Vorliegen einer ordnungsgemäßen Rechnung auch eine Zahlung aus der Masse an den Insolvenzverwalter voraus (s.a. Anmerkung vom 29.3.2016, LEXinform 0947665).
Hinweis:
Mit dem Zweiten Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (Zweites Corona-Steuerhilfegesetz) vom 29.6.2020 (BGBl I 2020, 1512) werden die Umsatzsteuersätze befristet vom 1.7.2020 bis zum 31.12.2020 von 19 % auf 16 % und von 7 % auf 5 % gesenkt.
Das BMF nimmt mit Schreiben vom 30.6.2020 (BStBl I 2020, 584) zur befristeten Absenkung des allgemeinen und ermäßigten Steuersatzes zum 1.7.2020 Stellung. Die Finanzverwaltung hat mit Schreiben vom 4.11.2020 (BStBl I 2020, 1129) weitere Hinweise und Vereinfachungsregelungen zu den Steuersatzsenkungen – aber auch bereits zu den Steuersatzerhöhungen ab 1.1.2021 – veröffentlicht.
Die Änderungen des UStG sind auf Lieferungen, sonstige Leistungen und innergemeinschaftliche Erwerbe anzuwenden, die ab dem In-Kraft-Treten der jeweiligen Änderungsvorschrift ausgeführt werden (§ 27 Abs. 1 Satz 1 UStG). Werden statt einer Gesamtleistung Teilleistungen (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 2 und 3 UStG) erbracht, kommt es für die Anwendung einer Änderungsvorschrift (z.B. der Anhebung des Steuersatzes) nicht auf den Zeitpunkt der Gesamtleistung, sondern darauf an, wann die einzelnen Teilleistungen ausgeführt werden.
Die Leistung des Insolvenzverwalters ist erst mit dem Beschluss des Insolvenzgerichts über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach § 200 Abs. 1 InsO erbracht (s. BMF vom 4.11.2020, BStBl I 2020, 1129, Rz. 19). Erfolgt die Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach dem 30.6. und vor dem 1.1.2021, unterliegt die gesamte Leistung des Insolvenzverwalters dem Steuersatz von 16 %.
Nach § 9 InsVV kann der Insolvenzverwalter aus der Insolvenzmasse einen Vorschuss auf die Vergütung und die Auslagen entnehmen, wenn das Insolvenzgericht zustimmt. Die Zustimmung soll erteilt werden, wenn das Insolvenzverfahren länger als sechs Monate dauert oder wenn besonders hohe Auslagen erforderlich werden. Erhält der Verwalter Vorschüsse, so entsteht in entsprechender Höhe bereits USt nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG. Erteilt der Unternehmer eine entsprechende Rechnung, so kann der Verwalter die gesetzlich geschuldete USt gegenüber der Masse entnehmen (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 3 UStG). Diese Vorauszahlungen stellen keine Teilleistungen dar (s.a. Rz. 21 und 22 des BMF-Schreibens vom 30.6.2020, BStBl I 2020, 584). Zum maßgeblichen Steuersatz in Vorausrechnungen und zum entsprechenden Vorsteuerabzug s. BMF vom 4.11.2020 (BStBl I 2020, 1129, Rz. 1 ff.) sowie BMF vom 30.6.2020 (BStBl I 2020, 584, Rz. 9, 11, 47, 51 und 52; → Umsatzsteuersatzänderungen in der Corona-Krise; Weigel, UStB 2020, 392).
Der aus dem Vergütungsanspruch des vorläufigen Insolvenzverwalters herrührende Vorsteueranspruch des Insolvenzschuldners stellt einen bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Vermögensanspruch dar. Der Aufrechnung des FA gegen Steuerforderungen aus der Zeit vor Insolvenzeröffnung steht § 96 Abs. 1 Nr. 3 InsO entgegen (BFH Urteil vom 2.11.2010, VII R 6/10, BStBl II 2011, 374). Nach dieser Vorschrift ist eine Aufrechnung unzulässig, wenn ein Insolvenzgläubiger die Möglichkeit der Aufrechnung durch eine anfechtbare Rechtshandlung erlangt hat (s.a. AEAO Tz. 8 zu § 251 AO).
Schädlich, Die Freigabe der selbstständigen Tätigkeit des Schuldners aus der Insolvenzmasse, NWB 33/2014, 2486; Schädlich, Wenn Gesellschaft und Gesellschafter gleichzeitig in Insolvenz fallen…, NWB 48/2018, 3540; Sterzinger, Umsatzsteuern als Insolvenzforderungen oder Masseverbindlichkeiten – zugleich Besprechung der Entscheidung des BGH v. 22.12.2018 – IX ZR 167/16, UStB 5/2019, 153; Adam, Die doppelte Berichtigung der Umsatzsteuer bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens, UR 2020, 492; Witfeld, Die Behandlung der Umsatzsteuer in der (vorläufigen) Eigenverwaltung, NWB 44/2020, 3243; Weigel, Mehrwertsteuersatz der Endabrechnung des Insolvenzverwalters nach der Gewährung von Vorschüssen und Änderung des Steuersatzes während der Verwaltertätigkeit, UStB 2020, 392; Kahlert, Der »§ 4 Abs. 3 EStG«-Rechner in der Insolvenz – Zuordnung der Einkünfte zu den insolvenzrechtlichen Vermögensbereichen, NWB 7/2023, 473.
→ Einkünfte aus selbstständiger Arbeit
→ Haftung
→ Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers
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